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Bolivianisches Tagebuch (III): Butch Wesemann und Sundance T., die versteckte Kamera und zwei Gesangseinlagen

von CHRISTOPH WESEMANN

Herr T. und CW, wollt Ihr etwa immer noch zur größten Salzwüste der Welt nach Uyuni? Wie denn, ohne Reisepässe? Aha, soso, unsere beiden Helden vertrauen also Rotkäppchen, dem geheimnisvollen Fremden von der Grenze, der sie an sich genommen hat: die Pässe und ihre Besitzer. Schauen wir mal, wie sich Herr T. und CW im dritten Teil schlagen. Jetzt kommt Bolivien, und die Jungs können alles gebrauchen: Daumendrücken, Gebete, religiöse Opfergaben. Auf geht’s!

La Quiaca (Argentinien) → Villazón (Bolivien) → Uyuni

(Herr T.) »Der einzige in Deutschland geborene indigene Porteño der Welt«? CW hat Nerven. Konzentrier dich, Häuptling! Wir haben hier ’nen Coup am Wickel, wie in Ocean’s Eleven.

(cw) Rotkäppchen, unser Schleuser unter der Schirmmütze des Fußballklubs Independiente, hat uns gerade an der Schlange vorbei nach vorn gebracht und die Pässe zurückgegeben. Er schiebt uns direkt vor eine Frau, die nur noch zehn Meter vom Schalter entfernt ist und nichts dagegen hat, dass wir vor ihr drankommen.

(Herr T.) Wir haben den Verdacht, dass die Frau, die uns vorgelassen hat, nur dazu da ist, Leute vorzulassen, die es eilig haben. Sie will offenbar gar nicht zum Schalter, sie rückt nicht auf. Ist also Teil des Teams. Wir gehören jetzt übrigens zu einer Reisegruppe. Deren Chefin steht schon am Schalter und weiß angeblich Bescheid. Sagt unser Rotkäppchen.

(cw) Es passieren erstaunlich viele Leute die Grenze ohne Kontrolle. Sie gehen einfach durch und werden nicht aufgehalten. Viele haben ein Fahrrad dabei, andere schleppen riesige Plastiktaschen.

(Herr T.) Der Weg ist unglaublich eng. Ich ärgere mich über die Leute, die ihr Fahrrad durchschieben müssen. Ständig werde ich weggedrängt, was kein Wunder ist: Mit meinem Reiserucksack bin ich ein großes Ziel. CWs Rollkoffer hingegen macht sich das erste Mal nützlich.

(cw) Gerade drängelt sich ein Mann vorbei, an dessen Fahrradlenker 25 eingetütete Zuckerwatten angebracht sind. Rosa und orange. Ist das hier Cámara Escondida, und gleich kommt der argentinische Kurt Felix um die Ecke?

(Herr T.) Ich verstehe das alles überhaupt nicht. Sind das Leute, die in Argentinien arbeiten, aber in Bolivien leben und jetzt Feierabend haben? Und kommen und gehen die jeden Tag?

(cw) Hoppla, es übergibt sich ein vielleicht zwölfjähriger Junge – wohl nicht zum ersten Mal. Er ist schon bei Galle. Jetzt müssen natürlich alle, die unkontrolliert die Grenze überqueren, durch die Kotzpfütze. Ich bin ja eigentlich ein linientreuer Bürger Argentiniens, ein Tausendprozentiger. Ich rege mich nur ganz selten auf. Aber wenn ich sehe, wie dieses angeblich so zivilisierte Land, das sich so gern für was Besseres hält in Südamerika, manchmal Menschen behandelt, kriege ich schlechte Laune.

(Herr T.) Ob der arme Junge zu viel Zuckerwatte gegessen hat? Oder gehen in der Schlange schon die ersten Krankheiten um?  Da sind Mütter mit kleinen Kindern – und warten stundenlang. Es gibt weder Bänke noch Toiletten in der Nähe – und erst recht kein Geschäft, um irgendwas zu kaufen.

(cw) Wir leben doch im 21. Jahrhundert, oder? Wäre es zu viel verlangt, dass eines dieser herumstehenden Arschlöcher in Uniform einmal die Stunde die Schlange abgeht, den Kindern ein paar Bonbons gegen die Langeweile schenkt und den Müttern und Alten einen Becher Tee reicht? Wie bewirbt die Präsidentin Cristina Kirchner noch mal in Fernsehspots ihr Argentinien?

(Herr T.) Un país con buena gente.Ein Land mit tollen Menschen. Achtung, CW ist gleich am Stammtisch und meckert über die da oben, der kleine Mann von der Grenze.

(cw) Herrschaften, unsere Reiseleiterin ist aber wirklich nicht die schnellste. Sie steht immer noch am Schalter und steckt ab und zu ihr Köpfchen in die Luke. Sie hat einen Korb mit Reisepässen, unsere aber nicht, wieso eigentlich nicht? Die braucht sie doch! Ich glaube, ich gehe mal gucken, warum das so lange …

(Herr T.) denkste! CW kommt nicht weit, er wird von Rotkäppchens Frauen, die immer in unserer Nähe sind, ausgebremst. »In der Schlange bleiben!«, sagen sie leise. Das Baby schläft. Und Rotkäppchen selbst schimpft aus zehn Metern Entfernung mit beiden Händen.

