Frisches Angeberwissen (3)
von CHRISTOPH WESEMANN
Ich habe schon eine ganze Weile nicht mehr an der Landeskunde geschraubt. Das hole ich jetzt nach, indem ich eine Reihe beim Lesen entdeckter Statistiken über Argentinien präsentiere. Zum Verständnis vorab: Alle Preise und Löhne sind in Peso angegeben. Der offizielle Peso-Euro-Wechselkurs steht derzeit bei etwa 10,8 : 1. Außerdem ist Argentinien fast achtmal so groß wie Deutschland, hat aber nur halb so viele Einwohner.
Erster Teil: Löhne, Armut, Arbeitslosigkeit und Kino
Zweiter Teil: Politik, Protest, Straßensperren, Unfälle und Taxi fahren
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Bildung
- 76,5 Prozent der Vierjährigen in Argentinien besuchen den Kindergarten, der aber eine Art Vorschule ist. In der Provinz Salta sind es allerdings nur 36,4 Prozent. Der Anteil der Kindergartenkinder unter den Dreijährigen beträgt landesweit 36,1 Prozent. Die Regierung will den Kindergartenbesuch ab dem vierten Lebensjahr zur Pflicht machen.
- 1047 Schulen und 353 Kindergärten gibt es in der Hauptstadt Buenos Aires, außerdem 63 Sprachschulen und 79 Schulen für Tanz, Musik und Bildende Künste. Die Zahlen stammen aus der 2013 veröffentlichten Studie des Ministeriums für Stadtentwicklung.
- Die Zahl der Schulabgänger, die Lehrer werden wollen, steigt in Argentinien. 2008 studierten 298 435 den Beruf, vier Jahren später waren es 384 980 − ein Plus von 29 Prozent. Im ganzen Land gibt es 1317 pädagogische Ausbildungsstätten.
- Der Lehrerberuf gilt wegen der hohen Schülerzahlen als krisensicher, außerdem sind die Gehälter in den vergangenen Jahren zum Teil deutlich erhöht worden. Allerdings: Finanziell besonders lukrativ ist das Unterrichten nach wie vor nicht.
- Das argentische Schuljahr beginnt Ende Februar/Anfang März und endet Mitte Dezember. Weltweit ist Argentinien eines der Länder mit den wenigsten Unterricht. Gesetzlich vorgeschrieben sind mindestens 190 Unterrichtstage pro Jahr − zehn weniger als zum Beispiel in Mexiko und Brasilien. (Spanien und Frankreich haben nur 175 Unterrichtstage − an Ganztagsschulen allerdings, die in Argentinien nur von neun Prozent der Schüler besucht werden.) Auch die 190 Tage werden − etwa wegen der streikenden Lehrer − von öffentlichen Schulen kaum erreicht. Im Jahr 2014 schaffen es nur zwei Provinzen von 23 Provinzen: San Luis und Santiago del Estero.
- Seit 2006 ist die Sekundarstufe Pflicht in Argentinien. Doch nur 43 Prozent der Schüler schließen sie laut einer Analyse der Unesco in der vorgegebenen Zeit ab. Damit liegt Argentinien auf Platz 11 von 13 untersuchten Ländern − in Peru, dem Spitzenreiter, sind es 70 Prozent. Auch Chile (68), Kuba (63), Kolumbien (61), Bolivien (56), Costa Rica (51), Paraguay (48), Ecuador (47), El Salvador (46) und Mexiko (44) liegen im Ranking vor Argentinien. Nur Panamá (41) und Guatemala (39) sind schlechter.
- Prozentualer Anteil der Schüler, die 2001 eingeschult wurden und die Sekundarstufe 2012 mit einem Abschluss verlassen haben, geordnet nach Provinzen:
Hauptstadt Buenos Aires: 55,4
Feuerland: 44,7
La Rioja: 41,4
La Pampa: 40,3
Córdoba: 39,8
Provinz Buenos Aires, außerhalb des Hauptstadtspeckgürtels: 38,2
Jujuy: 37,1
Neuquén: 36,7
Tucumán: 36,4
Catamarca: 36,2
Chubut: 34,6
Santa Cruz: 34,2
Salta: 33,2
Río Negro: 31,6
Provinz Buenos Aires, innerhalb des Hauptstadtspeckgürtels: 31,1
Mendoza: 30,7
Santa Fe: 30,7
Entre Ríos: 30,0
Formosa: 28,8
San Juan: 28,4
San Luis: 27,8
Chaco: 26,7
Corrientes: 24,5
Santiago del Estero: 22,2
Misiones: 20,6
- Auffällig ist vor allem der Unterschied zwischen öffentlichen und privaten Schulen: So schafften 64,3 Prozent der 2001 eingeschulten Privatschüler 2012 den Abschluss − an den öffentlichen Schulen waren es nur 25,4.
