Posts Tagged ‘Diego Maradona’

Argentinien sucht den Präsidenten: Das Live-Blog zur Stichwahl

von MARC KOCH & CHRISTOPH WESEMANN

Plaza Bolivia

12 Uhr. (deutsche Zeit: 16 Uhr)

(CW) Buenas. ¿Cómo estamos? ¿Todo bien? Me alegro. Zunächst, wie sich das gehört, die äußeren Bedingungen: Buenos Aires meldet 25,6 Grad, Sonnenschein und wolkenlosen Himmel. Knackig warm ist’s also, und wir sind noch im Frühling, muchachos. Gerade kommen wir aus dem Park, bisschen Gebuddel im Sand mit der Vierjährigen, sanftes Anschaukeln der Sechsjährigen, leichtes Fußballtraining mit dem Neuner, wir wollten uns ja nicht verletzen.

Marc Koch, der Erste-Welt-Korrespondent des Argentinischen Tagebuchs, will angeblich auch vorbeischauen und ein bisschen mitbloggen. Im Augenblick zickt er noch herum und verlangt einen Sonntagszuschlag. Scheint peronistische Gene zu haben, der Kerl. Falls wir uns einigen, stößt er von einer Vernissage zu uns. (Ja, so schreibt man das Wort, ich hab’s nachgeschlagen.) Hoffen wir, dass er das Niveau nicht zu sehr hebt. Napoleon hat gesagt:

Gelehrte und Intellektuelle sind für mich wie kokette Damen. Man sollte sie besuchen, mit ihnen parlieren, aber sie weder heiraten noch zu Ministern machen.

Wer, carajo, ist Napoleon?

(CW) Heute also wählt Argentinien ein neues Staatsoberhaupt. Gesucht wird Präsident Nummer 53, und es kann nur einen geben: den Regierungsmann Daniel Scioli (58) oder den Oppositionskandidaten Mauricio Macri (56). Der eine ist noch Gouverneur der Provinz Buenos Aires, der andere noch Bürgermeister der Hauptstadt Buenos Aires, ihre Nachfolger sind schon gewählt.

Wer heute verliert, hat erst mal nichts mehr. Se va a casa, tomando Mate, wie man in Argentinien sagt, der geht nach Hause und schlürft was ganz Bitteres. Scioli und Macri sind alte Freunde, sogar ihre Väter waren … bitte? … Ok. … Ich höre gerade aus der Regie, dass ich das schon erzählt habe.

12.25 Uhr.

(CW) Vielleicht mal ein paar Zahlen: 32 037 323 Argentinier müssen heute wählen. Ja, sie müssen. Argentinien hat eine Wahlpflicht. Bei den Vorwahlen Anfang August betrug die Wahlbeteiligung nur 74 Prozent, es war die niedrigste seit der Rückkehr zu Demokratie nach dem Ende der Militärdiktatur (1976 bis 1982). Am 25. Oktober, bei der ersten Wahlrunde, lag sie dann mit 81 Prozent deutlich höher. 2,5 Prozent hatten ein voto blanco abgegeben, also keinen der sechs Präsidentschaftskandidaten gewählt. Vier bis elf Prozent sollen noch nicht entschieden haben, wen sie wählen. Laut Marcos Peña, einem der Chefs der Kampagne des Präsidentschaftskandidaten Macri, sind es sieben bis acht Prozent.

Über das Land verteilt sind 94 979 mesas, Tische, die der Wähler aufsucht, um seine Stimme abzugeben.

12.30 Uhr.

(CW.) Man kann die Wahlpflicht übrigens umgehen: Wer mehr als 500 Kilometer entfernt von seinem Wohnort ist, braucht nicht abzustimmen. Es gab sogar mal die studentische Bewegung 501, deren Mitglieder sich einen Spaß daraus machten, am Wahltag abzuhauen, nämlich genau 501 Kilometer weit.

12.36 Uhr.

Wahllokal

(CW) Vor einer halben Stunde habe ich die Kinder durch ein Wahllokal bei uns im Viertel geführt und ihnen alles erklärt. Wenn die das verstehen, verstehen Sie das auch. Also, es gibt in Argentinien keinen Zettel, auf dem man ankreuzt, wie wir das aus zivilierten Ländern Deutschland kennen. Stattdessen schafft jede Partei oder jedes Bündnis die boletas ins Wahllokal; die sehen ein bisschen aus wie Werbeflyer, schön bunt. Das hier ist zum Beispiel die boleta von Scioli:

Boleta

Wenn man ihn wählen will, packt man den Schein in einen Umschlag und wirft diesen dann am Wahltisch in die Urne. Von 18 Uhr an wird ausgezählt.

»Aber die Leute, die da zählen, die können auch betrügen.«

Mein Sohn!

Das geschieht natürlich, weshalb die Parteien und Bündnisse versuchen, an jeden Wahltisch einen Aufseher zu platzieren, einen sogenannten fiscal. Der muss natürlich belohnt werden, weil er nur dann genau hinguckt. Und zu niedrig sollte der Lohn auch nicht sein, weil der Aufpasser sonst von der Konkurrenz abgeworben werden könnte. Meistens gibt es ein paar Hundert Pesos und ein Verpflegungspaket. Aber man braucht natürlich Leute, Leute, Leute − ein Nachteil für kleine Parteien, vor allem in den hintersten Ecken des Landes.

12.45 Uhr.

(CW) »Hecha la ley, hecha la trampa«, sagt ein argentinisches Sprichwort. Frei übersetzt: Der Argentinier findet immer einen Weg, um ein Gesetz zu umgehen. Scioli hat vorgestern jedenfalls ordentlich gegen den vorgeschriebenen Waffenstillstand verstoßen, als er sich mit dem Bürgermeister von Esteban Echeverría traf und sich dabei von Anhängern bejubeln ließ.

Seit Freitag, 8 Uhr, ist dies verboten. Auch Wahlkampfspots dürfen nicht mehr gesendet werden. Scioli hat das natürlich reichlich Häme im Netz beschert, nicht mal sein Name war mehr heilig: Aus Scioli wurde Yoli. Yo gleich ich, kapiert? Schon vor Wochen schrieb die Zeitung Clarín, die es mit dem Kandidaten der Regierung eigentlich gut meint: »Scioli sagt ich, Macri sagt wir

13 Uhr.

(CW) Noch ein bisschen was zur Ausgangslage. In allen Umfragen liegt Macri vorne, was nicht bedeuten muss, dass er auch gewinnt heute. Der Favorit aber ist er. Er hat sich das Jahr über stetig verbessert, und allein dass er es in die Stichwahl schafft, hatten Fachleute, zu denen wir uns zählen, nicht unbedingt erwartet. Und Scioli? Der war eigentlich schon durch und saß auf gepackten Koffern, bereit für den Umzug in die Casa Rosada. Infobae nennt ihn den »Benjamin Button der Politik«, nach jener Filmfigur, verkörpert von Brad Pitt, die alt auf die Welt kommt und als Baby stirbt. »Er fing an als Präsident und endete als Herausforderer.«

Herr Koch kennt den Film natürlich nicht. Guckt halt nur Ingmar Bergman und Wim Wenders.

Mittagessen!

13.30 Uhr.

(CW) Mauricio Macri, der Kandidat von Cambiemos (Lasst uns verändern), hat vor knapp einer Stunde gewählt.

Ein historischer Tag? Mal schauen. Einer aus dem Macrismus, der heute als Aufpasser im Einsatz ist, schreibt uns gerade: »Wir gewinnen mit vier Punkten Vorsprung. Oder mehr.«

17.40 in der Ersten Welt Deutschland

(MC) Ein klassischer Novembertag auf der Oberen Erdhälfte geht zu Ende: Strahlender Sonnenschein, Kinder im am Fluss, Kaffee&Kuchen in viel zu dicken Menschen. Vor 3-einhalb Stunden hat sich der deutsche Dienst der Nachrichtenagentur AFP einen dürren Bericht über die Wahlen abgerungen. Die Agentur schreibt vom »von Kirchner unterstützten Linkspolitiker Daniel Scioli«. Haha! Ob Daniel S. das auch so sieht? Am Ende menetekelt AFP, der Wahlsieger trete »ein schwieriges Erbe an«. Um es mal freundlich auszudrücken.

18:04 in Deutschland

(MC) Die Meldungen aus Argentinien überschlagen sich!!: Die Lange-Brüder Klaus und Yago aus Argentinien sind 7. geworden. Nicht bei der Präsidentenwahl, Mensch! Da steht das Ergebnis doch noch gar nicht fest! Obwohl … wer weiß …? Nein, die Lange-Lümmels sind Segler. 49er-Klasse. Klingt n bisschen wie 6-7-8 im argentinischen TV. Da, wo die Macht wirklich kritisiert wird. Haha. Scherz!

