Pablo glaubt, ich hätte den Gott des Asados verhöhnt.
Bis gestern hatte ich nicht gewusst, dass über das Grillen in Argentinien höhere Mächte wachen, und ich weiß noch immer nicht, ob das nun eine bedeutende Glaubensrichtung hier zu Lande ist oder doch nur eine Ein-Personen-Religion, gewissermaßen die kleinste Kirche der Welt von Pastor Pablo.
Mein Nachbar missioniert jedenfalls.
Es begann damit, dass sich Pablo bei mir zum Grillen einlud. Ich solle alles vorbereiten und dürfe ihm im Gegenzug über die Schulter schauen, er werde mir seine Geheimnisse verraten, sagte er und schaute dabei sehr geheimnisvoll.
»Welche Geheimnisse, Pablo?«
»Große Geheimnisse, sehr große Geheimnisse.«
Bislang bin ich in meinem Leben ganz gut ohne Grillgötter und Grillgeheimnisse zurechtgekommen. Wenn mein Feuer nicht brannte, fluchte ich und warf mehr Anzünder hinein. Ich platzte also nicht gerade vor Neugier. Allerdings steht in jedem Argentinien-Reiseführer auch, es gebe nichts Tolleres, als ein Asado zu erleben.
Am Nachmittag rief mich Pablo an und erkundigte sich, wie weit ich sei.
»Du kannst mir vertrauen«, sagte ich.
»Super«, sagte Pablo.
»Danke.«
»Kohlen?«
»Riesentüte.«
»Zeitung?«
»La Nación.«
»Olé brennt besser.«
»Keine mehr gekriegt.«
»Na gut.«
»Alles klar«, sagte ich.
»Ordentlich Fleisch gekauft?«
»Hatte noch was eingefroren.«
Stille.
Ein Fehler. Mein Fehler. Ich mache dauernd Fehler. Ich mache in meinem Leben das meiste falsch und den Rest nicht richtig. Ich bestreite das manchmal, aber es ist wohl so. Das Traurige ist, dass ich mir bei allem Mühe gebe.
Vor zwei Wochen war mein Laptop kaputt. Er ließ sich anschalten und zeigte mir dann Risse auf dem Bildschirm. Aber zu fühlen waren sie nicht. Ich brauchte schnell Hilfe und ging schräg über die Straße zu einem Laden, der auch Computer repariert. Das Wort auch scheint mir im Rückblick wichtig zu sein. Das Gespräch mit dem jungen Mann im Laden war angenehm, ich hatte ein gutes Gefühl. Wir waren uns sofort einig, dass es ein Virus ist. Er sagte: »Alles kein Problem, krieg ich hin, ich ruf dich an.« Dann kümmerte er sich weiter um einen grauen Schlauch, der wohl undicht war.
Es ist ja so: Ohne Vertrauen geht nichts in Argentinien. Wenn ich das Auto ins Parkhaus bringe, gebe ich den Schlüssel entweder ab oder lass ihn stecken. Wenn ich wiederkomme, steckt der Schlüssel oder er liegt draußen auf der Scheibe neben den Wischern. Manchmal steht das Auto auch anderswo. Es wird in Abwesenheit der Fahrzeughalter viel hin und her geparkt, weil oft fünf Autos hintereinander stehen, wobei links und rechts kein Platz ist. Es kann passieren, dass der zuerst eingeparkte Wagen auch zuerst abgeholt wird – dann müssen zunächst die anderen vier nacheinander umgesetzt werden.
Ich habe ein bisschen Zeit gebraucht, um mich damit abzufinden, dass ich das Auto samt Schlüssel zurücklasse. Die Parkhausmänner sehen nicht immer sehr vertrauenserweckend aus, für meinen Geschmack tragen sie die Haare zu lang. Wahrscheinlich bin ich da befangen. Ich hatte auch mal lange Haare, und das war keine angenehme Zeit – nicht für mich, nicht für die anderen. (Ich sah ein bisschen aus wie John Lennon, was ein Problem ist – außer, man ist John Lennon.)
Für Frauen wird natürlich eingeparkt – für hübsche sogar kompliziert. Das soll erstens Eindruck machen und zweitens sicherstellen, dass für die Dame auch wieder ausgeparkt werden muss.
