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Topfschlagen der Tausenden

von CHRISTOPH WESEMANN

(Ich komme gerade vom Topfschlagen, also vom Cacerolazo-Protest gegen die Regierung und die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner auf der Plaza de Mayo. Das wird jetzt ein Schnellschuss. Ich wollte es multimedial aufhübschen, aber es ist spät geworden, und die Technik macht mir Probleme und ich mache der Technik Probleme.)

Cacerolazo

Es sind nicht die Armen, die Abgehängten, die sich am Donnerstagabend auf der Plaza de Mayo zu Tausenden versammelt haben. Wer in Argentinien wenig hat, besitzt doch immerhin etwas: die Gunst der Präsidentin. Cristina Fernández de Kirchner sorgt für sie. Erst gestern hat sie versprochen, dass die staatliche Unterstützung pro Kind um mehr als 25,9 Prozent erhöht wird – von derzeit 270 Peso im Monat auf 340. Verkündet hat sie’s natürlich per Ansprache ans Volk – es war Nummer zwei in diesem Monat und Nummer 18 in diesem Jahr. In den vergangenen drei Jahren hat sie mehr als 50 Reden gehalten, die die staatlichen Radio- und Fernsehsender live übertragen mussten. Ihr Mann Nestor hatte das in vier Jahren übrigens nur zweimal getan. Cristina Kirchner meldet sich spontan zu Wort und lässt das laufende Programm unangekündigt unterbrechen. Darf sie das? Der argentinische Regierungschef, ob männlich oder weiblich, hat dieses Recht. Er soll es aber  behutsam nutzen – für Krisen, Katastrophen und Ereignisse, die das Volk verunsichern oder erschüttern.

Es sind auch nicht die Reichen gekommen. Dass die Reichen am meisten zu verlieren hätten, ist ein weitverbreiteter Irrtum. Reiche gewinnen, deshalb sind sie reich. Gekommen sind die, die etwas besitzen, aber nicht so viel, dass es zu schwer wäre, es ihnen zu nehmen. Es sind die Gutfrisierten und die Gutgekleideten da, viele elegante Männer, noch im Büroanzug mit Krawatte, die Gebildeten, viele Studenten und Schüler, manch vornehme Dame, auch Kinder. Mittelschicht? Man sollte mit dem Begriff vorsichtig sein, weil er zu Vergleichen mit Deutschland verführt, die zwangsläufig hinken, auch, weil Wohlstand hier etwas anderes ist. Aber mir fällt auch gerade kein besserer Begriff ein.

Was eint diese Menschen? Es ist ein Allerlei, eine Art Mischung aus Angst vor dem eigenen Abstieg und der Sorge um das Land. Glaube ich. Ich bin erst zwei Monate hier und taste mich langsam heran an das politische Geschehen. Vieles ist noch angelesen statt schon erlebt. Deshalb halte ich mich auch zurück, in diesem Protest vor dem Präsidentenpalast den Beginn von etwas Größerem zu erkennen. Ja, es waren so viele Leute da, dass die Plaza de Mayo nicht genug Platz für alle bot und die Menge noch die anliegenden Straßen blockierte. Ja, es hat sich etwas entladen. Aber wie viel davon war über Facebook angeleiertes Ich-muss-dabei-sein-Happening? Wie viel Eventprotest? Ich weiß es nicht. Aber dieser große Platz ist ein kleiner Fleck in dieser Stadt und damit auch nur ein winziger Ausschnitt der politischen Wirklichkeit in einem Land, das fast achtmal so groß ist wie Deutschland. Und ihre Anhänger, ja Verehrer hat diese Präsidentin nach wie vor.

Es geht natürlich um die Inflation, die irgendwo zwischen 20 und 30 Prozent galoppiert und die Löhne auffrisst, es geht um steigende Steuern, aus denen die Präsidentin ihre Wohltaten für die ärmeren Schichten bezahlt, es geht immer auch um Kriminalität. In jedem Wahlkampf der jüngeren Zeit ist innere Sicherheit ein wichtiges Thema gewesen. Die Leute verbarrikadieren sich zu Hause und leben in einer Art Gefängnis. Terrassen und Fenster sind vergittert, die Türen alarmgesichert, Eingänge von Kameras überwacht. Wer es sich leisten kann, zieht gleich in eine »gated community«. Unabhängig davon, wie sicher und unsicher das Leben hier ist – Angst lässt sich nicht einzäunen, nicht wegsperren. Vielleicht wächst das Gefühl der Unsicherheit eher, wenn man in einem Hochsicherheitstrakt lebt.

