Bolivianisches Tagebuch (III): Butch Wesemann und Sundance T., die versteckte Kamera und zwei Gesangseinlagen
von CHRISTOPH WESEMANN
Herr T. und CW, wollt Ihr etwa immer noch zur größten Salzwüste der Welt nach Uyuni? Wie denn, ohne Reisepässe? Aha, soso, unsere beiden Helden vertrauen also Rotkäppchen, dem geheimnisvollen Fremden von der Grenze, der sie an sich genommen hat: die Pässe und ihre Besitzer. Schauen wir mal, wie sich Herr T. und CW im dritten Teil schlagen. Jetzt kommt Bolivien, und die Jungs können alles gebrauchen: Daumendrücken, Gebete, religiöse Opfergaben. Auf geht’s!
- Vorgeschichte und erster Teil: Mit Kokaface ins Indianerland
- Zweiter Teil: Rotkäppchen und zwei Grenzgänger am Arsch der Welt
La Quiaca (Argentinien) → Villazón (Bolivien) → Uyuni
(Herr T.) »Der einzige in Deutschland geborene indigene Porteño der Welt«? CW hat Nerven. Konzentrier dich, Häuptling! Wir haben hier ’nen Coup am Wickel, wie in Ocean’s Eleven.
(cw) Rotkäppchen, unser Schleuser unter der Schirmmütze des Fußballklubs Independiente, hat uns gerade an der Schlange vorbei nach vorn gebracht und die Pässe zurückgegeben. Er schiebt uns direkt vor eine Frau, die nur noch zehn Meter vom Schalter entfernt ist und nichts dagegen hat, dass wir vor ihr drankommen.
(Herr T.) Wir haben den Verdacht, dass die Frau, die uns vorgelassen hat, nur dazu da ist, Leute vorzulassen, die es eilig haben. Sie will offenbar gar nicht zum Schalter, sie rückt nicht auf. Ist also Teil des Teams. Wir gehören jetzt übrigens zu einer Reisegruppe. Deren Chefin steht schon am Schalter und weiß angeblich Bescheid. Sagt unser Rotkäppchen.
(cw) Es passieren erstaunlich viele Leute die Grenze ohne Kontrolle. Sie gehen einfach durch und werden nicht aufgehalten. Viele haben ein Fahrrad dabei, andere schleppen riesige Plastiktaschen.
(Herr T.) Der Weg ist unglaublich eng. Ich ärgere mich über die Leute, die ihr Fahrrad durchschieben müssen. Ständig werde ich weggedrängt, was kein Wunder ist: Mit meinem Reiserucksack bin ich ein großes Ziel. CWs Rollkoffer hingegen macht sich das erste Mal nützlich.
(cw) Gerade drängelt sich ein Mann vorbei, an dessen Fahrradlenker 25 eingetütete Zuckerwatten angebracht sind. Rosa und orange. Ist das hier Cámara Escondida, und gleich kommt der argentinische Kurt Felix um die Ecke?
(Herr T.) Ich verstehe das alles überhaupt nicht. Sind das Leute, die in Argentinien arbeiten, aber in Bolivien leben und jetzt Feierabend haben? Und kommen und gehen die jeden Tag?
(cw) Hoppla, es übergibt sich ein vielleicht zwölfjähriger Junge – wohl nicht zum ersten Mal. Er ist schon bei Galle. Jetzt müssen natürlich alle, die unkontrolliert die Grenze überqueren, durch die Kotzpfütze. Ich bin ja eigentlich ein linientreuer Bürger Argentiniens, ein Tausendprozentiger. Ich rege mich nur ganz selten auf. Aber wenn ich sehe, wie dieses angeblich so zivilisierte Land, das sich so gern für was Besseres hält in Südamerika, manchmal Menschen behandelt, kriege ich schlechte Laune.
(Herr T.) Ob der arme Junge zu viel Zuckerwatte gegessen hat? Oder gehen in der Schlange schon die ersten Krankheiten um? Da sind Mütter mit kleinen Kindern – und warten stundenlang. Es gibt weder Bänke noch Toiletten in der Nähe – und erst recht kein Geschäft, um irgendwas zu kaufen.
(cw) Wir leben doch im 21. Jahrhundert, oder? Wäre es zu viel verlangt, dass eines dieser herumstehenden Arschlöcher in Uniform einmal die Stunde die Schlange abgeht, den Kindern ein paar Bonbons gegen die Langeweile schenkt und den Müttern und Alten einen Becher Tee reicht? Wie bewirbt die Präsidentin Cristina Kirchner noch mal in Fernsehspots ihr Argentinien?