(cw) Na endlich, wir sind dran. Einer der geheimnisvollsten Berufe der Welt: Reisepassdurchguckerundausreisestempelhineindrücker. Man selbst versteht ja gar nicht, was diese Burschen da minutenlang treiben mit diesen paar Seiten.

(Herr T.) Die Kontrolle des CW dauert aber. Liegt gegen ihn was vor? Wird er mit internationalem Haftbefehl gesucht? Wäre ja nicht der erste Deutsche, der sich in Argentinien versteckt hält, hehe! Wohl doch keine indigene Herkunft.

(cw) Wir sind durch! Und sofort ist Rotkäppchen da und begleitet uns die paar Schritte vom Schalter hinüber nach Villazón. »Und wie viel?«, frage ich. Er sagt: »400.« Gut, ich hatte eher mit der Hälfte gerechnet, aber wenn man bedenkt, dass wir nicht drei Stunden im Regen haben stehen müssen, sind 400 Pesos – nach offiziellem Kurs 60 Euro – auch okay.

(Herr T.) Er meint leider nicht Pesos, er meint Dollar. Und er meint es ernst.

(cw) Er sagt sinngemäß: »Was soll ich mit den scheiß Pesos, Junge? Mach hinne.«

(Herr T.) Ja, eilig hat er’s auf einmal. »Ich muss den Polizisten bezahlen«, sagt er.

(cw) Eine Familie hat er obendrein zu ernähren. Bestimmt trägt er nachts auch noch kranke Igelbabys über die Straße und muss einen Tabakladen am Leben erhalten, der gute Mensch von Villazón.

(Herr T.) 400 Dollar sind indiskutabel, außerdem haben wir so viel gar nicht. Rotkäppchen hat’s eilig, spielen wir mal ein bisschen auf Zeit, CW?

(cw) Ich weiß nicht. Der pfeift er zweimal – und dann kommen fünf Schläger um die Ecke. Aber 400 Dollar sind indiskutabel. Vor allem hatte er gesagt: »200 für jeden von euch.« Herr T. ist niemals so viel wert wie ich.

(Herr T.) Es regnet nach wie vor, und wir tragen immer noch keine Jacken. CW hilft mir nicht wirklich bei der Verhandlung. Ginge es um Fußball, käme kein anderer zu Wort, aber wenn ein Schleuser der Dritten Welt mit zunehmend finsterer Miene Geld will, ist er still. Ich denke, es wird Zeit für ein Friedensangebot, wir sind ja keine Unmenschen. Hat ja auch ein Baby, der Mann! Also, Rotkäppchen, 200 Dollar – für uns zusammen.

(cw) Er nimmt an. Ich hätte ja 100 Dollar geboten.

(Herr T.) Hört! Hört! CW hat seine Stimme wieder. 200 sind okay. Rotkäppchen muss schließlich noch den Grenzer bezahlen, und Familie hat er auch.

(cw) Und die kranken Igelbabys! Dem Mistkerl haben wir’s gezeigt.

(Herr T.) Wollte uns abzocken.

(cw) Aber nicht mit uns.

(Herr T.) Schön runtergehandelt haben wir den.

(cw) Der wird kotzen.

(Herr T.) Im Strahl.

(cw) Mieses Geschäft. Ganz mieses.

(Herr T.) Der legt ja fast noch was drauf, der Arme.

(cw) So seh’n Sieger aus!

(Herr T.) Schalalalala!

(cw) So seh’n Sieger aus!

(Herr T.) Schalalalala!

(cw) Wir haben so viel Geld gespart, jetzt müssen wir’s krachen lassen. Ein Zweimannzimmer im ersten Hostel am Platze!

(Herr T.) Aus der Dusche kommt nur kaltes Wasser, und das Bad hat ein Fenster ohne Glas zum Treppenhaus. Trotzdem: Der Schleuser hat uns wieder zusammengeführt – CW und ich spüren eine selten gewordene Harmonie. Sich zusammen über etwas aufregen, das können wir gut.

(cw) Jetzt einen Poncho für mich, und einen Lamahirtenhut obendrauf!

(Herr T.) Natürlich ist das nach all den Strapazen erst mal wichtiger als etwas zu Essen. Dennoch: eine gute Investition. CW sieht jetzt richtig bescheuert aus.

Villazón

(cw) Und nun ein Zweigängemenü vom Allerfeinsten! Nix schnell auf die Hand und den Bordstein als Sitzplatz wie sonst immer. Nein, zur Feier des Tages ein piekfeiner Laden mit Tischdecken. Ja, natürlich Wachstuch, das ist ja nicht der Gendarmenmarkt, sondern der Bahnhofsvorplatz von Villazón. Dort, der Imbiss, der sieht nett aus und ist bevölkert. Señor, bitte erst die Hühnersuppe und dann ordentlich Fleisch für meinen Freund und mich.

(Herr T.) Schuhsohle, ungewürzt. Aber es ist schön warm in der Bude.

