Tigerstaat
von CHRISTOPH WESEMANN
Stille.
Ein Ausflugslokal, kurz bevor der Río Cápitan in den Río Paraná fließt, der wiederum in den Río de la Plata fließt. Wir sind im Paraná-Delta, nördlich von Buenos Aires, einem beliebten Erholungsgebiet der Porteños, der immer gestressten Hauptstädter. Das »Labyrinth aus mehr als 350 Inseln, Flüssen und Kanälen« ist halb so groß wie Belgien und eines der größten Süßwasserdeltas der Welt. Danke, Reiseführer.
Stilleunterbrechung: Zweimannjetskirockerbande.
Wieder Stille; unbeschreiblich nur, weil Stille nun mal stille ist.
Bald, in ein paar Wochen schon, erzählen Porteños, wird es hier laut sein und voll und unerträglich. Wohlhabende Hauptstädter haben im Delta ein Häuschen auf Stelzen, das sie entweder selbst bewohnen oder zu sagenhaften Preisen vermieten. Im Reiseführer steht: »Während der Gelbfieberepidemie, unter der Buenos Aires 1871 litt, diente das Delta vielen Städtern als rettender Hafen fern der Seuche.«
Der Ausflug durchs Delta beginnt in der Stadt Tigre. Tiger haben in der Provinz Buenos Aires nie gelebt, aber irgendein Tierbanause hat vor Jahrhunderten mal die Jaguare, die es gab, zu Tigern erklärt. Vielleicht war es auch ganz anders. Die Geschichte des Stadtnamens ist auch ein Labyrinth.
Rauf aufs Wassertaxi. An der Ostsee nennt man so was Barkasse. Schön eng ist’es drinnen. Was nicht lebt und Hunde kommen oben aufs Dach. Der Kapitän sitzt auf einem Barhocker und trägt Slipper an nackten Füßen, Sonnenbrille, Fünftagebart, einen Haarspoiler. Der Mate ist griffbereit.
Abfahrt. Die Haltestellen werden durchgebrüllt. Es geht immer ganz schnell: anlegen am Steg, Tau festbinden, Passagiere raus, der Taufestbinder hält den Señoras selbstverständlich die Hand. Weiter geht’s.
Die Kinder des Deltas fahren übrigens auch mit dem Schiff zur Schule, weil’s keine Straßen gibt. Supermarktschiffe bringen, was die Leute so brauchen.
Che, schau mal, das Museum des früheren Präsidenten Domingo Faustino Sarmiento (1811 bis 1888). Sein altes Wochenendhaus steht in einem Glaskasten. Diesmal spicken wir nicht im Reiseführer, denn der Sohn hat Sarmiento, den großen argentinischen Helden, gerade im Unterricht durchgenommen. Los, Sohn, erzähl doch mal, was der Kerl so gemacht hat?
»Also, der war … äh, der hat … ich weiß nicht genau … er hat viel gearbeitet.«
Viel besser kann man’s nicht sagen. Hast dir einen Fuffi verdient, Junge.
Hach, wäre es schön, wenn man begabt wäre, Natur zu beschreiben. Ist man aber nicht. Zurück nach Buenos Aires.