Archiv für das Thema ‘Auswärtsspiele’

Wie ich zum zweiten Tattoo kam

von CHRISTOPH WESEMANN

Ich habe es nicht immer leicht mit dieser Familie. Leider sieht diese Familie das genau umgekehrt, und das ist auch einer der Gründe, warum ich es nicht immer leicht mit ihr habe.

Mitte Januar 2018. Sommerurlaub. Wie so oft in den vergangenen Jahren fahren wir mit dem Mietwagen durch Argentinien. Wir sind gerade in der Provinz Tucumán. 4000 Kilometer haben wir schon geschafft, 4000 Kilometer kommen noch. Der Pilot bin ich, und ich habe extra eine CD für die langen Fahrten zusammengestellt: Onda Vaga, Los Auténticos Decadentes, Intoxicados, natürlich unsere Götter Fito Páez und Andrés Calamaro. Aber die Kinder, so war das schon immer, wissen ja überhaupt nicht, was gute Musik ist. Nach spätestens drei Liedern schreit jemand von der Rückbank: »Wie lange noch?« Wenn sie ihren großzügigen Tag haben, lassen sie mit sich reden, und man darf María Elena Walsh einlegen. Deren Lieder kann wirklich jedes Kind in Argentinien und Uruguay schön schief mitsingen, und diese Bande dort hinten noch ein bisschen mehr. An allen anderen Tagen bekommt man Plastikmusik gereicht.

Provoziert werde ich auch laufend. Sobald ich etwas Merkwürdiges sehe, das vielleicht einen Kommentar verdient, und bloß Luft hole, sagt der Erste: »Achtung, gleich redet Papa wieder schlecht über Argentinien.«
Und die Zweite: »Oder über Argentinier.«
Und die Dritte: »Oder über beide.«
Und die Frau: »Aber wehe, wir wagen es, Argentinien nicht pausenlos toll zu finden.«
Und wieder der Erste: »Gleich dreht er die Musik lauter.«
»Erstens: Ein echter Argentinier redet immer schlecht über andere Argentinier. Zweitens: Ich trage die Karte und die Flagge dieses wunderbaren Landes sogar als Tattoo auf der Brust. Und drittens: Das ist keine Musik. Nacho & Chino, wasissendas überhaupt für‘n Name?«
»Die heißen Chino & Nacho!«

Die meisten anderen würden auf einer solchen Reise irgendwann die Nerven verlieren. Stundenlanges Geradeausfahren. Linkespurbelagerer mit Tempo 90 und Rückspiegelphobie. Das enge Familienzimmer im lange nicht geputzten Hostel. Hitze & Mücken. Rücken & Schmerzen. Chino & Nacho.

Ich reagiere besonnen und grüße einfach Gauchito Gil nicht mehr. Gauchito ist ein argentinischer Volksheiliger, der Schutzpatron der Auto-, Laster- und Mopedfahrer. Entlang der Straßen stehen Schreine, mal groß, mal ganz klein, man kann anhalten und eine Zigarette oder einen Schluck Wein hinterlassen, es reicht aber auch, die Hupe zu drücken, und Gauchito, der Legende nach eine Art Robin Hood, der die Reichen bestahl und es den Armen gab, passt auf dich auf. Seit unserer ersten Autotour Ende 2012 – von Buenos Aires zu den Wasserfällen von Iguazú und zurück – habe ich immer gehupt; selbst dann, wenn neben dem Schrein zwei Polizisten im Streifenwagen dösten. (Wer, bitte, macht auch die Siesta an einem solchen Ort?) Und wenn ich ihn doch mal übersah, hat eins der Kinder aufgepasst: »Papa, Gauchito! Hupen!«

Heute hupe ich nicht.
»Papa, Gauchito! Hupen! Paaaaaapaaaaaa!«
Natürlich kann das nicht gut gehen.

Wir sind unterwegs zu einem Stein. Die Frau hat sich das Ding in der Touri-Info von Tucumán als Attraktion aufschwatzen lassen. Einen Stein! Wir durchqueren erst Bäche (voller Steine), dann Flüsse (voller spitzer Steine), manchmal muss ich Gewicht abwerfen, dann steigt die Familie aus und ich fahre allein mit Chino & Nacho ans andere Ufer.

Wolken ziehen auf, es wird bald dunkel. Wo ist denn jetzt dieser Stein? Das Navi? Zeigt nicht mal die Flüsse an. Da, ein Opa, auf einem Pferd, ein richtiger Gaucho, der kann uns helfen. Die Frau steigt aus und befragt ihn sogleich. Nach fünf Minuten ist sie zurück und sagt: »Ich habe kein Wort verstanden.«

»Lass mich mal, mit dem Mann muss man von Gaucho zu Gaucho reden.«
»Ɽⱷ ♥☼♣ ●Ⱳ∙♯▬ﬨ £© ﬞ꜠ⱦﭺﭸﭱﮁﯓ₫⃰⅜ ⅎΩ™ℓ ⅞₭«, sagt der Mann.
»Hmmh.«
»ᾔ&%ϗ ᶀ●Ⱳ∙♯▬ᶭҌҁ™ℓ Ϡϙ ϗ˦ʎ●Ⱳ ∙♯▬⅞ûï.«
»Claro.«
»&%ϗ Ɽⱷ? ♥₫⃰⅜ ⅎΩ™ℓ&%ϗ ⅞₭&%ϗ Ɽⱷ. ♥₫⃰⅜ ⅎΩ™ℓ&%ϗ ⅞₭☼♣ ●Ⱳ∙♯▬ﬨ &%ϗ £© ﬞ꜠ⱦﭺﭸﭱﮁﯓ. ₫⃰⅜ ℓ ⅞₭ ☼♣ ●Ⱳ∙♯▬ﬨ &%ϗ £© ﬞ꜠ⱦﭺﭸﭱﮁﯓ₫⃰⅜ & ℓ&%ϗ ⅞₭&%ϗ Ɽⱷ ♥₫⃰⅜ ⅎΩ™ℓ&%ϗ ⅞₭☼♣.&%ϗ £© ﬞ꜠⃰⅜ &%ϗ ⅎΩ™ℓ ⅞₭ ☼♣ ●Ⱳ∙♯▬ﬨ %ϗ ⅎΩ™ℓ ⅞₭ &%ϗ Ɽⱷ ♥₫⃰∙♯▬ﬨ &%ϗ £© ﬞ꜠ⱦﭺﭸﭱﮁﯓ₫⃰⅜ ℓ&%ϗ ⅞₭&%ϗ Ɽⱷ ♥₫⃰⅜. ⅎΩ™ℓ&%ϗ ⅞₭☼♣ ●Ⱳ∙♯▬ﬨ &%ϗ. ﬞ꜠ⱦﭺﭸﭱﮁﯓ₫⃰⅜ &%ϗ ⅎΩ ⅜ ⅎΩ™ℓ&%ϗ ⅞₭☼♣ ●Ⱳ ™ℓ ⅞₭. ☼♣ ●Ⱳ∙♯▬ﬨ &%ϗ ⅎΩ™ℓ ⅞₭.“
»Bueno, mil gracias.«

Jetzt aber schnell zurück ins Auto. Diese Hitze! Die uruguayischen Freunde hatten ausnahmsweise recht: Den Hochsommer verbringt man am Meer, lange schlafen, leichtes Frühstück, dann mit Mate und ein paar Häppchen an den Strand, schnell den Sonnenschirm aufspannen, danach aber nicht mehr zu viel Bewegung, bisschen Siesta (die Faulen im Hotelbett, die ganz Faulen im Sand), Sonnenuntergang gucken, zusammenpacken, Fleisch kaufen, Feuer machen, grillen und Rotwein trinken. Jedenfalls kurvt man nicht durch den Norden Argentiniens, die heißeste Region, die das Land zu bieten hat.

»Alles klar, Kinder. Wir sind fast da.«

Als wir den nächsten Fluss durchqueren, schlitzt ein Stein den Unterboden des Autos auf. Ich bin noch nicht mal auf den Knien, um den Schaden zu begutachten, da hat mich das Familiengericht in einem Schnellverfahren schon verurteilt.
»Papa ist schuld.«
»Weil er bei Gauchito nicht gehupt hat.«
»Er hat unseren Beschützer verraten.«

Zwei Wochen später bitte ich den Volksheiligen ganz offiziell um Vergebung und lasse ihn mir auf den rechten Oberarm tätowieren.

Dieser Stein übrigens: ein Traum. Wahrlich spektakulär.

Pilgern mit Hurenkindern: Die viertägige Wallfahrt (3)

von CHRISTOPH WESEMANN

wallfahrt 9

Was bisher geschah: Der Autor und sein argentinischer Freund sind mit ein paar Hundert anderen Pilgern seit zwei Tagen auf Wallfahrt von Buenos Aires nach San Nicolás de los Arroyos. Halbzeit. Es geht ihnen fabelhaft. Bueno, der damenbestrumpfte Autor hatte gestern Abend eine kurze Schwächephase, ausgelöst von Klo und Dusche im zweiten Etappenort San Pedro. Aber das ist fast überstanden. Also gar nicht.

Weiter geht’s.

♦♦♦♦♦

Dritter Tag. San Pedro > El Paraíso.

Wallfahrt 1

12 Uhr.
Es regnet seit viereinhalb Stunden ohne Pause. Wir stolpern und rutschen durch den Schlamm, der an den Sohlen kleben bleibt. Es geht zu wie beim Langlauf: Wir wechseln von links nach rechts, auf der Suche nach der schnellsten Loipe, es sind aber alle gleich seifig und langsam.

Wallfahrt 6

Wallfahrt 3

Wo ist Maria?

Wallfahrt 10

Plötzlich ist alles so sinnlos. Ich will nach Hause. Ich brauche eine Dusche und trockene Klamotten. Ich brabbele vor mich hin, keine Ahnung, ob Cristian unter seiner Kapuze zuhört. Mich kotzt das alles nur noch an. Dieser Scheißsportclub gestern in San Pedro: Da kommen 300 erschöpfte Pilger, und die Inhaber schrauben nicht mal Klobrillen auf die Keramik. Von Sauberkeit wollen wir gar nicht reden, oder davon, dass man ausnahmsweise den seit Monaten herumliegenden Müll aufsammelt oder sogar durchfegt. ¡La puta que los parió!1. Verlange ich zu viel? Ich finde das unmöglich: sich Gäste einladen und die dann so empfangen. Ohne Klobrille!

»Das sagtest du bereits«, sagt Cristian. »Hörst du bald auf zu jammern?«

»Ich jammere doch gar nicht.«

»Und wie.«

»Unsinn.«

»Seit drei Kilometern jammerst du. Ist aber sehr argentinisch.«

»Okay, dann jammere ich.«

»Ich gehe ein Stück vor. Bis später.«

»Wenn du das nächste Mal zu uns zum Grillen kommst«, ich brülle jetzt, »schraube ich vorher alle Klobrillen ab. Nur damit du’s weißt.«

Wo ist Maria?

Wo steckt der dunkelgraue Peugeot?

Wallfahrt 2

Wallfahrt 4

13 Uhr.
Junge, Junge, das sind heute Abstände wie auf der Königsetappe der Tour de France. El Paraíso wird wohl unser L’Alpe d’Huez. Schon die Verpflegungsstation im Städtchen Ramallo erreichen die Letzten eine Stunde nach uns, und wir haben schon zehn Minuten auf die Schnellsten verloren.

Wir würden uns gern einen Augenblick hinsetzen, es ist aber kein Stuhl mehr frei, und die Teenagertruppe, die sich von den Begleitfahrzeugen hat chauffieren lassen, steht auch nicht auf – weder für uns noch für die Alten. Nicht mal den vier Helden, die die zwei Jungfrauen getragen haben, bieten sie einen Platz an.

