Mein Sohn und ich sind mal wieder bei Boca gewesen. Irgendwann haben wir nämlich beschlossen, dass wir jede Gelegenheit nutzen, ein Spiel in der Bombonera, der weltberühmten Pralinenschachtel, zu erleben. Eintrittskarten werden ja nicht verkauft, zumindest offiziell nicht. Nur Vereinsmitglieder dürfen ins Stadion, und Vereinsmitglieder hat der Club Atlético Boca Juniors reichlich: mehr als 100 000. In die Bombonera passen allerdings nur halb so viele. Außerdem gibt es noch eine Warteliste mit 60 000 Leuten, von denen Jahr für Jahr 2000 aufgenommen werden.

La Bombonera, eine Stunde vor dem Anpfiff

Würde ich mich jetzt hinten anstellen, könnte ich als frischer Rentner locker zu jedem Heimspiel rennen und mir von meinem Sohn, der 2044 ungefähr so alt wäre wie ich heute, alle Choripanes zurückzahlen lassen, die einst ich ihm spendiert habe. Und bestimmt hat Boca dann auch wieder eine richtige Mannschaft.

Als Nichtmitglied hat man übrigens drei Möglichkeiten, ein Spiel in der Bombonera zu besuchen. Erstens kann man über eine Agentur teure Karten erwerben und ist dann unter Touristen. Dann lassen sich, zweitens, auf dem Schwarzmarkt vor dem Stadion welche beschaffen, wobei die Verkäufer mit dem Prädikat »zwielichtig« nur unzureichend beschrieben sind und ihren Kunden gern gefälschte Tickets andrehen. Oder, drittens, man kennt jemanden, der Boca angehört, aber keine Zeit oder keine Lust hat, das Spiel zu gucken, und deshalb seinen Mitgliedsausweis verleiht.

 

So machen der Sohn und ich das. Ich war diesmal Emilio. Ich kannte Emilio vorher nicht, weder persönlich noch überhaupt, aber der Bruder eines Freundes meines Nachbarn war mit Emilios Schwester ein paar Jahre zur Schule gegangen. Oder so ähnlich. Für Argentinien ist das jedenfalls eine ziemlich direkte Verbindung. Jeder in diesem Land – wirklich jeder – ist ja muy amigo von irgendwelchen wahnsinnig wichtigen Leuten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Emilio hat schönes schwarzes Haar, er braucht keine Brille, er ist beneidenswert jung und ungeheuer attraktiv, alles in allem also das Gegenteil von mir. »Halt einfach deinen Daumen über mein Foto, wenn du die Karte vorzeigst«, hatte er gesagt. »Guckt sowieso keiner genau hin. Wir haben ja jetzt auch diese modernen Drehkreuze.«

Die erste Sperre stand 500 Meter vorm Stadion. »Karten zeigen!«, riefen die Polizisten. Ich nahm die Arme hoch, öffnete die Jacke und ließ mich abtasten, mein Daumen erdrückte derweil Emilios Foto. Dann nahm mir der Polizist den Ausweis ab und schaute drauf, guckte mich genau an, schaute zurück aufs Foto und sagte: »Alles klar, Emilio! Vorwärts.« Mein achtjähriger Sohn ging als Emilios großer Bruder – geboren 1973, Vollbartträger – durch.

Atlético de Rafaela, der nullmalige argentinische Meister aus der Provinz Santa Fe, gewann übrigens 3:0.