(Herr T.) Un país con buena gente. – Ein Land mit tollen Menschen. Achtung, CW ist gleich am Stammtisch und meckert über die da oben, der kleine Mann von der Grenze.
(cw) Herrschaften, unsere Reiseleiterin ist aber wirklich nicht die schnellste. Sie steht immer noch am Schalter und steckt ab und zu ihr Köpfchen in die Luke. Sie hat einen Korb mit Reisepässen, unsere aber nicht, wieso eigentlich nicht? Die braucht sie doch! Ich glaube, ich gehe mal gucken, warum das so lange …
(Herr T.) … denkste! CW kommt nicht weit, er wird von Rotkäppchens Frauen, die immer in unserer Nähe sind, ausgebremst. »In der Schlange bleiben!«, sagen sie leise. Das Baby schläft. Und Rotkäppchen selbst schimpft aus zehn Metern Entfernung mit beiden Händen.
(cw) Na endlich, wir sind dran. Einer der geheimnisvollsten Berufe der Welt: Reisepassdurchguckerundausreisestempelhineindrücker. Man selbst versteht ja gar nicht, was diese Burschen da minutenlang treiben mit diesen paar Seiten.
(Herr T.) Die Kontrolle des CW dauert aber. Liegt gegen ihn was vor? Wird er mit internationalem Haftbefehl gesucht? Wäre ja nicht der erste Deutsche, der sich in Argentinien versteckt hält, hehe! Wohl doch keine indigene Herkunft.
(cw) Wir sind durch! Und sofort ist Rotkäppchen da und begleitet uns die paar Schritte vom Schalter hinüber nach Villazón. »Und wie viel?«, frage ich. Er sagt: »400.« Gut, ich hatte eher mit der Hälfte gerechnet, aber wenn man bedenkt, dass wir nicht drei Stunden im Regen haben stehen müssen, sind 400 Pesos – nach offiziellem Kurs 60 Euro – auch okay.
(Herr T.) Er meint leider nicht Pesos, er meint Dollar. Und er meint es ernst.
(cw) Er sagt sinngemäß: »Was soll ich mit den scheiß Pesos, Junge? Mach hinne.«
(Herr T.) Ja, eilig hat er’s auf einmal. »Ich muss den Polizisten bezahlen«, sagt er.
(cw) Eine Familie hat er obendrein zu ernähren. Bestimmt trägt er nachts auch noch kranke Igelbabys über die Straße und muss einen Tabakladen am Leben erhalten, der gute Mensch von Villazón.
(Herr T.) 400 Dollar sind indiskutabel, außerdem haben wir so viel gar nicht. Rotkäppchen hat’s eilig, spielen wir mal ein bisschen auf Zeit, CW?
(cw) Ich weiß nicht. Der pfeift er zweimal – und dann kommen fünf Schläger um die Ecke. Aber 400 Dollar sind indiskutabel. Vor allem hatte er gesagt: »200 für jeden von euch.« Herr T. ist niemals so viel wert wie ich.
(Herr T.) Es regnet nach wie vor, und wir tragen immer noch keine Jacken. CW hilft mir nicht wirklich bei der Verhandlung. Ginge es um Fußball, käme kein anderer zu Wort, aber wenn ein Schleuser der Dritten Welt mit zunehmend finsterer Miene Geld will, ist er still. Ich denke, es wird Zeit für ein Friedensangebot, wir sind ja keine Unmenschen. Hat ja auch ein Baby, der Mann! Also, Rotkäppchen, 200 Dollar – für uns zusammen.
(cw) Er nimmt an. Ich hätte ja 100 Dollar geboten.
(Herr T.) Hört! Hört! CW hat seine Stimme wieder. 200 sind okay. Rotkäppchen muss schließlich noch den Grenzer bezahlen, und Familie hat er auch.
(cw) Und die kranken Igelbabys! Dem Mistkerl haben wir’s gezeigt.
(Herr T.) Wollte uns abzocken.
(cw) Aber nicht mit uns.
(Herr T.) Schön runtergehandelt haben wir den.
(cw) Der wird kotzen.
(Herr T.) Im Strahl.
(cw) Mieses Geschäft. Ganz mieses.
(Herr T.) Der legt ja fast noch was drauf, der Arme.
(cw) So seh’n Sieger aus!
(Herr T.) Schalalalala!
(cw) So seh’n Sieger aus!
(Herr T.) Schalalalala!
