Zwischen Topfschlagen und Toren von Klinsmann
von CHRISTOPH WESEMANN
Ich habe für Kiek an!, die Mitgliederzeitschrift des Deutschen Journalisten-Verbandes in Mecklenburg-Vorpommern, dem ich angehöre, einen Text gedichtet. Es ist ein sehr langer Text, und deshalb peppe ich ihn mit einem Gewinnspiel auf. Wer errät meinen Scherz, der mich am meisten zum Lachen bringt? Siegerpokal: Mate samt bombilla. Die Lösung bitte in den Kommentarbereich.
Nachtrag: Wacho_Chorro hat erfolgreich gelöst: Argentinier brauchen den Superlativ, wenn sie über sich sprechen: der leidenschaftlichste Fußball, die breiteste Straße, das beste Fleisch, die schönsten Frauen. Nicht alles stimmt, das brasilianische Fleisch ist ja auch nicht schlecht. Konnte wahrscheinlich nur ein Mann drauf kommen.
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Zwischen Topfschlagen und Toren von Klinsmann
Christoph Wesemann, seit fünf Monaten in Buenos Aires, über eine medial omnipräsente Präsidentin und ein Land, das seine besten Jahre hinter sich hat
Argentinien wird von einer Quasselstrippe regiert. Wenn Cristina Fernández de Kirchner den Drang verspürt, etwas sagen zu müssen, schreckt sie auch vor Mord nicht zurück. Die Präsidentin lässt sich unangekündigt auf die Radio- und Fernsehsender schalten, unterbricht das Programm und tötet die Quote. Die Auftritte sind wohl inszeniert, aber so wenig unterhaltsam, dass umgeschaltet wird. Man weiß, was kommt: CFK trägt schwarz, wie sie es seit dem Tod ihres Mannes Néstor vor zwei Jahren immer tut, tupft eine Träne weg und erzählt über ihre Politik nur Gutes.
Eigentlich braucht es einen Grund, eine Krise oder Katastrophe, für die Zwangszusammenschaltung der Kanäle. Aber die Präsidentin hat seit Januar 16 Stunden geplaudert – und in drei Jahren mehr als fünfzigmal. So katastrophal ist nicht mal Argentinien. Ihr Vorgänger, ein gewisser Néstor Kirchner, hielt in vier Jahren nur zwei Reden.
Die Präsidentin – in Zeitungen oft nur Cristina genannt – ist wortgewaltig. Und manchmal sind die Worte stärker als sie. In Jahresansprache Nummer 17 sagte sie, ihre Landsleute sollten sich nicht nur vor Gott fürchten, sondern ein bisschen auch vor ihr. Als sie Ende September in den USA weilte, bestritt sie, dass die heimische Inflation bei 25 Prozent liege, wie inoffizielle Studien behaupten. Bei 25 Prozent würde »das Land in die Luft fliegen«. Dann knöpfte sie sich die bösen Jungs vor. Bei jedem Termin rede sie mit der Presse.
Aber ein argentinischer Journalist fragt mich und fängt gleich an zu schreien. Wenn ihm die Antwort nicht gefällt, schreit er, ärgert sich und tritt gegen die Tür.
Es sprach La Reina, Königin Cristina I.
