Logo des WM-Tagebuchs - Zeichung: Danü (Daniel Schlierenzauer)

Nico Esch (32) ist Journalist, lebt in Berlin und hat mit mir bei der Schweriner Volkszeitung volontiert.

Die Nummer 457 heißt Ehsan Hajsafi. Ein Kollege hat herumgefragt, ob den jemand doppelt hat, denn der iranische Verteidiger ziert das letzte Panini-Sammelbildchen, das seinem Sohn noch fehlt. Ich konnte leider nicht helfen. Ich hab die Nummer 457 nicht und ich hab auch die anderen 639 Bilder nicht. Ich hatte neulich Andy Köpke in einem geschenkten Duplo, hab ihn aber weggeworfen. Duplo- und Hanuta-Bilder passen nicht ins Panini-Album, das weiß ich noch von früher. Ich habe mir keinen Beamer gekauft, obwohl Saturn und Media-Markt es ständig von mir verlangen, kein Trikot, keinen Hut, kein Kicker-Sonderheft und keine Fähnchen fürs Auto – kurz: Ich bin zu meinem eigenen Entsetzen überhaupt nicht in WM-Stimmung.

Ich bin damit aber nicht allein, hab ich festgestellt – und das in Berlin, was ja bekanntlich die Hauptstadt des Sommermärchens von 2006 ist. Man sieht zwar häufiger mal grölende Leute mit nacktem Oberkörper fahnenschwenkend im Auto über den Ku’damm fahren, und es wird auch ohne Ende gehupt, aber dafür braucht in Berlin ja niemand einen Anlass. Und ansonsten halten sich viele, die man so trifft, noch vornehm zurück und haben Mühe, sich den Termin des Eröffnungsspiels zu merken.  Irgendwie so…Donnerstag? Begeisterung sieht anders aus. Was soll das überhaupt mit dem Donnerstag? Und dann noch um 22 Uhr. Wer soll denn das gucken?

In Argentinien ist das völlig anders und alle rasten schon jetzt völlig aus, nehme ich an. Das ganze Land wird vier Wochen lang nicht arbeiten, jedes Spiel anschauen und absolut überzeugt sein, den Titel zu holen. Ich war noch nie in Argentinien, aber ich kenne den Betreiber dieses Tagebuchs, den argentinischsten aller Argentinier, und halte das für einen guten Maßstab.

Ich selbst weiß noch nicht, ob ich mich werde aufraffen können, mir um Mitternacht deutscher Zeit Chile gegen Australien oder Japan gegen Griechenland anzugucken. Dabei könnte ich das sogar draußen tun und dürfte dabei auch noch Lärm machen. Es gibt eine Ausnahmeregelung für die WM, eine »Verordnung über den Lärmschutz bei öffentlichen Fernsehdarbietungen«. Muss man zwar selbst in der hinterletzten Ecke nochmal extra beim Ordnungsamt anmelden, aber trotzdem: Öffentlicher Lärm! Nach 22 Uhr! In Deutschland! Mehr Ausnahmezustand geht eigentlich gar nicht.

Ich bin mir nur leider nicht sicher, ob das lohnt. Kommt noch jemand auf die Fanmeile am Brandenburger Tor, wenn Deutschland in der Vorrunde ausscheidet? Oder kann da dann doch noch die Fashion Week stattfinden, die man mit viel Mühe und großem Drama von da vertrieben hat? (Die ist jetzt im Wedding, was die Veranstalter – sagen sie – ohnehin immer schon viel hipper fanden.) Einheimische gehen ja sowieso nicht zur Fanmeile – jedenfalls streiten sie es genauso empört ab wie die Unterstellung, Silvester am Brandenburger Tor zu feiern.

Ich bin auch nicht nur nicht richtig in Stimmung, sondern habe auch keinen Schimmer, wer wohl Weltmeister wird. In der Zeitung stand, es wird Brasilien. Sieg über Argentinien im Finale, Deutschland und Spanien scheiden im Halbfinale aus. Das glaub ich aber nicht. Wie Deutschland sich ohne Reus, dafür mit falscher Neun ins Halbfinale mogeln soll, ist mir schleierhaft. Und wieso ist Brasilien angeblich auf einmal so gut? Wer spielt denn da und wo waren die jahrelang? Und war nicht Belgien zwischendurch mal irgendwie Geheimfavorit? Wo sind die geblieben?

Ich muss mich da jetzt dringend einlesen, sonst geht die ganze Sache total an mir vorbei. Marco Reus ist übrigens die Nummer 502 im Panini-Album.

Ob man da den Shkodran Mustafi einfach so drüberkleben kann?