Neuerdings redet mein Sohn, wie Sido rappte, bevor er Kommerz wurde, und so unglaublich mütterfixiert wie die besonders bösen Buben des HipHop ist er auch. Mindestens 20-mal am Tag sagt er: »¡La puta que te parió!« Seine Eltern haben ihm diesen Fluch ausdrücklich verboten, wobei sein Vater diesem Verbot selbst oft zuwiderhandelt. Vielleicht auch deshalb beschenkt er unsere kleine deutsche Welt in Buenos Aires nach wie vor mit so vielen putas.

Er versteht dabei nur fast, was er sagt. Das zweite Wort kennt er nämlich nicht, also er glaubt es zu kennen, weil wir ihm puta als Hexe übersetzt haben, was allerdings nachweislich falsch ist. Die Hexe, die dich geboren hat – nein, das kann nicht sein, dann müsste er bruja sagen. Hexe ist gleichwohl verdammt nahe dran an der deutschen Bedeutung von puta: Man braucht nur die zwei Buchstaben in der Mitte zu ändern.

Sein anderer Lieblingsfluch, den zu verbieten allerdings sinnlos wäre, ist puta madre. Argentinier verwenden diesen Ausdruck so beiläufig und häufig wie Deutsche vielleicht Mein Gott, Verdammte Axt und Ach du grüne Neune oder was auch immer Deutsche sagen, wenn irgendwas gerade nicht klappt. Mein fast Siebenjähriger übersetzt sich das, siehe oben, als Hexenmutter, und wieder müssen nur zwei Buchstaben ausgetauscht werden. Genauso verhält es sich mit hijo de puta, das ist der Hexensohn, und den hat der Kolumnistensohn natürlich auch drauf. Ich entschuldige mich hiermit bei allen Hexen dieser Welt für den Missbrauch.

Wenn ich Leuten in Buenos Aires von der Vorliebe meines Sohnes für schlimme Wörter erzähle, fragen sie zunächst, was er genau fluche. Dann sagen sie: »Ach, weißt du, puta madre und hijo de puta sind keine schlimmen Wörter – für Kinder sowieso nicht.« Meine Argentinier nennen das »costrumbre», also Brauchtum, Landessitte, Teil der Kultur. »Aber das andere geht nicht: ¡La puta que te parió!, das musst du verbieten. Das beleidigt ja deine Familie.»

Der deutsche Journalist Christian Thiele, der ein paar Jahre in Buenos Aires gelebt hat, schreibt in seinem Buch Gebrauchsanweisung für Argentinien:

Ein vollständiger deutscher Satz, so haben wir das in der Schule gelernt, enthält Objekt, Subjekt und Prädikat. Ein argentinischer Satz, so bekommen es schon die kleinen Kinder beigebracht, enthält ein Schimpfwort, einen Fluch und eine Beleidigung.

Ich erinnere mich noch gut an das erste Gespräch mit der Klassenlehrerin meines Sohnes in Buenos Aires. Sie sagte, sie frage sich oft, woher die Kinder diese schlimmen Wörter hätten – ob aus der Schule oder von zu Hause. Für meinen Sohn kann ich sagen: wohl eher nicht aus der Schule. Er ist Hinbringer, nicht Abholer.

Aber was soll ich bitte machen? Ich fahre Auto in Buenos Aires, da kommt man nun mal keine drei Kilometer weit, ohne zu schimpfen – oder beschimpft zu werden. Außerdem spiele ich mit Argentiniern Fußball, und zwar mit solchen Argentiniern, die das eher schlecht können und zugleich dieses Los nicht akzeptieren wollen. Sie sind stets aufs Neue überrascht und enttäuscht, entsetzt und wütend, kurz: zum Fluchen gezwungen, wenn der Torschuss mal wieder ein Wolkenschuss war. Ich verstehe das. Es ist ein schweres Schicksal, aus einem Land zu kommen, das der Menschheit dreimal die genialsten Fußballer ihrer Zeit geschenkt hat: Alfredo Di Stéfano in den Fünfzigern, Diego Maradona in den Achtzigern und im Augenblick Leo Messi. Und man selbst spielt so, dass Di Stéfano (86) auch heute noch besser wäre.

Übrigens mochte und mag ich ausschließlich die deutsche Biederrapmusik: Die Fantastischen Vier, Freundeskreis, Beginner, Fettes Brot. Der so genannte Gangsta-Rap hat mich nie fasziniert – kein Niveau habe ich ja schon selbst. Überdies bin ich sicher, dass diese wilden Kerle, die Dir das Ungewöhnliche vorschlagen – meistens: Deine Mutter zu beschlafen –, am Ende doch immer nur das Gewöhnliche suchen: Deine Liebe. Und bei Liebesentzug oder gar Kritik kippen die Lautsprecher im HipHop am schnellsten um. Ich weiß das, weil mir ein Kleindarsteller dieser Gattung zweimal, eigentlich dreimal leibhaftig begegnet ist.

Das erste Mal sollte ich für die Lokalzeitung, für die ich seinerzeit arbeitete, über ein Konzert berichten, das der Mann organisiert hatte. Wir sprachen eine halbe Stunde miteinander, dann verfolgte ich aus einer Ecke das Konzert, ging nach Hause, schlief mich aus und schrieb einen Text, der tags darauf erschien. Bestimmt war ich zu jener Zeit nicht nur ein bisschen sehr verliebt in mein ungeheuerliches Sprachtalent, sondern auch süchtig danach, distanziert statt bewundernd zu klingen.

Das zweite Mal, ein paar Wochen später, trat der Mann mit seiner Gruppe im Jugendklub auf, erzählte von seinem gefährlichen Leben in der Kleinstadt und disste mich von der Bühne herab – und zwar, puta madre, »übelst«, wie zwei Jungen sagten, die die Nuschelreime gegen mich verstanden hatten.

Das dritte Mal, ein Jahr danach, lud ich im Supermarkt ein paar Colaflaschen, eine neue Zahnbürste und zwölf Rollen Klopapier bei ihm ab. Eine Einkaufswagenverwechslung. Ein Versehen. Er wollte mich verprügeln.

All das ist mehr als ein Jahrzehnt her. Ich weiß immer noch nicht genau, warum er mich damals so beschimpft hat. Aber heute verzeihe ich Dir, Du Sohn einer Hexe.