Ein Pate, eine Zeitung und viel Geld
von CHRISTOPH WESEMANN
Manchmal bekommt man es nur unter dem Ladentisch und muss den Verkäufer um ein Exemplar bitten. Das »Argentinische Tageblatt«, die einzige deutschsprachige Zeitung des Landes, hat einen eher kleinen Leserkreis (Auflage: offiziell 10 000) und liegt deshalb am Kiosk selten an prominenter Stelle. Eine stolze Zeitung, vom Schweizer Einwanderer Johann Alemann 1889 gegründet und heute in vierter Generation herausgegeben, ist sie trotzdem. Das liegt auch daran, dass sie – anders als die längst gestorbene, strammdeutsche »La Plata Zeitung« – von 1933 und 1945 gegen den Nationalsozialismus angeschrieben hat. Sie war die Hauspostille der Deutschen in Argentinien, die sich zum Widerstand zählten. Propagandaminister Joseph Goebbels verbot das Erscheinen in Deutschland und ließ die Zeitung auch in Argentinien bekämpfen.
Seine Parteigenossen, von denen schon vor Kriegsende Tausende im Land lebten, klagten gegen das liberale und antitotalitäre »Tageblatt«, hatten aber keinen Erfolg. Die Zeitung überlebte Bombenanschäge und Anzeigenboykotte deutscher Unternehmen. Verboten wurde es – vorübergehend dreimal – erst nach dem Krieg, als Juan Perón Präsident war (1946-1955), ein Mann, dem die Nationalsozialisten in den zwölf Jahren ihrer Herrschaft nicht unsympathisch gewesen waren. Auch so erklärt sich, dass viele Mörder und Schreibtischtäter über »Rattenlinien« nach Südamerika entkommen konnten.
Dass die heutigen Herausgeber, die Brüder Juan und Roberto Alemann, ausgerechnet in der Zeit der fürchterlichen Militärdiktatur in Argentinien Finanzminister und Wirtschaftsminister waren, gehört wiederum zu den rätselhaften Begleiterscheinungen. Wer es gut meint, sagt vielleicht, dass damals der Wille, dem Land in schwerer Lage zu dienen, stärker war als die liberale Überzeugung. Andererseits sind da diese drei Sätze, die Juan Alemann 2006 dem Reporter Oliver Wegner für die »taz« mitgegeben hat:
Die einzige Diktatur, die ich erlebt habe, war die unter Perón. Die Militärregierung war nur formell eine Diktatur. Die Justiz hat funktioniert, die Presse war frei, und die Einwohner wurden nicht belästigt.
Aber zurück in die Gegenwart: Jüngst hat Staatspräsidentin Cristina Fernández de Kirchner (CFK) mit großem Wirbel ihr Vermögen von Dollar in Peso umgetauscht. Das ist durchaus kurios für eine Frau, die unbedingt aus dem Volk kommen will. Denn das Volk will’s wegen der üppigen Inflation von 25 bis 30 Prozent am liebsten andersrum und seine Pesos schnell loswerden. Es gibt inzwischen einen gewaltigen Schwarzmarkt, weil man zum offiziellen und festgelegten Wechselkurs von 4,5 Pesos je Dollar nicht mehr an die grünen Scheinchen aus den USA kommt. Beschaffen kann man sie sich auf der Straße. Der »blue dollar« kostet um die sieben Pesos. Cristina Kirchner hat dann übrigens auch gleich noch ihre Minister aufgefordert, ihr Erspartes in die Landeswährung umzutauschen.
In der Ausgabe vom 28. Juli steht im »Argentinischen Tageblatt« nun die sensationelle Nachricht, dass die hiesigen Minister – es gibt 109, 20 – bis übermorgen beim Antikorruptionsamt ihre Vermögens- und Einkommenserklärungen für 2011 abgeben müssen. Und der Leser erfährt, dass Sicherheitsministerin Nilda Garré ein Kraftwagenregister besitzt und drei Immobilien in Esteban Echeverría, Pinamar und Palermo, dem Viertel, in dem ich noch zu Hause bin. Landwirtschaftsminister Norberto Yauhar hat keine Immobilien, fährt aber ein »deutsches Luxusauto«. Gesundheitsminister Juan Manzur hat zwölf Etagenwohnungen verkauft und Sozialministerin Alicia Kirchner vom Fiskus 833 Quadratmeter Bauland erworben – in El Calafate, einem Städtchen in Patagonien, über das der »Spiegel« vor drei Jahren schrieb:
In El Calafate haben die Kirchners in den vergangenen Jahren ein richtiges Immobilienimperium aufgebaut. Das halbe Städtchen gehört der Präsidentenfamilie, allein acht Hotels nennen sie ihr Eigen, darunter auch Los Sauces. Die Einrichtung der noblen »Evita-Suite« soll Cristina selbst ausgesucht haben. Evita, das war die Ikone der Argentinier, die Frau des Präsidenten Juan Domingo Perón, der wie ein Monarch über das Land herrschte. Manche Einwohner von El Calafate behaupten, die Präsidentin habe die Möbel für das Luxusappartement mit der Regierungsmaschine Tango 1 von Buenos Aires nach El Calafate transportieren lassen.