(cw) Wir brauchen jetzt noch die Bustickets für morgen. Bloß weg aus Villazón! Sonst überfällt uns das schlechte Gewissen, und wir rennen zur Grenze, um Rotkäppchen mehr Geld zu geben. Es gibt eine Direktverbindung nach Uyuni zur größten Salzwüste der Welt. Wie heißt die Firma? Chorok? Chorolko?

(Herr T.) Ich glaube, es heißt Chorolque. Seltsamer Name.

(cw) Bolivianische Gottheit aus dem vierten Jahrhundert v. Chr. So was weiß man als Indigener, ohne nachzuschlagen.

(Herr T.) Geht das wieder los. Und was braucht CW jetzt noch nach dem ganzen Stress? Internet, richtig: zum Angeben, wo er ist.

(cw) 45 Minuten online für jeden im Internetcafé!

(Herr T.) Oder auch: einmal Mails abrufen und dann schnell die Überschriften von Spiegel Online lesen. Die Verbindung ist wirklich sehr langsam in Villazón. Auweia! Mir reicht’s! Gute Nacht!

(cw) Es regnet immer noch. Regen ist gut für uns. Wir werden gleich morgen Punkt acht Uhr weiterfahren nach Uyuni. Und wenn die Salzwüste unter Wasser steht, ist sie noch hübscher.

(Herr T.) Schlaf schön, CW!

(cw) Träum was Süßes, Herr T.

***

(cw) Wir sollten um halb acht am Bus-Terminal sein, hatte die Fahrkartenverkäuferin am Vorabend gesagt. Wir sind um zehn nach sieben da und holen uns an einer Bude erst mal ein kleines Frühstück, frittierte süße Lappen, die Pasteles heißen. Dazu wird Api in der Tasse gereicht, ein warmer, dickflüssiger und ebenfalls süßer Maissaft mit Zimtgeschmack. Schmeckt alles besser, als es klingt.

Mehr brauche ich nicht. Es sind doch nur 65 Kilometer bis Uyuni, also maximal zwei Stunden.

(Herr T.) Ich sage mal nichts. Ich weiß wirklich nicht, wo CW die Zahl her hat; wahrscheinlich verwechselt er die Distanzen – 65 Kilometer wären es gestern zur Salzwüste in der Nähe von Purmamarca gewesen. Aber er würde mir ja sowieso nicht glauben, der alte Rechthaber.

Der Bus kommt um 8.10 Uhr, und dann wird das Gepäck der Passagiere eingeladen: Riesentaschen, Kartoffelsäcke, ein Bettgestell oder Gartenzaun, so genau erkennt man es nicht, noch mehr Kartoffelsäcke. Abfahrt um halb neun.

(cw) Lohnt es sich überhaupt, noch mal ein Nickerchen zu machen?

(Herr T.) Übrigens sind wir schon wieder einzigen Weißen im Bus, dabei geht es doch zur größten Salzwüste der Welt. Wo sind die ganzen Touristen hin? Stimmt das hier?

(cw) Nach zwei Stunden erreichen wir einen Ort, ich stehe schon mal auf und packe zusammen. Aber das ist nicht Uyuni, das ist Tupiza. Nein, irgendwas stimmt hier nicht.

(Auf der Rückfahrt werden wir übrigens erfahren, dass es einen Komfortbus zwischen Villazón und Uyuni gibt, den wohl die meisten Touristen buchen. Das hier ist die sehr günstige und sehr bolivianische Variante: kein Komfort.)

(Herr T.) Ich frage heimlich den Busfahrer, wann wir in Uyuni ankämen. Er sagt, es sei viel zu früh, sich schon jetzt festzulegen. Ich verschweige CW auch diese Auskunft. Noch ist er halbwegs unungehalten. Vielleicht liegt’s daran, dass wir wunderbare Landstriche und Täler passieren.

(cw) Ach Tupiza, 25 709 Einwohner, fast 3000 Meter über dem Meeresspiegel! Erst auf dem Rückweg, als es schon zu spät ist, werde ich das Städtchen im Reiseführer entdecken. Hier um die Ecke sollen die Banditen Butch Cassidy und The Sundance Kid 1908 Lohngeld erbeutet haben, mit dem sie dann in die Bergarbeitersiedlung San Vicente weiterzogen, um sich vom Tagwerk auszuruhen. Angeblich liegen die beiden Herren auf dem örtlichen Friedhof; 1992 ergab aber ein DNA-Test, dass es sich bei den Überresten um einen Deutschen handelt, den Ingenieur Gustav Zimmer, einen Zeitgenossen von Butch Cassidy und The Sundance Kid.

(Herr T.) Butch Cassidy and the Sundance Kid, Paul Newman und Robert Redford, ich liebe diesen Film.

(cw) Und die atemberaubend schöne Katharine Ross vorn auf dem Fahrradlenker!

 

(Herr T. und cw) Raindrops keep fallin‘ on my head / But that doesn’t mean my eyes will soon be turnin‘ red / Cryin’s not for me / ‚Cause I’m never gonna stop the rain by complainin‘ / Because I’m free / Nothin’s worryin‘ me

(cw) Der nächste Ort – wieder nicht Uyuni. Wie lange dauert denn das? Wir kommen ja kaum voran; nur die ersten 70 Kilometer waren asphaltiert, seitdem geht es über Sandwege – und immer bergauf, gelegentlich auch mal durch einen Fluss. Keine Leitplanken. Die Kurven sind scharf und eng – und manchmal kippt der Bus so in die Schräge, dass man rüberrutschen will ans andere Fenster. Als Gegengewicht.

