Der Autor hat von 1996 bis 1998 in Argentinien studiert und gearbeitet, das Land jüngst zum ersten Mal wieder besucht und von dieser Erfahrung für das Argentinische Tagebuch berichtet: ¡Estás igual, Buenos Aires! – Back To The Future auf Argentinisch.
Er lebt in Berlin und betrieb bis vor kurzem das Blog www.entre-vista.de.
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»Wer ist das denn, mit dem du dich da triffst?«
»Den kenn ich aus dem Internet.«
»????«
»Nein, keine Angst! Wir kennen uns schon länger. Er hat so’n Blog über Argentinien, und wir folgen uns gegenseitig bei Twitter …«
»????!!!!«
Ok, vielleicht nicht die beste Art, deine Frau zu überzeugen, dass sie sich keine Sorgen machen soll, wenn du dich mit eurem ganzen Reisebudget einem Typen anvertraust, den du noch nie im Leben persönlich getroffen hast. Aber rückblickend ist ja alles gut gegangen, und mein Bauchgefühl hat sich als richtig herausgestellt.
Meine Frau und ich hatten uns vorher informiert über den Euro-Wechselkurs in Argentinien: Da es für Argentinier nahezu unmöglich ist, Pesos in Dollar (oder Euro) zu tauschen, und man dementsprechend nicht an die stabile ausländische Währung herankommt, hat sich ein »inoffizieller« (um nicht zu sagen: illegaler) Parallel-Umtausch-Markt entwickelt, der sogennante »Blue Dollar« und sein kleiner Bruder, der »Blue Euro«. Die sind zwar, wie gesagt, offiziell verboten, aber selbst in den Tageszeitungen kann man sich über die beiden Tages-Kurse (Offizieller Umtausch vs. Blue Dollar) informieren. Entsprechend geben sich die blauen Wechsler in der Fußgängerzone »La Florida« im City-Center von Buenos Aires auch unverhohlen zu erkennen und sprechen alle, die so aussehen, als ob sie sich nur aus diesem einen bestimmten Grund in der Gegend aufhielten, darauf an: »¿Cambio?, ¿cambio?« (Wechseln? Wechseln?).
Allerdings hatte ich auch gehört, dass es dort auf der Straße erstens oft nicht allzu wahrscheinlich ist, dass man den allerbesten inoffiziellen Kurs bekommt, und es zweitens natürlich so eine Sache ist, wenn man Leuten in eine Wechsel-»Höhle« (so der offizielle inoffizielle Name dieser Art Wechsel-Stube: »cueva«) folgt. Denn: Wenn jemand eh etwas Illegales am Laufen hat, was hindert ihn daran, weitere illegale Aktionen zu unternehmen, wie zum Beispiel dir das gerade getauschte Geld auf dem Rückweg wieder abzunehmen? Mit dem Vorteil, dass er sogar genau weiß, wie viel Bargeld du dabei hast und ob es sich entsprechend lohnt. Wen sollst du denn zu Hilfe rufen?
Frau Polizistin, dieser Señor hat mir gerade mein soeben unerlaubterweise getauschtes Geld wieder unerlaubterweise abgenommen!
Da aber das Ausgehen in Buenos Aires manchmal sogar teurer ist als in Berlin, hatten wir uns trotzdem entschieden, Bargeld mitzunehmen, um unser Reise-Budget etwas blau zu färben, will sagen, durch den Blue-Euro zu vergrößern.
Um auf Nummer Sicher zu gehen und uns nicht gleich am ersten Tag in die Wechsel-Höhle des Löwen begeben zu müssen, hatten wir eine, auch vom argentinischen Staat erlaubte Zwischen-Lösung gefunden: den Online-Geldtransfer »Azimo«. Auf diese Weise kann man an sich selbst Geld vom eigenen Konto überweisen, zu einem Kurs irgendwo zwischen »offiziell« und »blue«, und muss dann »nur noch« bei einem ausgewiesenen Büro (Info gibts auf der Website) unter Vorlage des Reisepasses und einer Referenznummer das argentinische Geld abholen.
