Die Bundesregierung hat die europäische Einwanderung zu begünstigen; sie darf in keiner Weise den Eintritt von Fremden in das Argentinische Gebiet, welche in der Absicht kommen, das Land zu bebauen, die Gewerbe zu verbessern und Wissenschaften und Künste einzuführen und zu lehren, beschränken und mit Abgaben belasten.
- Argentiniens Aufstieg im 19. Jahrhundert ist ohne die Einwanderung aus Europa undenkbar: Noch in den siebziger Jahren lebten nur zwei Millionen Menschen in einem Gebiet, das zunächst La Plata geheißen hatte und seit der Verfassung von 1853 Argentinien hieß.
- Mit der folgenden Masseneinwanderung aus Europa wurde Argentinien das bevölkerungsreichste Land Lateinamerikas nach Brasilien und Mexiko. Jeder dritte Einwohner kam 1914 aus dem Ausland. In den Städten war es sogar jeder zweite.
- Der Experte nennt die massenhafte Emigration der Europäer nach Nord- und Südamerika natürlich »freiwillige transatlantische Wanderungen«. Man schätzt, dass zwischen 1820 und 1920 55 Millionen Menschen unterwegs waren.
- 33 Millionen, also 60 Prozent, gingen in die USA. Auf Platz zwei kam Argentinien mit zehn Prozent, vor Kanada und Brasilien. Argentinien nahm
zwischen 1857 und 1924 5,5 Millionen Auswanderer auf. - Die Einwanderung der Spanier begann erst Mitte des 19. Jahrhunderts – und dass Spanien einst Argentinien regiert hatte, spielte keine oder kaum eine Rolle.
- Argentinien wird wegen seiner massiven Zuwanderung als »migrationsgeschichtlicher Extremfall« (Jürgen Osterhammel) bezeichnet. In keinem anderen Land der Welt, auch nicht in den USA, hatten Einwanderer am Ende des 19. Jahrhunderts einen ähnlich hohen Anteil am Volk.
- 1914 waren von den acht Millionen Argentiniern 58 Prozent entweder im Ausland geboren oder Kinder von Immigranten der ersten Generation.
- Was die USA waren, war Argentinien nicht: ein Schmelztiegel. Die spanisch-kreolische Oberschicht versuchte kaum, die Einwanderer zu integrieren – und die weigerten sich zu 90 Prozent, die argentinische Staatsbürgerschaft anzunehmen. So konnte sie übrigens auch der Wehrpflicht entgehen.
- Noch 1914 war jeder dritte Argentinier Analphabet.
- Sklaverei hatte es in Argentinien – anders als in Brasilien – kaum gegeben. Deshalb haftete der Immigration nichts rückwärtsgewandtes an, im Gegenteil: Sie war modern.
- Die meisten Einwanderer kamen aus Italien – manche auch nur für eine Weile, etwa als Saisonarbeiter, was damals auf dem Seewege über den Südatlantik schon möglich war. Der Scherz, Argentinier seien Italiener, die spanisch sprächen, bezieht sich darauf.
- Überhaupt, die Italiener: Von 1876 und 1914 verließen 14 Millionen ihre Heimat, um nach Nordamerika, Argentinien und Brasilien auszuwandern.
- »Gobernar es poblar«, schrieb der Verfassungsvater und Politiker Juan Bautista Alberdi (1810-84). »Regieren bedeutet besiedeln.« Er wollte ein Argentinien der Weißen, eine Verlängerung Europas nach Südamerika.
- »Der Eroberer der Wüste«, General Julio Argentino Roca, war zweimal Präsident: 1880 bis 1886 und 1898 bis 1904. Er ziert heute den 100-Peso-Schein, die höchste Banknote Argentiniens. In der »Wüstenkampagne« sehen manche Historiker und Menschenrechtsaktivisten einen Vernichtungsfeldzug gegen die Indianer.
- 1930 begann die interne Migration: Aus den Provinzen strömten vor allem die Nachfahren indigener Einwohner des Nordens – abschätzig cabecitas negras genannt (Schwarzköpfe) – nach Buenos Aires und in andere Großstädte. Der Peronismus entdeckte diese neuen Zuwanderer als Wählerklientel, und Evita kümmert sich um diese Hemdlosen (descamisados) ganz besonders.