Frisches Angeberwissen (1)
von CHRISTOPH WESEMANN
Ich habe schon eine ganze Weile nicht mehr an der Landeskunde geschraubt. Das hole ich jetzt nach, indem ich eine Reihe beim Lesen entdeckter Statistiken über Argentinien präsentiere. Zum Verständnis vorab: Alle Preise und Löhne sind in Peso angegeben. Der offizielle Peso-Euro-Wechselkurs steht derzeit bei etwa 10,8 : 1. Außerdem ist Argentinien fast achtmal so groß wie Deutschland, hat aber nur halb so viele Einwohner.
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Mindestlöhne und Hausangestellte
- Der Mindestlohn beträgt 4400 Pesos und wurde im September 2014 um 22,2 Prozent angehoben. Vorher waren es 3600 Pesos (beschlossen zum Januar 2014). Zum 1. Januar 2015 soll der Mindestlohn abermals steigen, um 7,2 Prozent auf dann 4716 Pesos. Das wäre der höchste Mindestlohn in Lateinamerika. Allerdings betrifft der Mindestlohn nur 113 000 der fast zehn Millionen Personen, die offiziell beschäftigt werden und nicht schwarz arbeiten. In Deutschland wird vom 1. Januar 2015 an ein Mindestlohn von 8,50 Euro gelten.
- 25 Pesos beträgt der Mindeststundenlohn von argentinischen Hausangestellten, wenn sie dort wohnen, wo sie auch arbeiten. Haben sie eine eigene Wohnung, sind es 28 Pesos. Der offizielle Mindestmonatslohn beträgt 3220 Pesos (ohne eigene Wohnung) und 3590 Pesos. Hausangestellte haben Anspruch auf Urlaub; die Zahl der (bezahlten) Urlaubstage hängt davon ab, wie lange die Person bereits im Haus angestellt ist:
− sechs Monate bis fünf Jahre: 14 Tage
− fünf bis zehn Jahre: 21 Tage
− zehn bis 20 Jahre: 28 Tage
− mehr als 20 Jahre: 35 Tage
- Schätzungen gehen davon, dass es in Argentinien mehr als 1,1 Millionen Hausangestellte gibt, von denen allerdings drei Viertel schwarz beschäftigt sind. Sie bewohnen häufig ein Zimmer im Haus, bringen die Kinder zur Schule und holen sie wieder ab, kochen, waschen, kaufen ein und putzen.
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Armut und Arbeitslosigkeit
- Die offizielle Arbeitslosenquote lag im zweiten Trimester 2014 bei 7,5 Prozent. Die Erwerbstätigenquote betrug 41,4 Prozent − der niedrigste Wert seit Anfang 2006 (40,7 Prozent).
In Deutschland liegt sie bei mehr als 72 Prozent.[Nachtrag: Ich habe die Vergleichszahl gestrichen. Siehe den Äpfel-mit-Birnen-Kommentar von Jorge. War insgesamt keine gute Idee, auf diesem Feld, das statistisch hier wie dort Niemandsland ist, den Vergleich zu suchen.]
- Unabhängige Studien beziffern die Armut in Argentinien auf 30 bis 33 Prozent − das wären zwischen 13 und 14,5 Millionen Menschen. Die Regierung spricht von 1,6 Millionen, umgerechnet etwa fünf Prozent. Offizielle Daten zur Armut werden aber seit dem vergangenen Jahr nicht mehr veröffentlicht. Die Regierung hatte angekündigt, die Untersuchungsmethode zu verändern. Dabei ist es bislang geblieben.
- In Argentinien wird statistisch zwischen einem Leben in »pobreza« (Armut) und »indigencia« (Armut und Mittellosigkeit, im Sinne von Elend) unterschieden. Grundlage zur Einstufung bilden die Einkünfte und Sozialleistungen, die eine Familie − zwei Erwachsene, zwei Kinder − monatlich zur Verfügung hat. Staatliche und nichtstaatliche Institutionen kommen dabei zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen, was die Monatsobergrenzen betrifft:
− Einheitsgewerkschaft CGT: bis 3110 Pesos Elend, bis 7122 Pesos Armut
− Politikinstitut IpyPP: bis 3435 Pesos Elend, bis 6320 Pesos Armut
− Katholische Universität UCA: bis 1982 Pesos Elend, bis 4142 Pesos Armut
− staatliches Statistikamt Indec: bis 787,63 Pesos Elend, bis 1783,63 Pesos Armut.
- Vergleichsdaten: ein Liter Milch kostet 7 bis 10 Pesos, das Kilogramm Weißbrot mindestens 18 Pesos, 200 Gramm Butter 12 Pesos oder mehr. Die Regierung legt für mehr als 200 Produkte des täglichen Bedarfs die Preise fest.
