Ich bin nur Gast in Argentinien, und weil ich keinen Ärger will, drücke ich mich diplomatisch aus: Der Alltag, der ja größtenteils das Leben ist, hat es hier in sich. Wenn sich ein Argentinier für 11 Uhr ankündigt, kommt er um halb zwölf. Frühestens. Ein Deutscher kommt zehn Minuten vor elf. Spätestens. Natürlich, es gibt Ausnahmen, auf der deutschen Seite bin ich das. Im Flugzeug nach Buenos Aires saß ich ohne Uhr, und die Uhr, die ich mir dann an der Plaza Italia gekauft habe, war nach einem Monat kaputt.

In meinen ersten argentinischen Wochen habe ich mich mitunter abfällig über die Subte geäußert. Ich nannte die erste U-Bahn Lateinamerikas (1913) gern eine »überfüllte Sauna auf Gleisen«. So sollte man über eine Hundertjährige nicht reden. Es tut mir heute leid. Ich war noch zu deutsch. Um in der Ferne anzukommen, muss man sich erst von der Heimat entfremden. Irgendwann erkennt man die argentinische Gelassenheit und nimmt sie ein bisschen an. Dieses Volk hat schon viel durchgemacht und wird noch viel durchmachen. Ein Schwitzplatz in der Subte gehört da zum Inventar des Lebens.

Lego

Als jemand, der von Vollkommenheit sehr weit entfernt ist, schaue ich mit wachsendem Stolz meinem Sohn beim Legospielen zu. Seit wir in Argentinien zu Hause sind, hat er das kreative Bauen mit den bunten Plastiksteinchen entdeckt. Er lässt die Baupläne, die er in Deutschland immer benutzt hat, in der Schublade und fängt einfach an. Mal entsteht etwas Kleines, mal etwas Großes, mal die Casa Rosada, mal ein Gefängnis. Man kann das kreative Bauen übrigens auch in Buenos Aires besichtigen. Ich denke dann an meinen Sohn und seine Steinchen, gehe weiter und sage leise: »Das wird schon.«

Und der neue Berliner Großflughafen für 60 000 Passagiere pro Tag? Der wird seit Anfang der neunziger Jahre geplant und hätte im Oktober 2011 eröffnen sollen. Dann am 3. Juni 2012. Dann am 17. März 2013. Dann am 27. Oktober 2013. Inzwischen ist der Start auf unbestimmte Zeit verschoben. Natürlich wird der Airport eines Tages fertig werden. Es ist nur nicht sicher, ob die Menschheit dann noch im Flugzeug reist.

Ach, wenn wenigstens sorgfältig gebaut würde. Aber man hat vieles vergessen, nicht das Allerwichtigste, an Start- und Landebahnen hat man gedacht. Aber es gibt zu wenige Brandschutztüren, eine Rolltreppe ist zu kurz und ein Fußboden beschädigt, weil Gabelstapler drüber gefahren sind, obwohl eine Schutzabdeckung fehlte. Und wenn der Wind aus der falschen Richtung weht, läuft Regenwasser ins Lüftungssystem des Terminals.

Ich lese jetzt überall, dass die halbe Welt über uns lacht, über die perfekten Deutschen mit ihrem inzwischen 4,3 Milliarden Euro teuren Pannenflughafen im Rohbau. Manchem Landsmann scheint das regelrecht peinlich zu. Dabei ist das ein unbezahlbarer Imagegewinn. Wann hat das Ausland denn Deutsche jemals witzig gefunden?

(Diese Kolumne ist erstmalig im Argentinischen Tageblatt erschienen.)