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Wir bereiten uns allmählich auf Argentinien gegen Iran vor. Angepfiffen wird unser zweites Gruppenspiel am Sonnabend um 18 Uhr deutscher Zeit; wir sind fünf Stunden zurück und müssen deshalb die heilige Siesta ausfallen lassen. Das Deutschlandspiel im Anschluss werden wir deshalb wohl verschlafen.

Wir sollten noch das knappe 2:1 gegen Bosnien und Herzegowina vom vergangenen Sonntag aufarbeiten.

Hmmmh. Tja. Puh.

Reicht.

 

Ich habe wegen meiner Marketingprüfung noch etwas Trainingsrückstand und kann deshalb nur Quergelesenes aus dieser Woche anbieten. Das große Thema scheint mir die Taktik des Nationaltrainers Alejandro Sabella zu sein. In der WM-Qualifikation hatte Argentinien oft mit dreieinhalb Angreifern gespielt, also ungemein offensiv: Sergio Agüero, Gonzalo Higuaín, Leo Messi und Ángel Di María. Es war auch das Quartett der schönen Spitznamen: Agüero hieß Gottes Schwiegersohn (el Yerno de Dios), als er noch mit Diego Maradonas Tochter verbandelt war, und wird inzwischen nur noch Kun gerufen; Higuaín ist die kleine Pfeife (Pipita), weil die große Pfeife schon sein Vater war, als Fußballer Ende der achtziger Jahre in Frankreich. Messi ist der Floh (la Pulga) und Di María die Bohnenstange (el Fideo). Ihr Trainer heißt angeblich el Mago, der Magier.

Hinreißend sah es mitunter aus, was die Jungs miteinander anstellten, und erfolgreich war es auch: Argentinien gewann die Südamerikagruppe vor Kolumbien und Chile. Messi (10), Higuaín (9) und Agüero (5) schossen zusammen 24 der 35 Tore.

Messi liebt diese offensive Variante, und der Kapitän hat Einfluss wie lange kein Spieler mehr in der himmelblauweißen Auswahl. Gegen Bosnien und Herzegowina aber standen fünf Verteidiger in der Startelf; Higuaín saß auf der Bank und ließ Messi mit Agüero allein. Erst nach der schwachen ersten Halbzeit reaktivierte Sabella den Traumangriff. Es wurde besser. Ein bisschen.

Und nun? Beginnt Argentinien gegen Iran ein zweites Mal mit fünf Verteidigern? Oder lässt sich Sabella von Messi bequatschen und kehrt zum vertrauten System zurück? Der Floh hat das Mündchen ordentlich aufgerissen: »Wir sind Argentinien, wir müssen uns nicht nach dem Gegner richten.« Der Satz geht uns natürlich runter wie Mate. Wir haben die großartigste Offensive der Welt – warum sollten wir sie zerpflücken? Um noch einen durchschnittlichen Abwehrspieler zu bringen? Wir haben doch schon vier davon.

Hier wird jedenfalls bis zum Ende an Argentinien geglaubt – und falls das Ende das Viertelfinale sein sollte, werden wir schon immer gewusst haben, dass es nichts werden kann. Nicht mit diesem Trottel, der noch nie einen großen Verein trainiert hat. Nicht mit dieser Taktik. Nicht ohne Carlitos Tévez, dem Spieler des Volkes. War doch abzusehen von Anfang an.

Mehr kann ich als Analyse vorerst nicht bieten. Aber ich habe in einem Blitztransfer Alex Belinger vom Fußballblog Cavanis Friseur ausgeliehen (und leider vergessen, eine Option zu vereinbaren, damit ich ihn später in diesem Turnier noch mal einsetzen kann). Alex, geboren 1994, ist Österreicher und hat trotzdem Ahnung von Fußball. Sehr viel sogar. Und er liebt die italienische Liga, in der sieben unserer Jungs unterwegs sind: Hugo Campagnaro, Ricardo Alvarez und Rodrigo Palacio (alle Inter Mailand), Federico Fernández und Higuaín (beide SSC Neapel), Lucas Biglia (Lazio Rom) und Mariano Andújar (Catania Calcio).

Also fragen wir ihn mal.

Alex, Argentinien wird Weltmeister, nicht wahr?

Das würde mich freuen, es wird aber schwer. Das erste Spiel hat ja nicht besonders viel Hoffnung gemacht. Das 5-3-2 – ich nenne es eigentlich lieber 3-5-2, weil das nicht ganz so defensiv klingt – ist in Italien sehr verbreitet, dort spielen die meisten Mannschaften so. Aber das argentinische 5-3-2 gegen Bosnien hat überhaupt nicht funktioniert.

Die Anbindung der Offensive hat gar nicht geklappt. Das Mittelfeld war wohl etwas zu defensiv, so dass Agüero und Messi vorne auf sich alleine gestellt waren. Messi wurde dadurch oft in eher weniger erfolgreiche Dribblings gezwungen. Nach dem Umstellungen in der Halbzeit funktionierte das Spiel Argentiniens weitaus besser.

Dann kehren wir zum alten System zurück und werden Weltmeister.

Das 4-3-1-2 funktioniert deutlich besser, hat aber auch Nachteile. Problematisch ist die fehlende Defensivarbeit von Messi, Agüero und Higuaín. So etwas kann man sich bei einer WM wohl nicht leisten. Gegen Iran und Nigeria kann zwar man so spielen, gegen stärkere Gegner könnte dies aber Probleme bereiten.

Nehmen wir an, Argentinien schafft es nicht. Wer dann?

Ich weiß selber kaum, welcher Mannschaft ich den Weltmeistertitel am meisten zutrauen würde, so wirklich überzeugt mich niemand. Ich würde mich natürlich über Italien sehr freuen. Italien hat mir im Eröffnungsspiel gegen England auch sehr gut gefallen. Die Italiener sind wohl nicht die Mannschaft mit den stärksten Einzelspielern, sind aber top eingestellt und kommen durch ihre Spielweise wohl auch mit den teilweise schweren klimatischen Bedingungen gut zu recht. Ich bin bei Italien also recht optimistisch.

Sag noch was zu Carlos Tévez, der auch in Italien spielt. Er hatte bei Juventus eine stark Saison. Hättest Du den Apachen zur WM mitgenommen?

Carlos Tévez ist ein super Fußballer. Die Aufregung um seine Nicht-Nominierung kann ich aber nicht ganz nachvollziehen. Agüero und Higuaín können ja auch halbwegs kicken, zudem bin ich ein großer Fan von Palacio. Wer solche Stürmer hat, kann es sich wohl auch leisten, auf einen so schwierigen Charakter wie Tévez zu verzichten.

Alex Belinger ist einer von vier Autoren des Blogs Cavanis Friseur, das übrigens auch tolle Fußballfotos zeigt.
Twitter: @alexbelinger