Zwei Deutsche, räumlich getrennt, auf zwei Kontinenten. MC, früherer Lateinamerikakorrrespondent der Deutschen Welle, ist dem Leser als regelmäßiger Autor des Argentinischen Tagebuchs vertraut und hat bereits in diversen Komödien mitgespielt. Er hat lange in Buenos Aires gelebt. CW tut es noch. Und weil die beiden zwei sehr moderne Helden sind, sprechen sie nicht direkt miteinander, sondern mittels Whatsapp und Facebook-Chat.

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ERSTE SZENE

CW. Ich lese übrigens gerade »Herr Pep«, das Buch von Martí Perarnau über Guardiolas erstes Jahr beim FC Bayern. Auf Spanisch, weil’s billiger war als die deutsche Ausgabe. Schön erzählt. Tolle Anekdoten. Was allerdings arg nervt: hemos visto, han ganado, he dicho1. Habe ich noch nie benutzt. Ist das dieser ominöse Perfekt? Vollkommen überflüssig, wenn Du mich fragst. Oder reden normal entwickelte Spanisch sprechende Völker so?

Wörterbuch

MC. Das ist korrektes Spanisch. Bildet eine Verlaufsform der Vergangenheit ab, die dem knöcheltief in seiner Geschichte stehenden La-Plata-Spanier nicht verständlich ist.

CW. Verlaufsform, aha. ¡Qué sé yo!2

MC. Das heißt: ¡Yo qué sé!

CW. In Madrid vielleicht, wo ja Dein Kolonialherrenspanisch herstammt.

MC. Überall, wo christlich gesprochen wird.

CW. Ich bin Argentinier. ¡Andate!3

MC. Véte, heißt das.

CW. Nie gehört.

MC. Der Imperativ von irse. Der Spanier kann noch starke Flektion.

CW. Asador
Hübsches Foto, ne?

MC. 1959? Nach der Einnahme von La Habana?

CW. Die Geschichte muss neu geschrieben werden, wenigstens teilweise. El comandante Fidel. El Che. Und El Wese. Ach, vergiss den Medizinmann. Wir haben Havanna natürlich nicht eingenommen, sondern befreit.

MC. Das ist doch bei Euch immer das Gleiche.

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ZWEITE SZENE

CW. So ein Mist.

MC. Was?

CW. Ich habe plötzlich kein Internet mehr. Der schöne Stream ist weg. Das Halbfinale des DFB-Pokals! Wieso kommt dieses Spiel auch nicht im argentinischen Fernsehen? Die zeigen lieber Mr. Empoli gegen Dr. Caligari … Cagliari … was weiß ich, jedenfalls Mafialiga. Scheiß Argentinien! Verdammte Präsidentin! Verfluchter Peronismus! Und Evita kann mich auch mal.

Helden des Peronismus, von links: Héctor Cámpora, Evita, Juan Domingo Perón, Néstor Kirchner, Cristina Kirchner

> Helden des Peronismus, von links: Héctor Cámpora, Evita, Juan Domingo Perón, Néstor Kirchner und Cristina Kirchner

MC. Wesemann! Ich wusste, Du begreifst es irgendwann. Aber: Lass das Land in Ruhe. Die Präsidentin kann nichts dafür. Sie hat es nicht gewusst. Wie früher.

CW. Obendrein ist das Wasser kalt; auch so ein Zusammenhang, den es nur in Argentinien gibt.

MC. Weiß ich doch. Wenn Du in Buenos Aires kein Internet hast, hast Du auch kein heißes Wasser. Aber: Wenn das Wasser heiß ist, heißt das noch lange nicht, dass Du Internet hast.

CW. Aquí también la Nación Crece.4

Werbetafel in der Provinz Misiones

> Werbetafel in der Provinz Misiones

MC. Noch zehn Minuten. Gagelmann raus!

CW. Das von Schmelzer war keine Hand.

MC. Du hast es doch gar nicht gesehen.

CW. Marcel ist, so wie ich, in Magdeburg geboren. Er hat, anders als ich, für den 1. FC Magdeburg gespielt. Für den Club. Europapokalsieger 1974. Schmelzer darf alles.

MC. Die Hand soll ihm abfaulen! Hab‘s damals übrigens nicht geguckt, Euer Finale gegen den AC Mailand. Hat das überhaupt jemand geguckt in der normalen Welt? 4641 Zuschauer im Stadion, sagt Wikipedia. Ewige Minuskulisse.

CW. Sohn kommt gerade von der Schule. Und flucht auch gleich auf die Präsidentin.

MC. Saludos an meinen kleinen Bayernfan.

CW. Er grüßt zurück. So langsam wird er erwachsen, also, er misstraut mir neuerdings. Hab ihm vor ein paar Tagen erzählt, dass das 6:1 gegen Porto wiederholt werden muss, wegen Peps zerrissener Hose, klarer Verstoß gegen Uefa-Regularien usw. Da sagte er:

Ja, und letztes Jahr hab ich dir geglaubt, dass die Meisterschaft nachträglich an Dortmund geht, weil Pep die Meisterschale hat fallen lassen. Und das WM-Finale gegen Argentinien wird noch mal gespielt, weil Neuer ein grünes Trikot anhatte und man das im Endspiel nicht darf wegen gleicher Farbe wie der Rasen.