(Herr T.) Aber da sitzt ja schon jemand.

Lamas

(cw) Plötzlich erklingt von hinten Geschrei. Es fehlt jemand. Muss man denn nach jeder Rast nachzählen, ob alle wieder an Bord sind? So, jetzt mal kurz Ruhe bitte, hat jeder seinen Nebenmann? Ist ja wie auf Klassenfahrt nach dem obligatorischen Stopp bei McDonald’s an der Autobahn. Der Busfahrer bremst einmal und gibt dann gleich wieder Gas. Nach zehn Minuten rast ein Moped mit zwei Männern heran und hupt. Ah, der verlorene Passagier ist wieder da. Hat sich wohl ein Zweiradtaxi gechartert. Das fährt jetzt bergab zurück ins Dorf.

(Herr T.) Es beginnt die fünfte Stunde im Bus. Ich will jetzt auch nicht mehr. Dass CW so ruhig bleibt, muss an den Kokablättern liegen, die er die ganze Zeit schmatzt. Man sollte sie ihm für immer in die Backe nähen.

(cw) Wir halten an einer kleinen Siedlung, wo mehrere Händler einsteigen, um vorgewärmte Gerichte zu verkaufen. Eine Frau hinter uns, die mich die ganze mit ihrem lauten Organ gestört hat, ist ganz aufgeregt. Herr T. schläft mit seinen Angeberkopfhörern. Ich stups ihn mal an.

(Unbekannte Frau) Huuuuuumiiiiiitaaaaas!

(Herr T.) Aua. Sind wir schon da?

(cw) Sieht das aus wie Uyuni?

(Herr T.) Uyuni soll eine Stadt sein. Also: nein.

(cw) Tja, so richtig werde ich mit den Leuten im Bus nicht warm. Ich versuche seit zwanzig Minuten, mit dem kleinen Mädchen von schräg rüber zu blödeln, das mich die ganze Zeit anstarrt. He Kind, mir ist langweilig! Ich grinse, ich drücke auf meine Nasenspitze, bis die Zunge rausspringt, ich blase die Backen auf. Ich bin kurz davor, die alten Witze von Otto Waalkes auszupacken und ins Spanische zu übersetzen – English for Runaways, Susi Sorglos -, als das Mädchen endlich lächelt.

(Herr T.) Kann es sein, dass die Kleine, nicht älter als fünf, CW einfach nur bestaunen will, weil er so anders aussieht als die Menschen, die ihr sonst begegnen?

(cw) Der Reiseführer schreibt übrigens, die »Gesinnung der Bolivianer« unterscheide sich »beträchtlich nach Klima und Höhenlage«. Kollas, die Hochlandbewohner, sollen angeblich »fleißiger, aber engstirniger« sein als die Cambas, die Flachländer, die dafür als »warmherziger, aufgeschlossener und Fremden gegenüber großzügiger« beschrieben werden. Kollas wie Cambas hielten sich jedoch für die jeweils besseren Bolivianer. Mal Herrn T. fragen, ob wir gerade im Hochland oder im Flachland unterwegs sind. Er zeigt ans Fenster nach draußen. Ja klar, Berge. Also engstirnig. Aber fleißig. Aber engstirnig.

(Herr T.) Er kann’s nicht lassen.

(cw) Hör mal, Herr T., kennst du das Lied noch? Der Busfahrer hat Lambada von Kaoma eingelegt, den Sommerhit 1989, in elf Ländern Nummer 1. Mein letzter Sommer vor der Pubertät.

(Herr T.) Da war ich gerade mal ein Jahr alt.

(cw) Augenblick, Panflöten? Ach so, das ist das Original: Llorando se fue der bolivianischen Gruppe Los Kjarkas. Haben Kaoma damals einfach, ohne zu fragen, geklaut.

 

(Herr T.) Bei mir ist das wie bei Menschen, die in der Einflugschneise eines Airports leben – die nehmen den Lärm der Triebwerke gar nicht mehr wahr. Nach ein paar Stunden Beschallung mit bolivianischer Musik überhöre ich Panflöten.

(cw) Manchmal fühle ich mich ja wie Herrn Ts. Mentor. Ja, ich bringe ihm ziemlich viel bei, er profitiert von mir so ungemein. Weil wir ja doch viel Zeit miteinander verbringen, ist es natürlich auch in meinem Interesse, wenigstens eine wacklige Brücke über den intellektuellen Graben zu bauen, der uns trennt. Fürs Zuschütten ist der Graben zu groß.

(Herr T.) Ich hänge jetzt wie so oft an seinen Lippen. Draußen sind ja eh nur Berge zu sehen. Spreche Er, großer Meister!