»So ein verdammtes Pack!«

»Die besuchen alle eine teure Privatschule. Mama und Papa haben Kohle ohne Ende«, sagt Cristian. »Was erwartest du?«

»Scheißhurensöhne. Scheißhurentöchter.«

»Truco, mein Freund?«

»Sehr gern.«

14 Uhr.
Nach dem Mittagessen schwärmt eine alte Frau vom Wallfahren. Eine wundervolle Erfahrung sei das, nicht wahr?, man habe ja so viel Zeit für »Reflexionen«. Und das Wetter heute sei auch gar nicht so schlimm. »Mit dem Regen segnet Gott euch«, sagt sie. »Genießt es!« Sie selbst würde auch gern pilgern, aber ihre Knie schmerzten leider.

»Kann die bitte mal jemand abstellen?«

»Truco.«

»Quiero. Retruco.«

»Quiero. Vale cuatro.«

»Quiero.«

Ich habe einen Lauf und besiege am Ende sogar unseren Freund Conejo, das Kaninchen. Ich schreie, ich jubele, ich mache die Beckerfaust, und wäre ich nicht so erschöpft, würde ich jetzt Anlauf nehmen und auf Knien einmal durch den verdammten Saal rutschen, alle müssten es erfahren. Demut? Pffffffffff! Bescheidenheit? Niemals!

Conejo, das Kaninchen

> Conejo, das Kaninchen

»In zwei Jahren, mein lieber Freund«, sage ich zu Conejo, »wirst du das Radio anmachen und hören, dass zum ersten Mal ein Deutscher die Truco-Weltmeisterschaft gewonnen hat.«

»Hahahaha.«

»Und zwar, ohne zu bescheißen.«

»Geht gar nicht.«

»Dann halt mit bescheißen.«

»Weltsensation! Weltsensation! Unehrlicher Deutscher entdeckt!«

Noch 18 Kilometer lägen heute vor uns, verkündet einer der Organisatoren. Er schätzt: Ankunft in El Paraíso, dem Paradies, in fünf Stunden. Wer allerdings nach diesem Regenvormittag nicht mehr gehen wolle, könne auch im Bus fahren.

17 Uhr.
Fünf Stunden? Pah, keine drei brauchen wir ins Paradies.

Wallfahrt 5

Ich muss sagen: Cristian überrascht mich. Gewiss, er geht oft hinter mir, um in meinem Windschatten Kraft zu sparen, ja, ich leiste eindeutig mehr Führungsarbeit, und es ist sicher Zufall, dass er jedes Mal, bevor wir eine Handvoll sehr hübscher Klatschpuppen am Wegesrand passieren, vorangehen will und mich zu überholen versucht. Aber sonst ist er ein zäher Kerl, verdammt hart im Nehmen. Stundenlang erträgt er mich, weitgehend ohne Murren, ich bewundere ihn dafür. Selbst mir werde ich ja schnell zu viel. Cristian jedoch hört sich alles an, er diskutiert sogar mit mir, dann erkennt er die aussichtslose Lage, in der er steckt, weil ich zu praktisch allem eine Meinung habe. Immer eine dezidierte. Meist auch mehrere. Die sich widersprechen. Was ich sofort bestreite. Weil ich Recht habe.

> Cristian

Theoretisch könnten wir heute warm duschen, weil um die Ecke eine Oma ihr Bad vermietet. Aber erst um 22 Uhr kämen wir dran, und das ist heute keine Option, da wird zu Abend gefressen. Rumpsteak und Rinderfilet für alle! Auf dem Grill, so groß wie eine Tischtennisplatte, liegen schon die Fleischklumpen. Und darunter, im Qualm des Feuers, trocknen unsere Schuhe.

Wir gehen dann mal kalt duschen. Bei der Polizei von El Paraíso.

Wallfahrt 12

Fortsetzung folgt

  1. traditioneller argentinischer Flucht: Die Hure, die sie geboren hat []

Pilgern mit Aretha Nylon – Die viertägige Wallfahrt (2)

von CHRISTOPH WESEMANN

Banane

♦♦♦♦♦

Zweiter Tag. ZárateSan Pedro

7.30 Uhr.
Mein argentinischer Freund Cristian und ich zucken. Sollen wir? Nein! Oder doch? Was meinst du? Sag du! Also gut, wenn du mich fragst, ich denke, dass …

Wir könnten noch ein Weilchen bei den Metallern in Zárate bleiben und dann am Abend im Bus nach San Pedro reisen. Die Organisatoren der Wallfahrt meinen es gut mit uns, es hat nämlich angefangen zu regnen. Das große und das kleine Kaninchen haben bereits kapituliert und liegen schon wieder auf ihren Matten. ¡Trampa! Mogelei!

Ich fühle mich einerseits sehr gut. Als um zehn vor sechs das Licht in der Gewerkschaftsturnhalle anging, war ich schon eine Stunde wach. Schmerzen? Keine! Andererseits: Ich bin mitten im Training. Cristian bringt mir seit gestern Abend Truco bei, das argentinische Kartenspiel schlechthin, eine Art Río-de-la-Plata-Poker. Beim Truco wird nicht bloß gequatscht, geschummelt und gelogen; man provoziert auch den Gegner und macht ihn lächerlich, man hält seine Eier allzeit fest, um sie dann, wenn erforderlich, unverzüglich auf den Tisch packen zu können.

Cristian hat mich soeben ein paar Mal gewinnen lassen, ich hab’s jetzt drauf und brauche endlich einen richtigen Gegner. Steh auf, Kaninchen! Während sich Conejo hochkämpft, gehe ich schnell meinen handgeschriebenen Zettel durch, ich habe ja den Wert der Karten noch nicht ganz im Kopf.

truco 1

> Die vier höchsten Truco-Spielkarten und die mieseste (4 de copas)

Reihenfolge:

  • 1 von den Schwertern, auch Macho genannt
  • 1 von den Stäben, auch Weibchen genannt
  • 7 von den Schwertern
  • 7 von den Münzen
  • 3, 2, 1 (Rest), 12, 11, 10, 7 (Rest), 6, 5, 4

Die oberste Scheißkarte beim Truco ist die 4 de copas (4 von den Pokalen) − so nennt man in Argentinien übrigens auch eine Person, die gar nichts drauf hat oder sehr wenig zu sagen.

Conejo, das Kaninchen, trickst und schummelt und lügt, er nuschelt mich voll, er nimmt meine drei Karten von unten aus dem Stapel, was angeblich legal ist oder jedenfalls nicht ausdrücklich verboten, er versteckt seine Wett-Einsätze – Truco (Zwei-Punkte-Spiel), Retruco (drei), Vale cuatro (vier) – inmitten sinnfreier Monologe und beschimpft mich dann, weil ich wieder nichts verstanden habe. Wenn ich sicher bin, dass er blufft, hat er beste Karten. Und umgekehrt. Kaninchen, der Messi des Truco, gewinnt sogar mit der 4 von den Pokalen.

Ich glaube, ich verliere von zehn Runden zwölf. Oder 20 von 14. Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Truco, das ist doch kein Spiel!

8 Uhr.
»Also, ich schlage vor, dass wir pilgern und nicht hier bleiben«, sage ich zu Cristian.

»Natürlich pilgern wir.«

»Der Regen kann uns mal.«

»Welcher Regen? Das ist eine Erfrischung, alemán.«

8.10 Uhr.

Tag 2 b

Tag 2 c

Am Ausgang bekommt jeder ohne Regenmantel eine große Mülltüte. Wir gehen auch erst einmal weiter entlang der Autobahn. Stört mich das? Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein.

(Ein Argentinier versteht den Otto-Witz von Frau Suhrbier und ihren Folgeschäden an der Autobahn übrigens nicht, was wohl zwei Gründe hat: Zum einen darf in diesem Land nirgends schneller als 130 Kilometer pro Stunde gefahren werden; zum anderen unternehmen argentinische Durchschnittsfamilien gern einen Sonntagsausflug zur Autopista, um nebenan auf dem vertrockneten Rasen Fußball zu spielen, zu entspannen und zu grillen. Man trifft Freunde und Verwandte, Nachbarn und Kollegen.)

Tag 2 d

12 Uhr.
Die Ersten humpeln schon, oh, die sind aber früh dran. Es ist noch sehr, sehr weit, nicht nur nach San Nicolás de los Arroyos, dem Ziel, sondern auch zum heutigen Etappenort San Pedro. Wir haben vorhin ein Schild gesehen, auf dem »68 km« stand, wobei wir ja heute Abend wieder ein Stück mit dem Bus zurücklegen werden. Wir können also mindestens 20 Kilometer abziehen.

Tag 2

Meiner Erfahrung nach wird eine jede Wallfahrt im Kopf entschieden, es ist nämlich alles psychologisch, die Angst vorm Scheitern und der Schmerz sowieso. Ich habe bislang keine Tablette gebraucht, meine Füße sind nach wie vor ohne Blase, und meine beigen Nylonstrümpfe aus der Damenabteilung des Supermarktes bei uns an der Ecke haben noch nicht einmal eine Laufmasche.

Damenstrumpf

Jawohl, ich trage Damenstrumpf unter meinen Marathonsocken. Ich halte es natürlich geheim. Nur Cristian weiß davon, weil er mich am Abend vor unserem Aufbruch bei der Anprobe zu Hause erwischt hatte. Saßen tadellos, die Dinger, da waren wir uns einig.

Auch Bundeswehrsoldaten tragen ja Nylon – angeblich, und natürlich ausschließlich für den Marsch, ich will den Kameraden nichts unterstellen, ich hab’s auch nur gehört von einem, der ebenfalls nicht gedient hat.

»Und wenn’s nicht hilft«, hatte Cristian übrigens gesagt, »sieht’s immer noch verdammt scharf aus.«

Tag 2 e

14 Uhr.
Endlich, zum ersten Mal nach eineinhalb Tagen und 65 Kilometern, lassen wir Asphalt und Verkehrslärm hinter uns. Endlich Natur. Endlich ein Feldweg. Und bald darauf: Schlaglöcher.

 

tag 2

17 Uhr.
Kilometer 127 der Nationalstraße 9, eine Brücke. Ganz in der Nähe liegt das 2000-Seelen-Dorf Villa Alsina. Unsere Busse warten schon. Cristian knorrt sich fix noch eine Kürbissuppe rein. Wenn das hier vorbei ist, muss er auf Entzug.

18.30 Uhr. San Pedro.
Ich habe ja schon viel gesehen in meinem Leben. Aber das hier, ¡Madre mía!1, muss die Strafe für etwas Gewaltiges sein.

Das darf man nicht verdrängen, man muss es umgehend verarbeiten. Handy raus zum Gebet!

CW. Bist Du noch oder schon wach?

MC. Ja.

CW. Das ist die heutige Männertoilette.

Klo

MC. Mein Gott!

CW. Ich kneife die Arschbacken zusammen, das glaubst Du nicht.

MC. Was bleibt Dir sonst übrig?

CW. Ich bin zu alt für so’n Scheiß.

MC. Dann nimm den nächsten Bus.

CW. Bus? Wir sind in … wo zum Teufel sind wir überhaupt? Der Kiosk hatte nicht mal Wasser.

MC. Dann muss das Bolivien sein.

CW. Oder die DDR. Ich bin mal im Bad. Gute Nacht!

Marc Koch (MC) ist Gastautor des Argentinischen Tagebuchs und festes Ensemblemitglied der Komödien.

Dusche

Eine warme Dusche kostet 20 Pesos, umgerechnet 1,90 Euro. Man steigt zunächst eine Treppe hinauf, bezahlt dann im Büro des Klubchefs und bekommt schließlich eine nummerierte Duschberechtigungsmarke. So hat’s mir Conejo erklärt, dreimal, um genau zu sein, weil ich das Verfahren nicht auf Anhieb verstanden hatte. Die können mich mal, ¡carajo! Mir ist das erstens immer noch zu kompliziert; zweitens habe ich ja – wie jeder Pilger – umgerechnet 75 Euro Teilnahmegebühr bezahlt; und drittens probiere ich erst mal die wahrscheinlich illegale Kaltwasserdusche aus, die ich vorhin neben den Pinkelbecken entdeckt habe.