18:15 in Deutschland

(MC) Ich müsste meine Sendung (Haha: jetzt warten Sie auf den Link. Ist aber noch geheim!) für morgen vorbereiten. Aber es ist so spannend!!! Nicht die Wahl, Mensch! Da steht das Ergebn Hm? … Was? Ah, ich höre gerade aus der Regie, dass ich diesen Gag schon gemacht habe. Erinnern Sie mich bitte daran, dass ich die Praktikantin rauswerfe. Die geht mit Gag-Zetteln um wie der argentinische fiscal mit Wahlzetteln … Spannend ist das Spiel zwischen Ingolstadt und Darmstadt. Jawohl, mein Herr: Erste Liga.

18:30 in Deutschland

(MC) Apropos Wahlen: Was passiert eigentlich mit dem Indek, wenn Daniel S. nicht gewinnt?

18:54 in Deutschland (und in Italien)

(MC) Ganz sicher ist: Wenn Daniel S. nicht gewinnt, kommt Besuch nach Argentinien. Der Italiener Roberto Caradelli und seine Jungs vom Internationalen Währungsfonds (FMI, por sus siglas en español perdón: casteschahno) wollen mal wieder vorbeischauen. Nach einer Dekade! Die manche »die Gewonnene« nennen. Aber gute Freunde kann halt niemand trennen. No es así, Cris?

19:00 in Deutschland

(MC) +++EILMELDUNG+++EILMELDUNG+++Nach Auszählung der ersten Wahllokale in Rio Gallegos liegt die amtierende argentinische Präsidentin Crist … Ach neee!: Die Meldung soll ja erst in ein paar Stunden raus! Die aktuelle Eilmeldung: Ingolstadt hat das Spiel gedreht.

19:06 in Deutschland (und in Spanien)

(MC) Unfasslich: Real Madrid schmeißt Rafa Benítez doch nicht raus! Da ist Argentinien einfach weiter! #Präsidentschaftswahlen #Cristina

19:10 in Deutschland

(MC) Apropos Rausschmiss: Was wird jetzt eigentlich aus unserem Spezi Axel K.? Und dem dolar blue? Gehen die jetzt nach Uruguay?

19:24 in Deutschland

(MC) Kriege gerade einen sentimentalen Anfall

IMG_0531

Que lo hagas bien hoy, Argentina!

19:30 in Deutschland

(MC) Fast 2 Stunden ohne Unterbrechung von den argentinischen Präsidentschaftswahlen berichtet. Objektiv! Fair! Unbestechlich! Und der Dank? Kein Honorar vom Herausgeber CW. Ich werde mich bei den zuständigen Aktivisten beschweren. Und auch bei ihr ! Jawohl!

19:36 in Ingolstadt

(MC) Darmstadt 98 hat in Ingolstadt verloren. Unter anderem durch einen Elfmeter, der natürlich unberechtigt war. Der Schiedsrichter hieß übrigens Kircher. Also fast wie. Ne? Oder? Ich verabschiede mich und übergebe an den Herausgeber CW. Möge der Bessere gewinnen. Forza, Argentina! Good night. And good luck.

15.45 Uhr. (deutsche Zeit: 19.45)

(CW) Ich bin’s wieder. Schauen wir doch mal, was unsere beiden Kandidaten gestern so getrieben haben. Also, Daniel Scioli hat die Jungfrau von Luján besucht, aber nicht zu Fuß, wie sich das gehört für echte Argentinier. Er dankte ihr und bat sie für heute um einen »friedlichen und demokratischen Wahlgang«. Anschließend wurde im Kreise der Familie gegrillt.

Scioli Luján

Mauricio Macri spielte Paddle-Tennis, und zwar mit Martín Palermo. Man kennt sich aus gemeinsamen Tagen bei den Boca Juniors. Macri führte den Verein als Präsident (1996 bis 2008), Palermo schoss die Tore. Ja, alle. Keiner hat für Boca häufiger getroffen als er, El Loco, der Verrückte: 236-mal in 404 Spielen.

Palermo

16 Uhr.

(CW) In Santiago del Estero lässt die kirchneristische Regierung übrigens Wähler per Taxi zur Stimmabgabe bringen. Kann man ruhig mal machen, und Santiago del Estero ist ja auch nicht die ärmste Provinz Argent … ach so. Ähm, trotzdem nett, zumal es dort ja auch noch viel heißer ist als bei uns: 32 Grad. Am Dienstag regnet’s aber.

16.13 Uhr.

(CW) Wo wir gerade beim Fußball waren: Diego Maradona wählt wieder, wie im ersten Durchgang am 25. Oktober, Scioli, »weil ich will, dass in meinem Land die Dinge, die noch fehlen, von der Person erledigt werden, die am besten vorbereitet und am seriösesten ist, um sie zu lösen«. So kompliziert, wie meine Übersetzung klingt, kann Diego natürlich nicht reden. Er hat übrigens auch an einen Wahlsieg von Aníbal Fernández in der Provinz Buenos Aires geglaubt. »Kein Zweifel, du gewinnst«, sagt er in diesem Video. »Du bist ein guter Mensch, du beklaust niemanden.«

Das Gelächter, das Sie gerade hören, kommt von der Stehplatztribüne des Quilmes Atlético Club, dessen Präsident Fernández ist. Ich habe Cristina Kirchners Kabinettschef vor einem Jahr mal zufällig getroffen, und als er hörte, dass ich Fan und Mitglied seines Vereins sei, versprach er, mir ein Trikot zukommen zu lassen, signiert von Miguel der Chinese Caneo, einem unserer großen Idole. Aníbal, kommt das Trikot noch?

16.40 Uhr.

(CW) Noch mal ein paar Hinweise für die, die durchmachen wollen: Bis Mitternacht argentinischer Zeit, also vier Uhr Deutschland, soll die Auszählung beendet sein; erste Zahlen werden aber, heißt es jedenfalls, schon um 19.30 Uhr veröffentlicht. Für halb elf sind Ergebnisse angekündigt, die zuverlässig sein sollen und verraten, wer der nächste Präsident wird. Es kann natürlich auch wieder alles später werden, so wie am 25. Oktober. Da hatte der Justizminister, der Herr des Wahlverfahrens, eigentlich um 22 Uhr erste Ergebnisse verlesen sollen. Aber der Schock im kirchneristischen Regierungslager war so groß, dass es später und später wurde. Man wollte wohl warten, dass Scioli an Macri vorbeizieht. Erst nach Mitternacht gab es offizielle Zahlen.

Der Fernsehsender C5N hatte übrigens schon um 17.58 Uhr, also zwei Minuten vor Schließung der Wahllokale, einen triumphalen Sieg Sciolis verkündet und ihn zum neuen Präsidenten ausgerufen. Obendrauf kürte man noch Aníbal Fernández zum künftigen Gouverneur der Provinz Buenos Aires. Scioli lag am Ende gerade einmal zweieinhalb Punkte vorn und musste in die Stichwahl; Fernández verlor sogar mit weitem Abstand. Der Eigentümer von C5N ist natürlich ultra K, also ein Freund des Kirchnerismus, der Argentinien seit zwölfeinhalb Jahren regiert.

16.55 Uhr.

(CW) Der Neunjährige hat seit Wochen nur noch vier Fragen an mich: Wer, glaubst du, wird Präsident? Wen würdest du wählen? Das Auto da, ist das teuer? Teurer als das da? Notiz an mich selbst: »Vergiss auf keinen Fall die Mutter von Dings zu autorisieren, damit sie deine Tochter morgen vom Kindergarten abholen darf.«

17 Uhr.

(CW) Kein Witz: In Mexiko bekommt der, der gerade gewählt hat, den Daumen gefärbt. Damit er nicht noch einmal versucht abzustimmen. Die Farbe ist nicht abwaschbar und verschwindet nach zwei bis vier Tagen. Ist in Argentinien natürlich üüüüüüberhaupt nicht nötig.

17.10 Uhr.

(CW) Hoppla, ist mir durchgerutscht: Daniel Scioli hat auch schon gewählt, vor etwa drei Stunden.

Sorry, musste den eingebundenen Tweet von Scioli wieder entfernen. Zerschießt mir das ganze Format, keine Ahnung, warum. Begnügen wir uns mit einem Foto.

Scioli Twitter

»Ohne Zweifel wird heute das Volk gewinnen, und ich vertraue ihm.« Eine seltsame Aussage.