(cw) Nehmen wir heute mal den Strukturwandel der Öffentlichkeit durch, so der Titel der politikwissenschaftlichen Habilitationsschrift Jürgen Habermas’ aus dem Jahre neunzehnhundertzwoundsechzig. Den Terminus Habilitationsschrift setze ich als bekannt voraus. Habermas beschreibt in seinem Werk den Aufstieg und Niedergang der bürgerlichen Öffentlichkeit; wir müssten an dieser Stelle natürlich zunächst definieren, was Öffentlichkeit ist.

(Unbekannte Frau) Huuuuumiiiiiitaaaaas! Huuuuumiiiiiitaaaaas!

(cw) Wie gesagt, Aufstieg und Niedergang der bürgerlichen Öffentlichkeit sind das Thema des Buches. Öffentlichkeit lässt sich – stark vereinfacht natürlich – definieren als Gesamtheit aller Umstände, die …

(Unbekannte Frau) Huuumiiiiiitaaaaas! Huuuuumiiiiiitaaaaas!

(cw) … aller Umstände, die …

(Unbekannte Frau) Huuuuuumiiiiiitaaaaas!

(cw) … Umstände, die …

(Unbekannte Frau) ¡Señora, huuuumiiiiiitaaaaas!

(Herr T.) Der Busfahrer sagt übrigens, die Hälfte haben wir.

(cw) … die …

(Unbekannte Frau) ¡Quiero humitas, Señora!

(cw) Die Hääääääääääääääääääälfte?

(Unbekannte Frau) Huuumiiiiiiiiiiiiiiiitaaaaaaaaaaaas?

(Herr T.) Kleiner Scherz, drei Viertel haben wir schon geschafft. Aber was ist das eigentlich für eine laute Frau, die obendrein so schlimm nach Koka riecht.

(cw) Ich riech nichts.

(Herr T.) Und was zum Henker sind humitas?

(cw) Keine Ahnung. Aber ich will jetzt welche.

(Unbekannte Frau) Señora, gracias por las humitas. ¡Hasta luego!

Fahrzeit für die 270 Kilometer von Villazón nach Uyuni: neun Stunden, vier Pausen inklusive.

Fortsetzung folgt

Bolivianisches Tagebuch (I): Mit Kokaface ins Indianerland

von CHRISTOPH WESEMANN

Unsere zwei Helden sind wieder unterwegs. Herr T., der junge Deutsche (24), der ein Jahr in Argentinien lebt und arbeitet, muss das Land nach drei Monaten verlassen und als Tourist neu einreisen. Wieder ist CW dabei, unser Mann in Buenos Aires, der sich doppelt so alt fühlt, wie er ist (also 68), und Herrn T. zehnmal mehr nervt, als er glaubt.

Diesmal geht es nicht, wie im Dezember 2012, nach Chile. Nein, ein größeres Abenteuer soll her: Bolivien, das Armenhaus des Kontinents, ein Land der Extreme. Im Buch Südamerika für wenig Geld, das Herr T. auf dieser Reise bei sich hat, ist Bolivien das »höchstgelegene, am schwersten zugängliche und raueste Land der südlichen Hemisphäre – und eines der kältesten, wärmsten, windigsten und schwülsten«. Außerdem: der indianischste Staat Lateinamerikas. Mehr als 60 Prozent der 10,4 Millionen Bolivianer sind indigener Herkunft.

Die geplante Route (nur die Flüge sind vorab gebucht): Buenos Aires (Flugzeug) → Salta (Bus) → Jujuy (Bus) → Grenzübergang La Quiaca/Villazón (was mit Rädern) → 250 Kilometer durch Bolivien bis zur Salzwüste von Uyuni (was mit Rädern) → Salta (Flugzeug) → Buenos Aires

  • Erster Teil: Salta – Jujuy – Purmamarca

(cw) Saltas Plaza 9 de Julio mit ihren Palmen, Araukarien  und Johannisbrotbäumen  soll sehr hübsch sein, steht im Reiseführer. Ja ja, hübsch, das Plätzchen. Ich habe Hunger, und gleich geht die Sonne unter. Hach, bin ich gespannt auf die regionale Küche: Ob in Salta Superpanchos, die argentinischen Hotdogs, anders schmecken als in Buenos Aires?

(Herr T.) CW hat mich so schnell aus dem Hostel gescheucht, dass ich gerade noch meinen Rucksack abwerfen konnte. Bei Hunger kennt er kein Pardon.

Plaza 9 de Julio, Salta

Plaza 9 de Julio, Salta

(cw) Mein Superpancho mit geriebenem Käse, Mais, Oliven und zwei unbekannten Soßen aus Plastikspritzflaschen schmeckt besser als in Buenos Aires. Aber an die Dinger mit Avocadopaste in Santiago de Chile und Valparíso – dort completos genannt – kommt er nicht heran. Ich esse in meinem chilenischen Tempo, das Herr T. noch im Dezember 2012 als grotesk empfunden hatte. Ich zitiere: »Japsend, mehr schluckend als kauend, braucht er für einen ganzen completo keine 60 Sekunden.« Herr T. isst heute trotzdem schneller. Ich kann gar nicht so schnell gucken, wie der Superpancho zum Problem seines Verdauungsapparats geworden ist. Ich werde jedes Fressduell auf dieser Reise verlieren.

