Cristina Kirchner hat Mühe, das Unvermeidliche anzunehmen, und dazu zählt auch ein neues Leben. Vom 10. Dezember an wird die frühere Abgeordnete, Senatorin, Primera Dama und dann Staatschefin außer Dienst zum ersten Mal nach 28 Jahren ohne – sichtbare – Macht sein. Sie verliert auch allerlei Annehmlichkeiten, den Dienstwagen, den Hubschrauber, ihre Sekretäre und Assistenten; 40 Leibwächter darf sie immerhin behalten, muss sie jedoch mit ihren Kindern Florencia und Máximo teilen. Ihr Umfeld überlegt schon, wer demnächst die Flüge bezahlt oder dafür kein Geld verlangt.

Kirchner pendelt oft zwischen El Calafate, su lugar en el mundo1, wie der Argentinier sagt, und Buenos Aires, wo die große Politik gemacht wird, ihre Enkel leben und sie eine Wohnung besitzt. Schon seit Juni lässt die Präsidentin umziehen, manches wird gen Süden gebracht und auf die Hotels und Häuser im Familienbesitz verteilt, anderes bleibt in der Hauptstadt. Kirchner will also weiter pendeln. Es soll aber alte Freunde mit Flugzeugen geben, die ihr noch etwas schulden, und wenn Alicia Kirchner, die neue Gouverneurin der Provinz Santa Cruz, gen Buenos Aires abhebt, nimmt sie ihre Schwägerin bestimmt mit.

Cristina

> Cristina Kirchner am Montag in Río Negro      Foto: Casa Rosada

Das obligatorische Treffen mit ihrem Nachfolger Mauricio Macri, dem Gewinner der Stichwahl, hat gerade einmal 20 Minuten gedauert, und darüber, wie die Amtsgeschäfte übergeben werden, sollen die zwei auf dem Anwesen des argentinischen Staatsoberhaupts vor den Toren der Hauptstadt gar nicht gesprochen haben. Macri berichtete hinterher, Kirchner habe ihm zwar zum Sieg gratuliert, aber zugleich klargemacht, dass sie bis zum letzten Tag zu regieren gedenke und keine Starthilfe von ihr zu erwarten sei. Überraschend kam das nicht, schließlich hatte die Präsidentin schon vor Wochen per Dekret die Legislaturperiode bis zum 9. Dezember verlängert. Ursprünglich hätten Senat und Kongress am 30. November Feierabend gemacht. Nun könnte der Kirchnerismus, ehe er seine absolute Parlamentsmehrheit verliert, noch am Vorabend seines Abschieds Gesetze beschließen. Legal ist das. Es wäre aber auch ein in demokratischen Zeiten einmaliger Vorgang.

Casa Rosada

> Der Innenhof des Präsidentenpalastes, der Casa Rosada

Macri hatte sich mehr als nur ein paar logistische Absprachen über den Auszug der Kirchneristen aus dem Präsidentenpalast und den Ministerien erhofft; er wollte auch erfahren, ohne welches Spitzenpersonal er planen könne. Geht der Zentralbank-Chef Alejandro Vanoli freiwillig? Und Martín Sabbatella, der ultrakirchneristische Aufseher der staatlichen Medienbehörde Afsca? Kirchner ließ sich auf nichts ein. Kein Kommentar. »No valió la pena«, sagte Macri über das Treffen. »Es war sinnlos.«

Mit der Berufung seines Kabinetts hat der künftige Regent erste Fußspuren hinterlassen und eine Richtung vorgegeben. Wohin also will er Argentinien führen? Leicht fällt die außenpolitische Antwort. Außenministerin wird Susana Malcorra, augenblicklich noch Kabinettschefin von Ban Ki-moon, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen. In New York arbeitet sie seit mehr als zehn Jahren, vorher war sie bei IBM und Telecom. Mit ihr gibt Macri einem seiner Wahlkampfversprechen ein Gesicht: die Befreiung Argentiniens aus der Isolation.

Malcorra

Susana Malcorra mit Ban Ki-moon        UN Photo/Rick Bajornas

Der 53. Präsident will sich von der Diplomatie des Kirchnerismus verabschieden. Cristina Kirchner hatte mit »einer Politik zwischen Beschimpfung und Konfrontation« die Beziehungen zu traditionellen Partnern wie den Nachbarn im Mercosur, den Vereinigten Staaten und Europa gekappt oder heruntergekühlt. Im Gegenzug verschaffte sie dem Land andere Verbündete, und vornehmlich solche von zweifelhaftem demokratischen Renommee: Russland, Venezuela, Kuba, Iran, China. Wladimir Putin, Fidel Castro, Hugo Chávez und seit dessen Tod Nicolás Maduro wurden den Argentiniern als neue beste Freunde vorgestellt.