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Ich stelle mich, schon entkleidet, auf Zehenspitzen und erreiche tatsächlich – ich bin ein verdammtes Genie! – das oben am Duschkopf angebrachte Wasserhähnchen. Brrrrrrrrrrrrrr, ist das kalt. In meinem Rücken wird derweil gepinkelt, da kennt der Argentinier – und zwar einer nach dem anderen – nichts. Ich beobachte es aus dem Augenwinkel, und mir ist klar, dass ich auf dem Weg zum Handtuch gleich durch das werde waten müssen, was danebengegangen ist – und das ist allerhand.

Fortsetzung folgt

  1. Oh, mein Gott []

Pilgern mit Kaninchen – Die viertägige Wallfahrt (1)

von CHRISTOPH WESEMANN

Mit Cristian

♦♦♦♦♦

Erster Tag. Ingeniero MaschwitzZárate

5.45 Uhr.
Wir sind mit dem Kaninchen verabredet. Es erwartet uns um sechs an der Autobahntankstelle der Stadt Ingeniero Maschwitz, Kilometer 44 der Panamericanagegen sechs natürlich, also ruhig ordentlich nach sechs, wir sind doch in Argentinien, und pünktlich erscheinen hier nur die unhöflichen Einheimischen und die schlecht integrierten Ausländer. Es trifft sich somit gut, dass wir zunächst in den falschen Bus steigen und danach im Morgengrauen einen Kiosk suchen müssen, um die Subes aufzuladen, unsere Guthabenkarten für den Öffentlichen Personennahverkehr.

Conejo, spanisch für Kaninchen, hatte als kleiner Junge sehr hervorstehende Schneidezähne. Die stehen zwar schon seit Jahrzehnten nicht mehr hervor, aber nicht alles lässt sich ja richten im Leben. Wie heißt unser Kontaktmann denn nun wirklich? Mein Freund Cristian, mit dem ich schon zweimal 60 Kilometer nach Luján gepilgert bin, hält sich die rechte Hand unters Kinn und schiebt sie dann flink nach vorn weg. »¡Qué sé yo!«, sagt die Geste, eine der argentinischsten überhaupt. »Was weiß ich.«

Sein Name ist Kaninchen, meinetwegen.

Cristian und ich werden vier Tage pilgern, von Maschwitz, einem Vorort von Buenos Aires, bis nach San Nicolás de los Arroyos, der Stadt am Río Paraná, 240 Kilometer oder so. Anders gesagt: ein klitzekleines Stückchen durch die Riesenprovinz Buenos Aires, die so groß wie Deutschland ist, Heimat von 16,5 Millionen Menschen. Es ist die 32. Wallfahrt; ein paar Hundert Pilger werden erwartet.

6.40 Uhr.
Das Kaninchen bekommt einen Kuss, wie sich das zur Begrüßung und zum Abschied gehört in Argentinien, auch unter Männern. Alles gut? Klar. Freut mich. Mirá vos, un alemán1. Das Schöne an Argentiniern ist ja, dass sie im Umgang mit Europäern keinerlei Berührungsängste haben; man begegnet sich auf Augenhöhe. Bolivianer, Paraguayer oder Peruaner sind da deutlich schüchterner.

»Cheeee2 alemán, ich stell dir mal meinen kleinen Bruder vor«, sagt das Kaninchen und zeigt auf einen Glatzkopf. Der heißt – wie könnte es anders sein – Conejito, kleines Kaninchen.

7.36 Uhr.

Gottesdienst
Der Gottesdienst unter freiem Himmel hinter der Tankstelle ist vorbei. Wir sollen daran denken, hatte der Pfarrer in seiner Predigt gesagt, dass die Jungfrau von San Nicolás, zu der wir pilgern, la Virgen del Rosario de San Nicolás, nicht vor uns sei, nicht weit in der Ferne. »Sie ist immer bei euch, sie begleitet euch.« Außerdem müssen wir aufeinander aufpassen, wir alle sind hermanos peregrinos, pilgernde Schwestern und Brüder.

Claro. Auf geht’s. ¡Vamos!

Gepäck

9 Uhr.
El conurbano, der Ballungsraum der Hauptstadt, den wir heute durchpilgern, ist wahrlich keine Schönheit. Nein, er ist geballte Hässlichkeit: Industrieparks, Gewerbegebiete und Hochhaus-Skelette, dazwischen das kleine und mittelständische Unternehmertum Argentiniens aus Reifenbuden, Autowerkstätten, Kiosken und Versicherungen. Links und rechts der 1967 Kilometer langen Panamerica in Richtung der Hafenstadt Rosario (Provinz Santa Fe) gibt es nichts, was nicht herumliegt: Essenreste, Bauschutt, zerfetzte Reifen, ausgebrannte Autos, Heckscheiben, Frontscheiben, Seitenscheiben, Ölfässer und Farbeimer, Jalousien, Sofas, Kabel, Fernseher und anderer Elektroschrott, jede deutsche Mülldeponie hat weniger im Angebot. Es riecht mitunter sogar nach überfahrenem Hund.

Müll 2

»Räumt diesen Dreck denn keiner weg?«, frage ich Cristian.

»Es ist Montag, boludo3

10 Uhr.

Jungfrau 2
Es gibt drei Jungfrauen auf dieser Wallfahrt: Die eine ist auf das Dach des dunkelgrauen Peugeot geschraubt, der ganz vorne fährt; die anderen Marias werden von Pilgern getragen – jeweils mithilfe zweier Stangen, einer Art Barren, dem Schrecken meines Turnunterrichts. Eine dieser Jungfrauen habe ich jetzt auf den Schultern, weil mich Cristian als Ablösung für den hinteren Träger vorgeschlagen hatte: »Leute, der Deutsche will auch mal!«

(Er selbst wird sich bis zum Ende der Wallfahrt erfolgreich drücken.)

Jungfrau

10.05 Uhr.
Oh, wie das beflügelt! Gracias, Santa Maria, Madre de Dios. Ich bin sowieso jemand, der gern Verantwortung übernimmt, und marschieren konnte schließlich schon der deutsche Landser.

10.15 Uhr.
Viel wiegt sie ja nicht, unsere Jungfrau.

10.18 Uhr.
Das Gehen im Takt mit dem Vordermann schlaucht trotzdem.

10.20 Uhr.
Und die Stangen drücken auch.

10.22 Uhr
Ich verschleppe ein bisschen das Tempo.

10.25 Uhr.
Ablösung. Wurde auch Zeit.

12 Uhr.
Wir gehen seit zwei Stunden auf der abgesperrten rechten Spur der Autobahn, begleitet von Motorradpolizisten. Ab und an rasten wir, dann verteilen Helfer Äpfel und medialunas de manteca, also Croissants mit süßem Butterüberzug; heißes Wasser für den Mate gibt es per Selbstbedienung an der Gulaschkanone, die mit uns fährt.

Gulaschkanone und Cristian

> Gulaschkanone und Cristian

13 Uhr. Campana

Rast 2
Zum Mittag bekommen wir eine Schale Polenta, also Maisgrießpampe, ein argentinisches Nationalgericht. Ich tue oberpatriotisch, als würd‘s mir schmecken – bis Cristian und ein paar andere Jungs, die wir inzwischen kennen gelernt haben, anfangen zu meckern. Ja, scheußlich, der Fraß, ist ja auch nichts drin in dieser Polenta, keine Tomate, kein Käse, nicht mal Salz.

Polenta pur

> Polenta pur

Jesús, ein gebürtiger Peruaner, isst Bondiola, fettiges Nackensteak vom Schwein im Baguette; 60 Pesos hat er an der Bude nebenan bezahlt, umgerechnet fünfeinhalb Euro, ein Wahnsinnspreis, aber Jesús schwärmt trotzdem.

»¡Trampa!«, sagt Cristian. »Mogelei.«

»¡No vale!«, sage ich. »Zählt nicht.«

Cristian und ich sind orthodoxe Pilger: Wir werden essen, was alle essen; wir werden uns auch im Zustand allergrößter Erschöpfung und unmenschlicher Schmerzen keinen Meter vom Begleitauto mitnehmen lassen; wir werden in keinem Hotel schlafen. Leute, die eine Luftmatratze dabei haben oder heute Morgen in Maschwitz gar eine richtige Matratze in den Truck mit all dem Gepäck verfrachtet haben, verachten wir.

Erlaubt sind: Schmerztabletten (Actron 600), Creme (Diclofenac) und Mate (Taragüi).

14 Uhr.
Cristian hat seine Gitarre eingepackt, aber, wie er gerade feststellt, keine Zahnbürste. Kein Problem, mach dir keinen Kopf, amigo, das kenne ich von zu Hause, da steckt auch jeden Morgen meine Bürste in einem Kindermund, und ich nehme dann halt die der Frau. Eigentum wird überschätzt. Seine Gitarre wird Cristian exakt einmal benutzen (um sie zu stimmen), meine Zahnbürste – nach einem Tag des Widerstands – indes morgens und abends.

15 Uhr.
Dieser Fußmarsch entlang der Autobahn ist vielleicht das Langweiligste, das ich in drei Jahren Argentinien erlebt habe.

Autobahn

15.38 Uhr.
Ach nein, doch nicht, guck mal da: Zwei Frauen und ihre zwei Töchter auf einem Moped! Alle ohne Helm! Und jetzt überholen sie ganz frech den Bullen, der neben uns fährt.

Vor eineinhalb Jahren wurde in der Provinz Buenos Aires hektisch ein Anti-Kriminalitäts-Gesetz erlassen. Seit dem 15. April 2014 sollen der Fahrer und sein Hintermann das Kennzeichen auf dem Helm und einer reflektierende Weste tragen, damit Diebe und Einbrecher, die auf dem Motorrad unterwegs sind, besser verfolgt werden können. Wer gegen diese Vorschrift verstößt, so das Gesetz, dem kann die Polizei die Maschine und den Führerschein wegnehmen. Es war ein großer Aufreger damals, ich erinnere mich gut.

Und jetzt? Der Polizist guckt erst leicht interessiert hin – und dann schwer desinteressiert weg. Fast alle Biker an diesem Tag sind mit nacktem Kopf unterwegs, und nicht einer trägt die reflektierende Weste mit Kennzeichen. Argentinien ist eben auch: das Land vieler Gesetze, die man ignorieren kann, weil Polizisten gerade keinen Auftrag haben oder keine Lust, die Einhaltung zu überwachen. »Hecha la ley, hecha la trampa«, sagt ein hiesiges Sprichwort, das so viel bedeutet wie: Für jedes neue Gesetz, das uns Argentinier maßregeln will, gibt es ein Schlupfloch.

17 Uhr.
Wir halten jetzt alle 20 Minuten.

Rast

Rast

18 Uhr.
Es gibt Kürbissuppe von »Knorr«.

19 Uhr
Schon wieder Kürbissuppe.

Wir sind da.

Kann nicht sein. Wir stehen auf der Plaza Cementerio, dem Friedhofsplatz, der Stadt Zárate.

Das waren höchstens 40 Kilometer heute, niemals 60. Eine Durchsage, per Mikrofon aus dem dunkelgrauen Jungfrau-Maria-Peugeot: Alle rein in die Busse, Frauen und Kinder zuerst.

Busse? Wir fahren?

Ist das peinlich. Halb Buenos Aires hatte ich von meiner bevorstehenden Expedition erzählt, vor allem Frauen natürlich. 60 Kilometer am Tag, 240 Kilometer in vier Tagen, und regnen soll es auch, ich weiß wirklich nicht, ob wir uns wiedersehen, es kommen doch nie alle durch. Die Qualen und ich, wir waren schon Wochen vor dem Aufbruch eins geworden. Ich humpelte ja selbst zu Hause, unbeobachtet, so sehr war ich in meiner Rolle.