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- 4,8 Millionen 18- bis 24-Jährige leben in Argentinien. Mehr als die Hälfte (2,5 Millionen) hat nach Angaben des staatlichen Statistikamtes Indec Probleme beim Sprung in die Arbeitswelt. 748 000 von ihnen arbeiten und studieren nicht, man spricht von »los Ni-Ni« − den Weder-nochs. 551 000 suchen Arbeit, und 1,2 Millionen arbeiten unterbezahlt und informell.
- 644 Pesos pro Kind zahlt der Staat derzeit über das Programm »Asignación Universal por Hijo« (AUH) an Eltern, die arbeitslos sind, weniger als den Mindestlohn (4400 Pesos) verdienen oder informell arbeiten. Der Staat unterstützt auf diese Weise dreieinhalb Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. 1 887 000 Familien erhalten AUH.
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Gesundheit
- Nach Angaben des Gesundheitsministeriums rauchen 25,1 Prozent der Erwachsenen in Argentinien − weniger als in Deutschland (30 Prozent). 2005 waren es noch 30 Prozent, vier Jahre später 27,1.
- Fast sechs von zehn Argentiniern über 18 Jahren (57,9 Prozent) sind übergewichtig. 2005 waren es nur 49 Prozent, vier Jahre später schon 53,9. Für »fettleibig« hält das Ministerium 20,8 Prozent der Erwachsenen. Der Anteil nach Alter:
− 18 bis 24: 7,7 Prozent
− 25 bis 34: 15,8 Prozent
− 35 bis 49: 24,3 Prozent
− 50 bis 64: 29,6 Prozent
− 65 und älter: 24,3 Prozent
Quelle: Dritte landesweite Umfrage des Gesundheitsministeriums zu Risikofaktoren (2013)
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Umwelt
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Die Provinz Buenos Aires
- Wenn Argentinier »Buenos Aires« sagen, meinen sie die Provinz, eine von 23. (Die Hauptstadt Buenos Aires nennen sie einfach »Capital«.) Buenos Aires, die Provinz, ist flächenmäßig fast so groß wie Deutschland und hat mehr als 15 Millionen Einwohner. Vier von zehn Argentiniern leben hier.
- Es gibt es 12 000 staatliche Schulen (3,3 Millionen Schüler) und 4800 private (1,5 Millionen).
- Im Schnitt wird in dieser Provinz alle 32 Stunden ein Mord begangen. Pro Stunde gab es im Jahr 2013 82 Verbrechen − fünf Prozent mehr als 2012.
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Kino
- »Relatos Salvajes« (2014) ist der argentinische Filme mit dem erfolgreichsten Kinostart. 449 986 Zuschauer besuchten die ersten Vorstellungen von Donnerstag bis Sonntag. Damit rangiert der Film auf Platz 20 aller Kinostarts. Die Statistik wird erst seit 1997 geführt.
1. Relatos Salvajes: 449 986 (2014)
2. Metegol: 422 845 (2013)
3. Corazón de León: 295 332 (2013)
4. Séptimo: 270 322 (2013)
5. Bañeros 3 Todopoderosos: 228 497 (2006)
- Die erfolgreichsten Kinostarts aller Zeiten in Argentinien:
1. Monsters University: 791 225 (2013)
2. Los Simpsons: 759 032 (2007)
3. La Era de Hielo 4: 620 009 (2012)
4. Shrek para siempre: 600 041 (2010)
5. Rápidos y Furiosos 6: 594 978 (2013)
llamadojorge
24. September 2014 @ 23:09
Schöne Zusammenstellung, danke. Aber, du Angeber, jetzt muss ich mich mal wieder mit einer meiner Korintenzählereien oder wie die heißen melden. Die Erwerbstätigenquoten von 41,4 und 72 Prozent sind natürlich Äpfel und Birnen. Wie aus dem von dir verlinkten Bericht hervorgeht, berechnet die argentinische Statistikbehörde, auf die der Bericht zurückgeht, die Erwerbstätigenquote bezogen auf die Gesamtbevölkerung. Die deutsche Quote ist aber eine so genannte „Nettoerwerbstätigenquote“, bezieht also nur die Bevölkerung zwischen 15 und 65 mit ein. Mit 42,5 Mio. Erwerbstätigen von 80,8 Mio. Einwohnern läge die deutsche Bruttoquote bei 52,6% und damit zwar immer noch erheblich über der argentinischen, aber nicht mehr ganz so deutlich. Noch näher wären sich die Quoten, wenn man die Statistiktricksereien der Bundesagentur für Arbeit rausrechnet, die inzwischen auch Menschen in Behindertenwerkstätten, Jugendhilfeeinrichtungen, Bundesfreiwilligendiensten und Nebenerwerbslandwirte als Beschäftigte zählt. Zusätzlich zu den ohnehin „Beschäftigten“ in irgendwelchen Fortbildungen, Ein-Euro-Jobs, den Aufstockern etc.