(Herr T.) Merke: »Wenn du dich mit dem Teufel einlässt, verändert sich nicht der Teufel. Der Teufel verändert dich!«

(cw) Herr T. hat keine innere Ruhe. Jetzt fängt er schon wieder damit an, dass er ganz schnell weiter will. Sein Ziel ist der Südwesten Boliviens mit dem Salar de Uyuni, der größten Salzwüste der Welt. Dabei haben wir doch so viel Zeit: elf Tage. Wir sind diesmal im Flugzeug angereist und haben uns so eine 24 Stunden und 1600 Kilometer lange Busfahrt von Buenos Aires nach Salta erspart. Warum hetzt der Kerl mich so?

(Herr T.) Fürs Protokoll: Es war CW, der es in seinem Gram schaffte, sowohl über das Zeit- als auch über das Geldersparnis zu seufzen, weil er ja lieber Busfahren wollte. Elf Tage sind schnell um (dachte ich jedenfalls). Außerdem: Wer, bitte, sorgt denn für Stress? Wer lässt im Taxi vom Flughafen Salta zum Hostel sein Mobiltelefon liegen?

(cw) Unser Taxifahrer, Mitte fünfzig, hatte erzählt, dass er seit 20 Jahren in Salta lebe, aber aus Buenos Aires stamme. Ein Porteño! So wie ich. Man erkennt sich, man mag sich, man versteht sich. Und vergisst alles um sich herum.

(Herr T.) Jedes Gespräch mit einem Fremden – wirklich jedes! – beginnt CW damit, dass er sich nach dem Lieblingsfußballklub erkundigt. »¡Che! ¿Tenes un equipo favorito? ¿Sos de Boca o de River?« Unser Taxifahrer war Fan von River; und CW gab sich entrüstet und wirbelte mit den Armen. Eine perfektionierte Geste. Dabei basiert doch sein ganzer Wortschatz darauf, die Todfeinde seiner geliebten Boca Juniors zu treffen. Er spult dann einstudierte Sätze ab. »Paaaah, una gallina! Millonario!« Ich frage mich, was passiert, wenn CW einen Boca-Fan trifft – dann hat er nämlich gar keine Worte.

(cw) Unser Taxifahrer, der Porteño, hat mir, dem Porteño, das Mobiltelefon selbstverständlich zurückgebracht.

(Herr T.) Ist doch sowieso nur eine Attrappe. Klingelt nie.

Übrigens hat CW auch in seiner Muttersprache einen rudimentären Wortschatz. Er kommt nahezu ohne Verben aus und beschränkt sich aufs Ausspucken von Substantiven, wenn er etwas sucht oder braucht und auf meine Hilfe angewiesen ist. »Cola!« – »Shampoo?« – »Scheiß Handtuch?« – »Dreckstelefon?« – »Kohle!« Jetzt, nachdem wir auf der Plaza 9 de Julio zu Abend gegessen haben, ruft er: »Mate!« Er braucht einen neuen Becher, weil er aus Buenos Aires keinen mitgebracht hat, und kauft schließlich einen silbernen Touristenmate von Salta.

(cw) Noch vorm Einschlafen denkt Herr T. an den Salar de Uyuni, und in der Nacht wirft er sich und her. Woher kommt eigentlich diese Wüstenfaszination bei den Deutschen? Hat die mit Rommel zu tun?

(Herr T.) Ich kann nur nicht schlafen, das ist alles. Wir haben zwar ein nettes Hostel gefunden und natürlich wieder die teure Pärchensuite genommen, weil CW ja nicht mit Fremden im günstigeren Achtmannzimmer übernachtet.  Aber unser Bett ist so eng, dass mich CW nachts mit seinen langen Fußnägeln kratzt.

(cw) Ja, tut mir leid, ich habe die Fußpflege in Buenos Aires nicht mehr geschafft. Länger als der Nagel vom großen Onkel rechts ist nur noch diese Nacht. Dafür sorgen auch die Kopfkissen, die eigentlich bezogene Gartenmöbelpolster sind: fünf Zentimeter flach und sehr hart. Ich erwache um fünf und bin trotzdem gleich topfit. Ich will jetzt Salta sehen. Die Argentinier nennen die Hauptstadt und ihre Provinz la Linda, die Schöne. Und für das Schöne bin ich ja immer zu haben. Aufstehen, Herr T.!

(Herr T.) Wer mit CW übernachtet, braucht keinen Wecker. Alles bereitet dem Mann Mühe: das Zähneputzen, das Duschen, das Anziehen. Er kämpft sich allmorgendlich ins Leben zurück und lässt mich gern daran teilhaben. Bei CW wird in den ersten 15 Minuten nach dem Aufstehen heftiger gestöhnt als in jedem zweistündigen Porno.

(cw) Zweistündige Pornos. Es gibt zweistündige Pornos?

(Herr T.) Ja. Hab ich jedenfalls gehört.

(cw) San Bernardo heißt der Stadthügel, 1458 Meter über Salta. Wir fahren mit dem Teleférico, der Seilbahn, hinauf. Oben erkennt man, was man unten bestreitet: dass in der achtgrößten Stadt Argentiniens 465 000 Menschen leben. Es ist ziemlich warm, und trotzdem treiben ein paar Irre Sport. Männer stemmen Gewichte, die Frauen fahren Hometrainer und machen Gymnastik. Ich schwitze schon vom Spannen.