Demonstrativ steige ich als einer der Letzten in den Bus; gegen meinen Willen finde ich einen Sitzplatz.

20 Uhr
Wir liegen in der Turnhalle der Metallgewerkschaft von Zárate, das Kaninchen und ich Isomatte an Isomatte, Cristian ein paar Meter entfernt.

Mit Cristian (m.) und dem Kaninchen

> Mit Cristian (m.) und dem Kaninchen

Zárate

21 Uhr.
Nudeln mit Käsesoße für alle!

21.03 Uhr.
Nachschlag, bitte.

21.15 Uhr.
Nein, ich hatte noch keinen Nachschlag.

Die Käsesoße ist aber aus.

23 Uhr.
Noch ’ne Durchsage: In zehn Minuten geht das Licht aus. Gute Nacht, liebe Pilger, schlaft alle schön. Bis morgen um sechs!

1 Uhr.
Ein Höllenlärm neben mir. Das Kaninchen schnarcht.

♦♦♦♦♦

  1. Schau an, ein Deutscher []
  2. argentinischer Ausruf: Hey! []
  3. Schwachkopf, Depp; Anrede unter Freunden in Argentinien []

Pilgern hoch vier: Die 240-Kilometer-Wallfahrt

von CHRISTOPH WESEMANN

0.40 Uhr.

Cristian erzählt, es gebe auch eine viertägige Wallfahrt, die von Buenos Aires nach San Nicolás de los Arroyos führe und 240 Kilometer lang sei. Könnten wir ja im nächsten Jahr machen.

Mal sehen.

Text: Piranhas am Straßenrand, mein tapferer Zeh und ein schwerhöriger Priester: Die Wallfahrt nach Luján (7. Oktober 2014)

Der Rucksack ist gepackt. Hut und Sonnenbrille, Katzenwäschekram und Deospray, Notizblock, Kuli und Kamera, Mate, Isomatte, Schlafsack vom Sohn und Hello-Kitty-Schmusedecke der Töchter, dazu die im Vorjahr auf der 60 Kilometer langen Wallfahrt nach Luján erfolgreich getesteten Dopingmittel »Actron 600« (Schmerztabletten) und »Diclofenac« (Schmerzcreme). Ach ja, und Pflaster.

Mit Cristian am Ende der Wallfahrt nach Luján

> Mit Cristian am Ende der Wallfahrt nach Luján

Am Montagmorgen um fünf Uhr besteigen mein argentinischer Freund, Sherpa Cristian, und ich den 60er-Bus, der uns zum Kilometer 44 der Panamericana bringt. Dort beginnt um sechs unser Fußmarsch nach San Nicolás de los Arroyos. Seit 1985 wird von Buenos Aires dorthin gepilgert, bei der Premiere waren es sechs Leute, mittlerweile sollen 500 bis 1500 Irre auf dieser Strecke unterwegs sein – »mit Glaube und Freude«. Vor uns: vier Tage und 240 Kilometer, mit anderen Worten die unerträglichen Qualen von Luján mal vier.

Oder hoch vier.

Gepäck

Wir verbringen die erste Nacht in Zárate, die zweite in San Pedro (wohl auf dem Gelände zweier Pfarrgemeinden) und die letzte dann in El Paraíso, wobei Das Paradies offenbar keine Stadt ist, sondern eine estación. Also ein Bahnhof? »Frag mich nicht«, sagt Cristian. »Ich bin auch noch nie nach San Nicolás gepilgert, ich weiß genauso viel wie du.« Jedenfalls, am Donnerstag, Punkt 20 Uhr erreichen wir das Heiligtum der Jungfrau Maria, einen auf den ersten Blick eher schmucklosen Tempel.

Ich gehe gut vorbereitet an den Start. Ich habe die letzten Tage nicht mehr unten im Ehebett geschlafen, sondern oben auf der Wohnzimmercouch – Höhenluft reichert bekanntlich die roten Blutkörperchen an – und außerdem viermal meinen Text von der 2014er-Wallfahrt nach Luján gelesen. Macht auch 240 Kilometer.

Ich musste meinen Rucksack allerdings zwischendurch mal absetzen.

Kleines Handicap: Cristian wird mir nicht noch einmal mit seinem Haustürschlüssel die kirschgroße Blase aufstechen. Nicht mal mit meinem Schlüssel.

Robinson Wese, ein Katzenfresser und eine Fähre, die nicht kommt: Unterwegs im Nordosten Argentiniens und in Paraguay (3)

von CHRISTOPH WESEMANN

 

Letzter Tag: Formosa (Argentinien) − Alberdi (Paraguay)

♦♦♦♦♦

Wir Menschen sind so. Wir wollen seit Urzeiten erfahren, was da am Horizont schimmert, wie es hinter dem Berg aussieht, der uns den Blick verstellt, und wer am anderen Ufer lebt. Schon unsere Vorfahren segelten drauflos, ins Unbekannte und Ungewisse, wieder und wieder. Jahrhunderte später umkreisten wir die Erde und landeten in einem Filmstudio auf dem Mond. Ohne unseren Pioniergeist würden wir vielleicht noch immer in Höhlen und Hütten hausen.

Apropos Hütten: Vor mir liegt der Straßenmarkt von Alberdi, und ich breche meine Expedition jetzt ab. Aber ich komme ja gerade vom Schiff, ich habe es schon auf die andere Seite des Río Paraguay geschafft. Den nächsten Schritt sollen andere tun.

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> Auf dem Río Paraguay, kurz vor der paraguayischen Grenzstation

Auf dem Weg zum Straßenmarkt in Alberdi

> Auf dem Weg zum Straßenmarkt in Alberdi

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Es ist bestimmt zwei Jahre her. Mein Freund Pablo war mit einem Pfarrer verabredet, der in der Villa 31, einem berühmten und noch berüchtigteren Elendsviertel von Buenos Aires, als Seelsorger arbeitet. Als wir davor standen, rief Pablo den Geistlichen an und bat um Begleitschutz. Man soll nie allein solche Orte betreten – hinein kommt man natürlich immer problemlos. Ein paar Minuten später holte uns ein junger Mann ab, er trug ein Trikot des Fußballklubs Newell’s Old Boys aus Rosario, mit leichtem Abstand folgte ihm ein etwa Gleichaltriger, auch er sportlich gekleidet, aber nicht elegant. Pablo würde sie später so charakterisieren:

Es gibt Typen, denen du nachts niemals, unter keinen Umständen über den Weg laufen willst. Für diese Jungs galt das auch am Tag.

Nun ist es guter Brauch in Argentinien, Fans und Spieler aus Rosario als »Katzenfresser« (come gatos) zu beschimpfen. Einer Legende nach sollen die Rosarinos nämlich auf diese Weise während der großen Krise von 2001 ihren Hunger gestillt haben.

»Cheeeee1 Katzenfresser, hast du heute schon eine Mieze verspeist?«, brüllte ich zur Begrüßung. Ich wollte beweisen, was ich als Ausländer über Argentinien schon alles weiß. Was ich nicht wusste, war, dass der Newell’s-Fan und sein Begleiter nach jahrelangem Drogenkonsum gerade erst einen Entzug begonnen hatten. Pablo war sicher, unser vermeintlicher Beschützer werde ausrasten und uns aus Rache den schlimmsten Kriminellen der ganzen Villa zum Fraß vorwerfen. Er tat es nicht, aber Pablo erzählt diese Geschichte seitdem allen Leuten, die mich noch nicht für einen boludo2 halten.

Ich fahre dann mal zurück nach Formosa.

Ähm, nichts da. Ich müsse mindestens eine weitere Stunde warten, sagt der paraguayische Grenzbeamte, ich sei ja noch gar nicht in seinem System registriert. Welches System denn, Du Angeber? In Formosa hatte ich umgerechnet zwei Euro für die Fähre nach Alberdi bezahlt. Ich bekam eine eingeschweißte Visitenkarte der Fährgesellschaft, die sich später als Fahrschein erwies. Dann ließ sich ein Opa meinen Reisepass reichen und tippte auf einer mindestens 50 Jahre alten Schreibmaschine meine Daten auf die Passagierliste. Genau so ein verrostetes Ding steht jetzt hier noch mal.

Alberdi 10

»Guck dir den Markt an.«

»Habe ich schon.«

»Du bist gerade erst angekommen.«

»Es sieht nach Regen aus.«

»In Formosa regnet‘s schon. Es kommen erst mal keine Fähren mehr.«

Das ist nicht gut. Ich muss heute zurück nach Buenos Aires und in weniger als drei Stunden zum Flughafen. Aber ein bisschen Zeit ist ja noch.

»Könnte knapp werden«, sagt der Grenzbeamte.

Eine halbe Minute später fängt es an zu schütten. Ich gehe erst mal pinkeln. Die Toilette befindet sich draußen und ist ein bisschen schwer zu finden, aber eine Frau, die neben dem Schalter des Grenzbeamten einen Stand mit Leggins betreibt und auch Sandwiches verkauft, weist mir den Weg. Geh mir weg mit deinen ekelhaften Sandwiches, señora!

Andere Toilette in Alberdi

> Andere Toilette in Alberdi

Es blitzt und donnert.

Wo, zum Teufel, bin ich hier bloß? Die Holztür des Klos steht offen, weil irgendjemand mit einem Schnürsenkel die Klinke an der gegenüberliegenden Wand angebunden hat. Das muss ein nagelneuer, jedenfalls noch nicht entschlüsselter Seemannknoten sein, ich zuppele und zuppele. Hilfe, Hilfe, wenn nicht schnell was passiert, bin ich nicht mehr nur obenherum durchnässt.

Vielleicht sollte ich öfter mit dem Smartphone in der Hand aufs Pinkelndürfen warten müssen. Was man da alles lernt! Alberdi hat laut Wikipedia 7588 Einwohner und ist damit die zweitgrößte Stadt des Verwaltungsbezirks Ñeembucú. Benannt wurde sie nach einem großen Argentinier, dem Anwalt, Juristen, Ökonom, Politiker, Diplomaten, Staatsmann, Schriftsteller und Musiker Juan Bautista Alberdi (1810-1884). Damals gab es offenbar noch Alleskönner. Alberdi gehörte mit anderen argentinischen Intellektuellen wie Justo José de Urquiza, Domingo Faustino Sarmiento und Bartolomé Mitre zur »Generation von 1837«, die für die Demokratie kämpfte. Er ist der Vater der noch heute gültigen Verfassung von 1853. Anders als Mitre, Urquiza und Sarmiento aber wurde Alberdi nie Präsident Argentiniens. Im Tripel-Allianz-Krieg stand er auf der Seite Paraguays, ach, deshalb die Ehre. Der Tripel-Allianz-Krieg war der von 1864 bis 1870 dauernde Kampf …

Ah, eine Frau kommt, offenbar die Eigentümerin der Toilette. Sekundenschnell löst sie den Knoten, und ich verhandele gar nicht erst, sondern zahle direkt fünf Pesos, umgerechnet 50 Cent.

Keine Fähre wird kommen.

> Keine Fähre wird kommen.

Mittlerweile ist der Strom ausgefallen. Clever, wie ich bin, setze ich mich unauffällig in die Nähe des Legginsstands, wahrscheinlich bricht schon bald der große Ansturm auf die Sandwiches los. Ich will Käse-Schinken! Außerdem besitzt die Frau eine Taschenlampe, das kann heute noch kriegsentscheidend sein.

Einer der Gestrandeten erzählt, drüben in Formosa klare der Himmel angeblich schon wieder leicht auf. Wenn ich das hier überlebe, schreibe ich einen Abenteuerroman. Freitag ist heute auch, das passt ja.

Soll ich schon resümieren? Doch, es hat sich gelohnt, hierher zu reisen. Ich liebe Buenos Aires, ich werde Buenos Aires immer lieben. Aber dort lebend, vergisst man leicht, dass die Stadt nur ein winziger Teil dieses Riesenlandes ist und wahrscheinlich der am wenigsten südamerikanische.

