Logo des WM-Tagebuchs - Zeichung: Danü (Daniel Schlierenzauer)

Zwei Deutsche in Buenos Aires schreiben sich Kurznachrichten und plaudern über Fußball und den Rest. 

ERSTER AKT

MC. Traumfinale Costa Rica gegen Algerien ist immer noch möglich!

CW. Was wäre dagegen schon Argentinien gegen Brasilien?

MC. Jeder Klassiker wird irgendwann geboren.

CW. Seltsam.

MC. Was?

CW. Irgendwie ist heute kein Unterricht an der Uni.

MC. Nuscheln wieder alle?

CW. Nein. Ich bin allein im Raum 5.5. Und er ist dunkel. Ich gehe mal fragen.

MC. Gute Idee.

MC. Und?

CW. Ich wollte fragen, war aber gleich überfordert von der Frage, ob ich auf Karriere studiere oder ejecutivo … programa … grado … irgendwas anderes halt. Also, Karriere auf keinen Fall. Das andere dann.

MC. Das ist doch die richtige Antwort!

CW. Natürlich. Aber der Typ von der Information war nicht sonderlich hilfsbereit. Ich wusste ja auch nicht mal den Titel des Kurses.

MC. Marketing. Bei Sergio. Raum 5.5.

CW. Habe ich auch gesagt. Nix.

MC. Dann war’s kein Argentinier. Ein Argentinier antwortet immer. Ehe Dir ein Argentinier keine Antwort gibt, gibt er Dir lieber eine falsche. Aber ganz tolle Menschen. Immer sooooooooooooo hilfsbereit. Übrigens: Wie heißt die Hauptstadt von Costa Rica, ich komme gerade nicht drauf?

CW. Ähm. Managua.

MC. Danke, Du hast den Test bestanden.

*****

ZWEITER AKT

CW. Ich muss Dir was gestehen.

MC. Ich höre.

CW. Bei der WM 1990 war ich gegen Argentinien.

MC. Gibt Schlimmeres.

CW. Ich war für Italien.

MC. Bitte? Waaaaaaaaaas?

CW. Wegen Toto Schillaci.

 

MC. MAN IST NIEMALS FÜR ITALIEN!

CW. Ich war zwölf. Und Ossi. Ein zwölfjähriger Ossi aus einer Kleinstadt.

MC. MAN IST VIELLEICHT MANCHMAL NICHT GEGEN ITALIEN. VIELLEICHT! MANCHMAL!

CW. Ich kann übrigens die deutsche Mannschaft nicht mehr angucken.

MC. Jetzt übertreibst Du es aber mit Deiner Argentinisierung.

CW. Ist mir zu akademisch, das deutsche Spiel.

MC. Dir fließt natürlich nicht genug Blut.

CW. Fußball ist: unsaubere Grätsche, schmutziges Trikot, große Eier.

MC. Müller. Müller hat Eier.

CW. Aber im Sturm fehlt eindeutig der Typ Hrubesch.

MC. In welchem Sturm?

CW. Du musst das ganzheitlicher betrachten. Im modernen Fußball gibt es keine festen Positionen mehr. Manuel Neuer ist sozusagen die hängendste Spitze. Verstehst Du?

MC. Das sagt die Fleisch gewordene Blutgrätsche, die den mitspielenden Torwart für eine Erfindung von Mario Basler hält? Damit er weniger laufen musste?

CW. An Mats Hummels wird der Streit zwischen seiner Freundin Cathy Fischer und der Ex von Ballack auch nicht spurlos vorbeigehen. Wahrscheinlich hat der Teampsychologe nicht mal mehr Termine frei für die anderen. Armer Poldi.

MC. Die Albträume fürchten Poldi. Poldi therapiert sich selbst. Bei Poldi liegt der Psychologe auf der Couch.

CW. Prognose für Deutschland?

MC. Es reicht für die schwächeren Teams, also USA, Argentinien oder Brasilien. Aber für Frankreich, Kolumbien oder Holland? Ich weiß ja nicht.

CW. Hast Du gerade Argentinien zu den schwächeren Teams gezählt? Meine Argentinier haben bisher geblufft.

MC. Das machen sie ja am liebsten. Und das haben sie mit unserem Beruf gemeinsam. Deswegen mögen wir sie ja auch so.

*****

DRITTER AKT

CW. Schön, dass Brasilien weiter ist.

MC. Seit zwei Wochen erzählst Du mir, dass Du die Mannschaft, nein: das ganze Land nicht leiden kannst – mit Ausnahme der Brasilianerinnen.

CW. Weil ich ein guter Argentinier bin. Und weil Diego nun mal viel größer ist als Pelé.

MC. Du wirst doch nicht den dicken Lügner mit Pelé-Fußballgott vergleichen wollen!? Und warum bist Du jetzt für Brasilien?

 

CW. Ich habe nachgedacht: Brasilien erreicht das Finale, natürlich total unverdient. Sie spielen mies, richtig mies, kommen aber jedes Mal weiter. Tore nach Ecken. Tore nach Elfmetern. Tore nach Neymar. Aber dann werden sie im Endspiel von Argentinien – endlich! – kaltgemacht. Die ganze Welt wird uns lieben, verehren, bewundern. Wie wir es verdient haben.

MC. Mieser Taktiker! Opportunist!

CW. In Deutschland werden Neugeborene nach mir benannt.

MC. Hebamme: »Na, wie heißt er denn, unser kleiner Fratz?« – Mutter, noch keuchend: »CW.« – Hebamme (zu sich selbst): »Schon der Vierte heute, und nebenan in der Wanne wird auch noch gehechelt.«

CW. Straßen auch.

MC. Straßen natürlich auch. In Niederndodeleben.Und in La Boca: »Calle de la madre que le parió a CW«.1 Hat ja schon mal nicht geklappt! Aber erst, wenn Dein Sohn seinen Erbteil auf Kokspartys in Rosario durchgebracht hat, während Du in Hamburg-Lokstedt aufm Armenfriedhof liegst. Und genau dann werde ich mit Deiner Biografie – trimedial! – Bestsellerautor.

CW. Titel?

MC. Wesemann: Autor. Vater. Fußballer. Als E-book, DVD und Buch. Auch im Geschenkschuber.

CW. Nicht weniger als 800 Seiten! Besser 1000. Wirkt sonst zu komprimiert, mein Leben.

MC. Du musst mir natürlich die Manuskripte und Briefwechsel überlassen.

CW. Ich gucke jetzt mal Holland gegen Mexiko und studiere Argentiniens überübernächsten Gegner.

MC. Das wäre ein geiles Halbfinale!

CW. Aber kein leichtes.

MC. Sicher.

CW. Unangenehm zu spielen.

MC. Oh ja!

CW. Sind gut drauf.

MC. Das kannst Du laut sagen.

CW. Verrückter Trainer.

MC. Sehr verrückt.

CW. Sehr guter Torhüter.

MC. Ja, auch.

CW. Die dicken Männer mit den Riesenhüten nerven natürlich.

MC. Wie bitte?

CW. Und die Schnurrbärte – auch die Frauen.

MC. Häh?

CW. Tequila könnte ich auch mal wieder trinken.

MC. Zum Teufel: Wovon redest Du?

CW. Mexiko!

  1. »Straße zu Ehren der Mutter, die CW gebar« []