Nachtstück, beim Schein einer Petroleumlampe zu lesen
von MARC KOCH (Gastbeitrag)
Das Monumental. An einem Winterabend. Im August. (Ja, Mann! Wir sind hier auf der Südhalbkugel!) Der Tag hat gegen die Nacht den Kürzeren gezogen. Sieht scheiße aus: Gruselig-graue Nebelschwaden. Mäandernde rote Lichter von der Autobahn dahinter. Lächerlich gelbe Lampen auf dem Dach. El Más Grande in Winterpausenstimmung.
Vorletzte Woche haben wir Grondona zu Grabe getragen. Er ruht jetzt in einer Gruft. In Avellaneda. Im Süden von Buenos Aires. Als ich das letzte Mal dort war, ist einer auf der Hauptstraße überfahren worden. Warum auch nicht. Ist doch ’n schöner Ort dafür.
CW, der immer noch in Europa ist, hat noch einen Grund zur Trauer. »Unser bester Mann«, jammert er. Und dass sie doch schon vorher um den WM-Titel beschissen worden seien. So sind sie, die Argentinier. Könnten immer und überall die Besten sein. Wenn die anderen sie nur ließen.
Sagte ich schon, dass man das Selbstbewusstsein des Argentiniers am besten mit dem Satelliten von Google Maps misst?
Aba ick schweife ab.
Julio Humberto Grondona also war 35 Jahre lang der Präsident des hiesigen Fußballverbandes. Sowas wie ein DFB-Chef, nur ohne Adiletten. Sein Wahlspruch war auf seinen Siegelring graviert und lautete: »Todo pasa«. Auf Deutsch: »Alles kann passieren«. Was ja irgendwie eher an einen argentinischen Zollbeamten erinnert, als an einen Fußballpräsidenten. Oder an die Gemeinsamkeiten der Beiden: Grondona wurde – wie jedem Zollbeamten, der was werden will in diesem Land – eine gewisse Begabung beim Thema »Durchlässigkeit« nachgesagt. Solche Talente wecken natürlich die Aufmerksamkeit vieler Menschen: Derjenigen zum Beispiel, die von Staats wegen Millionen von Pesos ausgeben, damit auch im letzten Winkel eines gerade für zahlungsunfähig erklärten Landes Fußball geschaut werden kann. Hier, zum Beispiel
Oder derjenigen, die sich fragen, wieso der Vorsitzende einer Balltretervereinigung sieben Tage Staatstrauer bekommt und wie ein König zu Grabe getragen wird.
Und meine Aufmerksamkeit war natürlich auch hellwach.
Olle Grondona war noch nicht unter der Erde, da interviewten sie im hiesigen Qualitätsfernsehen schon einen Mann, der ein Buch über den mächtigen Fußballfunktionär geschrieben hatte. Und über seinen Einfluss auf die Politik. Und über die ganzen K-Wörter, die dieses Land regieren: Kirchnerismo. Ketchup. Kilmes. Korrup….. naja, so halt. Der Titel des Werks ist übrigens von Grondonas Siegelring geklaut: »Todo pasa«. Musste ich haben. Sollte auch kein Problem sein: Buenos Aires nennt sich ja gerne Hauptstadt der Literatur, weil Mitte des vergangenen Jahrhunderts ein paar übellaunige
und kettenrauchende
Männer ein paar ganz ordentliche Texte geschrieben haben. Deswegen gibt es ja auch einen Haufen schöner Buchhandlungen hier. Voll mit Büchern.
»Hola, pelotudo, ich möchte dieses Buch über Grondona«
»Du meinst Todo Pasa?«
»La concha de tu madre, genau das!«
»Ist nicht da«
»Dann bestelle es bitte«
»Geht nicht, boludo. Ausverkauft. Versuch’ es in einem der Antiquariate auf der Avenida Corrientes«
Antiquariate!!! Das Ding ist von 2012. Aber so geht mir das immer: Kaum will ich ein Buch kaufen, ist es weg. Selbst wenn es gestern rausgekommen ist. Nur die Biografien der Präsidentin und Sachbücher, die beweisen wollen, dass die Falklands argentinisch sind, gibt es immer. Und natürlich Messi-Bildbände und Krimis.
Jetzt werde ich also nie erfahren, wie man so wie Grondona wird. Der Zeitpunkt wäre gut gewesen: Die Liga beginnt gerade wieder. Und der Verband braucht einen neuen Präsidenten.
Ich hätte kandidiert.