Die Redakteure von Clarín, der auflagenstärksten Zeitung des Landes, konnten ihr Glück kaum fassen und feierten vier Seiten lang. Eine Rubrik hieß »Cristinas Sprüche und die Fakten«. Ein Fakt: Im Pressesaal der Casa Rosada, des rosafarbenen Präsidentenpalastes, war Kirchner zuletzt am 15. August 2011. Die Feindschaft zwischen dem Medienkonzern Clarín und den Kirchneristen, wie Parteifreunde der Präsidentin genannt werden, steuert auf die Entscheidungsschlacht 7D zu: Bis zum 7. Dezember muss sich Clárin von Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern trennen. So will es ein vor drei Jahren erlassenes Gesetz gegen Medienmonopole. Keiner weiß, was passieren wird. Die Regierung bewirbt das Vorhaben in minutenlangen TV-Spots als Beitrag zur Meinungsvielfalt. Clarín behauptet, knapp gesagt: Der Beitrag zur Meinungsvielfalt kommt doch von uns. Und tatsächlich, viele Blätter und Sender gehören längst Kirchneristen.1
Dabei ist Argentinien – fast achtmal so groß wie Deutschland mit nur halb so vielen Einwohnern – eine Zeitungsnation. Man sitzt im Kaffeehaus, taucht die Croissants, die hier medialunas (Halbmonde) heißen, in die Espressotasse mit dem cafecito und beugt sich über La Nación, das Sportblatt Olé oder eben Clarín. Zeitungen und Zeitschriften gibt es nur am Kiosk, nicht im Supermarkt oder an der Tankstelle.
Die Auftritte der Präsidentin werden bizarrer. Während ihrer USA-Reise wollte sie ihr Gespräch mit den Studenten einer berühmten Universität auf ein höheres Niveau bringen. Heraus kam ein Satz, der mittlerweile ein Klassiker ist: »Chicos, wir sind in Harvard, das sind doch Themen für La Matanza.« La Matanza ist eine Hochschule für die Ärmeren im Speckgürtel von Buenos Aires. Zu Hause schüttelte man den Kopf. Hat sie das wirklich gesagt? Und sie wusste, dass Kameras im Saal sind? »Tiene que ser loca.« – »Die muss verrückt sein.« Und so wird getuschelt. Ist es eine eher harmlose Krankheit, vielleicht Déformation professionnelle? Hat ihr die Macht den Blick für die Wirklichkeit gestohlen? Oder ist es ernst? War Néstors Tod zu viel? Hat die Nummer 1 gar psychische Probleme?
Es wächst der Widerstand. Der Cacerolazo, das Lärmmachen der Mittelschicht mit Töpfen und Pfannen, ist wieder zu hören. Mitte September hat das Land die größten Proteste seit vier Jahren erlebt, allein in Buenos Aires versammelten sich Hunderttausend. »Se va a acabar/Se va a acabar/La dictadura de los K«, sangen sie. »Sie wird verschwinden/Die Diktatur der Kirchneristen.« Der Kabinettschef sprach von einer »Minderheit«. Die Präsidentin selbst sagte: »Ich werde nicht nervös, und die werden mich auch nicht nervös machen.«
Am 8. November, beim nächsten Topfschlagen, waren es in der Hauptstadt schon 700 000 – und vielleicht noch mal so viele im Rest des Landes. »Olele, olala, si este no es pueblo/El pueblo dónde está?«, sangen sie diesmal. »Wenn das hier nicht das Volk ist/Wo ist das Volk denn dann?« Cristina Kirchner sagte, es habe in der Woche zwei bedeutende Ereignisse gegeben: die US-Präsidentenwahl und den Parteitag der chinesischen Kommunisten.
Es ist nicht nur ihre Dauerpräsenz, die für Unmut sorgt, es ist auch ihre Politik. Die Regierung misstraut ihrem Volk und erfindet immer neue Vorschriften. Wer für eine Auslandsreise Dollar braucht, muss einen Papierberg ausfüllen und Intimstes preisgeben. Seit der Fast-Staatspleite von 2001, als die Argentinier ihr Erspartes verloren, ist das Wegtauschen des schlappen Peso Volkssport. Cristina und ihre Leute machen dem ein Ende. Dollar gibt es zum offiziellen Kurs gar nicht mehr, getauscht wird auf der Straße.
