Stellen Sie sich vor, Sie sollen einer griechischen Journalistin ein Fernsehinterview geben. Es ist klar, worum es geht: Wirtschaft. Argentinien stand 2001/2002 dort, wo Griechenland heute steht: kurz vor der Pleite. Argentinien hat sich wieder aufgerappelt und könnte vielleicht ein Vorbild für Griechenland sein. Die Journalistin ist nicht blöd. Sie sagt, sie habe eine »einfache Frage«, die aber in Ihrem Land momentan »ziemlich kompliziert« sei. Sie fragt: »Wie hoch ist die Inflation gerade?«

Natürlich wissen Sie, dass die Inflation in Argentinien ein Thema ist, das die Leute besonders aufregt und sogar zum Protestieren auf die Straße treibt. Sie wissen auch, dass die offiziellen Angaben der Regierungsbehörde Indec nicht stimmen und die Inflationsrate in Wahrheit bei 20 bis 30 Prozent liegt. Genauer weiß man es nicht, weil die unabhängigen Institute ihre Statistiken ja nicht mehr veröffentlichen dürfen.

Wie reagieren Sie auf die Frage nach der Inflationshöhe?

a) Sie haben diese Frage natürlich lange vorher gerochen. Also sind Sie vorbereitet, bleiben locker und labern gekonnt am Thema vorbei. Sie jonglieren mit eigenen Zahlen, die vielleicht nicht stimmen, aber schön verwirren, ablenken und sich auf die Schnelle nicht überprüfen lassen. Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner macht das in ihren Volksreden auch so. Sie wissen: Wer nicht verstanden werden will, kann gar nicht genug Zahlen präsentieren. Sie wechseln so schnell vom Agrar- zum Automarkt und wieder zurück, dass jedem Zuhörer schwindelig wird. Außerdem flirten Sie noch ein bisschen mit der Journalistin. Die ist nicht ganz Ihr Typ, aber was macht man nicht alles fürs Vaterland.

b) Mit dieser Frage haben Sie nun gar nicht gerechnet. Wie kommt die Tante nur darauf? Aber Sie versuchen trotzdem zu antworten und sagen, dass die Inflation von der Behörde Indec monatlich gemessen werde. Von ihr stamme »die einzig mögliche Inflation«. Als Sie jedoch nach der Höhe der offiziellen Inflationsrate gefragt werden, geraten Sie ins Schwimmen: »Äh, das hängt davon ab«, sagen Sie. »Ich glaube, 10,2 Prozent jährlich akkumuliert, bei den Dezimalstellen kann ich mich irren.«

Die Journalistin will jetzt auch noch über den Internationalen Währungsfonds sprechen, der Argentinien wegen der Inflationsschummelei mit Strafen gedroht hat. Sie merken natürlich, dass Ihnen das Gespräch gerade entglitten ist, schütteln sich aber und nehmen einen neuen Anlauf. Es lässt sich sicher alles klären. Oder? »Schauen Sie, ich wiederhole, ich glaube, äh, das ist ein … ich weiß nicht … können wir kurz abbrechen?« Sekunden später, als die Kamera wie gewünscht von Ihnen weggeschwenkt ist, sagen Sie: »Ich möchte gehen, ja, ich möchte gehen. Und außerdem, ehrlich, über die Inflationsstatistik in Argentinien zu reden ist ein komplexes Thema, okay?«

Aber Sie haben ja eine Referentin dabei, die Ihre peinliche Vorstellung mitbekommen hat und versuchen wird, noch etwas zu retten. Nicht, dass Sie am Ende noch zur Witzfigur bei Youtube werden. Man kann ja so ein Gestammel auch wunderbar mit Musik unterlegen, da wirken Sie dann gleich doppelt lächerlich. Sicher wird Ihre Referentin wissen, dass das Mikrofon noch angeschaltet ist. Hören wir mal zu, was sie der griechischen Journalistin nun sagt: »Im Ernst, über Inflation reden, wo wir doch nicht einmal mit den argentinischen Medien über die Inflation reden …«

Auswertung

a) Sie haben das Zeug zum Politiker.

b) Sie sind Hérnan Lorenzino, Argentiniens Wirtschaftsminister