Sozialministerin Alicia Kirchner? Ach ja, Alicia ist die Schwägerin der Präsidentin, auch das ist in Argentinien möglich.
Aber kommen wir zu Guillermo Moreno. Der Staatssekretär für Binnenhandel ist eine Legende und trägt den Titel »Pate vom Río de la Plata«. Moreno ist zuständig für die Kontrolle des Außen- und Devisenhandels und bestellt angeblich auch gern große Bosse um Mitternacht zu sich, um ihnen dann die Pistole auf die Brust zu setzen: Er macht ihnen ein Angebot, dass sie besser nicht ablehnen. Dass in solchen Gesprächen auch eine Pistole auf dem Tisch liegt, habe ich mittlerweile so oft gelesen, dass ich es allmählich glaube. Señor Moreno habe »sein bescheidenes Vermögen« dank seines »Eisenwarenhandels und Finanzgeschäften« erhöht, schreibt das »Argentinische Tageblatt«. Er besitze jetzt fast eine Million Pesos, laut Währungsrechner also 177792,1889 Euro. Ein Häuschen hat er eigenen Angaben zufolge nicht, er fährt aber einen »Kraftwagen Modell 97«. Ich habe mich gerade zwei Stunden durch Autoforen gewühlt, um herauszufinden, was »Modell 97« bedeutet. Ich kann nicht mehr, ich habe einen Getriebeschaden, und mit meinem Kolben stimmt auch was nicht. Ich sage einfach mal: Das ist das Baujahr.
Ich mag das »Argentinische Tageblatt« übrigens auch, weil es mir das Gefühl gibt, dass ich nicht zu blöd bin, Nachrichten auf Spanisch zu verstehen. Ich bin es nämlich auch bei Nachrichten in meiner Muttersprache:
Das Schatzamt weist im Juni bei den Finanzen des Nationalstaates ein echtes (im offiziellen Jargon eufemistisch als »finanziell« bezeichnetes) Defizit von $ 3,77 Mrd. aus, gegen $ 3,31 Mrd. im gleichen Vorjahresmonat. Im 1. Halbjahr 2012 summiert das Defizit somit $ 10,63 Mrd., 390% mehr als das von $ 2,17 Mrd. der gleichen Vorjahresperiode. Doch in Wirklichkeit ist die Lage viel schlimmer: denn im 1. Halbjahr 2012 wurden als echte Einnahmen auch $ 12 Mrd. verbucht, von denen $ 4,56 Mrd. von der ANSeS und der Rest von der ZB und in geringerem Ausmass von anderen Staatsämtern stammen. Das echte Defizit erreicht somit im 1. Halbjahr insgesamt $ 22,63 Mrd. Finanziell kommt dann noch der negative Saldo hinzu, der sich dadurch ergibt, dass Staatsschulden amortisiert werden, aber keine neuen in diesem Ausmass aufgenommen werden, so dass die Differenz der ZB, der ANSeS u.a. Ämtern aufgebürdet wird.
Kostenloser Download der Ausgabe vom 28. Juli
Axel
2. August 2012 @ 03:36
Schöner Bericht.
Und wegen der zitierten, unverständlichen Passage zum Schluss, mach Dir mal keine Sorgen. Das ist kein Deutsch, das ist BWS (Betriebswirtschaftssprech).
Das machen wir Betriebswirte immer so, wenn wir nicht wissen, wovon wir reden und anderen damit zeigen, wie vermeintlich dumm sie sind.
Ich darf in dem Zusammenhang auf diese erhellende Kolumne verweisen.