(Herr T.) Ein bisschen Sport könnte CW nicht schaden. Dann müsste er nicht immer schwarze Klamotten tragen, um seine Fettpolster zu verbergen. Ich schlage also vor, dass wir am Stand mit der Aufschrift »Downhill« Mountainbikes mieten und uns den San Bernardo hinunterstürzen.  Das Tempo würde gleich CWs Falten glattbügeln.

(cw) Welche Falten? Vorschlag abgelehnt. Ich will gondeln. Herr T. geriert sich ja gern als Filmexperte; gucken wir mal, ob er mehr kennt als den Sauffurzundbumsklamauk der amerikanischen Collegefilme. He, Cineast: Filmtitel, in dem das Wort Gondeln steckt?

(Herr T.) Puh, war das schwer. Wäre es doch mit CW immer so einfach. Seit unserer ersten Tour nach Chile weiß ich, dass er sich gerne entblößt. Ich bin also nur mäßig überrascht und trotzdem erschrocken, als er sich auf der Abfahrt vom San Bernardo entkleidet. Alleine in einer engen Gondel, gefühlte 100 Meter über dem Erdboden mit einem halbnackten, zehn Jahre älteren Mann: Kein Wunder, dass wir von den anderen, die hinauffahren und ans uns vorbeiziehen, fotografiert werden.

(cw) Herr T. hat über seine Arbeit wieder einen Kollegen aufgetan, der sich um uns kümmern will – wie auf unserer ersten Reise René, der Superchilene. René hatte uns acht Stunden durch Santiago gefahren, ein Armenviertel und ein Museum gezeigt, uns abgefüttert und abgefüllt. Nun sagt ein gewisser Pedro am Telefon: »Kommt nach Jujuy, alles ist vorbereitet, ich warte am Busbahnhof.« Also brechen wir am nächsten Morgen mit dem Bus aus Salta in die Nachbarprovinz auf, ohne zu wissen, was uns in der Hauptstadt San Salvador de Jujuy erwartet. Wir brauchen keinen Plan. Wir haben Pedro.

Herr T. hat ein sehr dickes Reisebuch mit, es heißt Südamerika für wenig Geld und empfiehlt trotzdem nur Dinge, die dem Centavosfuchser aus Deutschland zu teuer sind. Auch umgerechnet acht Euro für eine zweieinhalbstündige Fahrt im Komfortbus findet er unangemessen. Ich lese, dass Jujuy im Unabhängigkeitskrieg eine wichtige Rolle gespielt habe. General Manuel Belgrano  – bis heute Volksheld und Legende – ließ alle Einwohner evakuieren, damit sie nicht gefangen genommen wurden. Der éxodus jujeño, der Auszug aus Jujuy, wird jedes Jahr im August eine Woche lang gefeiert.

(Herr T.) René war echt super; wir werden ihm eine Postkarte schicken. Aber jetzt ist Pedro-Zeit: Er steht, wie verabredet, am Busbahnhof – ähm, mit seiner Frau.

(cw) Unser éxodus jujeño dauert genau 35 Minuten. Herr T. wird von Pedro direkt zum nächsten Reiseschalter geführt. Unsere Tickets sind schon reserviert und müssen nur noch bezahlt werden. Herr T. zögert kurz – und öffnet dann sein Portmonee.

(Herr T.) Wir fahren nach Purmamarca.

(cw) Wohin? Pumucka?

(Herr T.) Pur-ma-mar-ca. Alte Inka-Siedlung.

(cw) Was sollen wir dort?

(Herr T.) Keine Ahnung. Irgendwen unbedingt treffen oder so. Hör auf zu fragen, Pedro guckt schon komisch.

(cw) Die restlichen 20 Minuten schlagen wir mit Nebeneinander-Rumstehen und Einander-Nichtverstehen im Bahnhofslärm tot. Zum Abschied sagt Pedro, dass uns Alfredo vom Bus abholen wird. Alfredo?

(Herr T.) Alfredo. Schnauze, CW!

(cw) Wir fahren von San Salvador de Jujuy direkt hinein in ein Weltkulturerbe der Unesco: die 150 Kilometer lange Schlucht von Humahuaca (Quebrada de Humahuaca), durch die einst die koloniale Postroute in die bolivianische Silberstadt Potosí  führte und heute die Nationalstraße 9. Höhe: 1900 bis 3400 Meter über dem Meeresspiegel.

(Herr T.) CW hat schon vorgesorgt und in Salta Kokablätter gekauft – in einem Souvenirladen, das Tütchen für fünf Pesos. Er riecht jetzt mitunter etwas streng, auch aus dem Mund, und schmatzt fröhlich.

(cw) »Die malerische Landschaft besteht aus farbenprächtigen kahlen Hügeln und winzigen Dörfern«, steht in Herrn Ts. Reisebuch. Meines hat natürlich ein ganz anderes Niveau: »Gesteine marinen Ursprungs aus dem Präkambrium und Paläozoikum mit meist recht dunkler Einfärbung von grünlichem bis bläulichem Grau oder kambrische Gesteine in Rosa, Grün und Braun.«

Fast zwei Drittel der mehr als 600 000 Einwohner der Provinz Provinz Jujuy sind Mestizen, also Mischlinge aus europäischen Einwanderern und Indianern, oder Nachkommen verschiedener Indianerstämme. Die so genannten Quechua-Bauern bauen vor allem Mais an und züchten magere Rinder.

