Posts Tagged ‘Odessa’

Auf einen Wodka mit mir

von CHRISTOPH WESEMANN

Mal den Helmut Schmidt geben: irgendwann etwas zu sagen gehabt und nun anderen die Welt erklären. Oder wenigstens den Peter Scholl-Latour: irgendwann mit dem Vietcong drei Tage im Reisfeld gelegen und nun als Fachmann für Krisenherde aller Art auftreten.

Abgehakt. Auch erledigt. Geschafft. Wie ich so klinge als Elder Statesman Olle-Kamellen-Erzähler steht im Ukraine-Blog von Valeria, die mich interviewt hat. Ich nehme eindeutig Stellung zu: ukrainischen Hochzeiten, einer Trolleybusfahrt auf der Krim, dem Unfall im Gemüsetransporter und Korruption.

Übrigens: Mein Freund Danü, den ich aus Odessa kenne und der mir Diego und Co. gezeichnet hat, bloggt jetzt aus Georgien und nennt sich rätselhafterweise Dani. Sein Blog heißt: Georgische Lektionen.

Und er schreibt, wie nur ein Schweizer schreiben kann (und darf):

Wandere ich friedlich in Gedanken versunken (natürlich in geschäftliche, denn meine momentane Arbeit besteht hauptsächlich aus Wandern) werde ich plötzlich aus meiner Ruhe gerissen und georgische Grenzwächter stoppen mich. „Wo ich denn hin wolle“, „ob ich denn keinen Guide bei mir hätte“, „was, wenn ich verloren ginge“. Nach beruhigenden Floskeln meinerseits und der Versicherung, dass ich hier arbeite und nicht verloren ginge kann ich meinen Reise fortsetzen. Und tatsächlich ich bin nicht zufällig nach Azerbaijan gestrauchelt.

(…)

Auf in den grossen Kaukasus zum Schwarzfelssee auf rund 3000 m.ü.M. Die Wanderung (auch diesmal im Dienste der Wissenschaft) dauert drei Tage und zieht sich durch dunkle Wälder, meterhohe Blumenwiesen und karge Berglandschaften. Am zweiten Tag erreichen wir hungrig und erschöpft den See. Dass hier die Grenze zwischen Dagestan und Georgien liegt lässt nur das GPS und die Karte erahnen. Obwohl – an den Hügeln erkennen wir die Pferde der Grenzwächter, welche über unser Verbleib von fernem wachen.

(Grenzen wo keine sind, 21. August)

In der Klapsmühle

von CHRISTOPH WESEMANN

Vielleicht bin ich ein bisschen früh, ich lebe erst drei Tage hier, und von diesen drei Tagen wiederum habe ich viel Zeit verschlafen, erschöpft von der Wucht, mit der diese Stadt Neuankömmlinge empfängt. Aber steile Thesen sind ja durchaus reizvoll, also bitte: Buenos Aires, das ist nicht nur die Hauptstadt Argentiniens, sondern auch die tollste Klapsmühle der Welt.

»Dreihundert Millionen Widersprüche« hat der spanische Philosoph José Ortega y Gasset einst hier gezählt und gleich den Satz hinterher geschoben: »Buenos Aires ist eine absurde Stadt, die ich von Tag zu Tag mehr liebe.« Sie soll weltweit die höchste Dichte an Psychiatern und Psychologen haben, lässt also sogar das ach so notorisch neurotische New York gesund im Oberstübchen erscheinen.

Vielleicht kann nur in einer Stadt wie Buenos Aires die U-Bahn mit einem großen Schwindel für sich werben: »más fácil, más rápido«. Einfacher und schneller – das ist die Subte ganz sicher nicht. Sie ist: voll. Schon gut, ich weiß, auch in Berlin ist die U-Bahn manchmal voll. In Buenos Aires ist sie: manchmal nicht voll. So wie hier auch manchmal nicht gehupt wird und es manchmal nicht laut ist. Ja, und es gibt wohl Hunde, die nicht direkt auf den Bürgersteig wursten, und wohl auch Hundehalter, die den Kot aufsammeln. Meine Schuhsohlen bestreiten das aber.

Vielerorts erinnert mich Buenos Aires an Odessa: das Improvisierte mit seinen kleinen Ständchen voller Krimskrams am Straßenrand, das Löchrige und Holprige auf allen Lebenswegen, der morbide Charme, das Abgeranzte, das Geflickte. Und immer wieder: Fassadenmelancholie, ein Hauch von alter Herrlichkeit. Atemberaubend schön ist all das gewesen, damals, vor 100 Jahren, als Argentinien eine Wirtschaftsmacht war und Auswanderer aus Europa anzog.

Der Unterschied zwischen Odessa und Buenos Aires, zwischen Odessiten und Porteños ist: Hier weist der Kioskmann geduldig den Weg, der Kellner bindet mit einer Tischdecke das Zappelbaby am zu großen Kinderstuhl fest, die Wildfremde auf der Straße sieht die drei Kinder und ruft: »Ich würde sie sofort betreuen.« Es wird überhaupt mehr gelächelt als dort.

Eine absurde Stadt, gewiss. Liebe nicht ausgeschlossen. Ein Traum schon jetzt.

 


Argentinische Helden

Diego Maradona, gezeichnet von Danü (c)

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Steckbrief

Wir sind schnell.
Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geistes-
wissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie.


2012 von Christoph Wesemann in Buenos Aires gegründet. Derzeit im Exil. (Berlin)