17.35 Uhr.

(CW) Das hier will ich schon den ganzen Tag erzählen: Daniel Scioli hat ein ziemlich großes Anwesen, es heißt Villa La Ñata und liegt ein bisschen außerhalb von Buenos Aires. 12 255 Quadratmeter! Es gibt diverse Sportplätze, eine große Halle zum Fußballspielen, Palmen, ein Schwimmbad, einen Hubschrauberlandeplatz und eine Bibliothek. Aus der Luft sieht das dann so aus:

Was es nicht gibt, sind Bücher. Auch nicht in der Bibliothek. Denn dort treibt Scioli Sport. Eine Bibliothek ohne Bücher. Was willste auch machen, wenn der Architekt das Ding unbedingt gewollt hat? Wieder abreißen? Lesen lernen? Anfangen zu lesen?

Ich bin gleich zurück. Muss mal gucken, ob in meinem Bad eine Toilette ist.

17.45 Uhr.

(CW) Scioli gilt übrigens als schwer verbissen, verlieren kann er nicht, er will immer die Nummer 1 sein, und hat schon als kleiner Junge rumerzählt, dass er mal Präsident werde. Steht alles in Scioli secreto, der Biografie des Kandidaten, verfasst von den Journalisten Pablo Ibáñez und Walter Schmidt. Tolles Buch!

Und wie sind die Initialen von Daniel Osvaldo Scioli? DOS! Nicht UNO. Hätte uns ja auch mal ein- oder wenigstens auffallen können. Dann müsste ich das jetzt nicht klauen von Ibáñez und Schmidt.

Jedenfalls: Hahahaha. Oder wie der Argentinier schriftlich lacht: Jajajajajaja.

17.53 Uhr.

In sieben Minuten schließen die Wahllokale, aber es kommt in Argentinien durchaus vor, dass sie ein bisschen länger offen bleiben. Weil man wieder getrödelt hat.

Falls Sie sich fragen, wo meine Frau steckt, die Vierjährige sagt’s Ihnen: »Mamá está en Dienstreise.« Tja, dreieinhalb Jahre Argentinien gehen an der Sprache nicht spurlos vorbei. Der Neunjährige hat gerade mitgeteilt, dass es in Deutschland heute »geschneet« habe.

18 Uhr.

Schluss. Aus. Vorbei. Ein argentinischer Journalist, der vom Kirchnerismus absolut gar nichts hält, hat uns gerade das Versprechen abgenommen, dass wir auf keinen Fall verraten dürfen, dass Mauricio Macri die Stichwahl mit  mindestens zehn Punkten Vorsprung gewonnen hat.

18.04 Uhr.

(CW) Die ersten Fernsehsender, auch die, die dem Kirchnerismus nahe stehen, verkünden: Macri hat gewonnen.

18.10 Uhr.

(CW) Zeit, dass ich auch mal mich selbst zitiere:

Wie Macri wirklich denkt, was er machen würde, wenn er dürfte, wie er könnte – wer weiß das schon. Vielleicht: er selbst. Man kann ihm aber durchaus zutrauen, dass er auf seinen Eintrag im großen argentinischen Geschichtsbuch guckt und die historische Chance nutzen will, die sich ihm gerade bietet. Argentinien ist in den vergangenen sieben Jahrzehnten nur von Peronisten, Radikalen oder Militärs regiert worden. Macri wäre der erste Andere, und allein das kann dem Land nicht schaden. Überdies zöge mit ihm, dem Präsidenten Nummer 53, zum ersten Mal seit der Rückkehr zur Demokratie (1983) kein Jurist in die Casa Rosada ein. Und noch in einem anderen Punkte könnte er sich von vielen seiner Vorgänger unterscheiden: Bereichern sollte sich Macri nämlich nicht müssen. Er ist schon reich, unfassbar reich auf die Welt gekommen. Text: Grünschnabel gegen Chamäleon

18.15 Uhr.

(CW) Im búnker (heißt wirklich so), der Halle, in der heute Macris Anhänger feiern, wird schon gerufen: »Se siente, se siente, Mauricio Presidente.« − Man spürt’s, man spürt’s, Mauricio ist Präsident.

18.20 Uhr.

(CW) Macri hat seine möglichen Minister bislang nicht präsentiert. Klar ist nur, dass Marcos Peña Kabinettschef werden soll. Ein schöner Posten für einen Mann von gerade einmal 38 Jahren. Peña wäre ja auch fast Macris Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten geworden, man entschied sich dann aber für die bekanntere Gabriela Michetti. Er ist jedenfalls einer der engsten, wenn nicht der engste Vertraute im politischen Umfeld des Hauptstadtbürgermeisters. »Das Gehirn von Macris Regierung« in der Hauptstadt.

Scioli hatte sein Kabinett schon vor dem ersten Wahlgang vorgestellt und daran festgehalten. Es war nur noch offen, wer Außenminister würde. Was auffiel: Nur einer der 16 Posten sollte an eine Frau gehen. Immerhin wäre Silvina Batakis für Wirtschaft zuständig gewesen und nicht für Familia y trasto (Familie und Gedöns). Auch bemerkenswert: Nur zwei Minister aus der Kirchnerzeit hätten überlebt.

Jetzt wohl gar keiner.

18.30 Uhr.

(CW) Pause. Ich muss die Kinder abfüttern. Und der Neunjährige will nachher unbedingt zu Macri in den búnker. Gute Nachrichten: Das Verbot, Alkohol zu verkaufen und auszuschenken, endet in zweieinhalb Stunden. (Nicht, dass wir keinen Vorrat angelegt hätten.)

Alkohol

23:19 in Deutschland

(MC) Ich bin gar kein argentinischer Journalist, aber ich habe es dem Herausgeber CW trotzdem verraten: AFP, die höchst zuverlässige französische Nachrichtenagentur, meldet: Macri hat gewonnen.

23:22 in Deutschland

(MC) Ich muss wieder ran. CW, der Herausgeber, hat eine kurzfristige Elternzeit beantragt. Phhhh …

23:26 in Deutschland

(MC) Das ist jetzt echt der Moment, ein bisschen nachdenklich zu werden. Wenn es so ausgeht:

Bildschirmfoto 2015-11-22 um 23.25.52

Das Ende einer Ära

23:31 in Deutschland

(MC) Respekt: Nicht mal in so einem Moment hören sie bei FpV auf, sich den Erfolg einzureden!

23:38 in Deutschland (18:38 im Búnker von Macri)

(MC) Gut für das Land, wenn es so käme, wie es Cornejo aus Mendoza − ein Parteigänger von Macri − verspricht:

Bildschirmfoto 2015-11-22 um 23.38.05

23:50 in Deutschland

(MC) Er hat gesagt:

• schätzt den Wert der Arbeit

• respektiert andere Meinungen

• lügt die Leute nicht an

Sportlich, aber zu schaffen.

23:56 in Deutschland

(MC) CW ist Herausgeber. Zu Recht. Weil er es schon immer gewusst hat: Der 53. Präsident Argentiniens wird ein ganz anderer sein als viele vor ihm. Es braucht aber nicht so arg viel, das vorherzusehen. (Deswegen ist CW Herausgeber. Und nicht Chefkorrespondent. Haha!) Was aber wird aus diesem Peronismus? Der Ursache für die argentinische Krankheit?

00:15 in Deutschland (politische Zeit in Argentinien: 00.00)

(MC) Da fängt jetzt etwas ganz Neues an in Argentinien. Macri hat 9 Punkte Vorsprung. 15 Prozent der Stimmen sind ausgezählt. Keine Chance mehr, Daniel S. Wir sind nicht enttäuscht und nicht betroffen. Aber: Vorhang zu. Und nicht mehr alle Fragen offen. Buenas noches y buena suerte.

0 Uhr.

(CW) Unser Freund Jorge hat uns gerade mit einem Kommentar geweckt. Danke! Es ist wohl doch enger, als vor Stunden prophezeit. Aktuell liegt Macri bei 51,44 Prozent, Scioli bei 48,56. 98,83 Prozent der Stimmen sind ausgezählt. Macri kommt auf 12 871 479 Stimmen, Scioli auf 12 150 576. Die Präsidentin hat aber Macri schon gratuliert. Man trifft sich am Dienstag.

0.20 Uhr.

(CW) Ich wollte mich vorhin an Marcos Peña ranwanzen, den zukünftigen Kabinettschef von Macri, und horchen, welche Posten denn für Herrn Koch und mich vorgesehen seien in der Regierung. Und dann das: Der Neunjährige und ich, wir kamen gar nicht rein in den búnker! Obwohl wir akkreditiert waren! Und mit uns standen Hunderte vor der Tür! Ein Skandal!

Ist das schon die Arroganz der Macht?