(Herr T.) Mischlinge? CW, der Volkskundler und Abstammungsgelehrte! Aber über Rommel lästern. Nun ja, ich erkenne, dass wir meinem Ziel allmählich näher kommen. Argentinien sieht hier schon aus, wie ich mir Bolivien vorstelle: Die Häuser sind Lehmhütten, und die Menschen haben eine dunklere Haut. CWs Angeberbuch entnehme ich, dass – bevor die Spanier zwischen 1550 und 1580 die Region eroberten – hier die Völker der Omaguaca, der Tilcara und der Tilianes siedelten. Aha. Noch 170 000 ihrer Nachfahren sollen heute in dieser Berglandschaft leben.

(cw) Als wir eineinhalb Stunden später in Purmamarca ankommen, ist kein Alfredo da. Wir warten 45 Minuten, wir sitzen im Staub, weil kein Weg des Ortes befestigt ist, wir wollen uns auch nicht entfernen, es könnte ja Alfredo kommen, der nach zwei Männern sucht. Ich habe kurz die Vision, dass Purmamarca zu unserem Goa wird und wir nie wieder wegkommen. Jedes Mal, wenn deutsche Touristen mit dem Bus anhalten, sagt der Reiseführer: »Die beiden dort drüben mit den langen weißen Haaren, sehen Sie sie? Deutsche. Jeder kennt die hier. Jeder kennt ihre Geschichte. Die warten auf Alfredo. Seit 20 Jahren. Für ein Foto verlangen sie fünf Pesos.«

Um uns herum sind nur Hippies in bunten Hosen, mit Armbändern und aufgeschnallten Gitarren, unterwegs.

(Herr T.) Man möge CW das nachsehen, er ist ja schon älter und kennt die aktuelle Jugendkultur nicht mehr so richtig: Aber das sind keine Hippies. Das sind Backpacker. (Für CW: Rucksacktouristen.)

Wir schicken jetzt doch mal eine SMS: »Hallo Pedro! Sind gut angekommen. Purmamarca ist wirklich sehr reizend. Tolle Berge. Hat sich gelohnt. Klitzekleines Problemchen: Wo ist Alfredo?«

(cw) Und dann kommt ein Mann in Zeitlupentempo auf uns zu. Er scheint mir etwas sagen zu wollen, er öffnet die Lippen ungefähr zwei Millimeter und lässt etwas hindurch, mutmaßlich spanische Wörter, ich verstehe aber nur das letzte: alemanes. War es eine Frage? Ich nicke mal und folge ihm.

(Herr T.) Ich habe gerade den Berg der sieben Farben angestarrt und gar nichts mitbekommen. Im Gehen frage ich CW, ob das Alfredo sei. »Glaub schon«, sagt CW. Dann frage ich den Mann, der Alfredo sein soll: »Bist du Alfredo?« – »Sí.« Er ist nicht sehr gesprächig, er zeigt uns ein Haus, in dem wir uns irgendwann, heute oder morgen, ganz egal, einfinden sollen, um jemanden zu kennen zu lernen, er bringt uns in ein Zimmer und geht grußlos ab.

(cw) Ich schlage vor, dass wir uns jetzt den Berg der sieben Farben aus der Nähe anschauen. Wer glaubt: Der Legende nach soll Gott hier die Farben zur Erschaffung der Welt erfunden haben.

(Herr T.) Wir klettern auf einen Hügel, der gegenüber vom Farbenberg liegt, und machen Fotos. Ich muss wieder aufpassen, dass CWs großes Riechorgan nicht mit aufs Bild kommt, als er sich mit dem Rücken zu mir stellt und posiert. Übrigens auch eine ganz schöne Berglandschaft, seine Nase. Nur weniger farbenreich. Aber wenn die Sonne weiter so glüht, dann hat er sie morgen rot.

(cw) Dort unten ist das Haus, das uns Alfredo gezeigt hat. Gehen wir mal hin und schauen, wen wir kennen lernen sollen. Hoffentlich ist der Mann kein Fan der Boca Juniors. Aber vorher setze ich mir noch schnell – grüne Blätter in die linke Backe, bis sie sich beult – mein Kokagesicht auf.

Fortsetzung folgt

Nachtrag: Bei Herrn T. haben wir es übrigens erst bis Salta geschafft. Sein Text heißt »Reise nach Bolivien: Teil 1 – Salta-stisch« und beginnt so:

Der Flug war schnell um, die Gespräche drehten sich erneut um Politik (CW wollte mit Wissen glänzen), Frauen (CW wollte auf dem Laufenden bleiben) und Essen (CW hatte Hunger).


Argentinische Helden

Diego Maradona, gezeichnet von Danü (c)

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Musik: Somos de acá

Steckbrief

Wir sind schnell.
Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geistes-
wissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie.


2012 von Christoph Wesemann in Buenos Aires gegründet. Derzeit im Exil. (Berlin)