Den ersten Teil des Reiseberichts gibt es hier.

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Um 5:12 Uhr am Morgen zerreißt eine ohrenbetäubende Explosion die doppelstöckige Ameise, die durch die Provinz Misiones donnert. Ich schrecke auf, knalle gegen die Lichtleiste und komme ausgestreckt im Mittelgang mit traumatisierten Trommelfellen, Tachykardie und Tinnitus aurium zum Liegen.

Ich warte darauf, dass der Notarzt kommt. Oder wenigstens meine Gattin. Aber die schläft. Stattdessen kommt: Reiseleiterin Aldana, leicht erkältet, vermutlich wegen der saukalten Klimaanlage in diesem Bus. Sie räuspert sich noch mal ihren beachtlichen Resonanzraum frei und flötet in das Busmikrophon: „HOLA!HOLA!HOLA!BUENDÍA,GENTE!!WASGUCKTIHRSOKOMISCH?

ESISTFRÜH,ABERDASISTEINEFANTASTISCHEREISE,IHRWERDET WELTWUNDERSEHENUNDWIRSINDINSANIGNACIO!“

San Ignacio? Ah ja, klar: Die Jesuiten-Reduktion. Im Jahre des HErrn 1750. Sklavenhändler. Indianer. Sie beschützende Ordensmänner aus dem Laden vom Papst.

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Jemand mal den Film »The Mission« gesehen? Wie der erste Priester, von RömernGuaraní an ein Holzkreuz genageltfesselt, den Fluss runter..? Und wie dann der andere Priester hoch…? Und danach olle Robert de Niro die Klippe nach oben, mit der ganzen Rüstung, nachdem er seinen Bruder, mit dem Messer, wegen dieser Frau? Ja? Ne? Geil, oder!!? Deswegen sind wir in Südamerika!! Und nicht wegen des Fußballs!

Aba ick schweife ab…..

Das Lästige an Gruppenreisen ist ja, dass man nie sein eigener Herr ist. Ich will JETZT! diese Jesuiten-Trümmer anschauen.

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Aldana aber will, natürlich auch JETZT!, DASSWIRINDIEBARGEGENÜBERGEHEN!UNDFRÜHSTÜCKEN! Die verfressene argentinische Reisegruppe stimmt für Aldana. Zuhause vermisst mich mein Kater.

Ein paar Stunden später sind wir im Hotel in Puerto Iguazú. Der Check-In geht so reibungslos, das ich kurz nachschaue, in welchem Land wir gerade sind. Das Haus: Zwei gegeneinander verschobene Viertelkreise, die ein häßlichesfunktionales Wasserbecken halb umstellen, würden Architekten sagen. »Neiinnnnn, wie hübsch! Und wirklich Palmen am Pool!! Genau, wie M. es beschrieben hat!!«, sagt meine Gattin. Später versucht sie, das uns zugewiesene Zimmer zu wechseln, zieht aber zurück, nachdem sie die Alternative gesehen hat. Haha!

In der Nacht wird ihr eine schwarze Riesenameise ins Knie beißen.

Um 6.45 Uhr am nächsten Morgen klingelt der Wecker. Was soll schon aus einem Tag werden, der mit Aufstehen anfängt? Ich habe übrigens Urlaub. Am Eingang zum Nationalpark Iguazú wartet Silvia, die Spezialreiseleiterin für die Wasserfälle. Die Mutigen gehen Raften, die Memmen trampeln hinter Silvias Regenschirm im CSD-Design zu den Fällen. Ich rafte nicht. Meine Kamera und mein Telefon vertragen das nicht. Aldana hat gesagt, dass man da klatschnass wird. Deswegen.

Silvia erzählt, dass sich dieser Dschungel hier botanisch gesehen bis nach La Plata erstreckt. Das sagt die jetzt! Nach 18 Stunden im Bus!! La Plata liegt keine 30 Minuten hinter Buenos Aires. Und ich hätte abends wieder bei meinem Kater sein und Sportschau gucken können…..

Silvia: Erklärt gleich mal den ersten Baum am Wegesrand. UNd erklärt. Und erklärt. Miguel, der dicke Herzkranke, überschlägt kurz die Zahl aller Bäume von hier bis zu unserem eigentlich Ziel und röchelt: »Wir sind wegen der Wasserfälle hier, mi amor«!!! Haha! Klare Kante! Ich nehme mir vor, ihn mal auf ein Bier einzuladen. Später erzählt er mir, dass ihm der Piratenfilm mit Tom Hanks letzte Nacht im Bus gut gefallen habe. Spitzentyp, der dicke Miguel, irgendwie.

Als er am Nachmittag in einem Touri-Rip-Off, in den uns Aldana arglistig geschleppt hat, Halbedelsteine, Indio-Tand und alberne Armreifen zur Seite schiebt, auf mich zuwalzt und schnauft: »No sé vos, yo me saco una cerveza« (»Keine Ahnung, was Du machst. Ich kippe jetzt n Bier«), klingt das wie der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Was wir aber jetzt hören, ist nicht der schwere Atem von Miguel. Dieses Rauschen sind: die: Wasser:fälle: von: Iguazú! Da schweigt sogar die Reiseleitung.

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Das andächtige Schweigen hält natürlich nur ein paar Minuten: Jemand fragt Silvia, ob die Fische denn vor der Kante des Wasserfalls auch bremsen könnten? Das Gesicht der Reiseleiterin könnte als Vorlage für jedes Photo-Booth-Programm dienen. »Bremsen? Die Fische? Nein, cariño, nicht immer.«, orakelt sie. Da gellt ein #Aufschrei durch das Rauschen der Fälle: Das Radio mit der Riesennase schnappatmet: »Wenn die Fische da runterfallen – sind sie dann: tot?« Silvia macht Anstalten sich den Wasserfall runterzustürzen. Dann sagt sie, dass die Fische oben ein ganz anderes genetisches Muster hätten als die unten. Da ist das Radio mit der Riesennase aber beruhigt….

Cristina & Hugo, unsere Busbank-Nachbarn, kommen vom Raften zurück. Klatschnass. »Wenn ich das vorher gewusst hätte«, zetert Cristina. Und fragt mich, ob ich das vorher gewusst hätte…..

 

 In der nächsten Folge

  • wie der alte Juan zum Verschwörer wird
  • wie der Busfahrer und ich eine Schießerei in einer Schmugglerstadt haben
  • und warum Vogelparks in mehrfacher Hinsicht gefährlich sind