1.50 Uhr.

(CW) Auch wir gratulieren jetzt mal Mauricio Macri, dem neuen Präsidenten Argentiniens. Es wird natürlich noch ausgezählt, warum auch immer das so lange dauert; aktuell sind wir bei 99,17 Prozent. Aber der Vorsprung ist groß genug: Macri steht bei 51,40 Prozent, Scioli bei 48,60. Wir sind gespannt, was nun kommt nach dem Ende des Kirchnerismus.

Uns hat es Spaß heute gemacht, vielen Dank fürs Lesen. Hasta luego. Un abrazo fuerte.

Wir sind unzähmbare Argentinier: das Lied „Somos de acá“

von CHRISTOPH WESEMANN

Mein Freund Pablo sagt, ich soll dieses Lied, das fünf Gänsehäute übereinander schichtet, so erklären: »Uns Argentiniern ist alles komplett egal. Außer Fußball und Religion. Aber die Religion auch erst, seit Jorge Bergoglio Papst ist.«

Somos de acá 2

Somos de acá 3

Somos de acá 4

Somos de acá 5

Es ist eine viereinhalbminütige Reise durch Argentinien, auf die uns die Rockgruppe Yeims Bondi mitnimmt. Wir hören eine grandiose Liebeserklärung an Land und Leute, großkotzig bis narzisstisch, zugleich aber schwer selbstironisch, weil Argentinien und Argentiniern ja auch allerlei misslungen ist über die Zeit und allerlei weiter misslingen wird. Große Ereignisse, hübsche Menschen, viele Idole, nicht weniger boludos1 und ein paar richtige Verbrecher werden uns im offiziellen Video begegnen. Genau hingucken, bitte!

Anschnallen, señoras y señores: »Somos de acá« (Wir sind von hier) von Yeims Bondi:

Am Ende klingt dann noch all die Widersprüchlichkeit an, die manches zur Faszination Argentiniens beiträgt. Man ist einerseits sehr patriotisch, kann sich aber auch entsetzlich aufregen über sein Land. Schuld sind natürlich immer die anderen. Diebe und Gauner aller Art, die keine Grenzen kennen, haben dieses wunderbare Land heruntergewirtschaftet, ganz klar. Man selbst schmeißt seinen Müll natürlich auf die Straße und geht bei Rot über die Ampel, hält sich auch sonst an kein Gebot und wählt grundsätzlich den, der das Meiste verspricht.

Argentinien, heißt es im Lied, ist die Titanic, die so oft untergegangen ist und auf einmal wieder auftaucht, außerdem ein Witz, den man nicht ganz versteht, über den man aber trotzdem lacht. Weil man sonst weinen würde.

Ich habe den Text des Liedes übersetzt. Kritik, Hinweise und Vorschläge − her damit!

 
Somos de acá Wir sind von hier
Somos una charla
en el café de cada esquina.
Somos ese mate
compartido en la cocina.
Somos cantautores
en la ducha, en la cancha
y en el bar.
Somos de acá.
Wir sind ein Gespräch
im Café an jeder Straßenecke
Wir sind dieser Mate,
der in der Küche geteilt wird.
Wir sind Liedermacher
unter der Dusche, im Stadion
und in der Bar.
Wir sind von hier.
Somos el país
de las 13 maravillas.

Somos ese country
justo al lado de la villa.

Somos una infancia
de pelota y figuritas
y algo más.

Somos de acá.
Wir sind das Land
der 13 Wunderwerke.

Wir sind die Luxussiedlung
genau neben dem Elendsviertel.

Wir sind eine Fußball-und-
Sammelbilder-Kindheit
und noch mehr.

Wir sind von hier.
Si nos visitas
te enamorarás
de nuestro chamuyo
industria nacional.

Y si sos varón,
andá con precaución:
las minas de acá
explotan de verdad.
Wenn du uns besuchst,
wirst du dich verlieben
in unser Gelaber
made in Argentina.

Und wenn du ein Junge bist,
sei immer schön vorsichtig:
Unsere Bomben2
explodieren wirklich.
Si naciste acá
y cruzaste el mar
como en aquel tango
siempre volverás.
Y yo que en mi piel
llevo tu piel porque aprendía crecer acá
ya no me voy más.

Yo soy de acá.
Wenn du hier geboren
und dann ausgewandert bist,
wirst du wie in diesem Tango
immer zurückkommen.
Und ich, der auf meiner Haut
deine Haut trägt, weil ich weiß,
hier klarzukommen,
Ich werde nicht wieder abhauen.

Ich bin von hier.
Somos un buen polvo
y el asado con amigos.

Si la vida miente
le cantamos falta envido.

Y si el río se llevó la plata,
nos vamos a cartonear

A orillas del mar.
Wir sind ein guter Fick
und das Grillen mit Freunden.

Wenn das Leben lügt,
singen wir ihm falta envido.

Und wenn der Fluss das Geld weggespült hat,
ziehen wir los zum Müllsammeln an den Stränden des Meeres.
Somos de acá,
somos de acá.

Somos argentinos
sin domesticar.

Somos la soberbia,
y la chispa genial,

la bandera desteñida
de los locos sin atar.
Wir sind von hier.
Wir sind von hier.

Wir sind Argentinier,
nicht zu zähmen.

Wir sind der Hochmut
und der geniale Mutterwitz,

die ausgeblichene Fahne
der absolut Bekloppten.

 

 

 

Villa 31, eines der großen Elendsviertel der Hauptstadt

> Argentinisch: das Elendsviertel (hier Villa 31) in bester Lage

Eine Leidenschaft argentinischer Kinder: figuritas, die Sammelbilder.

>Eine Leidenschaft der Kinder: las figuritas, die Sammelbilder

Y le damos palos
a la argentinidad,
pero la regamos
del campo a la ciudad.
Todas las gargantas con
arena de este mar
se encontrarán
en la popular.
Und wir regen uns furchtbar
auf übers Argentinische,

düngen es es aber
überall und jederzeit.

Alle Stimmen, die zu
Argentinien gehören,
versammeln sich
auf den Stehplätzen.
Somos argentinos,
luchando contra molinos,

sangrando por un siglo,
malvendido,
mal parido,
por espejos de colores,
por payasos y traidores
que se toman todo el vino
pero nunca vacaciones
Wir sind Argentinier,
gegen Windmühlen kämpfend,

Blutend wegen eines verschleuderten,
weggeworfenen Jahrhunderts,
wegen der Illusionen,
der Clowns und Betrüger,
die sich all den Wein nehmen,
aber niemals Urlaub.
Somos todo lo que fuimos,
Lo que no pudimos ser:
El Titanic que se hundió tantas veces
y que de repente

vuelve a aparecer.
Como un chiste de argentinos,
que no lo entendí muy bien,
por si acaso igual yo me río,
para no llorar, también.
Wir sind alles, was wir waren,
das, was wir nicht sein konnten:
Die Titanic, die so oft unterging
und plötzlich dann wieder auftaucht;

wie ein Witz von Argentiniern,
den ich nicht recht verstand,
Über den ich vorsichtshalber
trotzdem gelacht hab,
um nicht zu weinen.
¿Sabés porqué?
Por la furia,
la emoción, el orgullo
y el dolor
de ser un argentino,
uno más, igual que vos
Weißt Du warum?
Wegen des Zorn,
des Gefühls, des Stolzes
und des Schmerzes,
ein Argentinier zu sein,
noch einer, genauso wie Du.
Somos de acá,
somos de acá.

Somos argentinos
sin domesticar.

Somos la soberbia,
y la chispa genial,

la bandera desteñida
de los locos sin atar.
Wir sind von hier,
wir sind von hier.
Wir sind Argentinier,
nicht zu zähmen,
Wir sind der Hochmut
und der geniale Mutterwitz,
die ausgeblichene Fahne
der absolut Bekloppten.
Somos de acá,
somos de acá.
Somos argentinos
sin domesticar
Somos una mezcla milagrosa
para bien y para mal
Somos de acá.
Wir sind von hier,
wir sind von hier.
Wir sind Argentinier,
nicht zu zähmen.
Eine wunderbare Mischung,
auf Gedeih und Verderb.
Wir sind von hier.

 

  1. Deppen []
  2. tolle Frauen []

La FIFA, el Kaiser y el fútbol alemán: discurso en el Congreso

von CHRISTOPH WESEMANN

Yo participé en un debate sobre la corrupción en el fútbol, organizado por la diputada Cornelia Schmidt-Liermann. Les dejo mi discurso en el Congreso de la Nación.

