- Argentinien hatte im 20. Jahrhundert bereits fünf Militärdiktaturen erlebt – dies war die sechste, und es war die schlimmste. Fast überall in Lateinamerika regierten seinerzeit die Militärs – doch nirgends herrschten sie so grausam wie in Argentinien.
- Von 1976 bis 1983 sind nach amtlichen Angaben mehr als 11000 Menschen ermordet worden oder verschwunden. Menschenrechtler schätzen die Opferzahl dreimal so hoch.
- Nach dem Umsturz 1976 regierten die neuen Machthaber zunächst ohne große innenpolitische Probleme, aber gleichwohl gewaltigem Druck auf Oppositionelle. Sie profitierten zunächst von einem Wirtschaftswachstum und dem Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 1978 im eigenen Land.
- Es folgte eine gewaltige Deindustrialisierung: Von 1975 bis 1982 fiel die Industrieproduktion um mehr als 20 Prozent, die industrielle Beschäftigung sank um 40 Prozent; fast 50000 Argentinier verloren ihre Arbeit. Der Anteil der Löhne am Volkseigentum fiel von 49 Prozent (1975) auf 32,5 Prozent (1982) – die Industrie stürzte auf das Niveau der sechziger Jahre ab.
- Der verlorene Falklandkrieg (1982) besiegelte das Ende der Militärs. In den Augen der Argentinier hatten sie nun bewiesen, dass sie weder ein Land führen können noch einen Krieg.
- Und es zeigten sich Korruption und Bereicherung vieler Offiziere an den von ihnen verschleppten und getöteten Opfern. Auch deshalb kehrte Argentinien ganz anders zur Demokratie zurück, als es südamerikanische Sitte ist: Gewöhnlich geschieht dies langsam, von oben gelenkt und unter Beteiligung der Militärs – es entstehen Pakte (pactismo). In Argentinien krachte das alte Regime einfach zusammen – es war eine ruptura, ein Bruch. Die Armee war so sehr diskreditiert, dass niemand sie in den Prozess der Demokratisierung einbinden wollte.
- Raúl Alfonsin kündigte im Wahlkampf Prozesse gegen die Verbrecher in Uniform und eine Einschränkung der Sonderrechte der Militärs an – und wurde mit 52 Prozent der Stimmen Präsident.
Aufarbeitung
- Die Art, wie Argentinien die Diktatur aufarbeitet, wird vielfach positiv bewertet und gilt vielen Fachleuten, etwa dem spanischen Richter Baltasar Garzón, als beispielhaft.
- So ließ Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner Anfang 2o1o sämtliche Geheimarchive der Jahre 1976 bis 1983 öffnen. Unter Verschluss bleiben nur die Dokumente zum Falklandkrieg. De facto waren sie vorher bereits zugänglich gewesen, aber nur per richterlicher Erlaubnis. Die Präsidentin nennt die Militärdiktatur »Staatsterrorismus der Streitkräfte«.
- Ihr Mann und Amtsvorgänger Néstor Kirchner hatte 2005 die Amnestiegesetze aufheben lassen – unter anderem, weil nicht mit internationalen Abkommen übereinstimmten.
- Bis zu 2500 Militärs standen und stehen deshalb vor Gericht. Das öffentliche Interesse an der Aufarbeitung dieser Vergangenheit ist groß.
Madres de la Plaza de Mayo
- Seit dem 30. April 1977 treffen sich Frauen mit weißen Kopftüchern, die Madres de la Plaza de Mayo, jeden Donnerstag um 15 Uhr. Eine halbe Stunde umrunden die Mütter stumm den Platz vor dem Präsidentenpalast, um an die desaparecidos zu erinnern, die bis heute in der Militärdiktatur Verschwundenen. Sie umrunden die Plaza de Mayo, weil Demonstrationen im Stehen damals verboten waren.