Herr T. hat ein Jahr in Buenos Aires gelebt. Der Leser des Argentinischen Tagebuchs kennt ihn vor allem als nervenstarken Reisebegleiter nach Chile und Bolivien. Im September 2014 kehrte er nach Deutschland zurück. Nun ist er wieder da.

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Ich war vorbereitet. Ich habe in Uni-Seminaren Mate getrunken, die weiß-himmelblaue Fahne geschwenkt. Ich habe Freunde mit meinem Argentinienwissen genervt und mit Lionel Messi gelitten, als dieser die Niederlage gegen Deutschland hinnehmen musste. Ich war auf alles vorbereitet. Nur nicht auf die Hitze. 36 Grad knallen vom Himmel, als ich aus ebendiesem auf argentinischem Grund lande. Ich bin zurück. Schwitzend, schmelzend, sterbend – und doch glücklich.

Wieder durch die Häuserblöcke von Buenos Aires zu fahren, weckt Erinnerungen. Ein Jahr hatte ich hier gelebt und mich an die verrückten und auch liebenswürdigen Argentinier gewöhnt. Nun bin ich zurück und glaube, mich an jede einzelne Straßenecke erinnern zu können. Wie in einem Film, an den man sich vage erinnert. Ich komme in Recoleta unter, dem argentinischen Paris. Qué elegancia la de Francia. Ich erkunde die Stadt, schlendere über den Friedhof von Recoleta, auf dem auch die gefeierte Schutzheilige Eva Perón begraben liegt, und flaniere die Avenidas entlang bis zum Kongress und Präsidentenpalast.

Friedhof Recoleta

Friedhof Recoleta

Evita

Evitas Grab

Meine Liebe zum argentinischen Wein lebt wieder auf, und auch das traditionelle Asado ist noch so lecker, wie ich es in Erinnerung habe. Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein. Es verwundert viele, vor allem Argentinier selbst, dass ich mir vorstellen könnte, hier zu leben. Cheeee, dir gefällt’s bei uns? Du nimmst mich auf den Arm! So mancher lernt ja nach Englisch noch eine zweite Fremdsprache hinterher, um nach Europa auswandern zu können.

Buenos Aires

Blick auf die Avenida Corrientes

Buenos Aires 2

Das Microcentro von Buenos Aires

Ich erinnere mich an so viele Kleinigkeiten. Die Collectivos, buntbemalte Linienbusse, die mit exzessivem Gebrauch der Hupe und des Gaspedals mit den Taxis um die Herrschaft auf den Straßen kämpfen. Taxifahrer, die sofort wissen wollen, wo man denn herkomme, was man hier mache – aber vor allem: dein Fußballklub, eh? Geldwechsler, die von jeder Ecke der beliebtesten Einkaufsstraße »Cambio« rufen – in einer Monotonie, als hätten sie nur dieses eine Wort gelernt. Unebene Fußwege, die regelmäßig von verlassenen Baustellen unterbrochen werden und auf denen einem die Kondenswassertröpfchen der Klimaanlagen in den Nacken fallen. Der Fernet (ja, Opas Magenbitter), der mit Cola und Eis gemischt wird, um sich dem Nachtleben ein wenig sorgloser zu widmen. Fahrstühle aus der Mitte des letzten Jahrhunderts, die erst funktionieren, wenn beide Türen manuell zugezogen sind. Dazu Stromausfälle, Kakerlaken und Demonstrationen. Nicht, dass das unmittelbar in einem Zusammenhang stehen würde. Habe ich doch in einem Restaurant gleich zwei Kakerlaken in fünf Minuten am Tisch begrüßt, die der Kellner auf Nachfrage schwer gelangweilt und recht träge mit einem Taschentuch eliminierte. Ein echter Argentinier stört sich doch an so was nicht! Und mir gelingt es natürlich auch, damit umzugehen, jedenfalls besuche ich das Restaurant sogar noch zwei weitere Male.

Demonstration am Kongress, dem Nationalparlament

Kurz vor meiner Ankunft wurde der Staatsanwalt Alberto Nisman tot aufgefunden. Niemand kann sicher sagen, was genau passiert ist, doch glauben alle, es zu wissen: Die Präsidentin habe ihn ermorden lassen. Dass ein Volk mehrheitlich davon überzeugt ist, dass die eigene Regierung zu Auftragsmorden fähig ist, wirft nicht nur eine Frage über Demokratie und Justiz auf. Jedenfalls spürt man diese Unruhe deutlich − und egal, ob es nun Mord oder Selbstmord war: Der Fall wird das Land noch über Jahrzehnte hinweg spalten.

Mein Land.