Mit Besuch aus Deutschland fahre ich immer zuerst in dieses Parkhaus im Microcentro von Buenos Aires. So stelle ich klar: Argentinien ist anders. Die Deutschen haben diesen Verdacht freilich schon auf den 30 Kilometern vom Flughafen Ezeiza ins Zentrum: Gehupe auf der Autobahn, viele Spurwechsel, Hineindrängeln in die kleinste Lücke, ohne jemals zu blinken – dass Argentinien anders ist, können Argentinier schlecht verheimlichen.

Wenn wir diese engen und scheinbar endlosen Einbahnstraßen ohne Ampeln entlangfahren, fragt mein Besuch: »Sag mal, wie ist das mit der Vorfahrt eigentlich?« Ja, so etwas interessiert Deutsche. Mein Eindruck nach acht Monaten in Buenos Aires: Nein, Argentinier interessiert so etwas überhaupt nicht.

In Deutschland wird an Kreuzungen ohne Ampel und Verkehrsschilder rechts vor links praktiziert. Wir kriegen das erstaunlich gut hin, oder? Schwierig wird’s allerdings, wenn aus allen vier Richtungen jeweils ein Auto gleichzeitig an die Kreuzung rollt und somit keiner mehr rechts vor links ist. Das Ergebnis ist, dass sich vier Deutsche in vier Autos sehr lange angucken und niemand losfahren will. Es muss erst jemand gefunden werden, und das dauert. Man muss es gesehen oder noch besser mitgemacht haben, um es zu glauben.

Gewiss, es ist eine gewagte These, aber wenn sich jemand fragt, warum wir Deutschen 120 Jahre länger als die Franzosen gebraucht haben, um uns von der Monarchie zu befreien und endlich eine erste Republik zu gründen: Tja, siehe oben. Wladimir Iljitsch Lenin (1870-1924), der Vater der Sowjetunion, hat das eleganter ausgedrückt, als er sagte: »Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas. Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!« Aber gemeint hat er im Prinzip das Gleiche. Wir sind mehr Völkchen als Volk.

Mit meinem Besuch fahre ich also noch am ersten Tag in eines dieser engen Parkhäuser, wo man den Autoschlüssel zurücklässt, damit der Wagen umgeparkt werden kann, wenn’s sein muss. Für meine Eltern war schon das zu viel: die Vorstellung, dass ein Fremder den Schlüssel hat und ihn vielleicht sogar benutzt, um eine Runde zu drehen.

Dann kam der Parkwächter, ein erstklassiger Auftritt: Er ließ sich den Autoschlüssel zuwerfen, nickte und warf ihn im Weggehen auf die Frontscheibe. Zwei Stunden lag er zwischen den Scheibenwischern. Danach waren meine Eltern abgehärtet und konnten ihren Urlaub genießen. Aber den Parkwächter hätten sie am liebsten verhaften lassen.

(Eine kürzere Variante dieser Kolumne ist erstmalig in der Schweriner Volkszeitung erschienen.)