Discurso sobre la corrupción en el fútbol (Honorable Cámara de Diputados de la Nación)

> con Alberto Rivero (Asociación Gustavo Rivero), Javier Castrilli (ex árbitro), Sebastián Sal (International Association of Anti-Corruption Authorities) y Cornelia Schmidt-Liermann (diputada nacional del PRO)

I

¡Señoras y señores!

Muchos alemanes creen que el famoso Franz Beckenbauer nos consiguió el Mundial que fue disputado en 2006. ¿Todos conocen a Beckenbauer? ¡No me digan que no! Es el mejor futbolista de la historia alemana, un genio, no tan genio como Diego Maradona, claro que no. Pero él ganó la copa mundial dos veces, como capitán en ‘74 y 16 años después como técnico − contra Argentina y Diego, lo siento mucho. La verdad, yo en ese entonces ya alentaba a la albiceleste. A ustedes les habla un mufa.

Yo quiero contar hoy de la FIFA desde el punto de vista de un chucrut, un alemán, trazando por qué el blatterismo funcionó tanto tiempo. En realidad todavía no dejó de funcionar, ¿no?

II

¿Volvamos con Beckenbauer? Cuando él – nuestro Kaiser (el emperador) – era un bebé Dios le dio un beso. Sí, yo estoy bromeando pero me parece la única manera de explicarles porque él llega a conseguirlo todo. Les quiero mostrar un cortito vídeo muy conocido para evidenciarles la excelencia de este crack alemán.

Estamos en una noche de ‘94, unas horas después de que Beckenbauer como técnico del Bayern Múnich ganara el campeonato local, de la Bundesliga. La fiesta de su equipo es televisado por un programa deportivo que tiene un juego muy emblemático. Los invitados – futbolistas y otros deportistas – deben patear la pelota y tratar de meterla por dos agujeros redondos de 55 centímetros de diámetro ubicados en las esquinas superior izquierda e inferior derecha de un rectángulo vertical que hace las veces de arco.

¿Suena complicado eso, eh? Nooooo.

¡Es complicado!

Estamos viendo a Beckenbauer, junto a Lothar Matthäus, el capitán de la selección de ‘90, poniendo en el piso una copa enorme llena de cerveza de trigo.

¿Qué va a pasar?

¡Miren!

Qué golazo, ¿eh?

Sin dudas, Diego lo hubiera hecho con la pelota y la copa de cerveza.

III

Señoras y señores, hablemos de fines de los años noventa. Alemania quiere organizar el Mundial de 2006 y solicita a la FIFA. Beckenbauer como jefe de la campaña viaja con su bolsa de golf por el mundo, para convencer a reyes, emires y presidentes. Está en todos lados el Kaiser. ¡Hace diez vueltas al mundo! Su cuerpo pintado, baila en Fiyi, y en África le regalan un carnero. ¡Un carnero vivo! Por supuesto, los reyes, emires y presidentes están tan contentísimos de encontrarse con este personaje que después apoyan la candidatura alemana.

¿Lo podemos creer? ¡No! Es una leyenda. Un cuento chino.

Cualquiera candidatura exitosa para el Mundial jamás es la obra de una sola persona. En realidad, la responsabilidad la tiene el jefe, de forma detallada y perfeccionista. Muchos forman parte de un tal proyecto: el gobierno, la política, las embajadas, la economía, las empresas, las organizaciones deportivas, todo el país, todo el estado. Es porque la FIFA requiere muchas cosas del organizador:

  • distintas garantías,
  • la certeza de poder cobrar mucha plata durante el torneo,
  • una infraestructura re buena,
  • hoteles de primera categoría,
  • otro lujo para los funcionarios y sus laderos, incluso las esposas.

Andrew Jennings, el prestigioso periodista de investigación escocés, dice:

Pueden hacer todos los aspirantes del Mundial. Le pueden presentar a sus super-modelos al Comité Ejecutivo de la FIFA. Sus políticos le pueden prometer que vayan a hacer todo para organizar un Mundial perfecto. Pero los chicos de la FIFA van a bostezar y preguntar después: »¿Dónde está la guita? ¿Dónde está la guita?« (Vídeo)

Ocho días antes de la decisión que toman las 24 personas del Comité Ejecutivo, en Alemania la Comisión de la seguridad del Gobierno autoriza el suministro de 1200 bazucas a Arabia Saudita. Un miembro de la casa real – Abdullah Al Dabal – pertenece al Comité Ejecutivo.

¿Pura coincidencia? ¿Cosas que pasan?

Encima son acordados negocios de mil millones de Euros por empresas grandes de Alemania en Asia. Daimler (Mercedes) plantea una aportación de capital de 400 millones de Euros en Hyundai, el fabricante coreano de automóviles. El hijo y jefe júnior de la dinastía de Hyundai (Chung Jong Moon) lidera la Asociación de fútbol de su país y es delegado del Comité Ejecutivo de la FIFA.

¿Una coincidencia más? Puede ser …

El representante tailandés en la FIFA (Morawi Makudi) administra un negocio de Mercedes en Bangkok. El Bayern juega absurdos partidos amistosos en Malta, Túnez y Tailandia, siempre fluye mucho dinero por los derechos de transmisión. Por lo menos dos de los tres países votan más tarde a favor de Alemania.

Son muchas las coincidencias, ¿no? Puede ser …

El propio Beckenbauer comentó después de un »chanchullo«.

La elección del Comité Ejecutivo en 2000 ganó Alemania presumiblemente por la traición que cometió el representante neozelandés en la FIFA, Charles Dempsey. En la última vuelta él debería haber votado a favor de Sudáfrica. Así lo había decidido su Confederación de Fútbol de Oceanía. Con su voto Sudáfrica hubiera ganado.

¿Qué pasó?

Antes de la votación Dempsey salió del salón.

Y se abstuvo.

Así que Alemania ganó.

Había y hay muchos rumores y cuentos de soborno pero ninguna prueba. La primera ministra de Nueva Zelanda – Helen Clark – le pidió disculpa al presidente sudafricano. El ministro de deporte dijo: »Dempsey es una vergüenza nacional.«

Dempsey apenas explicó su voto extraño. En unas pocas entrevistas hablaba de »presión por influyentes grupos de interés en Europa«.

Murió en 2008.

IV

¿Por qué estoy hablando de esta historia vieja? Lo que pasa es que no hay relaciones limpias con una organización bastante corrupta y mafiosa como la FIFA. Tampoco Alemania lo logró.

Fíjense que el Mundial es una fiesta tan lucrativa que la FIFA – como dueña del torneo – puede hacer y exigir lo que quiera. Y la única que siempre gana en cada campeonato es la FIFA. El Mundial es una mina de oro.

Lo que más me decepcionó antes de la retirada chiquita de Sepp Blatter (que está laburando en este momento, sabe Dios lo que pasa en su búnker) – fue la actitud de los funcionarios europeos y sobre todo los de Alemania. Recordemos que la Federación Alemana del Futbol es la organización (individual) deportiva más grande del planeta. Tiene casi siete millones socios. Es mucho peso. Encima Alemania dispone de un poder económico extraordinario.

 

 

A eso voy. Si una nación tuvo la obligación y la opción de ir de delante de los demás, hubiera sido Alemania. Pero: Nuestro jefe del fútbol Wolfgang Niersbach – muy amigo de Beckenbauer, muy amigo de Blatter – él ni aun habló en la asamblea para marcar el paso. Igual que cualquier otro funcionario de la UEFA. Nada. Nada de nada. ¡Qué vergüenza!

O sea: Los viejos a quienes siempre les gusta echar un sermón a la juventud futbolística, a nuestros pibes – usando palabras como fair play, honestidad y valor cívico – ellos mismos no lo practican. Y ellos eran protagonistas, simpatizantes, patrocinadores o beneficiarios del blatterismo. Nadie se va a retirar a propia voluntad. Pero: ¿Basta que se va el jefe y el resto se queda?

V

A mí me cuesta muchísimo creer ahora en un cambio verdadero de la FIFA. Quienes lo quieren no lo pueden lograr. Les faltan poder y mayoría. Y quienes podrían lograrlo no quieren. A ellos les falta nada más que voluntad.

Olvídense del francés Michel Platini, el presidente de la UEFA. Esa organización también está llena de figuras oscuras. Platini asumió su cargo en 2007 por truchadas. Trabajó con Blatter por más de 20 años. Había apoyado la candidatura de este último en ‘98 y después lo aconsejó cuatro años.

La UEFA, monsieur Platini, los alemanes con Charles Dempsey: Todos tienen muertos en el placard. Y Blatter lo sabía. Por eso no tenía miedo de nadie. Pero el 2 de junio – cuatro días después de su reeleción – nos enteramos a quién le teme Blatter: al FBI.