»In Echt« war das dann aber etwas aufwendiger (weil bürokratischer) als gedacht. Ich hatte vergessen, dass die argentinische Bürokratie bisweilen der deutschen (also kafkaesken) nicht ganz unähnlich ist. Entsprechend reichte die in der Email angegebene Ausweisung mit Pass und Referenznummer dann doch nicht aus, sondern ich musste außerdem ein zweiseitiges Formular ausfüllen, schriftlich versichern, dass das auszuzahlende Geld von einem »Sparkonto« stammt und obendrein eine Kopie des Reisepasses, inklusive Einreisestempel mit Visum abgegen. Plus einer halben Stunde Wartezeit.
Für das Nötigste (die ersten Tage) war nun gesorgt. Da wir jedoch noch Bus-Tickets für die Weiterreise kaufen wollten, benötigten wir so bald wie möglich mehr argentinische Pesos, denn per Online-Buchung hätte man die Fahrkarten ja wieder nur zum offiziellen Kurs bekommen. Zum Glück hatte mir mein Internet-Bekannter CW vorher versichert, dass, wenn wir beim Geld-Tauschen Hilfe brauchten, er uns aus der blauen Patsche helfen könne. Er kenne da vielleicht jemanden, der vielleicht auch jemanden kennt, und diese Person kenne dann wiederum … Argentinien halt.
Facebook-Nachricht an CW.: »Hast du morgen (Samstag) Zeit, mich beim Geldwechseln zu begleiten?«
Antwort von CW: »Tut mir Leid, aber morgen geht leider nicht. Und Sonntag haben die Cuevas ja zu. Also Montag.«
WAS?! Die illegalen Geld-Höhlen haben sonntags geschlossen? Das kann ja wohl nicht …
Facebook-Nachricht an CW: »Wie viel Uhr denn? Geht bei Dir vormittags? Wir müssen ja noch die Bus-Tickets kaufen. Je früher also, desto besser.«
Antwort von CW: »Ich muss erst über einen Freund die Nummer von Mauro besorgen und den dann fragen, wann die aufmachen. Vormittag ist grundsätzlich ok.«
Kurz darauf, noch mal CW: »Ok, um 11 in der Calle Soundso, Hausnummer 1000irgendwas! Wir treffen uns vor dem Haus auf der Straße, ok? Du wirst mich leicht erkennen, ich bin der, der am argentinischsten von allen aussieht!«
Facebook-Nachricht an CW: »Super! Dann bis Montag!«
Erinnert ihr euch an das Gespräch vom Anfang dieses Artikels? Ich kannte CW wirklich nur aus dem Internet. Aber wir hatten schließlich auch mehrere gemeinsame Themen: das argentinische Exil (er jetzt, ich vor 17 Jahren), das Bloggen, den Journalismus. Und ich hatte ihn vorher um seine Einschätzung gebeten, was die Kriminalität und aktuelle soziale und politische Situation in Argentinien angeht, woraufhin er mir ausführlich geantwortet hatte. Kurzum: CW erschien mir überaus sympathisch und vertrauenswürdig. Was sollte also passieren?
Am Montagmorgen packe ich unser gesamtes Euro-Bargeld für zwei Wochen in das »geheime« Reißverschluss-Fach meines Ledergürtels und nehme den Linien-Bus Nummer 24 von Paternal in den Nachbarbezirk nach Caballito. Ich steige kurz hinter der Statue des »Cid Campeador« aus, laufe die Hauptstraße weiter und biege in die von CW benannte Seitenstraße ein. Ich bin wider Erwarten pünktlich und warte besser nicht direkt vor der richtigen Hausnummer, sondern zwei Häuser weiter.
Nur fünf Minuten später (also eigentlich noch hora alemana, deutsche Pünktlichkeit) spricht mich ein bärtiger Brillenträger aus einem Auto heraus an: »Dirk? Ich such nur kurz ‘nen Platz zum Parken, ok?« Den findet CW auch gleich gegenüber und erklärt mir, nach unserer ersten Begrüßung, wie das Ganze abzulaufen hat.
Wir klingeln, und sobald jemand über die Gegensprechanlage fragt, was wir wollen, sagen wir, dass Mauro uns erwartet. Bloß nicht sagen, warum wir eigentlich hier sind, ok?
