Ein Argentinier und die Blasmusik
von CHRISTOPH WESEMANN
Ich werde in Buenos Aires niemals Tangounterricht nehmen. Ich verspreche es. Ich will das keinem Argentinier zumuten, und außerdem hat die Integration auch Grenzen. Ich trinke schon mehr Mate als meine Nachbarn – und wenn er mir zu bitter schmeckt, denke ich an die Kaffeepreise in Buenos Aires. Ich komme an keinem Imbissstand vorbei, ohne mir Choripán mitzunehmen. Ich esse zum Frühstück Superpanchos und abends vor dem Schlafengehen Dulce de leche pur. Und natürlich wird Argentinien 2014 Fußballweltmeister. Wer soll uns denn bitte besiegen? Aber das Tangotanzen werde ich nicht lernen. Es spielt doch auch kein Argentinier, den es nach Deutschland verschlagen hat, Blasmusik.
Augenblick, es gibt ja einen Blasmusik-Argentinier. Martin Huss lebt mit seiner Familie in einem winzigen Dorf in Mecklenburg und trägt einen Titel, der deutscher kaum sein könnte: Landesposaunenwart. Der Sohn eines Deutschen und einer Ungarin, die 1939 nach Argentinien auswanderten, ist verantwortlich für 1300 Kirchenmusiker. Wenn er die Posaunen dirigiert, trägt er gern einen Poncho.
Mecklenburg, im Nordosten Deutschlands gelegen, ist Santa Cruz minus Pinguine und die Kirchners: eher dünn besiedelt, von Leuten, die man verschlossen, stur oder bodenständig nennt. »Wenn die Welt untergeht, so ziehe ich nach Mecklenburg“, hat der Reichskanzler Otto von Bismarck (1815 bis 1898) einst gesagt, „denn dort geschieht alles 50 Jahre später.« Gestorben ist er dann aber in einem Dörfchen namens Friedrichsruh, ein paar Kilometer entfernt von der mecklenburgischen Grenze.
Vor sechseinhalb Jahren, im Sommer 2006, traf ich Martin Huss, um für die Zeitung eine Geschichte darüber zu schreiben, wie sich ein Argentinier in Mecklenburg auf das WM-Viertelfinale seiner Nationalmannschaft gegen Deutschland freut. Die meisten Menschen auf dieser Welt müssen erst ein bisschen auftauen, wenn jemand von der Presse kommt und Fragen stellt. Martin Huss, gehört zu den wenigen anderen. Und so erzählte er gleich von seiner Armeezeit mit Diego Armando Maradona. Argentiniens Goldjunge hatte natürlich Wichtigeres zu tun, er musste Fußball spielen und durfte sich drücken. Der Soldat Martin Huss sah den Kameraden Diego genau zweimal: am ersten und am letzten Tag ihrer Armeezeit. Trotzdem schimpfte er nicht auf die Privilegien der berühmten Nummer 10, er verstand das vollkommen. Hätte das Genie denn seine Zeit damit vergeuden sollen, mit dem Gewehr zu schießen oder zu marschieren?
Martin Huss war der erste und einzige Argentinier, der mir in Deutschland jemals begegnet ist. Er plauderte über sein Land, erzählte vom Asado und stellte mit zwei Kaffeetassen, einem Zuckerstreuer und einer Kastanie Traumtore der Albiceleste nach. Nach zwei Stunden in seinem Garten hatte ich, der junge Journalist, einen vollen Notizblock und hätte drei Zeitungen füllen können. Und ich war verliebt in Argentinien.
Vielleicht überlege ich mir das mit dem Tangolernen noch einmal
(Diese Kolumne ist erstmalig im Argentinischen Tageblatt erschienen.)
llamadojorge
4. Februar 2013 @ 20:26
Es gibt auch hier in Argentinien echte Blasmusiker: Die Freunde. Ich find solche Musik zwar schwer erträglich, aber es gibt offenbar etliche Argentinier nicht nur deutscher Abstammung, denen das gefällt. Kostprobe (in grottiger Qualität, was nicht an den Musikern lag) hier.