Es ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil, im Land des weltbesten Fußballers zu leben. Mein sechseinhalbjähriger Sohn zum Beispiel kommt obenrum mit zwei Kleidungsstücken aus: Er trägt tagelang Leo Messis Nationaltrikot. Wenn das in die Wäsche muss, nimmt er Messis Barcelona-Trikot. Und wenn das schmutzig ist, dann – genau.

Es ist ein nicht zu unterschätzender Nachteil, in der Stadt zweier weltbekannter und tief verfeindeter Fußballvereine zu leben. Als wir vor einem halben Jahr von Berlin nach Buenos Aires gezogen sind, mussten mein Sohn und ich entscheiden: River oder Boca? Der Nobelklub aus dem Norden oder der Arbeiterklub aus dem Süden? Mein Sohn hat Boca gewählt, obwohl sein Vater wirklich kein Arbeiter ist. Ich weiß gar nicht mehr genau, was für die Bosteros sprach. Gegen die Gallinas sprach jedenfalls das Trikot mit dem roten Diagonalstreifen.

Seine Schulfreunde sind, so weit ich das überblicke, River-Fans – und deren Väter und Großväter natürlich auch. Er hält sich aber bislang tapfer. Nein, er hält dagegen. Ich bin da viel opportunistischer. Sobald ich mit einem River-Fan in Streit gerate und erkenne, dass ich mangels Sprache untergehen werde, bringe ich die argentinische Präsidentin ins Spiel. Der kleinste gemeinsame Nenner zwischen zwei Kontrahenten ist im Augenblick Cristina Fernández de Kirchner.

Für jemanden, der aus Deutschland kommt, ist diese Frau ein Rätsel. Uns Deutschen wäre ihre Art nicht zuzumuten. Zu laut. Zu giftig. Zu grell. Vielleicht will sie manchmal nur Macht demonstrieren, aber der Eindruck, der entsteht, ist eben auch: Die macht, was sie will. Und ein Staatsoberhaupt sollte das gerade nicht: tun, was es will.

Cristina mit Sonnenbrille

Als die Präsidentin neulich Venezuelas erkrankten Staatschef Hugo Chávez in Havanna besucht hat, behielt sie auch in geschlossenen Räumen ihre Sonnenbrille auf. Ich habe zweimal hingeschaut. Cristina, eine Sonnenbrille, keine Sonne weit und breit. In Deutschland würden Politiker, die so etwas tun, für arrogant, verrückt oder betrunken, wahrscheinlich aber für alles auf einmal, gehalten. Das Extravaganteste, das Journalisten an Angela Merkel in mehr als sieben Jahren als Bundeskanzlerin entdeckt haben, ist eine orangefarbene Handtasche, und selbst die kommt nur sehr dosiert zum Einsatz.

Aber vielleicht lerne ich auch, mich an diese extravagante Präsidentin zu gewöhnen, so wie ich ja vieles noch lerne. Manches habe ich auch schon gelernt: dass man Heiligabend in Buenos Aires ohne Strom feiern kann oder dass die Jungs, mit denen ich mittwochs im Parque Norte Fußball spiele, unbedingt mit besos zu begrüßen sind. Bei anderen Dingen hilft es, drei Kinder zu haben, die das Castellano nebenbei erlernen. Wenn ich mit ihnen in der Hauptstadt im Auto unterwegs bin und ein Schimpfwort brauche, weil ich irgendeinen Porteño zurück beleidigen will, wird mir von der Rückbank souffliert. Man kann ja nicht immer boludo rufen.

(Diese Kolumne ist erstmalig im Argentinischen Tageblatt erschienen.)