(cw) Wir haben so viel Geld gespart, jetzt müssen wir’s krachen lassen. Ein Zweimannzimmer im ersten Hostel am Platze!
(Herr T.) Aus der Dusche kommt nur kaltes Wasser, und das Bad hat ein Fenster ohne Glas zum Treppenhaus. Trotzdem: Der Schleuser hat uns wieder zusammengeführt – CW und ich spüren eine selten gewordene Harmonie. Sich zusammen über etwas aufregen, das können wir gut.
(cw) Jetzt einen Poncho für mich, und einen Lamahirtenhut obendrauf!
(Herr T.) Natürlich ist das nach all den Strapazen erst mal wichtiger als etwas zu Essen. Dennoch: eine gute Investition. CW sieht jetzt richtig bescheuert aus.
(cw) Und nun ein Zweigängemenü vom Allerfeinsten! Nix schnell auf die Hand und den Bordstein als Sitzplatz wie sonst immer. Nein, zur Feier des Tages ein piekfeiner Laden mit Tischdecken. Ja, natürlich Wachstuch, das ist ja nicht der Gendarmenmarkt, sondern der Bahnhofsvorplatz von Villazón. Dort, der Imbiss, der sieht nett aus und ist bevölkert. Señor, bitte erst die Hühnersuppe und dann ordentlich Fleisch für meinen Freund und mich.
(Herr T.) Schuhsohle, ungewürzt. Aber es ist schön warm in der Bude.
(cw) Wir brauchen jetzt noch die Bustickets für morgen. Bloß weg aus Villazón! Sonst überfällt uns das schlechte Gewissen, und wir rennen zur Grenze, um Rotkäppchen mehr Geld zu geben. Es gibt eine Direktverbindung nach Uyuni zur größten Salzwüste der Welt. Wie heißt die Firma? Chorok? Chorolko?
(Herr T.) Ich glaube, es heißt Chorolque. Seltsamer Name.
(cw) Bolivianische Gottheit aus dem vierten Jahrhundert v. Chr. So was weiß man als Indigener, ohne nachzuschlagen.
(Herr T.) Geht das wieder los. Und was braucht CW jetzt noch nach dem ganzen Stress? Internet, richtig: zum Angeben, wo er ist.
(cw) 45 Minuten online für jeden im Internetcafé!
(Herr T.) Oder auch: einmal Mails abrufen und dann schnell die Überschriften von Spiegel Online lesen. Die Verbindung ist wirklich sehr langsam in Villazón. Auweia! Mir reicht’s! Gute Nacht!
(cw) Es regnet immer noch. Regen ist gut für uns. Wir werden gleich morgen Punkt acht Uhr weiterfahren nach Uyuni. Und wenn die Salzwüste unter Wasser steht, ist sie noch hübscher.
(Herr T.) Schlaf schön, CW!
(cw) Träum was Süßes, Herr T.
***
(cw) Wir sollten um halb acht am Bus-Terminal sein, hatte die Fahrkartenverkäuferin am Vorabend gesagt. Wir sind um zehn nach sieben da und holen uns an einer Bude erst mal ein kleines Frühstück, frittierte süße Lappen, die Pasteles heißen. Dazu wird Api in der Tasse gereicht, ein warmer, dickflüssiger und ebenfalls süßer Maissaft mit Zimtgeschmack. Schmeckt alles besser, als es klingt.
Mehr brauche ich nicht. Es sind doch nur 65 Kilometer bis Uyuni, also maximal zwei Stunden.
(Herr T.) Ich sage mal nichts. Ich weiß wirklich nicht, wo CW die Zahl her hat; wahrscheinlich verwechselt er die Distanzen – 65 Kilometer wären es gestern zur Salzwüste in der Nähe von Purmamarca gewesen. Aber er würde mir ja sowieso nicht glauben, der alte Rechthaber.
Der Bus kommt um 8.10 Uhr, und dann wird das Gepäck der Passagiere eingeladen: Riesentaschen, Kartoffelsäcke, ein Bettgestell oder Gartenzaun, so genau erkennt man es nicht, noch mehr Kartoffelsäcke. Abfahrt um halb neun.
(cw) Lohnt es sich überhaupt, noch mal ein Nickerchen zu machen?
(Herr T.) Übrigens sind wir schon wieder einzigen Weißen im Bus, dabei geht es doch zur größten Salzwüste der Welt. Wo sind die ganzen Touristen hin? Stimmt das hier?
(cw) Nach zwei Stunden erreichen wir einen Ort, ich stehe schon mal auf und packe zusammen. Aber das ist nicht Uyuni, das ist Tupiza. Nein, irgendwas stimmt hier nicht.