Macri will geheime Wirtschaftsverträge mit China und Russland überprüfen, Sanktionen gegen Venezuela wegen der politischen Gefangenen anstrengen und die Amia-Vereinbarung mit Iran außer Kraft setzen; die sollte offiziell helfen, den Bombenanschlag von 1994 auf die Zentrale der jüdischen Gemeinde von Buenos Aires aufzuklären, war aber in Wahrheit ein Abkommen darüber, hier wie dort die Füße still zu halten und stattdessen Geschäfte miteinander zu machen.

Susana Malcorra, in ihrer Heimat kaum bekannt, dafür in der Welt vernetzt und geschätzt, verspricht eine mehr an westlichen Werten orientierte, weniger ideologiegetränkte Außenpolitik. Argentinien soll wieder verlässlich werden und damit interessant für Geldgeber und Investoren. Macri wertet mit dieser Wahl zudem das diplomatische Corps auf, das Cristina Kirchner mies behandelt hatte. Karrieren wurden nach Gutdünken beendet und freie Posten mit pibes besetzt, unerfahrenen Gefolgsleuten aus der Bewegung. Außenminister Héctor Timerman spielte zuletzt kaum mehr eine Nebenrolle, er war ein Durchsbildgeher, ein Statist in der hiesigen Politik. Nicht mal versorgt wurde er mit einem Abgeordnetenmandat oder ähnlichem. Seine Nachfolgerin soll wieder gestalten dürfen.

Mauricio Macri hat mit seinem Kabinett das Erwartbare geliefert. Glanz versprüht es nicht, dafür sind zu viele Bekannte dabei – und überhaupt viele, die neue Regierung ist ziemlich aufgebläht. Wenn man sich den letzten Minister endlich gemerkt hat, hat man den ersten bestimmt gerade wieder vergessen, und der zweite ist vielleicht schon zurückgetreten. Es ging wohl nicht anders. Der liberal-konservative Bürgermeister von Buenos Aires war mit den Radikalen, der heruntergekommenen Mitte-links-Volkspartei UCR, und der sozialliberalen Coalición Cívica eine Wahlallianz eingegangen. Heraus kamen Cambiemos (Lasst uns verändern) – und der Triumph am 22. November über den Regierungskandidaten Daniel Scioli. Die Helfer des Siegers haben Ämter verlangt. Es war Zahltag.

Ein Kabinett, dem der Präsident vertrauen kann, so lässt es sich vielleicht charakterisieren. Die Zeitung La Capital aus Rosario nennt es ein »Ensemble aus Kindheitsfreunden, Hauptstadtfunktionären und Verbündeten«. Macri bleibt sich zumindest treu. Er ist kein klassischer Politiker, sondern ein Seiteneinsteiger, er war Unternehmer und kam als Präsident des Fußballklubs Boca Juniors zu Ruhm. Kandidaten für seine 2005 gegründete Partei Propuesta Republicana (PRO) hat er gern außerhalb der Politik gecastet, was Schauspielern, Komikern, Wirtschaftsmanagern, einstigen Fußballern und sogar Schiedsrichtern im Ruhestand Posten und Mandate bescherte. Er umging damit die auch am Río de la Plata grassierende Politikerverdrossenheit. Es ist kein Zufall, dass sein Kabinett gerade den Enttäuschten gefällt, die Abstand zu Parteien halten. Endlich werden Leute Minister, die nicht nur behaupten, etwas zu können, sondern das schon nachgewiesen haben – dieser Satz fällt oft, wenn man nachfragt.

Es ist anzunehmen, dass Macri das Misstrauen, mit dem viele seiner Landsleute der Politik begegnen, noch heute teilt. Mit seiner Mannschaft bedient er sie. Ewige Funktionäre und die unvermeidlichen Juristen haben lange regiert, jetzt übernehmen wieder los técnicos, die Spezialisten. Von einer »Ceocracia« spricht Perfil auf der Titelseite seiner Sonntagsausgabe, der Herrschaft der Geschäftsführer. Denn wie kein Präsident vor ihm schicke Macri »frühere Führungskräfte der Privatwirtschaft in Schlüsselpositionen der neuen Macht«.

Ceocracia

Macri hat das Wagnis gescheut, dem Volk den Glauben an seine Politiker, deren Tatkraft und Ehrlichkeit zurückzugeben. Dies wäre ein lobenswertes Ziel gewesen – und zugleich ein wohl zu ehrgeiziges. Schon das Regieren wird schwierig genug werden. Der Peronismus, der große Wahlverlierer, könnte seine Muskeln spielen lassen, wie er es gerne tut, wenn unverschämterweise eine andere Kraft der Bestimmer ist. Seine Gewerkschaften könnten das Land wochenlang mit Streiks und Fabrikblockaden lahmlegen, falls ihnen nicht passt, was Macri macht, und eine Mehrheit im Parlament hat der Präsident ja ohnehin nicht.

