Fußball, Gewalt und Sauerkraut
von CHRISTOPH WESEMANN
Meine Kinder mögen mir bitte verzeihen. Aber natürlich ist heute mein größter Tag gewesen. Gewiss, drei Geburten mitzuerleben war auch super. Aber was hatte ich damit zu tun? Um Missverständnissen und Vaterschaftstests vorzubeugen: Ich meine, mit dem Gebären an sich? Eben. Die Hebamme, 60 Jahre alt, 5000 Babys, hatte damals im Vorgespräch die Erwartungen an mich im Kreißsaal so formuliert: »Halt einfach die Klappe und lass uns machen.«
Das klingt leichter, als es ist – wenn man quasi zu allem eine Meinung hat.
Und heute bin ich in Olé. Olé ist das größte Sportblatt Argentiniens, also in einem nach Fußball überverrückten Land die wichtigste Tageszeitung. Was? Clarín? Pffff, schreibt Namen bedeutender Persönlichkeiten falsch.
Ich bin natürlich nicht so der Bühnenprofi. Einem Bühnenprofi passiert nämlich nicht, was mir zwei Stunden vor dem Auftritt am Dienstagabend passiert ist: Da kaufte ich mir eine Cola am Kiosk und ließ sie mir, nachdem ich einen Schluck getrunken hatte, an der nächsten Ecke abnehmen. Ein Mann war mir entgegen gekommen. Ich kann mich an die Worte nicht mehr erinnern, aber er fragte ungefähr: »Krieg ich deine Cola?« Es klang nicht fordernd, eher leise und unsicher, und wir hielten auch gar nicht an, sondern ich übergab meine Flasche im Vorbeigehen. »Gracias«, sagte er noch. Ich war sprachlos. Auch über mich selbst.
Und dann meine Rede. La violencia en el fútbol alemán. Die Gewalt im deutschen Fußball. Hooligans und Affenlaute gegen schwarze Spieler, Daniel Nivel und neue Stadien. Mehr Polizei und die Frage: Kann der argentinische Fußball mit seinem viel größeren Gewaltproblem etwas von Deutschland lernen? Antwort: eher nicht. In Argentinien sind Politik und Polizei Teil des Problems.
Ich fand mich nicht gut, und das kommt ja selten vor. Da mich aber von den Zuhörern nur Lob erreicht hat und ich leichtgläubig bin, halten wir fest: Eine große Rede war das.
Mein Umfeld und ich rätseln jetzt noch, wie die Überschrift von Olé – »Y éste le puso chucrut« – zu verstehen ist. Ich habe fünf Argentinier gefragt und keine klare Übersetzung bekommen. Klar, chucrut ist Sauerkraut, und Sauerkraut ist für Argentinier typisch deutsch. Noch deutscher als Sauerkraut sind übrigens nur die Toten Hosen, wie eine andere argentinische Zeitung mal schrieb.
Die Überschrift könnte bedeuten: Er brachte das Sauerkraut, also die deutsche Perspektive, mit in die Konferenz.
Oder ich selbst bin das Sauerkraut.
iris
27. Juni 2013 @ 03:20
Für dich wird nochmal der „Fußballminister“ in Argentinien erfunden 😉