Por lo tanto digo: La única manera de ordenar la FIFA es destrozarla, completamente, y empezar de nuevo. No, señoras y señores, ahora no estoy bromeando. Eso les digo en serio. Esa organización está demasiado estropeada. No se la puede reparar ni reformar.

Para ir finalizando quiero citar a Gary Lineker, ex jugador de Inglaterra. ¿Sabían que a los alemanes nos encanta todo lo que dice? Para nosotros, es una autoridad – por su frase que pasó a la historia. El fútbol según Lineker »es un juego simple: 22 hombres corren detrás de una pelota durante 90 minutos y, al final, los alemanes siempre ganan«.

Esta vez Lineker escribió en Twitter: »La FIFA está explotando. Lo mejor que le pudo pasar al juego hermoso.«

Muchas gracias por escucharme.

Pablo, Taxis auf der Galopprennbahn und die Feuerwehr von Buenos Aires

von CHRISTOPH WESEMANN

Argentinier lieben es, »estoy llegando« zu sagen. Wörtlich übersetzt heißt das: »Ich bin am Ankommen.« Und etwas freier: »Gleich da.« Die wahre Bedeutung des Satzes ist jedoch eine andere. Was der Argentinier dir eigentlich sagen will, wenn er »estoy llegando« sagt, ist: »Cheee boludo1, ich habe keine Ahnung, wann wir uns sehen, ich weiß, wir sind verabredet, allerdings ich bin gerade am Arsch der Welt, ich gehe zur U-Bahn, sobald ich genug Mate getrunken habe, kann aber nicht versprechen, dass auch eine kommt, und falls sie kommt, ob ich‘s schaffe, mich reinzuquetschen. Mach dir keine Sorgen, mein geliebter Freund, ich umarme dich. Bin gleich da.«

Jemand, der »estoy llegando« in sein Handy ruft und Sekunden darauf tatsächlich um die Ecke biegt und dir winkt, ist entweder ein Argentinier, der zu lange in Deutschland gelebt hat, oder ein Deutscher, der noch nicht lange genug in Argentinien lebt.

Ich bin in Buenos Aires schon oft zu spät gekommen, unter anderem zu einer Trauung (das Brautpaar allerdings auch) und zu einem Elternabend (aber früher als die Lehrerin). Ich hole die Dreijährige regelmäßig zu spät vom Kindergarten ab und werde dann – was oft schade ist – beim Ausredenerfinden von der Erzieherin unterbrochen: »No pasa nada.«

Gar nicht schlimm also.

Ein Fest im argentinischen Kindergarten

»Pünktlich zu sein ist erstens unüblich und zweitens unhöflich«, sagt mein Freund Pablo.

Pünktlichkeit trägt vor allem Stress mit sich. Man kommt unerwartet und trifft deshalb auf unvorbereitete Gastgeber: Sie ist noch ungeschminkt, er hat noch die Lockenwickler im Haar.

Noch vor ein paar Jahren kam es vor, dass selbst Fußballspiele der ersten argentinischen Liga verspätet begannen. Die Zeitungen vermeldeten den Anstoß um 17 Uhr, angestoßen wurde aber erst, als die Zuschauer im Stadion eingetroffen waren. Und die Schiedsrichter. Und die Spieler. Seitdem alle Partien im staatlichen Fernsehen übertragen werden, ist das vorbei.

Man hat gelernt, damit zu leben. Die Stimmung ist − trotz aller Gewalt − nach wie vor sensationell, das Spiel nach wie vor eher mau. Es heißt, der Fußball sei das, was Argentinien – diesen Haufen von Individualisten, dieses Land von Nachfahren europäischer Einwanderer und indigener Völker, zu denen sich heute die armen Glückssucher aus Bolivien, Paraguay und Peru gesellen – tatsächlich miteinander verbinde. Nur diese eine Liebe, und vielleicht noch der Anspruch auf die Malwinen.

 

Selbst ein gewöhnlicher Ausländer kann mit jedem Argentinier − ob Taxifahrer oder Kneipenbekanntschaft, Freund oder Tribünenkumpel − über alles reden. Aber in der Regel nicht − zumindest nicht objektiv − über:

1. Argentinien,

2. argentinischen Fußball,

3. den Papst,

4. die Malwinen,

5. die Tatsache, dass Argentinier, nun ja, ein spezieller Menschenschlag sind.

Jorge Valdano, 1986 Weltmeister an der Seite von Diego Maradona, erzählte in einem Interview mit dem »Spiegel« einmal:

Als Fußballer besaß ich eher so eine deutsche Geschicklichkeit. Argentinischer Fußball ist sehr wendig, Sie kennen diesen romantischen Mythos, sehr phantasievoll, sehr kreativ, Maradona eben.

Mauermalerei in der Nähe des Friedhofes von Chacarita in Buenos Aires

Und weil der Fußball am Río de la Plata das Leben ist, ist das Leben wie der Fußball. »In der argentinischen Gesellschaft gilt die Täuschung als Kunst. Wer es durch Tricks und Schläue zu etwas bringt in seinem Leben, genießt größeren Respekt als jemand, der durch Fleiß und Ehrlichkeit soweit gekommen ist«, sagte Valdano und lieferte gleich die passende Anekdote:Jorge Valdano

Bei meinem ersten Verein als Profi, damals noch in Argentinien bei den Newell’s Old Boys, gab es jeden Dienstag ein Lauftraining. Neben unserem Platz lag die Galopprennbahn, da mussten wir dreimal rum, das ist eine ziemlich lange Strecke. Bei meinem ersten Training bei den Old Boys geschah Folgendes: Ich lief vorneweg, ich war jung und schnell, ein athletischer Typ. Aber nach einer viertel Runde überholten mich zu meiner großen Überraschung die drei Stars des Teams − in einem Taxi. Sie hatten an der Strecke einen Freund mit seinem Auto postiert, der sie dann wieder absetzte, kurz bevor es auf die Zielgerade ging. Der Trainer hat das nicht mitbekommen. Um ein Star zu sein in Argentinien muss man nicht hart trainieren, sondern Taxi fahren.2

Und darf auf keinen Fall pünktlich sein.

»Wir wissen ja, dass wir nicht immer perfekt sind«, sagt Pablo. »Aber wir wollen es nicht von einem verdammten Ausländer hören. Verstehst du?«

»Nein.«

»Du solltest wissen: Wenn du morgen bei uns im Radio über unser Land lästerst, könnte eure Botschaft brennen.«

»Willst du mich einschüchtern, Pablo?«

»Nö, ist ja nicht meine Botschaft.«

Ich werde nicht über Argentinien lästern.

Ich habe Angst, dass die Feuerwehr von Buenos Aires zu spät anrückt.

  1. »He Schwachkopf« − eine sehr beliebte Anrede in Argentinien, auch unter Freunden []
  2. Marc Koch, der frühere Chefreporter und jetzige Erste-Welt-Korrespondent des Argentinischen Tagebuchs, hat das Zitat dankenswerterweise archiviert und dem Autor spendiert. []

Ein Herzensargentinier im Exil (2): There is no place like London

von HERRN T. (GASTBEITRAG)

Herr T. hat ein Jahr in Argentinien gelebt. Der Leser des Argentinischen Tagebuchs kennt ihn vor allem als nervenstarken Reisebegleiter nach Chile und Bolivien. Vor einem Jahr landete er wieder in Deutschland. Den ersten Teil seines Exil-Berichts gibt es hier.

♦♦♦♦♦

 

In grenzenloser Ablehnung erreichte Johnny Depp die britische Hauptstadt. Ein Barbier, der singt und mordet – wohl wahr: Tim Burton hatte schon bessere Ideen als in »Sweeney Todd«. Und doch pocht die argentinische Seele, als ich in London ankomme. Jeder vernünftige Argentinier denkt ja bei England gleich an den verlorenen Krieg von 1982 (um eine Insel voller Schafe) und an Diego Maradonas zwei Tore vier Jahre später im WM-Viertelfinale. Die ganze Welt spricht von den »Falklandinseln« – jeder vernünftige Argentinier nennt sie »Islas Malvinas«. Ja, jeder vernünftige Argentinier hat die Besitzansprüche seiner Heimat mit der Muttermilch aufgenommen. Egal, ob das Gespräch mit »Ich habe nichts gegen England« oder »Der Krieg war töricht« beginnt, es endet mit dem Satz: »Trotzdem gehören die Inseln zu Argentinien.«

Der Engländer scheint das entspannter zu sehen. Klar, er hat ja auch gewonnen. Den Krieg. Nicht das Viertelfinale.

Die sogenannte Galerie der Volkshelden im Präsidentenpalast

Ich halte mich aus diesem Konflikt grundsätzlich raus.