Die Schulden wachsen, auch, weil Cristinas Herz groß ist. Die Nationalheilige Evita hat einst Fahrräder, Nähmaschinen, Betten und Gebisse verschenkt oder Geldscheine aus dem Zug geworfen und so den Staatshaushalt ruiniert. Cristina verteilt Wohnungen und erhöht das Kindergeld um 25 Prozent auf umgerechnet 55 Euro. Die Mittelschicht, die viel Arbeit hat und wenige Kinder, schimpft auf die Armen, bei denen es umgekehrt sei. Und dass sich die Präsidentin mit Schurken blendend versteht, Geschäfte mit dem Iran macht und Hugo Chávez zur Wiederwahl in Venezuela beglückwünscht, ist vielen peinlich. Ist doch kein Umgang für das Volk der Dichter und Dirigenten!
Argentinier brauchen den Superlativ, wenn sie über sich sprechen: der leidenschaftlichste Fußball, die breiteste Straße, das beste Fleisch, die schönsten Frauen. Nicht alles stimmt, das brasilianische Fleisch ist ja auch nicht schlecht. Auch die besten Jahre hat man hinter sich. Die Vergangenheit war besser, als die Gegenwart ist und die Zukunft wohl sein wird. Argentinien hatte 1913 ein höheres Bruttoinlandsprodukt pro Kopf als Deutschland und war als einer der zehn reichsten Staaten der Welt Traumziel europäischer Auswanderer. Zwischen den Weltkriegen begann der Abstieg, sechs Staatsstreiche seit 1930 inklusive. Trotzdem ist man gefühlte Erste Welt, hat die höchste Alphabetisierungsrate Südamerikas (97,2 Prozent) und schaut herab auf die Nachbarn, die sich dafür mit Witzen rächen. »Was ist das beste Geschäft deines Lebens?«, fragen sie. »Kauf einen Argentinier für das, was er tatsächlich wert ist, und verkauf ihn dann für das, was er wert zu sein glaubt.«
Die Tage in Buenos Aires sind lang – und anstrengend sind sie auch. Die 150 000 Busse reichen für die Dreizehn-Millionen-Metropole einfach nicht, und die Subte, die erste U-Bahn Südamerikas (1913), kann in ihrem Alter auch nicht mehr so. Eng ist‘s in ihr und heiß. Händler quetschen sich durch, um Socken und Taschentücher zu verkaufen. Und da sind die zerlumpten, stummen Gestalten, Kinder aus den Elendsvierteln, die einem Klebebildchen aufs Knie legen, damit man ihre Hand nicht zu berühren braucht, und ein paar Münzen verdienen. Allein in der Villa 31, der größten Armensiedlung, sollen 30 000 Menschen leben. Andere kommen nicht mal dort unter und hausen vor dem Parlament oder den Ministerien. Wenn die Präsidentin aus ihrem Palast schaut, kann sie die Schlafsäcke auf der berühmten Plaza de Mayo zählen.
Es ist 21 Uhr, wenn Männer das Wichtige erledigen: Vamos a la cancha! Auf Kunstrasen spielt man fünf gegen fünf unter Flutlicht, jeder im Trikot seines Lieblingsklubs, die Passagiere der aufsteigenden Flugzeuge als flüchtige Zeugen. Ab und zu schießt der Neuzugang aus Deutschland, den sie aus unerfindlichen Gründen Klinsmann nennen, sogar ein Tor. »Muy bien, Kliiinsmann!« Am Ende gibt jeder 25 Pesos (vier Euro) für die Platzmiete. Ja, teuer sind die Tage obendrein.
Schweigen kann Cristina Kirchner übrigens auch. Als im Oktober ein US-Hedgefonds das Marineschiff Libertad in Ghana beschlagnahmte, weil Argentinien seine Auslandsschulden nicht bezahlen will, wartete das Land auf eine Erklärung der Quasselstrippe. Doch von der gab es wochenlang: kein Wort.
wacho_chorro
17. Dezember 2012 @ 06:56
Die Lösung :
Kauf einen Argentinier für das, was er tatsächlich wert ist, und verkauf ihn dann für das, was er wert zu sein glaubt