Der stärkste Kleber, der den Protest der Mittelschicht zusammenhält, scheinen mir aber die Präsidentin selbst und ihre Regierung zu sein. Es ist das Gefühl, dass Politiker regieren, als wäre der Staat ein Familienbetrieb und ihr Privateigentum. Mitglieder der Nachwuchsorganisation »La Cámpora«, angeführt vom Präsidentensohn Máximo, sollen, so hört man, reihenweise in Ministerien einziehen und Schaltstellen besetzen. Jung sind sie, gut ausgebildet und machthungrig.

Man darf nicht vergessen, dass die Kirchners das Land schon fast zehn Jahre regieren: erst Nestor (2003 bis 2007), dann Cristina. Ihre zweite und letzte Amtszeit endet im Herbst 2015. Doch schon jetzt wird diskutiert, ob an der Verfassung geschraubt werden soll, die keine dritte Amtszeit zulässt. Würde die Verfassung geändert, was nicht auszuschließen ist, könnte Kirchner bis 2019 regieren. Argentinien stünde dann 16 Jahre am Stück unter Herrschaft einer Familie. Auch gegen diese Aussicht richtete sich der Protest am Donnerstag. »Cristina, geben Sie das Land zurück«, stand auf einem Plakat. Auf einem anderen: »Finger weg von der Verfassung.«

Der Eindruck ist, dass es die Präsidentin übertreibt – und nicht mehr merkt. Die Kritik an ihren vielen Ansprachen hat sie in einer Ansprache (Nr. 18) am Mittwoch mit Witzchen zu kontern versucht. Auch das ist kein gutes Zeichen. Mit »Clarín« und »La Nación«,  zwei der wichtigsten Zeitungen im Land, befindet sie sich im Krieg. Warum? »Clarín miente.« – »Clarín lügt.«. Eine ältere Dame hatte ein Schild dabei, auf dem stand: »Clarín lügt vielleicht – Cristina ganz sicher.« Es schaukelt sich allmählich hoch. Diese unsäglichen Hitler-Bart-Karrikaturen gibt es inzwischen auch von der argentinischen Präsidentin. Und selbst mit Hugo Chavez, der Venezuela mehr und mehr autoritär regiert, wird sie schon verglichen – auch auf der Plaza de Mayo: »Wir wollen kein Argenzuela, wir wollen Argentinien.«

Ich habe gestaunt, womit man Cacerolazo-Krach machen kann. Es muss gar kein Kochtopf sein. Es reichen Münzen in Plastikflaschen. Es reicht ein Verkehrsschild. Oder der Sperrzaun vor dem Präsidentenpalast. Es wurde viel gesungen und getanzt, gehüpft und geklatscht und gelacht. Es war nie aggressiv. Viele hatten ein Trikot der Nationalmannschaft angezogen, viele auch eine argentinische Fahne mitgebracht. Immer wieder erklang der Ruf: »Argentina! Argentina!«

Im Präsidentenpalast brannte übrigens noch Licht.

Nachtrag: »Clarin« spricht von Tausenden, die im ganzen Land gegen die Regierung protestiert hätten, und zeigt ein paar schöne Cacerolazo-Bilder aus der Luft. Ich hatte ja auch meinen Hubschrauber dabei – aber die Technik.

Mit Gene Hackman in Escobar

von CHRISTOPH WESEMANN

Der Abschleppwagenfahrer Claudio ist Ende dreißig und noch nie im Urlaub gewesen. Im Sommer 2013, wenn er nach 17 Jahren endlich sein Haus fertiggebaut hat, soll es so weit sein. Vielleicht Mar del Plata. Die Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner mag er nicht. Von seinem Lohn, erzählt er, bleibe zu wenig übrig, weil die Steuern stiegen und stiegen. Ganze Familien lebten in Argentinien seit Generationen von Staatshilfe – also auch auf Kosten des Abschleppwagenfahrers. Wie einst Evita Perón verteilt Kirchner das Geld an die Armen und Bedürftigen. Die Präsidentengattin Evita hat so seinerzeit den Staatshaushalt ruiniert. Und die Präsidentengattin Cristina, die Präsidentin geworden ist? »Alle Leute, die arbeiten, hassen sie«, sagt Claudio. Er hat eine 17 Jahre alte Tochter.

Man lernt diesen Abschleppwagenfahrer übrigens kennen, indem man nach Escobar fährt, weil die Kinder den »Bioparque Temaiken« besuchen wollen.  Escobar ist ein Städtchen in der Provinz Buenos Aires, 60 Kilometer weit weg von der Haustür, also eineinhalb Stunden entfernt. (Wenn Sie auf Staus stehen, fahren Sie bitte spätestens um zwölf Uhr los. Zu früh natürlich auch nicht.) Wenn Sie glauben, noch ein bisschen Zeit zu haben, weil zwei der drei Kinder mit dem Bus ihrer Russisch-Sprachschule unterwegs sind und sicher länger brauchen, halten Sie doch bei diesem amerikanischen Schnellrestaurant am Ortseingang von Escobar.