Die Tangosängerin und -komponistin Eladia Blázquez (1931-2005) hat ihre Liebe zu diesem Land und seinen Leuten einst so erklärt:

Wie könnte ich leben, ohne dich zu sehen,
da ich doch weiß: ich gehöre hierher,
wo das Gefühl stets mehr zählt als der Verstand.
Denn Argentinien hat verrückte Schwalben im Herzen,
dort malt sich die Hoffnung immer wieder neue Farben aus
und werden die Menschen nicht müde zu träumen und zu lieben.

Zitat aus dem Reiseführer von Jürgen Vogt: »Argentinien mit Patagonien und Feuerland«

Der Porteño schaut gern mitleidig oder gar abschätzig aufs interior, das Hinterland, und sieht dort alles, was er nicht braucht: schlechten Fußball, unbefestigte Straßen, schmuddelige Restaurants, Hinterwäldlertum auf zwei Beinen, ein kollektives Schlurfen durch den Alltag.3 Langsamer geht es im Nordosten in jedem Fall zu, ich fühle mich regelrecht entschleunigt nach vier Tagen. Nur: Notorisch unpünktlich sind im Prinzip alle Argentinier − die in Buenos Aires allerdings hetzen sich beim Zuspätkommen auch noch ab.

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> Ankunft in Alberdi: die Grenzstation auf dem Río Paraguay

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Die Fähre kommt! Es wird voll werden, aber gegen Nähe habe ich mittlerweile nichts mehr. Gestern Nachmittag, auf der Rückfahrt von Resistencia nach Formosa, schlief im Bus sogar ein kleines paraguayisches Mädchen, drei oder vier Jahre alt, an meiner Schulter. Seine Mutter lag weiter hinten, verteilt über beide Sitze.

Herrschaften, ist das ein Geschnatter an Bord. Holt doch mal Luft! Der Frauenanteil auf diesem Kahn liegt bei mindestens 90 Prozent – der Rest: Bettdecken in durchsichtigen Tragetaschen und ich. Ein Baby hat die Füße auf meinem Schoß gelegt, und jetzt packt seine Mama ihre Brust aus und beginnt zu stillen. Ich halte mal die drei Einkaufstüten so lange, ja? Ach was, kein Problem.

Kannste nicht erfinden.

Alberdi 9

17.36 Uhr. Ich bin tatsächlich pünktlich am Flughafen − das Flugzeug leider nicht. Es steht noch in Buenos Aires. Liegt bestimmt am Unwetter. Zum Glück habe ich Mate dabei.

18.49 Uhr. Für zehn Sekunden Stromausfall im gesamten Flughafen; völlige Dunkelheit.

18.55 Uhr. Um neun soll das Flugzeug starten. Also, in Buenos Aires. Ich könnte natürlich für ein paar Stunden zurück ins Zentrum von Formosa. Aber dann kommt das Flugzeug doch früher an als erwartet. Murphys Gesetz und so. (Argentinien ist sein Lieblingsland.)

19 Uhr. Wie man hört, streiken ein paar Angestellte von Aerolineas Argentinas, um 40 Prozent mehr Lohn zu bekommen und nicht bloß die vereinbarten 25. Das kann eine lange Nacht werden.

19.13 Uhr. ‘Ne Durchsage! Seid doch mal leise! Ruhe dahinten! Der Flug ist gestrichen. Rudelbildung am Check-in-Schalter. Ich bin bereit, die Meute anzuführen. Holt eure Mistgabeln, Leute. Zapft Benzin ab, so viel ihr könnt. Macht kaputt, was euch kaputt macht. Anarchie ist machbar, Herr Nachbar.

19.25 Uhr. Wir sind zu müde für Randale, und morgen Früh um elf kommt ja ein großes Flugzeug. In das passen wir dann alle rein. Verspricht die arme Sau am Check-in-Schalter.

19.27 Uhr. Halt. Morgen ist ja Sonnabend. Da kommt vielleicht doch kein großes Flugzeug. Benzin! Und Mistgabeln! Und Mist! ¡Qué se vayan todos!4

19.35 Uhr. Ich hätte noch viel länger in Alberdi bleiben können.

 

Allerletzter Tag

♦♦♦♦♦

14.35 Uhr. Die Maschine landet mit zwei Stunden Verspätung in Buenos Aires. Wie sich Zivilisation anfühlt? Nun, der Taxifahrer rast mit neunzig durch die Straßen der Hauptstadt, sieben Minuten brauchen wir vom Flughafen bis zur Haustür.

Nie war ich schneller zu Hause.

  1. argentinisch für »hey« []
  2. Schwachkopf oder Depp []
  3. All das kennt der Porteño natürlich auch aus seiner eigenen Stadt. []
  4. »Alle sollen sie verschwinden!«; Schlachtruf der Proteste während der Krise 2001 gegen die Politiker []

Eine Schule für Diebe, der Polizist, der Deutschen vertraut, und ein überfahrener Hund: Unterwegs im Nordosten Argentiniens (2)

von CHRISTOPH WESEMANN

Dritter Tag: Resistencia, Hauptstadt der Provinz Chaco

♦♦♦♦♦

Müllsammler (cartoneros) in Resistencia

> Müllsammler (cartoneros) in Resistencia

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Um 6.37 Uhr stoppt der Bus. Licht an. Ein Polizist tritt ein. Er will einmal durchgehen, müsste dafür aber über eine Tasche steigen, die im Gang steht. Das tut er nicht.

»Deine?«

»Häh?«

Ich bin gewöhnlich weniger, zugegeben: nur ein bisschen weniger, begriffsstutzig. Aber gerade erst ist es mir halbwegs gelungen, die Frage zu beantworten, die ich mir vor einer halben Stunde gestellt hatte, nämlich, warum ich überhaupt in diesem Bus sitze.

»Gehört dir die Tasche, Chef?«

Es ist wohl wegen Jorge Capitanich. Ich hatte ja ziemlich große Pläne mit ihm. Ich wusste damals gleich, dass sein neuer Posten als Kabinettschef der gesundheitlich angeschlagenen Präsidentin Cristina Kirchner nicht das Ende seiner politischen Karriere sein würde. Das war ein Sprungbrett! Natürlich hatte er, das räumte ich auch ein, bislang nur Chaco regiert, eine der rückständigsten Provinzen des Landes, in der einer Studie zufolge 71 Prozent der Kinder und Jugendlichen arm sind. »Aber Capitanich ist kein Bürokrat wie sein Vorgänger, sondern ein Macher, und er hat Cristina öffentlich stets verteidigt«, schrieb ich. »Nun soll er mitführen und sie entlasten, weil klar ist, dass sie ihr altes Arbeitspensum vorerst nicht schaffen wird. Zum ersten Mal gibt sie Macht ab. Und der Mann, mit dem sie sie teilt, könnte 2015 als Präsident kandidieren, um die kirchneristische Politik fortzusetzen.«

Für mich klang das logisch. Das war am 21. November 2013. Später entdeckte ich, dass er sogar schon Wirtschaftsminister gewesen war. Drei Tage lang. Vom 21. bis 23. Dezember 2001.

Mittlerweile ist Capitanich, genannt Coqui, kein Kabinettschef mehr – und Präsidentschaftskandidat schon mal gar nicht. Er hat eine Weile die beste Witzfigur der argentinischen Politik abgegeben, sein allmorgendliches Gestammel, deklariert als Pressekonferenz, wurde legendär, einmal zerriss er vor den Kameras sogar Seiten der oppositionellen Zeitung Clarín, damit das »argentinische Volk« erfahre, von wem es belogen werde, wie er sagte.

15 Monate nach meinem Text verbannte ihn Cristina Kirchner zurück in seine Provinz. Er ist jetzt wieder, was er schon gewesen war, bevor er sich beurlauben ließ, um Kabinettschef zu werden: Gouverneur von Chaco. Aber seine Amtszeit endet, und weil er nicht wiedergewählt werden darf, will er wenigstens Bürgermeister der Hauptstadt Resistencia werden. Dorthin fahre ich gerade. Ich will mir Coquis Reich angucken.

Die Tasche, richtig. Ich zeige auf den Mann neben mir. Der schläft noch, wird aber vom Polizistenzeigefinger augenblicklich angetippt und aufgeweckt. Er scheint auch gerade an Capitanich gedacht zu haben.

»Häh?«

»Darf ich die Tasche öffnen?«, fragt der Polizist noch einmal.

Kontrollen an den Provinzgrenzen sind üblich in Argentinien, auch Autofahrer werden nach Belieben angehalten. Die Polizisten fragen nach dem Ziel der Reise, lassen sich Pässe, Führerscheine und Fahrzeugpapiere zeigen, öffnen auch mal den Kofferraum und wünschen dann eine gute Fahrt.

Gestern auf der Rückfahrt aus Asunción, kurz hinter der Grenze, hat eine Frau aussteigen und neben der Straße ihre drei Riesenkoffer ausleeren müssen. Dabei sah sie gar nicht aus wie eine Schmugglerin.

Für mich hatte sich der Polizist gar nicht interessiert.

»Ich habe ein paar Geschenke gekauft, sonst nichts«, hatte ich gesagt und ihm meinen Reisepass gereicht. Ich wollte den Rucksack öffnen, als er abwinkte. »Du bist Deutscher. Lass gut sein.«

In dieser Tasche nun ist offenbar nichts, das nicht sein darf. Der Polizist verschließt sie wieder, erkundet den Gang bis zum letzten Sitz, ruckelt noch einmal an der Gepäckablage und geht dann ab. Licht aus. Augen zu.

Zwischen meinem Quartier in Formosa und Resistencia liegen 160 Kilometer reines Nichts. Mehr als eine Million Menschen leben in der Provinz Chaco, aber sie ist auch fast so groß wie Bayern und Baden-Württemberg zusammen. Es gibt beim Blick aus dem Busfenster keine Ortschaften oder Dörfchen, hie und da immerhin steht eine Hütte schief am Wegesrand.

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Chaco wurde auch erst spät, am 8. August 1951, per Gesetz 14 037 zur Provinz erklärt – unter dem Präsidenten Juan Domingo Perón. Ein halbes Jahr darauf, wiederum per Gesetz, erhielt sie den Beinamen Provincia Presidente Perón.

Ich bin nun in 16 der 23 Provinzen gewesen. Das sind mehr, als jeder Argentinier besucht hat, den ich kenne. Die fahren aber auch immer nur an den Atlantik, ans mar Argentino, das argentinische Meer, oder nach Punta del Este, dem Schnöselbadeort in Uruguay. Mir fehlen noch: Catamarca, Feuerland, La Rioja, San Juan, Santa Cruz, Santiago del Estero und Tucumán.

Die Evita-Statue auf der Plaza 25 de Mayo

> Die Evita-Statue auf der Plaza 25 de Mayo

Über Santiago del Estero und Tucumán erzählt der Aufgeweckte neben mir einen erstklassigen Witz. Seine Oma war Paraguayerin, der Opa kam aus Polen nach Argentinien. Eine tolle Mischung, findet er. Wir unterhalten uns über das mitunter schwierige deutsch-polnische Verhältnis, über die Kriege und die Verbrechen, die Vorurteile vieler Deutscher, die Polenwitze der neunziger Jahre. Werbung des polnischen Fremdenverkehrsverbandes: »Kommen Sie im nächsten Urlaub nach Polen − Ihr Auto ist schon da.«

Hier mache man solche Witze über die Leute aus Tucumán, sagt er. Die Tucumanos hätten nämlich den Ruf, Diebe zu sein. In der Provinz habe es vor 100 Jahren sogar eine Schule gegeben, an der das Stehlen unterrichtet worden sei.