MC. Neuer: souverän! Sohn: Weltklasse!

CW. Mein Sohn!

MC. DIE BRINGEN LEWA UM, UND DER PFEIFT NICHT!!!! Zweiter klarer Elfer! Der gehört doch auf die Sportakademie, der Gagelmann.

CW. Uli schlägt in der JVA gerade jemanden zusammen.

MC. Mit Recht. 90 Sekunden bis zum Elfmeterschießen.

CW. Und ich bin ohne Internet. Und ohne Warmwasser. Ich dreh aber noch mal am Hahn. Gleich zurück.

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DRITTE SZENE

MC. Wir fangen an. Lahm:

CW. Pfosten.

MC. Vorbei. Rutscht weg wie Beckham damals gegen die Türken.
Gündoğan trifft.
Xabi. Aus. Wie Lahm. Rutscht weg.
Kehl. Tor.
Götze. Langerak hält.

CW. Was ist da los?

MC. Bestechung.
Hummels. Neuer!

CW. Sohn weint.

MC. Noch nicht! Neuer schießt. Latte.
Jetzt ja.

CW. Und ich bin so schlecht im Bayernsäue-Trösten.

MC. Du lachst ja auch schon wieder hinter seinem Rücken. Und er bekommt es natürlich mit. Weil er Dich durchschaut.

CW. Er sagt einen Satz, den nur ein Bayernfan sagen kann:

Immer verlieren wir.

MC. Mit rechten Dingen ging das jedenfalls nicht zu. Betrug. Bestechung. Beschiss.

CW. Heul doch! #schlechteVerlierer.

MC. Immer verlieren wir.

CW. Diese Saison nur noch zweimal. #Barça #MesQueUnClub #Messi #Mascherano

MC. Ein Unentschieden und zwei Siege. #SternDesSüdens

CW. Stern des Südens? Strauß? Der große FJS? Der die Westbindung erfunden hat?

MC. Mein lieber junger Freund, das war Adenauer!!! Der den Soffjets die Oder-Neiße-Linie aufgezwungen hat. Entweder man akzeptiert sie. Oder man ist nicht unser Freund. So war er, der Konny. Der Osten? Fort mit Schaden! Einer der wenigen Punkte, an denen sich Thomas Mann geirrt hat. #schlechterrussentisch #klawdiachauchat #zauberberg

CW. Amen, Herr Grass.

MC. Aber Günter wollte immer auf die andere Seite der Oder-Neiße-Linie.

CW. Äh, auf welche Seite jetzt? Der war doch früh auf der anderen Seite. Geboren in Gdánsk. Meine Oma war übrigens auch Vertriebene!

MC. Aber er wollte zurück. Deine Oma nicht.

CW. Und wer hat ihn aufgehalten?

MC. Die Gruppe 47. Nach seiner Lesung der »Blechtrommel« haben sie für ein Stipendium gesammelt. Jedes Mal, wenn wieder 500 DM zusammen waren, kam Richter am Tresen vorbei, und Grass hat einen Obstler genommen. Nach diesem Abend war er reich. Und dann berühmt.

CW. Die Gruppe 47 ging mir schon beim Abi auf den Wecker. Nur Schaumschläger. Aber gutes Marketing. Peter Weiss, war der da auch drin? Und Enzensberger? Konnten ja alle nicht für fünf Pfennig schreiben. Da ist mir die Gruppe 74 lieber.

gruppe 74

MC. Die mit Müller, Maier und Hoeneß?

CW. Ja, und mit Katsche.

Zwei Beine, ohne Interesse an Genialität,
vereinfachter Mechanismus, nichts Brasilianisches,
kein Sternenlauf, kein Jubel in den Fußgelenken,
Standbein, Schussbein, nichts für Genießer,
und trotzdem einer, dessen die Menschen,
die ihn spielen sahen, gedenken.

MC.

Unzuständig für alles Künstlerische!
Kein Dribbling, kein nie gesehener Trick,
stattdessen Luft für neunzig Minuten,
und notfalls für die Verlängerung, wenn die Kollegen Krämpfe quälen.
Merkwürdig, daß so einer, eckig wie eine leer gegessene
Pralinenschachtel, etwas trifft, das rund ist.

CW. »Gedicht für Georg Schwarzenbeck«. Das einzig Brauchbare und halbwegs Verständliche von Wolf Wondratschek.

MC. Lessing sagt:

Wer mich einen Intellektuellen nennt, dem hau‘ ich eine rein!

Aus dem Hintergrund wird »Fußball ist unser Leben« langsam unter den letzten Worten durchgeblendet. Estragon und Wladimir schauen sich fragend an. Botho Strauß zerknüllt ein Stück Papier und verlässt den Raum. Irgendwo pinkelt jemand auf ein Buch von Ggm. Frau CW nimmt die Kinder und zieht zu ihrer Mutter.

VORHANG.

  1. wir haben gesehen, sie haben gewonnen, er hat gesagt []
  2. Was weiß ich! []
  3. Hau ab! []
  4. Bekannter Satz auf Werbetafeln der argentinischen Regierung überall im Land: »Auch hier wächst die Nation.« []