Tischlein, leer dich
von CHRISTOPH WESEMANN
Von Berufsratgebern haben wir gelernt, dass vor dem Abflug ins Wochenende unbedingt der Arbeitsplatz aufgeräumt werden sollte. Das erleichtert nämlich den Wiedereinstieg in den Arbeitsprozess am Montag. Und selbst Angestellten, die lieber im Internet stundenlang merkwürdiges Zeug gucken, also andere arbeiten lassen, schenkt ein leerer Schreibtisch am Freitag das schöne Gefühl: Puh, wieder was geschafft.
Und dieser Schreibtisch auf dem Foto? Was für ein Durcheinander, oder? Un quilombo, wie man in Buenos Aires. Was da alles rumsteht an Krempel, Staubfängern und Krimskrams.
Der Schreibtisch gehört Cristina Kirchner. Scheint akut messie-gefährdet zu sein, die argentinische Präsidentin, hebt wohl alles auf, was sie auf ihren Reisen zugesteckt bekommt, kann einfach nichts wegschmeißen, ist vielleicht auch der sentimentale Typ, der gern in Erinnerungen schwelgt.
Mit dem Ding tritt sie auch öffentlich auf, wenn sie ihre gefürchteten, unangekündigten und meist anlasslosen Volksreden mit Überlänge hält, die von den staatlichen Radio- und Fernsehsendern live übertragen werden müssen. Vor einer Woche hat sie sich aber ausnahmsweise kurz gefasst: Über die Flutkatastrophe sprach Cristina nicht einmal 31 Minuten.
Schauen Sie ruhig rein. Wie die Präsidentin bei einself von ganz links das Brillenetui holt, bei zwodreizehn ein Riesenblatt nach rechts auf den Stapel schafft und bei dreineununddreißig das festgetackerte Papier mit buntem Schaubild löst, wie sie fuchtelt und hyperaktiv auf ihrem Thron herumrutscht – all das ist für uns Weihnachts- und Neujahrsansprachendeutsche, die wir an Staatsschauspieler mit vorgeschriebenem Sprechtext auf dem Teleprompter gewöhnt sind, ganz großes Laientheater. Mit Drauflosquatschen. Und Plastikwasserflasche.