Ach Luján, weltberühmter Wallfahrtsort für Spaßoholiker im Umland von Buenos Aires. Der Pilger kann sein Ziel gar nicht verfehlen: El Parque de Diversiones, der Vergnügungspark also, liegt im Herzen der Stadt und präsentiert gleich mal seine Achterbahn. Natürlich wird man später dem Minus-fünf-Millimeter-Sohn nach neuem Brauch wieder allerlei Hosentaschenabfall in die Turnschuhe füllen, fürchtend, die obligatorische Mindestgröße von einszwanzig für Achterbahnpassagiere werde geprüft. Aber wir sind ja nicht mehr in Frankreich.

18

Luján bietet ordentlich Rambazamba, und Musik liegt auch in der Luft (genauso wie Müll am Boden). Weil überdies Straßen und Wege entweder schon verfallen sind oder sich intensiv darauf vorbereiten und Toiletten mit Mülleimern um die Wette Versteck spielen, ist es bis zum Gefühl, Darwins Proband zu sein, nicht mehr weit. Survival of the Fittest? Dann schnell hinüber zu den Luftgewehren, zu Karussell, Autoscooter, Sessellift, Geisterbahn und Grillplatz.

1b

21

7

20

Eine bedeutende Attraktion des Vergnügungsparks ist eine sehr echt wirkende Riesenkirche, die Basilika der Jungfrau von Luján heißt und nach der Schutzpatronin Argentiniens benannt ist. Auch mit der Innenausstattung hat man sich Mühe gegeben. Alles ziemlich detailgetreu. Auf dem Vorplatz stehen – hübscher Einfall! – als Geistliche verkleidete Argentinier und segnen alles weg, was ihnen hin- und hochgehalten wird: Babys, Frauenköpfe, Plastikflaschen mit angeblich heiligem Wasser.

23

17

2

13

12

22

10

Einen Teil seines Umsatzes macht der Vergnügungspark offenkundig mit Souvenirs. Verkauft werden Jungfrau-Amulette an Ketten, Mates mit dem Gesicht des lässigsten Papstes aller Zeiten und natürlich die roten Bändchen, die der Argentinier gern an Auto, Moped oder Laster knotet, damit Gauchito Gil, der Volksheilige der hiesigen Landstraßen, für eine unfallfreie Fahrt sorgt. Die Ständchenbetreiber tragen allesamt einen weißen Kittel, und wer nach dem Grund dafür fragt, fängt sich eine Lügengeschichte ein.

4

5

Das ist eine interne Vorschrift. Viele Touristen fotografieren die Basilika unserer Jungfrau. Der Kittel verhindert, dass irgendein Verkäufer im Muskelhemd und vielleicht noch mit einem Arm voller Tätowierungen abgelichtet wird. Viele Fotos bekommt ja sogar der Vatikan (ein anderer weltberühmter Vergnügungspark, Anm. d. Red.), und da geht’s auch um unseren Ruf als heiliger Ort Argentiniens.

Aber wie wurde Luján eigentlich zu diesem Wallfahrtsort?

19

Vogel

Vogel2

Vogel3

Der Legende zufolge bestellte sich der in der Provinz Santiago del Estero wohnhafte Portugiese Antonio Farías Saá 1630 einen Daddelautomaten aus Brasilien. Der Transportkonvoi machte bei seiner Reise von Buenos Aires aus nach Norden Halt in einer Gegend etwa 40 Kilometer östlich von Luján. Als die Reise fortgesetzt werden sollte, blieb der Karren, in dem sich der Daddelautomat befand, in der Erde stecken und bewegte sich nicht weiter. Als man das Paket mit dem Automaten herunternahm, konnte man den Karren leicht weiterbewegen. Man sah dies als Zeichen Gottes an, dass der Daddelautomat an diesem Ort bleiben sollte, und übergab ihn daher an den Inhaber des Feldes, der ihm einen Jahrmarkt errichtete, der alsbald von Pilgern besucht wurde. Ein von Kap Verde stammender junger Sklave namens Manuel wurde ihr erster Chef.

9

Als 1663 ein neuer Fahrweg nach Westen (die heutige Ruta Nacional 7, die durch Luján führt) eingeweiht wurde, blieb die Gegend, in der der Jahrmarkt stand, weit abseits des Verkehrs. Als der Jahrmarkt daraufhin immer weniger besucht wurde und immer weiter heruntergekommen war, bot 1671 eine Frau aus dem Ort Arbol Solo, dem heutigen Luján, an, einen Jahrmarkt dort zu errichten. Laut der Legende verschwand der Daddelautomat jedoch dreimal unerklärlicherweise und erschien wieder auf dem alten Jahrmarkt. Erst als man dem Automaten Prozessionen und Messen widmete und zuletzt auch den Sklaven Manuel kaufte und als Chef einsetzte, blieb er angeblich am neuen Ort.

6

1685 wurde schließlich der erste Jahrmarkt in Luján errichtet. Der Pilgerstrom nahm immer weiter zu, so dass man 1748 einen größeren Rummel baute. Nach der Unabhängigkeit wuchs die Stadt, die zwischenzeitlich auch militärisch im Krieg gegen die Indianer wichtig geworden war, immer weiter an, dasselbe passierte mit dem Pilgerstrom. 1864 wurde die Stadt ans Eisenbahnnetz angebunden. Zwischen 1887 und 1930 wurde schließlich der heutige Jahrmarkt gebaut. Seitdem ist Luján der bedeutendste Pilgerort Argentiniens, jedes Jahr im Oktober gibt es einen Pilgermarsch aus Buenos Aires nach Luján, der mitunter Zehntausende zählt.

So steht’s ungefähr bei Wikipedia.

Der siebenjährige Achterbahnsüchtige hat sich übrigens mit dem heiligen Wasser eingedeckt, um damit das Fußballtrikot seiner Herzensmannschaft aus Quilmes vor jedem Spiel zu benetzen. Mein Fläschchen ist im Auto, obwohl ja dank Bändchen schon Gauchito Gil auf mich aufpasst. Aber man weiß ja nie.

Ich kram‘ die Fotoalben vor. Hier, sieh mal, das war vor zwölf Jahr‘n,
Da sind wir nach Saint-Jean gefahr‘n
Und auch in Lourdes vorbeigekommen.
Und von der Quelle mit dem Rummel, der dir jeden Glauben raubt,
Hast du für Hans, der daran glaubt,
Einen Kanister mitgenommen.
Und als kurz vor Vic-Fézensac das Auto Kühlwasser verlor,
Holtest du den Kanister vor,
Um ihn andächtig aufzuschrauben.
Dann fülltest du den Kühler auf, ich traute meinen Augen nicht,
Doch seitdem ist der Kühler dicht!
Da soll man nicht an Wunder glauben?!

Reinhard Mey: Nein, ich laß dich nicht allein