- Die Universität von Buenos Aires, kurz La UBA, ist mit mehr als 300 000 Studenten die größte Hochschule des Landes. Es folgen die Universitäten von Córdoba und La Plata mit jeweils mehr als 100 000. Gegründet wurde die UBA 1821. Sie hat 7000 Forscher und Wissenschaftler. Außerdem gehören zu ihr vier Krankenhäuser und 14 Museen.
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Fußball
- Carlos Bianchi, genannt El Virrey (der Vizekönig), ist der erfolgreichste Vereinstrainer des Landes. Er holte insgesamt 15 nationale und internationale Titel − sechs mit Vélez Sarsfield, neun mit den Boca Juniors. Von seinen 352 Spielen als Boca-Trainer gewann er 181. 99-mal spielte die Mannschaft unentschieden; 71 Partien gingen verloren. Insgesamt kommt Bianchi auf 497 Spiele als Trainer.
- Der Superclásico, das Duell zwischen den beiden Großklubs Boca Juniors und River Plate: Es gab bislang 193 Erstligaspiele. Boca gewann 70-mal (265 Tore), River 63-mal (252 Tore); 60 Unentschieden.
- Aktueller Schuldenstand der fünf großen Vereine im argentinischen Fußball: Racing Club: 133 Millionen Pesos; San Lorenzo: 168; Boca Juniors: 180; Independiente und River Plate: zusammen fast 1 Milliarde. Nimmt man die übrigen Klubs hinzu, beträgt der Schuldenstand fast zwei Milliarden Pesos und ist damit doppelt so hoch wie 2009, als die Regierung zum ersten Mal dem Fußballverband Afa die TV-Übertragungsrechte abkaufte − angeblich, damit sich die Klubs sanieren können.
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Konsum, Handel, Tourismus
- 30 000 panaderías (Bäckereien) gibt es in Argentinien.
- Die Miete für ein Geschäft in der Calle Florida, der Fußgängerzone von Buenos Aires, kostet im Durchschnitt 2000 Pesos pro Quadratmeter. Damit ist Florida die teuerste Straße der Hauptstadt. Die zweitteuerste ist die Avenida Cabildo mit 485 Pesos
- Es blüht das Geschäft der »manteros«, der illegalen Straßenverkäufer. An vielen Ecken der Hauptstadt wird auf dem Bürgersteig gehandelt. Der größte Markt dieser Art befindet sich auf der Avenida Avellaneda mit heute 661 Ständen (2013: 353). 19 Prozent aller manteros in der Hauptstadt arbeiten hier; geschätzt wird, dass jeder von ihnen pro Arbeitstag Waren im Wert von mehr als 1000 Pesos verkauft − natürlich schwarz.
[visualizer id=“6176″] Quelle: Ministeriums für Stadtentwicklung von Buenos Aires, veröffentlicht 2013.
[visualizer id=“6392″] Quelle: Ministeriums für Stadtentwicklung von Buenos Aires, veröffentlicht 2013.
»Telos« ist ein Wort aus dem Lunfardo, einer besonderen Spanischvariante in Buenos Aires. Dabei werden Buchstaben verdreht: aus »cafe« wird »feca«, aus »muchachos« »chochamus« und aus »hotel« »telo«. Telos sind Stundenhotels, die Paare − auch verheiratete − gemeinsam aufsuchen, wenn sie ungestört sein wollen.
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Noch einmal Buenos Aires − das große Zahlenfinale
- 112 463 private und 2778 kommerzielle Garagen und Parkhäuser; 370 Tankstellen
- 126 905 Geschäfte, davon 11356 in Galerien und Shoppingcentern
- 5365 Kioske, 2115 Supermärkte, 1939 Gemüse- und Obstgeschäfte, 764 Fleischereien, 413 Diätläden, 117 Fischgeschäfte, 10 Spezialläden für Bienenhonig
- 1050 Möbelgeschäfte, 228 Matratzengeschäfte
- 3626 Friseursalons, 244 Schönheits- und Kosmetiksalons, 242 Salons für Pediküre und Enthaarung, 24 Massagesalons
- 1811 Wäschereien und Reinigungen (in Argentinien lässt man waschen), 168 Bestattungsinstitute
- Die meisten Apothekte gibt es im − reicheren − Norden der Hauptstadt: 110 im Stadtteil Recoleta, 107 in Palermo.
Quelle: Ministeriums für Stadtentwicklung von Buenos Aires, veröffentlicht 2013.