Man muss allerdings sagen, dass Südamerika in Sachen Unterkunft dem Inselkönigreich durchaus überlegen ist. Das Geld verlangt der Londoner nämlich cash und im Voraus, die Zimmer sind abgewetzt, die Küche macht auf Verfall, und auf die Frage nach W-Lan wird auf das Gratisnetz der nahegelegenen Bank verwiesen. Im Vergleich dazu kamen CW und ich auf all unseren Reisen – ja selbst in der bolivianischsten Einöde – wie Könige unter!

Nur: Wenn man sich nach Argentinien sehnt, aber das Geld nicht reicht, dort mal wieder vorbeizuschauen, reist man so weit, wie man eben kommt. Ich komme bis London, und in London war ich noch nie. Außerdem habe ich gehört, dass man dort auch ganz angenehm Silvestern feiern könne.

Ein Freund begleitet mich, sozusagen mein Bester. Zum Glück stehe ich aber weder auf seine Freundin noch auf seine Schwester. Eine Bromanze, wie man heute sagt. Maschinenbauer ist er und von bayerischem Geblüt. Der kennt also auch die Leiden von aufgezwungener Nationalität und Heimatlosigkeit. Mein Seelenlandsmann sozusagen. Wir klappern erst mal die Touristenattraktionen ab, aber klar doch, besuchen Big Ben, die Tower Bridge, die Milleniumbridge, wobei ich ziemlich sicher bin, dass die in »Harry Potter« zerstört wurde.

 

Überhaupt scheint unser Wissen über London sehr von Filmen geprägt zu sein. Wir suchen das MI6-Gebäude, aus dem James Bond mit seinem Boot springt. Finden es. Und sind glücklich.

 

CW hätte bestimmt gemault, wäre er dabei gewesen. Vom englischen Kino hält er noch viel weniger als vom französischen, und über das hat er sich immer schon wahnsinnig aufgeregt. Stundenlange Dialoge. Miese Autos. Solche Sachen. Er und ich, wir hatten übrigens auch einen waghalsigen und spektakulären Augenblick, damals auf dem Rückweg von Uyuni, der größten Salzwüste der Welt in Bolivien, als morgens um sechs der 13-jährige Sohn des Busfahrers das Steuer des riesigen Riesendoppeldeckers übernahm. Kurzer Stopp. Türenklappen. Weiter ging’s. Es ruckelte dann hin und wieder ein bisschen beim Runterschalten vor den scharfen Kurven, aber der Pickelige fuhr ziemlich gut. Fand ich. CW fand natürlich: Er selbst könnte das doch deutlich besser.

CW wäre natürlich gar nicht erst nach London gereist. Wegen der Malwinen. Gäbe es einen Sprachkurs, um Englisch wieder zu verlernen, unser falscher Oberargentinier säße da drin, erste Bankreihe, direkt vorm Lehrertisch.

Mein bayerischer Freund und ich sitzen mittlerweile in einer Londoner Kneipe, und plötzlich tippt er mir auf die Schulter. Die Zwei da reden Spanisch, sagt er. Ich horche auf. Ich gehe hin, frage nach und: Argentinierinnen! Und was für welche! Schon sprudelt es aus mir heraus. Mein erstes Praxisspanisch außerhalb von Skype, seit ich wieder in Europa bin. Die argentinische, also oft freie und noch öfter eigentlich falsche Grammatik, die in keinem Lehrbuch steht, ist immer noch da! Und jeder Satz beginnt wieder mit »Cheeeeeeee« (Hey!), jeder zweite endet mit »boludo« (Trottel, Schwachkopf).

Die beiden Studentinnen reisen durch Europa. Barcelona, Amsterdam und Paris haben sie bereits hinter sich gelassen. Jetzt sind sie in London und außerordentlich skeptisch. Ich verstehe das natürlich total. Las Malvinas fueron, son y serán argentinas. – Die Malwinen waren, sind und werden immer argentinisch sein. Jedenfalls in dieser letzten Nacht des Jahres.

Grafito auf der Plaza de Mayo von Buenos Aires

Zwischendurch denke ich an den 31. Dezember 2012. Córdoba, die zweitgrößte Stadt Argentiniens, wegen ihrer vielen Universitäten auch »La Docta« (Die Gelehrte) genannt. Eine Freundin hatte mich eingeladen. Wir feierten bei ihrem Freund und dessen Familie. Einer zwölfköpfigen. Und ich, der sie noch nicht richtig verstand. Irgendwann, ganz späte Stunde, sehr früher Morgen, fragte der Onkel: »Was macht der eigentlich hier?«

Ein paar Tage später verabschieden wir uns von London – und von den zwei Argentinierinnen. Sie versprechen, mich in Berlin zu besuchen. Cheeeee, ich warte.

Fortsetzung folgt.

Rumpelfußball reloaded

von MARC KOCH (Gastbeitrag)

Logo des WM-Tagebuchs - Zeichung: Danü (Daniel Schlierenzauer)

Marc Koch ist Lateinamerikakorrespondent der Deutschen Welle und lebt in Buenos Aires.

*****

Die zugegeben attraktive Dienstkleidung der Argentinier war noch kein bisschen beschmutzt, da hatten die Kommentatoren von Canal 7 schon die Erklärung parat: Der Boden im Stadion von São Paulo sei viel zu hart. Keineswegs liege es an den begnadeten argentinischen Fußballern, wenn der Umgang mit dem Spielgerät bisweilen etwas ungewöhnlich wirke. Wenn man zum Beispiel mal wieder nicht wusste, ob der Mann in weiß-himmelblau jetzt stoppen oder einen weiten Pass spielen wollte.

Dazu muss man wissen, dass Canal 7 das hiesige Staatsfernsehen und gleich nach Mate und Fernet-Cola eine der übelsten argentinischen Erfindungen ist. Zwischen Videoclips mit Regierungspropaganda senden sie ein bisschen Fußball und reden den schön, sofern es sich um das eigene Team handelt. Natürlich auch den Grottenkick gegen die Schweiz.

 

Nach diesem Spiel schickte der Hausherr CW, der von Fußball noch mehr versteht als von Marketing, eine SMS: »Noch dreimal so eine Scheiße, und wir haben den Pokal!«

Das klang irgendwie erschöpft. Aber Erschöpfte neigen ja dazu, große Dinge gelassen auszusprechen – unser MC Merte in der Eis-Eis-Tonne kann sozusagen ein Lied davon singen:

 

Und schon sind sie wieder da, die alten Geister.

Mit freundlicher Genehmigung von Härringers Spottschau (c)                              zum Vergrößern aufs Bild klicken

Keine zehn Tage ist es her, dass die Holländer gemeinschaftlich mit den Chilenen die Erfinder des schönen Fußballs getötet haben. Und schon ist er wieder salonfähig: der Rumpelfußball. (Es lohnt sich übrigens, Wikipedia nach »Rumpelfußball« zu fragen. Ich konnte nicht glauben, was ich da gesehen habe. (Grüße an die Kameraden von heftig.co!)

Hauptsache gewonnen ist wieder schick: zur Not auch mit einem »0,5 : 0«, wie Brasiliens Heulboje Neymar Junior gerade erklärt hat. Thomas Müller brandredet für »irgendwie gewinnen«, und das Fachblatt für den langen Ball in die Spitze lobt den »Schrottfußball«. Solange er erfolgreich ist. Die Rehabilitation des Rumpelfußballs feiert fröhliche Urständ.

Nur noch eine Frage der Zeit, wann die Fachpresse eine Wildcard für Griechenlands Finalteilnahme fordert.

Doch während wir dem Spirit von Mexiko, Chile und den USA nachtrauern und uns fit machen, Kolumbien und Belgien in die nächste Runde zu singen, kommt plötzlich Zuspruch von einer Seite, von der wir es nie erwartet hätten: von IHM. Dem, den sie hier für den ALLERGRÖSSTEN halten. ER also spricht zu uns: »Ich aber sage Euch: Wir können nicht immer nur der Sportclub Messi sein!« Und dann liest ER dem Übungsleiter Alejandro Sabella mal so richtig die Leviten.

ER will auch keinen Rumpelfußball. Dass ich das noch erleben darf!

Gracias, Diego!

*****

Härringers Spottschau hat uns freundlicherweise erlaubt, seinen Cartoon zu benutzen. Vielen Dank!

