¡Qué quilombo!
von CHRISTOPH WESEMANN
Welch Groteske! Allein dafür hat sich das Durchhalten und Niemalsaufgeben in den mitunter zähen Wahlkampfwochen gelohnt – für dieses Abwickeln einer Präsidentschaft, einer Ära, für dieses Hinüberstolpern mit Beinestellen und Schubsen gen Neuanfang. Der Wahnsinn, geliebtes Argentinien! ¡Qué quilombo!1
Fassen wir zusammen: Nach seinem Sieg in der Stichwahl besucht Mauricio Macri die scheidende Präsidentin Cristina Kirchner. Man redet gekonnt aneinander vorbei. Macri sauer ab. Kirchner lässt auf dem Anwesen des Staatsoberhaupts, das sie bald verlassen muss, gelbe Blümchen pflanzen. Gelb ist die Farbe von Macris Partei PRO.
Quedaron muy lindas y en unas semanas más van a lucir aún mejor, cuando florezcan en todo su esplendor. pic.twitter.com/5dLIM4h9L7
— Cristina Kirchner (@CFKArgentina) 6. Dezember 2015
Kirchneristen und Macristen beginnen zu streiten, wie und wo die Macht am 10. Dezember übergeben wird. Die Präsidentin will, dass Macri von ihr Schärpe und Zepter im Parlament empfängt, wie das in Argentinien seit 2002 gemacht wird. Steht so in der Verfassung, Artikel 93. Macri will aber auf keinen Fall, was Kirchner will. Erstens fürchtet er, dass auf den Balkonen des Kongresses ihre Anhänger sitzen, um ihm auf die Eier zu gehen. Zweitens hat er ja Wandel versprochen und muss sich vom Kirchnerismus absetzen. Macri also will nur den Amtseid im Parlament ablegen und dann die Insignien der Macht im Regierungspalast übernehmen, in der Casa Rosada. So war das vorher, und Tradition sticht Verfassung.
Dann komme ich nicht, sagt Kirchner.
Das wäre damit geklärt.
Jetzt müssen alle noch darüber streiten, wann der neue Präsident anfängt zu arbeiten. Wenn er seinen Amtseid gesprochen hat? Nein. Wenn er Schärpe und Zepter hat? Auch nicht. Wäre alles viel zu einfach, zu wenig Drama. Wäre ja absolut logisch und damit komplett unargentinisch. Die Kirchneristen sagen, die Präsidentschaft ende am 10. Dezember, Punkt Mitternacht, also erst einen halben Tag nach der Zeremonie. Warum? Darum.
Kommt gar nicht in Frage, sagen die Macristen, wer weiß, welche Dekrete die Kirchner noch erlässt, sie ist doch total durchge unberechenbar. Am 9. Dezember, Punkt Mitternacht, schicken wir sie in den Ruhestand. Das steht irgendwo.
Dann komme ich nicht, sagt Kirchner.
Macri und Kirchner telefonieren miteinander. Er hat mich angebrüllt, berichtet die Präsidentin hinterher. Kann er doch gar nicht, sagen Macris Leute, er ist ja nicht Cristina, und außerdem hat er, was sie nicht hat: Manieren.
Eine Richterin gibt Macri recht. 9. Dezember.
Ich komme dann nicht.
Staatsstreich, sagen die Kirchneristen. Argentinien wird zwölf Stunden ohne Präsident sein.
Auftritt Federico Pinedo, Vorsitzender des Senats und Parteifreund Macris: Ich mach’s! Ich darf auch. Ich bin die protokollarische Nummer Drei im Staat. (wedelt mit der Verfassung)
Ihr könnt mich mal. Meine Abgeordneten werden euren Festakt im Parlament übrigens auch boykottieren.
Donnerstag, 10. Dezember, kurz vor zwölf Uhr: Mauricio Macri legt seinen Eid ab. In seiner Antrittsrede bittet er die Argentinier ausdrücklich um Kritik, sollte seine Regierung Mist machen. Wir sind nicht unfehlbar, sagt er. Seine Vorgängerin reist nach Santa Cruz, um dabei zu sein, wenn ihre Schwägerin Alicia Kirchner, die neue Gouverneurin der Provinz, ihr Amt antritt. Sie sitzt nicht in der Präsidentenmaschine Tango 01. Sie fliegt Linie.
Ein Freund, strammer Peronist, witzelt: Ich bin von jetzt an bis in alle Ewigkeit Anhänger von Pinedo. Er hat seine Zwölf-Stunden-Präsidentschaft beendet, ohne einen einzigen Peso zu klauen.
Lachen vom Band.
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Weitere Texte zur Präsidentschaftswahl im Argentinischen Tagebuch:
- Ein Chinese mit Handschellen für den Auserkorenen: Der teufliche Plan der argentinischen Präsidentin
- Der Kampf um die Präsidentschaft: Zwei Wandelprediger gegen den Kirchnergänger
- The Voting Dead oder: Heute wählt Argentinien einen Präsidenten
- Eine historische Nacht im Kirchnerland
- Argentinien vor der Stichwahl (1): Der Zickzack-Kandidat der Allmächtigen bleibt sich treu
- Argentinien vor der Stichwahl (2): Mit Chewbacca, Bambi und der Mutter von McFly gegen die Angst
- Argentinien vor der Stichwahl (3): Ein Land zwischen Schwarzmalerei und Kindergeburtstag
- Argentinien vor der Stichwahl (4): Grünschnabel gegen Chamäleon
- Argentinien sucht den Präsidenten: Das Live-Blog zur Stichwahl
- Das Ende einer Ära: Hupen und weinen nach der Wahl
- Wenn Unternehmer übernehmen: Die neue Regierung Argentiniens
- Die letzte Woche mit Cristina Kirchner: Zu Besuch im Präsidentenpalast
- Was für ein Chaos! Argentinischer Ausruf [↩]