Gesagt getan. Als daraufhin der Summer ertönt und uns die Tür öffnet, will ich sofort durchmarschieren. Aber CW hält mich erschrocken zurück: »Nein, Boludo1. Wir warten erst, bis jemand kommt, und dann klären wir, ob wir beide hoch dürfen oder du alleine gehst, ok?« Als aber nach fünf Minuten immer noch niemand gekommen ist, trauen wir uns schließlich doch, bis in den zweiten Stock zu gehen und an die Tür zu klopfen. Schließlich öffnet uns ein schnurrbärtiger älterer Herr, den zwar auch CW nicht kennt, der uns aber in einer Art Wartezimmer eintreten lässt, in dem schon andere Leute sitzen. Wir nehmen ebenfalls Platz, und CW erklärt mir die weiteren Schritte.
Alsbald kommt der Schnurrbärtige zurück und fragt mich nach Währung und Betrag, die ich tauschen will, teilt uns den Tageskurs mit, wartet auf unser Einverständnis und verschwindet wieder. Ein paar Minuten später taucht er wieder auf und drückt mir so etwas wie einen Kassenbon in die Hand, auf dem der Wechselkurs und die zu erwartende Summe in Pesos Argentinos stehen.
Etwas später geht die Tür zu einem anderen Büro auf, aus dem heraus mich jemand hereinwinkt. Dies stellt sich jedoch als Missverständnis heraus, und ich werde überaus unwirsch wieder in den Wartebereich dirigiert. Etwas erschrocken falle ich zurück auf meinen Stuhl.
Endlich taucht Señor Bigote2 abermals auf, und ich folge ihm in ein Zimmer, in dem er mir gegenüber hinter einem großen Tisch Platz nimmt. Vor ihm ein Packen argentinischer Geldscheine und ein Geld-Zähl-Automat. Ich schnalle etwas umständlich meinen Gürtel ab, um die Euro-Scheine aus dem Geheimfach zu befreien. Er zählt nach, bestätigt mir per Kopfnicken sein OK und legt das argentinische Equivalent in die Zähl-Maschine. Auf Knopfdruck raschelt das Geld hindurch, aber die im Display angezeigte Zahl entspricht nicht unser beider Erwartung. Sein Versuch, die Einstellung zu ändern, bringt keine Veränderung! Schließlich ruft er einen Kippa-tragenden Kollegen, mit mehr Ahnung, der es schafft, von Dollar auf Pesos umzustellen. Jetzt ist das Ergebnis ok.
Bigote nimmt das argentinische Geld aus dem Automaten und hält es mir hin. Ich gucke wohl etwas verzweifelt auf meinen Gürtel. Der größte existierende Peso-Schein ist die 100er-Note, was nur etwa zehn Euro entspricht, und das Bündel ist entsprechend voluminös. »Das kannst du gleich vergessen!«, lacht der Schnauzbart und gibt mir stattdessen das Gummiband, das schon am Anfang unseres Unterfangens die Scheine zusammengehalten hatte. Mit einem resignativen Seufzen stecke ich den Klumpen Guita (Slang für »Geld«) in die Tasche und habe ein etwas ungutes Gefühl bei der Vorstellung, im öffentlichen Bus und später zu Fuß durch die Seitenstraßen nach Hause zu müssen. Das Geld nachzuzählen traue ich mich natürlich auch nicht! Stattdessen bedanke und verabschiede ich mich und verlasse das Büro.
Als CW mich sieht, springt er sofort auf, und zusammen begeben wir uns Richtung Treppenhaus. Leider hat Bigote jedoch vergessen, den Tür-Öffner für die Haustür zu betätigen, so dass CW ein paar Fitnessübungen vor der Überwachungskamera machen muss (»Bloß nicht klopfen! Das gibt nur Stress!«), bis sich schließlich jemand erbarmt und uns in die Mittagssonne entlässt. Was für ein Abenteuer!
Zum Glück bleibt mir die Heimfahrt mit den Öffis erspart, da CW mich netterweise zurück in den Stadtteil Paternal chauffiert. Als ich ihn aus Dankbarkeit in die Wohnung meiner Freundin EA hereinbitte, begrüßt uns diese zunächst wenig begeistert: »Woher kanntest du den Typen noch mal? Ist’n Freund von dir, oder?«
»Ja, genau! Aus dem Internet!«
PS: Meine anschließende Kontrolle des umgetauschten Betrages ergab übrigens eine 100%ige Übereinstimmung mit der auf dem Kassenbon von Señor Schnauzbart vermerkten Anzahl Pesos Argentinos.