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Deutsch-argentinischer Größenwahn

von CHRISTOPH WESEMANN

Mein sechseinhalbjähriger Sohn hält sich für Lionel Messi, den besten Fußballer der Welt, geboren in der argentinischen Millionenstadt Rosario.1 Und ich bin sehr weit von irgendeiner Karriere entfernt und glaube deshalb gern, dass er bald von allen großen Klubs dieses Planeten gejagt wird. Dann werde ich sein Manager, zumindest so lange, bis er dahinterkommt, dass ich sowohl faul als auch überfordert bin, und mich abfinden muss. Jedenfalls sagt mein Sohn: »In der Schule spielen mich immer alle an. Genau wie Messi. Der kriegt auch immer den Ball, weil er der Beste ist.«

Größenwahn im sehr frühen Stadium? Nein! Mein Sohn ist nach nur vier Monaten in Buenos Aires schon argentinisiert. Fragen Sie mal einen Kolumbianer, Uruguayer, Peruaner oder Chilenen, was er vom Argentinier als solchen hält. Ja, die Argentinier sind in Südamerika nicht unbedingt beliebt. Man hält sie für arrogant. Es ist auch der Stolz, die einzigen Weißen des Kontinents zu sein, obendrein Nachfahren europäischer Einwanderer, der sie manchmal herabschauen lässt auf all die Nachbarn. Und unter den hochnäsigen Argentiniern ist der Porteño, der Bürger der Hauptstadt Buenos Aires, der hochnäsigste. Andererseits lebt er auch in der wichtigsten Metropole der Welt. »Gott ist überall«, sagt der Porteño, »aber seine Sprechzeiten hat er in Buenos Aires.«

Mein Sohn integriert sich also bloß. Als Familienoberhaupt ist es mir wichtig, dass sich meine drei Kinder integrieren. Es klappt. Wenn die Einjährige fiebert, trinkt sie Mate, das teeähnliche Nationalgetränk. Sie spricht außer »hola« und »Mama« kein Wort, zieht aber an der bombilla, dem Halm aus Weißblech, als hätte ich sie im Kinderwagen und ohne Nuckelflasche eine Woche durch die Pampa geschoben. Die Dreieinhalbjährige verdrückt die Riesensteaks mit Speckrand, was nicht ohne Folgen für ihre Figur bleibt. Wenn sie im
Park mit uns Fußball spielt und natürlich auch Messi sein will, sagt ihr Bruder: »Du bist zu dick für Messi, du bist Maradona.«

Mein Sohn und ich tendieren zu Real Madrid. Aber unter Bayern München, Manchester United oder Juventus Turin machen wir es nicht. Hansa Rostock kann gern meine Tochter unter Vertrag nehmen.

(Diese Kolumne ist erstmalig in der Schweriner Volkszeitung erschienen.)

  1. Der andere berühmte Rosarino ist übrigens Che Guevara. []

Kraut mit Kalauer

von CHRISTOPH WESEMANN

Ich kann’s mir nicht vorstellen, aber falls Sie sich schon einmal gefragt haben, was das mit der Mate-Sucht der Argentinier auf sich hat, liefere ich Ihnen gern drei Beispiele. (Außerdem wäre es schade um den Kalauer ganz unten. Der nervt mich schon seit Tagen, er will jetzt unbedingt raus.)

1. Im Zoo von Buenos Aires kann man für zwei Pesos warmes Wasser zapfen, um die Thermoskanne wieder aufzufüllen.

2. Mein Wasserkocher hat einen Extra-Mateschalter. Denn das Wasser, das auf  die Blätter der Stechpalme – Yerba (sprich: Scherba) – gegossen wird, darf nicht kochen. Hilfreich wäre es natürlich, wenn der Deckel von alleine aufbliebe. Dann müsste ich zum Nachfüllen nicht den Fünf-Liter-Wassertank in den Schwitzkasten nehmen, weil der Deckel meine linke Hand braucht.

3. Natürlich kommt neben Milch, Eiern und Mehl auch Yerba zum Einsatz, wenn Studenten ihren Abschluss gemacht haben und sich auf der Straße von ihren Freunden einsauen lassen. Ein Namen hat dieser Brauch wohl nicht. Oder ich frage nur Leute, die keine Ahnung haben.

Mate ist für Südamerikaner mehr als ein Getränk. Es ist Geselligkeit und Muße. Man sitzt oder steht zusammen, plaudert und schlürft natürlich durch einen Blechhalm, Runde um Runde. Und »gracias« sagt man erst, wenn man nichts mehr will.

Es gibt unterschiedliche Angaben über den Pro-Kopf-Verbrauch des Krauts – es sollen so sechs bis sieben Kilogramm im Jahr sein. Und natürlich ist Argentinien auch hier Weltspitze. Sagen die Argentinier. Andere (und nicht nur die Uruguayer) sagen: Uruguay.  Ist wahrscheinlich – in Deckung, jetzt: Kalauer! – höhere Matematik.

Mein Mate sieht übrigens so aus:

Ganz schön was los

von CHRISTOPH WESEMANN

Ich danke bloß rasch Argentinien, das meine Ankunft Anfang Juli offenbar heiß erwartet und mir deshalb die Eingewöhnung unbedingt erleichtern will – indem es mit Verhältnissen lockt, die mir aus Odessa nicht ganz unbekannt sind.

¡Argentina es un país fantástico!

 


Argentinische Helden

Diego Maradona, gezeichnet von Danü (c)

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Steckbrief

Wir sind schnell.
Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geistes-
wissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie.


2012 von Christoph Wesemann in Buenos Aires gegründet. Derzeit im Exil. (Berlin)