 

Der argentinische WM-Hit: Warum Brasilianer seit 24 Jahren heulen

von CHRISTOPH WESEMANN

Logo des WM-Tagebuchs - Zeichung: Danü (Daniel Schlierenzauer)

Wir sind alle noch ein bisschen erschöpft von unserem epischen 1:0 im Achtelfinale gegen die Schweiz gestern. Deshalb lassen wir heute die Seele baumeln und hören ein paar Versionen des argentinischen WM-Hits »Brasil, decime que se siente«. Fußball und Musik gehören in Argentinien naturgmäß zusammen, und die Musik wiederum soll bitteschön tanzbar sein. Argentinier tanzen wirklich gern, und nicht nur, wenn sie betrunken sind. (Dann natürlich auch.) Irgendeine Feier beginnt, die Musik wird aufgedreht – und die Tanzfläche ist sofort voll. Die ganz Jungen tanzen, die ganz Alten tanzen und die ganz Dazwischenen auch. So bleibt es, bis die Musik abgedreht wird. Kein Stimmungsmacher muss bitten und betteln, dass ein paar Leute aufstehen und mitmachen.

Beim Fußball wird leidenschaftlich gesungen, und mitunter kommt Großes dabei heraus: etwa die Nationalhymne, vorgetragen in der U-Bahn von Río de Janeiro vor dem Gruppenspiel gegen Bosnien-Herzegowina.

 

Genau so halte ich mich übrigens über Wasser, wenn bei Schul- oder Kindergartenfesten mal wieder die Hymne gefordert ist. Diesen elendig langen Text kann sich ja der größte Patriot nicht merken.

Nun aber zu »Brasil, decime que se siente« – so klingt das:

 

Das Lied spielt mit der großen südamerikanischen Fußballfeindschaft zwischen Brasilien und Argentinien. Das eine Land hat fünf WM-Titel, das andere demnächst drei; dem einen verdankt die Welt Pelé, dem anderen Diego Maradona (der wiederum das Tor das Jahrhunderts geschossen hat und überhaupt viel toller war). Das vorerst letzte Duell bei einer Weltmeisterschaft gewann vor 24 Jahren übrigens Argentinien. Das Siegtor in der 82. Minute schoss Claudio Caniggia (Spitzname: Cani) nach einem wunderbaren Solo von Diego.

 

Der schlechte Verlierer klagte hernach über Betrug – und das nur, weil unser Masseur dem Brasilianer Branco eine Trinkflasche gereicht hatte, die Schlaf- oder Brechmittel (vielleicht auch beides) mit ordentlich Alkohol enthielt. Argentiniens Nationaltrainer Carlos Bilardo sagte Jahre später: »Ich sage nicht, dass dies nicht passiert ist.«

Zurück zum WM-Gasserhauer. Die Melodie von »Bad Moon Rising« der amerikanischen Rockgruppe Creedence Clearwater Revival wird in Argentinien gern für Stadiongesänge benutzt – und kommt auch hier wieder zum Einsatz.

 

Gesungen wird also:

Brasil, decime qué se siente tener en casa a tu papá.

Te juro que aunque pasen los años, nunca nos vamos a olvidar…

Que el Diego te gambeteó, que Cani te vacunó, que estás llorando desde Italia hasta hoy.

A Messi lo vas a ver, la Copa nos va a traer, Maradona es más grande que Pelé.

Ich versuche mich mal an einer Übersetzung:

Brasilien, sag mir, wie es sich anfühlt, wenn dein schlimmster Feind wild in deiner Hütte feiert.

Und auch wenn’s lange her ist, werden wir es niemals vergessen, das schwöre ich dir:

Wie du 1990 von Diego schwindelig gespielt wurdest und Caniggia dich abgeschossen hat. Seitdem heulst du nun schon.

Und jetzt wirst du erleben, wie uns Messi den Pokal bringt. Maradona ist viel größer als Pelé.

Auch den Nationalspielern scheint das Lied zu gefallen, wie man im nächsten Video sehen wird. Mal ehrlich: Ist es vorstellbar, dass irgendetwas die deutschen Kicker so ausflippen lässt? Doch nicht mal der WM-Titel, oder?

 

 

 

Funkhaus Europa hat mit unseren Freuden vom Blog Argifutbol einen Hörbeitrag über argentinische Fangesänge veröffentlicht.

 

Argentinische Ruuuuuuudiiiiiiibildung

von MARCO MICHEL (Gastbeitrag)

Logo des WM-Tagebuchs - Zeichung: Danü (Daniel Schlierenzauer)

Glückwunsch, mein Lieber,

Deine Argentinier haben es tatsächlich ins Achtelfinale geschafft. Damit war nicht unbedingt zu rechnen – bei dieser hammerstarken Gruppe, in die Euch die Fifa, nun ja, angeblich gelost hat. Eure Gegner haben es verdient, gewürdigt zu werden.

Iran: laaaaaaaaaange Fußballtradition; man kann die Bolzplätze in und um Teheran kaum noch zählen.

Bosnien: alle Ex-Jugos können bekanntlich kicken.

Nigeria: sowieso schwer im Kommen, der schwarze Kontinent.

Aber eine Frage, amigo: Was habt Ihr denn für einen Trainer? Hat der schon mal was von einem Friseur gehört? Weiß der, dass es auch kürzere Krawatten gibt? Und Kollegen, erfolgreichere als er, die gar keine tragen?

Alejandro Sabella Telam

Argentiniens Nationaltrainer Alejandro Sabella                           Foto: Télam

Ihr müsst wahrscheinlich Belgien schlagen. Die zeigen in der ersten Halbzeit oft gar nix, geraten sogar manchmal absichtlich – wie gegen Algerien – in Rückstand, um dann souverän 2:1 zu gewinnen. So spielen Spitzenteams! Vorsicht! Ihr Argentinier neigt ja angeblich mitunter zum Größenwahn.

Wieso kümmert sich nicht Diego Maradona um die Mannschaft? Von der WM 2010 in Südafrika ist ja kaum mehr übriggeblieben als Euer ewiger Held auf der Trainerbank; der hellgraue, glänzende Anzug; die farblich darauf abgestimmte Krawatte, die – wie mir erst jetzt auffällt – ebenfalls ein bisschen phallisch gebunden war; und der Vollbart, natürlich ergraut. Ton in Ton, sagt man wohl. Vor allem aber trug Diego zwei Uhren! Und da heißt es immer, Pünktlichkeit werde in Argentinien als Unhöflichkeit betrachtet.

Unvergessen auch, wie Euer Dickerchen nach einem Freundschaftsspiel unseren Thomas Müller für einen Balljungen hielt und dessen Rauswurf aus der Pressekonferenz forderte. So eine Verwechslung kann passieren. Erstens hatte Müller nur 70 Minuten gespielt, und zweitens sehen für Argentinier sowieso alle Deutschen gleich aus.

 

Übrigens habe ich mich richtig erschrocken, als Diego gegen Iran auf der Stadionleinwand eingeblendet wurde: schwarzer Kapuzenpulli, wie ihn die Autonomen bei uns in Kreuzberg beim Tanz in den Mai tragen, schwarze Sonnenbrille, abgemagert, eine junge Frau im Arm (wahrscheinlich deshalb abgemagert), griesgrämig wie unser Ruuuuuuuuuuuuudiiiiiii damals auf Island.

 

Diego hat schon mal besser ausgesehen, meine ich. (Noch häufiger sah er natürlich viel, viel, viel, viel, viel, viel, viel schlechter aus, wie erinnern uns gut.) Jedenfalls verließ er das Stadion vor dem Abpfiff, und prompt erzielte Lionel Messi mit einem Traumtor das 1:0.

In der Nachspielzeit!

Gegen Iran!

Laaaaaaaaaaaange Fußballtradition!

Irgendein unbedeutender Fußballfunktionär (82) konstruierte dann noch einen Zusammenhang und faselte etwas von: »Der Pechvogel war weg, und wir haben gewonnen, die Hure, die ihn geboren hat!« Und Diego knurrte »armer Narr« zurück, rempelte verbal ein bisschen gegen die Fifa und streckte seinen Mittelfinger aus.

 

Also, Umgangsformen habt Ihr bei Euch da unten, Mann oh Mann! Unser Jogi ist uns ja schon unheimlich, wenn er mal aufstampft.

Abrazo fuerte desde Berlin!1

PS: Spaniens Nationaltrainer Vicente del Bosque will allen Ernstes weitermachen. Da war ja König Juan Carlos einsichtiger.

  1. Feste Umarmung aus Berlin []

Argentinische Helden

Diego Maradona, gezeichnet von Danü (c)

Themen

Suchen

Suchbegriff eingeben und «Enter»


Musik: Somos de acá

Steckbrief

Wir sind schnell.
Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geistes-
wissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie.


2012 von Christoph Wesemann in Buenos Aires gegründet. Derzeit im Exil. (Berlin)