»Ist das der Witz?«

»Nein, die Schule gab es.«

»Nicht wahr!«

»Ich schwör’s dir.«

»Dann erzähl mir mal einen Tucumán-Witz.«

»Bueno. Du weißt sicher, dass Santiago del Estero eine sehr arme Provinz ist, ¿no?«

»Sí. Und in Tucumán essen sie Mandarinen wie die Irren − wenn Saison ist: jeder Tucumano 20 bis 30 pro Tag. Hat mir mein Sohn erzählt, und der war schon da.«

»Kann sein. Also: Treffen sich ein Tucumano und ein Santiagueño. Der Tucumano sagt: ,Ach ihr, ihr habt ja nicht mal Asphalt auf euren Straßen.‘ – ,Stimmt gar nicht‘, erwidert der Santiagueño. ‚Wir haben Asphalt, aber wir bedecken ihn mit Erde, damit ihr uns den nicht klauen könnt.‘«

Resistencia te quiere, heißt der Slogan der Hauptstadt, in die wir gerade einfahren. Sie hat dich also gern. Sagen wir’s so, man glaubt es ihr nicht auf Anhieb. Resistencia empfängt Gäste wie fast jede andere Stadt in Argentinien: ungewaschen und ungeschminkt, insgesamt labil. Man fährt zunächst durch eine Art Gewerbegebiet, viele Autowerkstätten, einige Autoreifenbuden, nicht ganz so viele Autowaschanlagen, dann noch mal alles zusammen unter einem, nun ja, Dach, mit angeschlossenem Imbissstand, bevölkert von Männern, die changas suchen, Gelegenheitsarbeit, und Frauen mit kleinen Karren voller Thermosflaschen, um Tee und Kaffee zu verkaufen.

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Die Provinz Chaco ist, wie der gesamte Norden und Nordosten Argentiniens,  eine Hochburg der Schwarzarbeit. Selbst das Statistikamt Indec, das auf Wunsch der Regierung unangenehme Zahlen gern aufhübscht oder ganz verschweigt, schätzt sie auf 43 Prozent im Großraum Resistencia (letztes Quartal 2014; landesweit: 34 Prozent). Allerdings hat die Region laut Indec mit 0,6 Prozent auch die geringste Arbeitslosenquote Argentiniens, es herrscht: »Vollbeschäftigung«.

Hunderte – viele Frauen mit Kindern – stehen an diesem Tag vor Ämtern und Banken, um sich ihre Zuschüsse abzuholen, und man selbst erstarrt augenblicklich vor diesen reglosen Schlangen. Schaut man ihnen lange genug zu, zucken sie kurz, dann geht es ein paar Schritte vorwärts. Stunden werden die Leute ganz hinten brauchen, bis sie dann drin. Eine voll beschäftigte Provinz.

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Sitz der Provinzregierung von Chaco in Resistencia

> Gouverneurssitz in Resistencia

Die Frau im Tourismusbüro empört sich professionell darüber, dass ich heute Resistencia gleich wieder verlassen werde. »Nur ein Tag? Das ist so schade.«

»Eigentlich bleibe ich nur drei, vier Stunden.«

»Aber bei uns gibt es doch sehr viel!«

Das weiß ich, señora. Die Plaza 25 de Mayo ist eine der größten Argentiniens, mehr als vier Hektar misst sie. Außerdem hat das Parlament Resistencia vor Jahren zur Capital Nacional de las Esculturas ernannt. Es stehen nämlich 606 Skulpturen in den Straßen und Parks der Stadt, und gefühlte 250 davon werden mir gerade nacheinander intensiv ans Herz gelegt.

Eigentlich wollte ich nur einen Stadtplan schnorren.

»Man kann sich für zwei Stunden ein Fahrrad ausleihen. Kostenlos.«

»Oh, das ist toll.«

»Wollen Sie?«

»Nein.«

»Aber unseren Fernando, den müssen Sie besuchen!«

Der Hund Fernando

> Der Hund Fernando

Herrje, den Köter hätte ich fast vergessen. Fernando streunte Ende der Fünfziger, Anfang der Sechziger um die Plaza und besuchte Bars und Konzerte, bis er ganz berühmt war. Angeblich inspirierte er die Bürger zu Tagträumen, und der Chef einer Bank soll ihn jeden Morgen zum Frühstück eingeladen haben. »In einer Stadt, die den Künsten verpflichtet ist, galt Fernando als eine (haarige) Künstlerexistenz«, schreibt der Reiseführer. Am 28. Mai 1963 wurde er allerdings von einem Auto angefahren und starb. Das städtische Orchester spielte einen Trauermarsch, und die Leute schlossen aus Respekt ihre Fensterläden. Fernandos Begräbnis soll das meistbesuchte in der Geschichte Resistencias gewesen sein. Zwei Skulpturen erinnern an ihn.

Es tut mir leid für Resistencia und die Frau, die alles unternimmt, um mich zu begeistern. Ich habe leichte Motivationsprobleme, ich fühle mich sehenswürdigkeitensatt: Drei Städte, zwei argentinische Provinzen, ja zwei südamerikanische Länder in drei Tagen, das ist zu viel. Heute bin ich um halb fünf aufgestanden, um zum Bahnhof zu fahren. Die Bustouren nerven mittlerweile auch. Gestern acht Stunden, heute mindestens sechs, ich lebe ja praktisch im Oberdeck von Nueva Godoy.

»Danke für die Hilfe und den Stadtplan. Ich gehe gleich zu Fernando.«

Ich laufe noch ein bisschen ziellos herum.

Trikotverkauf im Zentrum von Resistencia

> Trikotverkauf im Zentrum von Resistencia

> Skulptur zu Ehren der ersten italienischen Einwanderer

> Skulptur zu Ehren der ersten italienischen Einwanderer

Dritter Teil: Robinson Wese, ein Katzenfresser und eine Fähre, die nicht kommt − von Argentinien nach Paraguay und zurück

Faule Gnocchi, Frauenüberschuss und ein kleines Krokodil zum Abendessen: Unterwegs im Nordosten Argentiniens und in Asunción (1)

von CHRISTOPH WESEMANN

 

Erster Tag: Formosa

♦♦♦♦♦

Sollten Sie, lieber Leser, eines Tages mit mir, aus Gründen, über die ich an dieser Stelle nicht spekulieren will,1 gemeinsam in der Wüste landen − keine Sorge, die Oase würde ich wohl finden. Falls Sie aber zu den Pyramiden wollen, die gar nicht zu verfehlen sind, fragen Sie bitte jemanden mit Orientierungssinn.

Es ist mein erster Tag im argentinischen Nordosten, ich bin 1200 Kilometer entfernt von Buenos Aires und suche die goldene Perón-Statue. Seltsamerweise stehe ich im Augenblick allerdings vor der Coca-Cola-Fabrik.

Perón-Statue in Formosa

> Perón-Statue in Formosa

Das mexikanische Unternehmen Arca Continental, dem sie gehört, ist einer der wenigen echten Arbeitgeber in der Hauptstadt Formosa und der gleichnamigen Provinz. Die 400 Jobs im Abfüllwerk sind gut bezahlt und entsprechend begehrt. Denn eine nennenswerte Industrie gibt es nicht, und Formosas Tourismus ist auch noch keine Branche, nur Slogan: »El Imperio del Verde«, das Grüne Imperium.

Wichtiger als Coca-Cola ist nur der Staat.

95 Prozent des Provinzhaushalts bezahlt die Nationalregierung. Hilfe säen, Treue ernten, so haben es auch die Vorgänger der Präsidentin Cristina Kirchner gehalten. Deren linksperonistische Siegesfront (Frente para la Victoria) erreichte bei den Parlamentswahlen vor eineinhalb Jahren 60 Prozent in Formosa – fast doppelt so viel wie im Landesschnitt. Bei ihrer triumphalen Wiederwahl 2011 hatte Kirchner hier gar 78 Prozent geholt – landesweit kam sie auf 54.

Cristina Kirchner spricht in Buenos Aires und ist in Formosa zu sehen.

> Cristina Kirchner spricht in Buenos Aires und ist in Formosa zu sehen.

Vier Tage habe ich Zeit, um Formosa und Chaco zu bereisen, jenen Teil des argentinischen Nordostens, den ich noch nicht kenne. Misiones und Corrientes, die beiden anderen Provinzen des NEA, habe ich vor zweieinhalb Jahren mit dem Auto durchquert. Vier Tage, lächerlich. Formosa ist die fünftkleinste Provinz und trotzdem größer als der Freistaat Bayern – ein weites, weitgehend leeres Land mit nur 580 000 Einwohnern.

Der goldene Perón muss hier irgendwo sein. Ich sehe ihn noch nicht, fühle ihn aber. Jeder Argentinier ist ja laut Perón Peronist, einige wissen es nur nicht. »Wir Peronisten sind wie Katzen«, hat der General gesagt. »Wenn wir schreien, glaubt man, wir würden streiten. In Wahrheit pflanzen wir uns fort.« Unmöglich, dass ich den Kerl nicht finde; das glaubt mir doch kein Peronist.

In Buenos Aires haben viele Leute den Kopf geschüttelt. Was will man in Formosa? Dort gibt’s doch nichts. Nichts außer Schmugglern, die Waren aus Paraguay – vor allem Fernseher und Mobiltelefone – auf den argentinischen Markt bringen, weil der für derlei Produkte wegen der Importrestriktionen unverschämte Preise verlangt. Zigaretten? Natürlich. Andere Drogen? Ja, auch.

Biertransport über den Río Paraguay

> Biertransport über den Río Paraguay

Übrigens hat sich der Taxifahrer auf dem Weg vom Flughafen, den Formosa tatsächlich besitzt, zum Hotel sehr böse ausgelassen über die Porteños, die Hauptstädter. »Porteños wissen alles. Deshalb mögen wir sie auch nicht«, sagte er. »Wenn du dich in Buenos Aires nicht auskennst, bist du aufgeschmissen. Dann fährt dich der Taxifahrer zehnmal im Kreis. Fragst du jemanden nach dem Weg, zeigt der hier lang, obwohl du da lang musst. Aber immer weiß er alles, der Porteño.«

Keiner − keiner außer den Porteños, versteht sich − mag die Porteños, so ist das in Argentinien. Und je weiter man sich von ihnen entfernt, umso übler wird ihr Ruf. Hier in Formosa ist die argentinische Hauptstadt in vielerlei Hinsicht sehr weit weg. Die meisten Formoseños kennen sie vor allem aus den Nachrichten oder vom Hörensagen, und über solche Kanäle exportiert Buenos Aires reichlich Geschichten über Mord und Totschlag an jeder Straßenecke. Die Metropole ist ein Moloch, bevölkert von arroganten, egoistischen und kaltherzigen Kreaturen, die überdies mehr Europäer sein wollen als Latinos. In Formosa ist jeder zweite Mestize, also Nachfahre von Weißen und Indigenen. Man lebt viel ruhiger, sagen sie und meinen auch: Wir versuchen nicht, uns 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche gegenseitig übers Ohr zu hauen.

Grenzübergang am Río Paraguay von Formosa nach Alberdi

> Grenzübergang am Río Paraguay von Formosa nach Alberdi

Puerto Formosa 2

Auch geografisch liegt anderes näher als Buenos Aires: Paraguays Hauptstadt Asunción erreicht man mit dem Auto in zweieinhalb Stunden und mit dem Bus in vier. An Formosas Uferpromenade fahren halbstündlich Barkassen über den Río Paraguay nach Alberdi, dem Grenzort des Nachbarn. Dort kaufen Argentinier gerne ein, weil’s drüben billiger ist, und die Paraguayer schicken dafür ihre Kinder in Formosa zu Schule und lassen sich im Hospital de Alta Complejidad »Presidente Juan Domingo Perón« gesund machen (was nicht jedem Argentinier gefällt).