Ja, es ist ein bisschen kompliziert, einen Parkplatz zu finden, aber nehmen Sie einfach den mit dem Verbotszeichen auf dem Asphalt, der ist ja frei. Jetzt schnell rein, Stau macht hungrig, puuuh, ist das voll und laut und eng. Und als man endlich bestellen will, kommt der Sicherheitsmann. Schwarze Uniform. Man hat ihn schon beobachtet, wie er ums Auto herumgeschlichen ist, um zu gucken, ob jemand drin sitzt. Jetzt sucht er drinnen, und natürlich findet er den Fahrer.

Sein Blick sagt: Netter Versuch, Fremder. Er sieht aus wie der gr0ßartige Schauspieler Gene Hackman. »Nächste Straße rechts rein«, sagt er. »Dort gibt’s genug Parkplätze.«

Doch das Auto will nicht weg. Die Lenkung ist blockiert. Gene Hackman ist gleich zur Stelle, hält sich aber mit Ratschlägen zurück. Ah, auf der anderen Straßenseite poliert ein junger Escobarer seinen Renault. Tachchen. VW-Autohaus, VW-Vertragswerkstatt, irgendeine Mechanikerbude mit einem Kerl im Blaumann – noch was geöffnet im hübschen Escobar am Sonnabendnachmittag? Glaubnicht-Kopfschütteln. Anruf bei Papa. Weiter den Renault polieren. Schulterzucken. Ein Papa ohne Idee. Die Schwester telefoniert. Gelbe Seiten? Gibt’s doch nur für Buenos Aires!

Aber unser junger Freund kommt mit zum Parkplatz, will mal gucken und wartet geduldig, bis man – nee, das ist der Tank – den Motorhaubenvoröffnerhebel im Wageninneren gefunden hat. Er zupft an ein paar Kabeln und murmelt was mit »agua hidráulica« – man versteht also schon mal mehr als bei deutschen Mechatronikern. Man selbst könnte jetzt schon wieder was essen. Außerdem ist es wirklich eine Affenhitze auf diesem Parkplatz. Tja, aber wenn man sich als Mann jetzt absetzt und die Frau samt Baby am Auto zurücklässt – nein, das wäre nicht so gut. Argentinien, das ist – auch mit einer Präsidentin – noch immer ein Land des machismo.

Gene Hackman flirtet mit dem Baby und schleppt dann seinen Kollegen ran. Ein Paar gesellt sich auch dazu. Die junge Frau hat eine Freundin in Frankfurt und präsentiert ihre Deutschkenntnisse: »Wie geht es dir? Ich heiße Isabella. Wie heißt du? Ich habe Langeweile. Herzlich willkommen!« Ein Abschleppwagen muss her, der das Auto zurück nach Buenos Aires bringt. Isabellas Freund telefoniert mit seiner Schwester. Sie findet – die Welt ist eine Google – im Internet eine Firma und gibt die Telefonnummer durch. Der Bruder verhandelt minutenlang und drückt am Ende den Preis.

Gene Hackman hat Feierabend, ist umgezogen und geht trotzdem nicht nach Hause. Er holt vom Kiosk gegenüber noch ein paar Telefonnummern von Abschleppdiensten. Zu spät. Aber das Baby liebt ihn längst.

»Der Abschleppwagen kommt in 20 Minuten«, sagt Isabellas Freund. Das Paar aus Escobar verabschiedet sich. Gene Hackman bleibt, bis der Wagen aufgeladen ist, steckt für alle Fälle Claudios Visitenkarte ein und bringt den Deutschen – sicher ist sicher – noch zum Taxistand. Ach, man muss ja jetzt zum »Bioparque Temaiken«, wo zwei Kinder mit 30 argentinisierten Russen wilde Tiere gucken.

Dreimal ruft er »17!«, was so viel bedeutet wie: Das ist der Fahrpreis. Lass dich nicht abzocken.

Zum Abschied nach zweieinhalb Stunden ein Kuss auf die Wange.

Danke.

 


Argentinische Helden

Diego Maradona, gezeichnet von Danü (c)

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Wir sind schnell.
Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geistes-
wissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie.


2012 von Christoph Wesemann in Buenos Aires gegründet. Derzeit im Exil. (Berlin)