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Dass all die Technokraten und Unternehmer ohne Stallgeruch in der Theorie exzellent regieren können, darf man annehmen. Und unter all den breitbeinigen Ministern der jüngeren Zeit, Alphatieren mit politischem Instinkt allesamt, die Volksnähe gut simulieren konnten, ist das Land ja auch nicht unbedingt vorangekommen. Die meisten haben nie etwas anderes gemacht, als Funktionär zu sein. Sagen ließen sie sich wenig bis nichts, und ärmer als die reichen Unternehmer sind sie heute trotzdem nicht.

Riskant ist Macris Strategie gleichwohl. In Buenos Aires hat sie funktioniert, auf einem eher kleinen Spielfeld. Allerdings ist der klassische Macriwähler – überdurchschnittlich gebildet und wohlhabend, mit Europa und den Vereinigten Staaten sympathisierend – anderswo deutlich seltener anzutreffen. Es könnte für Befremden sorgen, wenn im weiten, hilfsbedürftigen Hinterland Unangenehmes, vielleicht gar Schmerzhaftes verkündet werden soll – und dann die Schlauen aus der Hauptstadt anrücken, um ganz rational darzulegen, dass da keineswegs Reiche Politik für Reiche machten. Den Porteño, den Bürger aus Buenos Aires, hält der Nichtporteño sowieso für muy cheto – hochnäsig, etepetete, aufgeblasen.

Macri wird nicht daran vorbeikommen, dem Land weh zu tun, wenn er verändern will. Die Sozialprogramme kosten viel und bewirken wenig, weil der Staat die Armen bislang vor allem versorgt, aber nicht aus der Armut herausholt. Der Abbau der Importrestriktionen trifft vielleicht kleine und mittelständische Firmen, wenn der Markt – wie in den neunziger Jahren – von Billigware überschwemmt wird, und billiger als in Argentinien ist es mittlerweile fast überall auf der Welt. Große Geschenke sind sowieso nicht drin, weil die Kasse leer ist.

Macri

> Mauricio Macri am Wahlabend  Foto: Facebook/Macri

Schluss mit der Armut, Schluss mit dem Drogenhandel, Schluss mit dem Streit, der die Gesellschaft zerreißtdas sollen die großen Themen der Präsidentschaft werden. Sehr edle Vorhaben hat sich Macri ausgesucht, aber mehr als die Überschriften kennt Argentinien noch nicht. Sobald es an die Produktion geht, wird’s unweigerlich knirschen. Hält die Regierung dagegen, wenn die peronistischen Halbstarken Krawall machen? Ertragen gerade die Ressortchefs, die aus den Führungsetagen von Lan, Farmacity, General Motors und Co. stammen, dass ihre Untertanen keine Untergebenen sind und sie selbst nicht weisungsbefugt? Wissen sie damit umzugehen, dass man recht haben kann und trotzdem nicht immer recht bekommt in der Politik?

Macri hat darauf verzichtet, einen Superminister für Wirtschaft und Finanzen zu ernennen. Womöglich wäre der angesichts der Fülle der Entscheidungen von zu vielen Seiten attackiert worden und nach spätestens zweieinhalb Monaten mit den Nerven am Ende gewesen. Nun wird die Last gemeinsam getragen, je nach Zählweise von sechs, zehn oder zwölf Ministern.

Es lässt sich kaum Schlechtes über das Kabinett sagen, wenngleich Linke die Ernennung von Juan José Aranguren, bis vor wenigen Monaten Chef des Ölkonzerns Shell, zum Energie- und Bergbauminister kritisieren. »Wenig Gutes in Sachen Fracking und Megabergbau« erwartet hier die taz. Nicht immer allerdings, das lehrt die Vergangenheit, gibt die Biografie das Programm vor. So entstammt Guillermo Dietrich einer Dynastie aus der Automobilindustrie. Als Transportminister von Buenos Aires hat er jedoch den Nahverkehr modernisiert, er gilt als Vater der Radwege (150 Kilometer), die in vergangenen sieben Jahren entstanden sind, und des Metrobus-Netzes. Sechs Linien sind es mittlerweile; die noch immer recht klapprigen, aber nach wie vor wunderschönen colectivos fahren auf eigenen Spuren und kommen deutlich schneller voran als früher. Beklagt hatten sich über die (sehr teuren) Investitionen und die Dauerbaustellen die, die Platz machen mussten: Auto- und vor allem Taxifahrer. Der Metrobus ist heute eines der Aushängeschilder von Macris zwei Amtszeiten als Hauptstadtbürgermeister, und er soll weiter ausgebaut werden – von Dietrich, der zum Transportminister Argentiniens aufsteigt.

Nur drei Frauen haben übrigens einen Posten bekommen – aber mehr als 20 Männer. Hier schickt der Wandelprediger Macri das Land erstaunlicherweise zurück in die Blütezeit des machismo argentino. Wobei: Verblüht ist der ja noch gar nicht. Am Herrenklub, der in den zehn Tagen seine Arbeit aufnehmen wird, stört sich Argentinien bisher jedenfalls nicht.

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Weitere Texte zur Präsidentschaftswahl im Argentinischen Tagebuch:

  1. ihr Platz in der Welt []