(Auf der Rückfahrt werden wir übrigens erfahren, dass es einen Komfortbus zwischen Villazón und Uyuni gibt, den wohl die meisten Touristen buchen. Das hier ist die sehr günstige und sehr bolivianische Variante: kein Komfort.)
(Herr T.) Ich frage heimlich den Busfahrer, wann wir in Uyuni ankämen. Er sagt, es sei viel zu früh, sich schon jetzt festzulegen. Ich verschweige CW auch diese Auskunft. Noch ist er halbwegs unungehalten. Vielleicht liegt’s daran, dass wir wunderbare Landstriche und Täler passieren.
(cw) Ach Tupiza, 25 709 Einwohner, fast 3000 Meter über dem Meeresspiegel! Erst auf dem Rückweg, als es schon zu spät ist, werde ich das Städtchen im Reiseführer entdecken. Hier um die Ecke sollen die Banditen Butch Cassidy und The Sundance Kid 1908 Lohngeld erbeutet haben, mit dem sie dann in die Bergarbeitersiedlung San Vicente weiterzogen, um sich vom Tagwerk auszuruhen. Angeblich liegen die beiden Herren auf dem örtlichen Friedhof; 1992 ergab aber ein DNA-Test, dass es sich bei den Überresten um einen Deutschen handelt, den Ingenieur Gustav Zimmer, einen Zeitgenossen von Butch Cassidy und The Sundance Kid.
(Herr T.) Butch Cassidy and the Sundance Kid, Paul Newman und Robert Redford, ich liebe diesen Film.
(cw) Und die atemberaubend schöne Katharine Ross vorn auf dem Fahrradlenker!
(cw) Der nächste Ort – wieder nicht Uyuni. Wie lange dauert denn das? Wir kommen ja kaum voran; nur die ersten 70 Kilometer waren asphaltiert, seitdem geht es über Sandwege – und immer bergauf, gelegentlich auch mal durch einen Fluss. Keine Leitplanken. Die Kurven sind scharf und eng – und manchmal kippt der Bus so in die Schräge, dass man rüberrutschen will ans andere Fenster. Als Gegengewicht.
(Herr T.) Aber da sitzt ja schon jemand.
(cw) Plötzlich erklingt von hinten Geschrei. Es fehlt jemand. Muss man denn nach jeder Rast nachzählen, ob alle wieder an Bord sind? So, jetzt mal kurz Ruhe bitte, hat jeder seinen Nebenmann? Ist ja wie auf Klassenfahrt nach dem obligatorischen Stopp bei McDonald’s an der Autobahn. Der Busfahrer bremst einmal und gibt dann gleich wieder Gas. Nach zehn Minuten rast ein Moped mit zwei Männern heran und hupt. Ah, der verlorene Passagier ist wieder da. Hat sich wohl ein Zweiradtaxi gechartert. Das fährt jetzt bergab zurück ins Dorf.
(Herr T.) Es beginnt die fünfte Stunde im Bus. Ich will jetzt auch nicht mehr. Dass CW so ruhig bleibt, muss an den Kokablättern liegen, die er die ganze Zeit schmatzt. Man sollte sie ihm für immer in die Backe nähen.
(cw) Wir halten an einer kleinen Siedlung, wo mehrere Händler einsteigen, um vorgewärmte Gerichte zu verkaufen. Eine Frau hinter uns, die mich die ganze mit ihrem lauten Organ gestört hat, ist ganz aufgeregt. Herr T. schläft mit seinen Angeberkopfhörern. Ich stups ihn mal an.
(Unbekannte Frau) Huuuuuumiiiiiitaaaaas!
(Herr T.) Aua. Sind wir schon da?
(cw) Sieht das aus wie Uyuni?
(Herr T.) Uyuni soll eine Stadt sein. Also: nein.
(cw) Tja, so richtig werde ich mit den Leuten im Bus nicht warm. Ich versuche seit zwanzig Minuten, mit dem kleinen Mädchen von schräg rüber zu blödeln, das mich die ganze Zeit anstarrt. He Kind, mir ist langweilig! Ich grinse, ich drücke auf meine Nasenspitze, bis die Zunge rausspringt, ich blase die Backen auf. Ich bin kurz davor, die alten Witze von Otto Waalkes auszupacken und ins Spanische zu übersetzen – English for Runaways, Susi Sorglos -, als das Mädchen endlich lächelt.