»Ufff, da hast du dich aber ganz schön verlaufen«, sagt der Mann an der Bushaltestelle. »Also, geh mal zehn Blocks geradeaus, nein elf, dann kommt eine große Kreuzung, und dort biegst du rechts ab, gehst zwei Blocks und danach …«

Immer geradeaus, dann sehen wir weiter.

»Warte, mein Chef kommt gerade«, ruft er hinterher. »Sollen wir dich an der Plaza absetzen?«

»Sicher?«

»He, du bist nicht in Deutschland. In Formosa haben wir Vertrauen zu den Leuten.«

Ich finde es ja schön, dass ihr mir vertraut, wirklich, das ehrt mich. Aber die Frage ist doch: Soll ich auch euch vertrauen?

Evita-Denkmal im Stadtzentrum von Formosa

> Evita-Denkmal im Stadtzentrum von Formosa

Sportplatz in Formosa in der Nähe der Uferpromenade

> Sportplatz in Formosa in der Nähe der Uferpromenade

Formosa ist, je nach Statistik, die ärmste, die zweitärmste oder die drittärmste aller 23 argentinischen Provinzen. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist das zweitniedrigste nach dem des Nachbarn Chaco und liegt mit 2879 Dollar weit unter dem Schnitt (8269; Deutschland: 40 000). Studien zufolge sind mindestens sechs von zehn Formoseños beim Staat angestellt, was selbst in diesem Land, dessen Bürgermeister, Gouverneure, Minister und Präsidenten immer auch Jobvermittler sind, ein überragender Wert ist.

Freilich, nicht alle Staatsangestellte arbeiten auch für den Staat. Argentinien ist ja voller ñoquis (Gnocchi), Leuten, die zwar offiziell beschäftigt werden, in irgendeiner Behörde oder im Rathaus, aber nur am Monatsende zur Arbeit kommen, wenn der Lohn verteilt wird. Der Spitzname leitet sich ab von den Ñoquis del 29, einem alten argentinischen Brauch, wonach die Familie am 29. des Monats Gnocchi isst, weil das Geld in der Haushaltskasse nicht mehr für eine bessere Mahlzeit reicht.

»Danke fürs Mitnehmen, muchachos

Der Straßenmarkt der Paraguayer (Formosa)

> Der Straßenmarkt der Paraguayer

Ich gehe jetzt ein bisschen spazieren, kaufe den Paraguayern auf dem Markt ein paar CDs mit argentinischer Rockmusik ab und lege mich dann früh schlafen. Morgen muss ich fit sein.

Die neue Uferpromenade von Formosa

> Die neue Uferpromenade von Formosa

Zweiter Tag: Asunción

♦♦♦♦♦

Hätte ich doch weniger Bier getrunken. Oder wenigstens schneller. Nicht bis Mitternacht. Aber Emilio hatte mich überredet, mit Blick auf den Río Paraguay zwei Delikatessen der regionalen Küche zu kosten: als Vorspeise trozos de yacaré rebozados en harina y huevo, den Brillenkaiman aus der Familie der Alligatoren, paniert mit Mehl und Ei; und als Hauptgang Surubí al paquete, den in Folie eingewickelten Pseudoplatystoma aus der Familie der Antennenwelse. Mein erster Abend in Formosa: viel Bier, ein knuspriges kleines Krokodil und ein gut geölter Süßwasserfisch.

Surubí al paquete

> Surubí al paquete

Jetzt, um 3.45 Uhr, klingelt mein Wecker. Ich habe nicht mal Kaffee da, und die Hotelküche ist noch geschlossen, also trinke ich zwei Tassen Cola. Die Dusche gibt kein warmes Wasser. Vielleicht bin ich auch zu blöd, die drei Knäufe zu bedienen, bei mir kommt jedenfalls nur kaltes oder gar kein Wasser. Um halb fünf stehe ich vor dem Hotel. Emilio hat einen Bekannten, der nachts Taxi fährt und mich zum Busbahnhof bringen wird.

Fünf Uhr. Um den Bus nach Asunción nicht zu verpassen, kümmere mich jetzt mal selbst um ein Taxi. »In diesem Land hat man immer das Gefühl, gleich geschieht was Schreckliches, und dann geschieht gar nichts«, lässt der argentinische Schriftsteller Tomás Eloy Martínez (1934-2010) eine Figur seines Romans Der Flug der Königin sagen. »Alles wird weitergehen wie bisher, du wirst schon sehen.«

Wollen wir hoffen, dass die anderen Passagiere genauso müde sind wie ich immer noch.

Busbahnhof von Formosa

> Formosas Busbahnhof morgens um halb sechs

»¡Señor! ¡Señor!«

Kann die verfluchte Alte bitte nicht so brüllen?

»¡Seeeeñññoooorrr! ¡Seeeeñññoooorrr!«

Oder kann sie der verdammte Señor mal hören?

»¡Seeeeeeññññoooooorrrrr! ¡Seeeeeeeññññoooooorrrrr!«

Ach Gott, die meint mich. Ich muss zwei Stunden durchgeschlafen haben, wir haben jedenfalls die paraguayische Grenze schon erreicht. Nur noch die freundliche Señora, ihre Tochter und ich sind im Bus. Das Mädchen, vielleicht elf Jahre alt, schaut mich verängstigt an. Wenn ich Glück hatte, habe ich nur laut geschnarcht. Mein Kinn ist allerdings ein bisschen feucht, das deutet auf sinnloses Gebrabbel im Schlaf hin – mit falscher Spanischgrammatik und schwerem Akzent. Beruhig dich, Kleines. Der alte weiße Mann ist okay.

> Argentinisch-paraguayische Grenze in der Stadt Clorinda

Paraguay 3

Ich bin der Letzte in der Schlange und stehe auch am Schalter wieder länger als alle anderen. Der Grenzbeamte studiert seelenruhig alle Aus- und Einreisestempel; ich habe bolivianische, chilenische, brasilianische, uruguayische, viele argentinische, dazu noch ein paar aus der Ukraine. Señor, ich will nur Asunción angucken. Ja, ich komme heute Abend zurück. Exactamente, ich lebe in Argentinien. , schon ‘ne ganze Weile. (Du hast doch all meine Visa, auch die abgelaufenen, zwei Minuten lang angeglotzt, ¡boludo!2)

Ringsherum sind die Geldwechsler unterwegs, einen Bündel Scheine in der Hand. Amigos, ich habe schon Guaraníes. 207 000! Emilio hat sie mir gestern Nacht geliehen, damit ich nicht bei euch Geiern zum miesen Kurs wechseln muss, sondern erst mal mit dem Taxi ins Zentrum fahren kann. 207 000 Guaraníes sind bei einem Peso-Wechselkurs von 1:380 … nee, das kann ich natürlich zu dieser frühen Stunde nicht … also irgendwas um 500 Peso vielleicht … also 50 Euro. Die Geldwechsler waren vorhin auch schon im Bus, ich habe sie im Halbschlaf gehört. Das war kein Traum, ich erinnere mich genau.

Puh, geschafft. Ich leg mich noch mal hin, lese ein bisschen und warte darauf, dass ich wegdöse.

Der Flug der Königin, erschienen 2002, verwebt die Geschichte der unglücklichen Liebe zwischen einem Chefredakteur und einer jungen Journalistin mit dem politischen Geschehen im korrupten Argentinien der späten neunziger Jahre, kurz vor dem Zusammenbruch. Tomás Eloy Martínez ist ein brillanter Erzähler.

»¡Venga!«

Der Busfahrer ist extra ins Oberdeck gestiegen. Mehr sagt er nicht. Ich soll nur mitkommen. Hoppla, offenbar habe ich zwar Argentinien verlassen, mich aber nicht von den Paraguayern aufnehmen lassen. Kann doch mal passieren, oder?

Na ja, sagt der Blick des Busfahrers.

Neben dem Schalter ist das Büro der paraguayischen Polizei, da muss ich jetzt auch noch schnell Hallo sagen, weil auf der Passagierliste des Busunternehmens hinter einem Namen das Häkchen fehlt. Sitzplatz 24. Ja, der bin ich.

Abfahrt.

> Der Río Paraguay und die Skyline von Asunción

> Der Río Paraguay und die Skyline von Asunción

Mein Freund Pablo schickt mir eine Nachricht. »Pass bloß auf«, schreibt er. »Die Paraguayerinnen sind äußerst warmherzig und die schönsten Frauen nach den Argentinierinnen.«

In Asunción herrscht Frauenüberschuss, wie es typisch ist für südamerikanische Metropolen. Hotels, Cafés und Restaurants, die weibliche Servicekräfte brauchen, sind auf dem Kontinent weitgehend ein Großstadtphänomen; hinzu kommt eine Wohlstandsschicht, die die Arbeit im Haushalt gern outsourct und sich bedienen lässt. Die Stadt gehört, demografisch gesehen, den Jungen: Mehr als die Hälfte aller Bewohner sind noch keine 30 Jahre alt; nur jeder zehnte hat die 60 schon überschritten.

Der Großraum Asunción ist auch einer der 20 großen Ballungsgebiete Südamerikas. Mehr als zwei der 6,7 Millionen Paraguayer leben hier. Täglich, so schätzt man, fahren 2,1 Millionen Menschen und mehr als 300 000 Fahrzeuge hinein in die Hauptstadt. Offiziell heißt sie übrigens: La Muy Noble y Leal Ciudad de Nuestra Señora Santa María de la Asunción, die sehr noble und treue Stadt unserer Heiligen Jungfrau Mariä Himmelfahrt. Asunción ist auch eine der ältesten spanischen Städte des Kontinents, gegründet 1537, eineinhalb Jahre nach Buenos Aires.

Ich kenne überhaupt keine andere paraguayische Stadt.

Der bekannteste Paraguayer?

Für mich: Roque Santa Cruz.

 

Der Polizist vor dem Busbahnhof meint, das Taxi ins Zentrum werde ungefähr 50 000 Guaraníes kosten. Mhhmm, das macht, du hast es gleich, fuffzig durch dreikommaacht, sagen wir: vier, la puta madre,3 ist das ein Wechselkurs de mierda, fuffzig durch vier sind zwölf, und jetzt noch die Nullen hinten dran, la concha de mi hermana,4 so schwer ist das doch … ach komm, gib auf, unmöglich. Versucht hast du‘s ja.

Die paraguayische Nationalbank im Stadtzentrum von Asunción

> Die paraguayische Nationalbank im Stadtzentrum von Asunción

Palacio de los López, der Präsidentenpalast

> Palacio de los López, der Präsidentenpalast

Das Nationalparlament

> Das Nationalparlament

Paraguay 9

Catedral Metropolitana, Bischofskirche des Erzbistums Asunción

> Catedral Metropolitana, die Bischofskirche des Erzbistums Asunción

Ich beschließe, mich treiben zu lassen. Kein Stadtplan. Mir bleiben ohnehin nur fünf, sechs Stunden, bis der Bus zurückfährt, und ich weiß ja ungefähr, was ich sehen will: das Parlamentsgebäude, die Kathedrale, den Panteón de los Héroes, in dem die Reste der Kriegshelden aufbewahrt werden, den stillgelegten Hauptbahnhof von 1861 und natürlich den Palacio de los López, den Präsidentenpalast. Seit zwei Jahren regiert dort der Konservative Horacio Cartes, ein gelernter Flugzeugmechaniker und Tabakbaron.

Auf dem Heldenplatz, der Plaza de los Héroes

> Auf dem Heldenplatz, der Plaza de los Héroes

Paraguays Ruf ist ja nicht der beste: Armut, Schulden, Korruption und Ungleichheit – von all dem hat das Land reichlich, mehr als viele andere Länder. Selbst für südamerikanische Verhältnisse soll es bisweilen ziemlich gesetzlos zugehen, und die Vetternwirtschaft hat ohnehin eine lange Tradition. In unguter Erinnerung sind auch die 35 Dienstjahre des Präsidenten Alfredo Stroessner (1954-1989). Der Sohn eines Buchhalters aus Oberfranken und einer Guarani-Indianerin war ein glühender Antikommunist und Tyrann, was erfahrungsgemäß keine angenehme Kombination ist. Stroessner ließ Widersacher foltern und trieb eine Million Landsleute ins Exil. Franz Josef Strauß verlieh ihm 1973 den Bayerischen Verdienstorden.