Ich habe mir um meinen Laptop also überhaupt keine Sorgen gemacht.
Pablo hatte ein anderes Gefühl. »Du hast ihn doch nicht einfach dagelassen, oder? Und du hast bestimmt nichts, um zu beweisen, dass du da warst?«
»Doch!«
»Gut. Bin stolz auf dich. Zeig mal her!«
»Am Kühlschrank.«
»Das ist eine Visitenkarte, boludo!«
»Eine magnetische Visitenkarte.«
»Kein Name. Keine Adresse. Und lies mal, was drauf steht: Der Typ repariert Waschmaschinen, Mikrowellen und Kühlschränke.«
»Computer auch«, sagte ich. »An seiner Ladentür klebt ein Poster vom Pentium.«
»Wie heißt der Typ überhaupt?«
»Adriano. Glaub ich. Oder Andres. Irgendwas mit A.«
»Irgendwas mit A«, schrie Pablo. »Hallo Polizei, bitte Großfahndung: Gesucht wird irgendwas mit A, das Kühlschränke, Waschmaschinen und Mikrowellen repariert. Ach ja, und Laptops klaut. Aber mein deutscher Freund hat eine verdammt heiße Spur: eine Visiten … pardon … eine magnetische Visitenkarte.«
Ein paar Tage später lief ich durch die Avenida Corrientes. Sie ist berühmt für ihre Buchläden, ihre Theater und Opern, man nennt sie auch den Broadway von Buenos Aires. Ich beschloss, einem der Schuhputzer, die dort Tag für Tag auf dem Bürgersteig sitzen, einen Besuch abzustatten. Natürlich putze ich meine Schuhe auch selbst. Aber zum einen erzählt der Journalist Sebastian Schoepp in seinem wunderbaren Buch »Das Ende der Einsamkeit. Was die Welt von Lateinamerika lernen kann« von einem Erlebnis in Nicaragua:
Einmal erwischt Douglas mich dabei, wie ich meine Schuhe putze. »Warum gibst du die nicht einem der Schuhputzer, die überall draußen herumlaufen, der muss auch Geld verdienen, um zu überleben?
Zum anderen gebe ich in der Corrientes so viel Geld für Bücher aus, um dann immer aufs Neue schon beim Vorwort – überfordert von der Fülle unbekannter Wörter – auszusteigen, dass viel dafür sprach, umgerechnet 2,50 Euro einmal sinnvoller anzulegen.
»Zieh deine Schuhe aus, ich nehme die mit nach Hause.«
Ich schaute von meiner Zeitung auf. »Wissen Sie, was ich gerade verstanden habe?«
»Wie sollte ich?«
»Dass Sie meine Schuhe mitnehmen wollen. Witzig, oder?«
»Wie man’s nimmt. Ich hab’s ja gesagt. Die Dinger muss ich über Nacht behandeln. Sind morgen fertig. Dort drüben ist ein Schuhgeschäft. Gruß von Alfredo, kriegst einen schönen Rabatt.«
Natürlich ist mir zu Hause Pablo im Fahrstuhl begegnet.
»Schicke Schuhe. Neu?«
»Ja.«
»Bisschen zu grün vielleicht.«
Pablo hörte sich meine Geschichte bis zum Ende an. »Warte«, sagte er dann und drückte die Stopptaste des Fahrstuhls. »Erzähl sie mir noch mal. Du bist ja noch dümmer, als ich dachte.«
Ich habe dann gleich gemerkt, dass Pablo wegen des eingefrorenen Fleisches nicht so richtig Lust hatte, mit mir zu grillen. Immer wieder murmelte er etwas vom Wetter, ging hinaus auf die Terrasse und schaute minutenlang schweigend gen Himmel, kam in die Küche, roch am Fleisch, redete Unverständliches mit seinem Asadogott und ging wieder nach draußen.