(Herr T.) Kann es sein, dass die Kleine, nicht älter als fünf, CW einfach nur bestaunen will, weil er so anders aussieht als die Menschen, die ihr sonst begegnen?
(cw) Der Reiseführer schreibt übrigens, die »Gesinnung der Bolivianer« unterscheide sich »beträchtlich nach Klima und Höhenlage«. Kollas, die Hochlandbewohner, sollen angeblich »fleißiger, aber engstirniger« sein als die Cambas, die Flachländer, die dafür als »warmherziger, aufgeschlossener und Fremden gegenüber großzügiger« beschrieben werden. Kollas wie Cambas hielten sich jedoch für die jeweils besseren Bolivianer. Mal Herrn T. fragen, ob wir gerade im Hochland oder im Flachland unterwegs sind. Er zeigt ans Fenster nach draußen. Ja klar, Berge. Also engstirnig. Aber fleißig. Aber engstirnig.
(Herr T.) Er kann’s nicht lassen.
(cw) Hör mal, Herr T., kennst du das Lied noch? Der Busfahrer hat Lambada von Kaoma eingelegt, den Sommerhit 1989, in elf Ländern Nummer 1. Mein letzter Sommer vor der Pubertät.
(Herr T.) Da war ich gerade mal ein Jahr alt.
(cw) Augenblick, Panflöten? Ach so, das ist das Original: Llorando se fue der bolivianischen Gruppe Los Kjarkas. Haben Kaoma damals einfach, ohne zu fragen, geklaut.
(Herr T.) Bei mir ist das wie bei Menschen, die in der Einflugschneise eines Airports leben – die nehmen den Lärm der Triebwerke gar nicht mehr wahr. Nach ein paar Stunden Beschallung mit bolivianischer Musik überhöre ich Panflöten.
(cw) Manchmal fühle ich mich ja wie Herrn Ts. Mentor. Ja, ich bringe ihm ziemlich viel bei, er profitiert von mir so ungemein. Weil wir ja doch viel Zeit miteinander verbringen, ist es natürlich auch in meinem Interesse, wenigstens eine wacklige Brücke über den intellektuellen Graben zu bauen, der uns trennt. Fürs Zuschütten ist der Graben zu groß.
(Herr T.) Ich hänge jetzt wie so oft an seinen Lippen. Draußen sind ja eh nur Berge zu sehen. Spreche Er, großer Meister!
(cw) Nehmen wir heute mal den Strukturwandel der Öffentlichkeit durch, so der Titel der politikwissenschaftlichen Habilitationsschrift Jürgen Habermas’ aus dem Jahre neunzehnhundertzwoundsechzig. Den Terminus Habilitationsschrift setze ich als bekannt voraus. Habermas beschreibt in seinem Werk den Aufstieg und Niedergang der bürgerlichen Öffentlichkeit; wir müssten an dieser Stelle natürlich zunächst definieren, was Öffentlichkeit ist.
(Unbekannte Frau) Huuuuumiiiiiitaaaaas! Huuuuumiiiiiitaaaaas!
(cw) Wie gesagt, Aufstieg und Niedergang der bürgerlichen Öffentlichkeit sind das Thema des Buches. Öffentlichkeit lässt sich – stark vereinfacht natürlich – definieren als Gesamtheit aller Umstände, die …
(Unbekannte Frau) Huuumiiiiiitaaaaas! Huuuuumiiiiiitaaaaas!
(cw) … aller Umstände, die …
(Unbekannte Frau) Huuuuuumiiiiiitaaaaas!
(cw) … Umstände, die …
(Unbekannte Frau) ¡Señora, huuuumiiiiiitaaaaas!
(Herr T.) Der Busfahrer sagt übrigens, die Hälfte haben wir.
(cw) … die …
(Unbekannte Frau) ¡Quiero humitas, Señora!
(cw) Die Hääääääääääääääääääälfte?
(Unbekannte Frau) Huuumiiiiiiiiiiiiiiiitaaaaaaaaaaaas?
(Herr T.) Kleiner Scherz, drei Viertel haben wir schon geschafft. Aber was ist das eigentlich für eine laute Frau, die obendrein so schlimm nach Koka riecht.
(cw) Ich riech nichts.
(Herr T.) Und was zum Henker sind humitas?
(cw) Keine Ahnung. Aber ich will jetzt welche.
(Unbekannte Frau) Señora, gracias por las humitas. ¡Hasta luego!
Fahrzeit für die 270 Kilometer von Villazón nach Uyuni: neun Stunden, vier Pausen inklusive.
Fortsetzung folgt