Ich kaufe doch mal einen Stadtplan. Wegen Pablos Auftrag sehe ich mittlerweile bloß noch Banken und Geldautomaten. Aber ich fühl mich wohl, ich bin vielleicht sogar verliebt, ein kleines bisschen. Eine Großstadt, die nicht unaufhörlich brüllt –  so etwas kennt man nach fast drei Jahren in Argentinien ja gar nicht mehr. Asunción ist jedenfalls zur Mittagszeit leiser als Buenos Aires nachts um drei, und das liegt nicht bloß an der Müllabfuhr, die dann durch unsere Straße rumpelt. (Also, jede Nacht um drei.) Hier ist es, als ob man Ohrenstöpsel trüge, so gedämpft erzählt Asunción von sich.

Der Stadtplan kostet 20 000 Guaraníes. Bestimmt ein Schnäppchen. ¡Vamos!

Polizistenverschnaufpause

> Polizistenverschnaufpause

Argentinier im Allgemeinen halten eher wenig von ihren Nachbarn – und trotzdem viel mehr als die umgekehrt von ihnen. Auf die Bolivianer, Brasilianer, Chilenen, Paraguayer und Uruguayer wirken sie überheblich und laut. Der Argentinier, heißt es, fällt, das Trikot seines Fußballklubs stets am Leib, ins fremde Land ein, flucht unaufhörlich und fordert: Bewundert mich!

Es ist kein Geheimnis: Argentinier bilden sich auf ihre Herkunft viel ein, obwohl es mit dem Land im Grunde seit 80, 90 Jahren − die Spanier sagen: seit dem 9. Juli 1816bergab geht. »Wenn ich abends nach Hause komme, ist die Straße menschenleer. Ich sehe nur Bettler, die sich daherschleppen«, sagt die junge Journalistin im Flug der Königin zu ihrem Geliebten, dem Chefredakteur. »Wir sind uns dessen gar nicht bewußt, Bitte,5 aber Buenos Aires verändert sich. Es ist ein Schmetterling, der ins Larvenstadium zurückschlüpft.«

Ein Elendsviertel hinter dem Nationalparlament

> Ein Elendsviertel hinter dem Nationalparlament

Asunción: Ein Elendsviertel hinter dem Nationalparlament

Aber die ganz alte Vergangenheit glänzt nach wie vor. Lange war Argentinien ja die größte Nummer auf dem Kontinent. Die erste U-Bahn Lateinamerikas (und der gesamten Südhalbkugel) fuhr 1913 in Buenos Aires, auch das erste Kinderkrankenhaus (1875) stand hier. Es war ein Argentinier, der Chirurg René Favaloro, dem 1961 die erste Bypass-Operation am Herzen gelang. Der erfolgreichste Formel-1-Fahrer, bevor der Kerpener kam? El Balcarceño, Juan Manuel Fangio, fünfmal Weltmeister in den fünfziger Jahren, 24 Siege in 51 Rennen. Das schönste und beste Opernhaus der Welt laut Wilhelm Furtwängler, dem Jahrhundertdirigenten? Das Teatro Colón, eröffnet 1908 und fast gelegen an der breitesten Straße der Welt, der 9 de Julio. Wer kann bei so viel Pracht schon mithalten?

> Verlassener Mate

> Verlassener Mate

> Fotograf im absoluten Parkverbot neben dem Panteón de los Héroes

> Fotograf im Parkverbot neben dem Panteón de los Héroes

Die Nachbarn rächen sich mit schlechten Witzen. Wie begeht ein Argentinier Selbstmord?, fragen sie. – Er springt von seinem hohen Ego. Warum rennt er aus dem Haus, wenn‘s draußen blitzt? – Er denkt, Gott fotografiert ihn.

Ganz schön warm heute in Asunción. Ich kann die Jacke wohl ausziehen. Mein Trikot: das weiße vom Quilmes Atlético Club.

Clorinda, der argentinische Grenzort, am Abend

> Clorinda, der argentinische Grenzort, am Abend

Clorinda, der argentinische Grenzort, am Abend

Paraguay 17

  1. weil es nur um den fabelhaften Einstieg in diesen Text geht []
  2. Schwachkopf/Depp, sehr beliebte Anrede in Argentinien []
  3. argentinischer Fluch: puta = Hure, madre = Mutter, la = die []
  4. das Geschlechtsorgan meiner Schwester, nur derber []
  5. ihr Spitzname für den Chefredakteur []

Über den patagonischen Pilz einer Hure, der seit fast vier Monaten in meinem Ohr lebt

von CHRISTOPH WESEMANN

 
Rückblick. 24. Dezember 2014.

Ich bin mit der Familie im Sommerurlaub. Wir wollen mit dem Auto von Buenos Aires bis nach Santiago de Chile fahren und wieder zurück. Wir sind seit einer Woche unterwegs und heute, am Heiligen Abend, in Villa El Chocón, einem Örtchen in der Erdöl- und Dinosaurierprovinz Neuquén, 1219 Kilometer entfernt von zu Hause.

Villa El Chocon

Villa El Chocon 2

Die Stimmung könnte schlechter kaum sein, und in offener, also nicht geheimer Abstimmung stellt die Familie mit deutlicher Mehrheit (4:1) fest: Das liegt am Vater. An mir?

Okay, meine Betriebstemperatur ist cholerisch, und die habe ich schon vor Tagen erreicht, im Grunde gleich in den ersten Minuten auf der Autobahn. Es gibt nämlich haufenweise Argentinier, die ein Leben lang Überholspur fahren und ein Leben lang auch nicht in den Rückspiegel gucken. Ich blinke, ich lichthupe, meine Finger und Hände weisen den Fahrer − este hijo de puta1, diesen Hurensohn also − sehr bestimmt auf sein falsches Verhalten im Straßenverkehr hin. Ich könnte rechts überholen, wie’s die anderen machen, die Spur ist ja komplett frei.

Aber das sehe ich gar nicht ein.

Vom Beifahrersitz: ein Schnaufen.

»Schatz, man kann sich nicht alles gefallen lassen.«

»Aber der weiß doch überhaupt nicht, was du von ihm willst, du mit deinem Rechts-fahr-gebot

Hospital

Außerdem tut seit Tagen mein linkes Ohr weh. Tropfen. Alkoholtupfer. Bier. Viel Bier. Nichts hilft. Also schauen wir  im Dorfkrankenhaus von Villa El Chocón vorbei. In der Ambulanz wird heute tatsächlich gearbeitet, es streunt jedenfalls ein Pfleger herum. Der guckt ins Ohr und diagnostiziert: einen Pilz. Mit dem rechten Ohr, dem gesunden, höre ich den anerkennenden Jubel der im Untersuchungszimmer versammelten Familie. Man ist ausnahmsweise stolz auf das Familienoberhaupt. Tenor: Andere haben sowas am Fuß – unser Alter hat’s im Ohr.

»Muss ich sterben?«

Der Pfleger schaut meine Frau an, grinst und sagt, und zwar zu ihr: »Damit kann ich dir leider nicht dienen.«

»Und wenn er ein paar Tage auf Station bleibt, zur Beobachtung und so?«

»Ich verstehe. Aber, nein, tut mir leid.«

Die beiden sind kurz zuvor, sich abzuklatschen. Ich räuspere mich. Wollten wir nicht heute noch Dinosaurierknochen ausgraben mit den Kindern?

Der Pfleger ruft den Arzt an, um zu fragen, was zu tun sei, kommt wieder und bereitet eine Spritze vor.

»In den Arsch?«, frage ich.

»Da wirkt es nicht so schnell.«

Der Pfleger bindet den Oberarm mit einem Gummihandschuh ab und spritzt etwas Schmerzlinderndes. Der Wattetupfer, den er gleich auf die Einstichstelle kleben wird, klebt schon an seinem Kittel. Der Achteinhalbjährige schaut vorbei und fragt: »Warum nicht in den Arsch?«

Eine halbe Stunde später beginnt sich der Schmerz zurückzuziehen.

♦♦♦♦♦

15. April 2015.

Ich warte im Hospital Alemán, dem deutschen Krankenhaus in Buenos Aires, wo allerdings spanisch gesprochen wird, dass die Nummer 108 aufleuchtet. Noch steht auf der Anzeigetafel die 107. Ich wollte schon vor Tagen hier sein, weil das linke Ohr entweder schmerzt oder leicht taub ist. Aufgehalten hat mich das Wort otorrinolaringólogo (Hals-Nasen-Ohren-Arzt), das ich bei der Anmeldung ja vorbringen müsste. Dachte ich.

Es reichte dann aber der Versuch, es auszusprechen.

108! Zimmer 32. ¡Vamos!

Dr. Curi lässt sich kurz erklären, was mit mir los sei, und scheint zu verstehen. »Komm mit!«, sagt er. Er geht ins Nebenzimmer, legt mich dort − weil ich es selbst mangels Intelligenz nicht hinbekommen habe − »mit dem Kopf nach oben« auf die Pritsche und schaut zunächst ins gesunde rechte Ohr, dann ins kranke linke. Dann saugt er mit einem Schlauch sehr gründlich herum. Es knirscht.

»Un hongo«, sagt er schließlich.

Ein Pilz. Aha.

Mein Pilz.

Aus Patagonien.

Der hat also überlebt.

Dr. Curi verschreibt mir Dermizol Trio (»du nimmst drei Tropfen alle zwölf Stunden«) und entlässt mich mit Handschlag. In drei, vier Tagen erwartet er mich zur Nachkontrolle.

Wir kriegen Dich, diesmal kriegen wir Dich, hongo de puta!

Tropfen

  1. sehr häufiger Fluch in Argentinien []

Die letzte Zehn der Welt sagt hasta luego: Riquelme-Gastbeitrag bei Cavanis Friseur

von CHRISTOPH WESEMANN

Wenn jemand diesen großen argentinischen Fußballer verabschieden darf, dann ja wohl ich. Juan Román Riquelme und ich sind ja nicht nur ein Jahrgang (1978), sondern auch gleich groß (1,83 m) und – behauptet zumindest das jeweilige Umfeld – zwei ähnliche Diven. Außerdem bin ich immer Riquelme, wenn wir mittwochabends in Buenos Aires unter der Autobahnbrücke fünf gegen fünf kicken. Ich versuche, das Spiel klassisch zu lenken – natürlich auch, weil ich für den sogenannten modernen Fußball zu langsam renne und denke.

Cancha bajo Flores

JR Riquelme

Ich habe eine Schwäche für Menschen, die Erwartungen nicht erfüllen. »Se me escapó la tortuga«, sagt der Argentinier, wenn er eine einmalige Chance vergibt. »Mir ist die Schildkröte entwischt.« Der Spruch stammt, wie so viele andere, die zu Volksweisheiten geworden sind, von Diego Maradona. Auch Riquelme hat die Schildkröte nicht immer festgehalten. Er ist ein Unvollendeter. Er wurde Mitte der Neunziger als neuer Diego empfangen (und reifte dann doch nur zur Weltklasse), er trug schon mit 20 Jahren bei den Boca Juniors die 10 und hat 17 Titel gewonnen, darunter dreimal die Copa Libertadores, sechsmal die argentinische Meisterschaft und am 28. November 2000 den Weltpokal (der in Südamerika einen hohen Stellenwert hat).

Weiterlesen im Fußballblog Cavanis Friseur hier entlang, bitte.


Argentinische Helden

Diego Maradona, gezeichnet von Danü (c)

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Steckbrief

Wir sind schnell.
Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geistes-
wissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie.


2012 von Christoph Wesemann in Buenos Aires gegründet. Derzeit im Exil. (Berlin)