»Pablo, ich gucke mal im Internet, wie das Wetter wird, ja?«
»Du glaubst dem Internet?«, fragte er und machte ein Geräusch, das wie pffffffff klang. Dann griff er zum Telefon und wählte eine Nummer. »Che Augustin! Holabuendiaquetal? Geh mal schnell zum Fenster. … Ja, ich weiß, dass du viel zu tun hast. … Haben wir alle. … Die Señora an Tisch drei kann warten. … Ist sie wenigstens hübsch? … Siehst du, dann kann sie erst recht warten. … Ja, bei mir ist alles gut. … Nun sag mal, was ist mit Uruguay? … Echt? Hmmh. Wusst ich’s doch! … Du kannst die Speisereste in den Bärten erkennen? … Nicht mal ordentlich essen können die, hehe. … Du, die Señora mit den breiten Hüften wartet auf dich. Wir sehen uns. Hasta luego!«
Pablo legte sein Telefon beiseite und sagte: »Bestellen wir uns eine Pizza. Asado fällt aus. Regnet nachher.«
»Ich verstehe kein Wort.«
»Augustin, alter Freund von mir, absolut zuverlässig. Arbeitet als Kellner im 22. Stock, feinster Blick über unsere herrliche Stadt.«
»Und?«
»Er sieht Uruguay, also nicht das ganze Land oder vielleicht doch, ist ja nicht so groß. Die Küste sieht er jedenfalls. Und wenn Augustin im 22. Stock über den Río de la Plata nach Uruguay schauen kann, gibt’s bald Regen in Buenos Aires. Ist so. Sehr altes Wettergesetz. Die Wäsche kannst du schon mal abnehmen. Übrigens, welches Land liegt am dichtesten am Himmel?«
»Argentinien?«
»Nee, mein Lieber, Argentinien ist ja der Himmel.«
»Dann wohl Uruguay.«
Ja, Humor haben sie, die Argentinier. Neulich war ich mit der Einjährigen im Kinderkrankenhaus. Sie hatte Fieber und sollte Urin abgeben. Die Schwestern erzählten etwas von aseptisch und schickten mich über die Straße zur Apotheke, um einen Becher zu kaufen. Als ich zurück war, ermahnten sie mich, beim Wasserholen sozusagen Abstand zum Brunnen zu halten, wegen aseptisch. War sicher alles nett gemeint und medizinisch vorbildlich. Wenn das keimfreie Gefäß aber leer bleibt, weil Vaters ballistische Kenntnisse nicht ausreichen, um den weiblichen Strahl aufzufangen, hätte es auch der ausgewaschene Joghurtbecher getan, den die Bolivier neben uns gereicht bekamen.
Ich hatte mittlerweile Kohlen und Kohlenanzünder im Verhältnis 2:1 gemischt. Das Feuer brannte noch nicht, da begann ich schon, die Steaks auszupacken und den fettigen Chorizos Schnittwunden zuzufügen. Pablo versuchte noch immer, in die Wolken zu schauen, wurde aber von Minute zu Minute unruhiger. Er ging jetzt auf und ab, kam zu mir und lief wieder weg, fummelte an seinem Telefon herum und blätterte in La Nación, drehte noch eine Runde. Und wenn er sich einen Augenblick nicht bewegte, nicht mit sich selbst sprach, nicht getrieben war, stach ich mit der Gabel tief ins Fleisch hinein. Das wirkte.
»Waaaaaas machst du da?«, schrie er irgendwann.
»Ich grille, und ich gucke, ob das Fleisch schon durch ist.«
»Du grillst nicht, du entweihst unser Fleisch, unser heiliges argentinisches Fleisch, das beste Fleisch der Welt, unseren Stolz.«
»Oh bitte, Pablo!«
»Ich sag dir: Der Asadogott sieht alles. Du bist hier nur Gast!«
Pablo nahm mir das Grillbesteck ab und schob mich beiseite. Dann zog er seinen Pullover aus. Er stand vor mir im Unterhemd und versuchte, mich auf seine vielen Brusthaare neidisch zu machen. Was ihm auch gelang.
»Showtime«, sagte er und klatschte in die Hände. »Es ist das erste und das letzte Mal, dass ich dir meine Geheimnisse zeigen werde. Und pssssst! Kein Wort zu niemandem!«
Es hat nicht geregnet an diesem Abend. Und ich habe alles wiederbekommen: erst meine Schuhe, die wie neu aussehen, dann nach einer Woche den Laptop. Ich weiß nicht, was genau kaputt war. Aber ein Virus war es nicht. Sogar das Wasserholen bei der Einjährigen hat geklappt. Mit Katheter.