Archiv für Juli, 2015

Señor Schnauzbart und die Höhle: Geldtauschen ins Blaue hinein

von DIRK RÜGER

Der Autor hat von 1996 bis 1998 in Argentinien studiert und gearbeitet, das Land jüngst zum ersten Mal wieder besucht und von dieser Erfahrung  für das Argentinische Tagebuch berichtet: ¡Estás igual, Buenos Aires! – Back To The Future auf Argentinisch.
Er lebt in Berlin und betrieb bis vor kurzem das Blog www.entre-vista.de.

♦♦♦♦♦

»Wer ist das denn, mit dem du dich da triffst?«

»Den kenn ich aus dem Internet.«

»????«

»Nein, keine Angst! Wir kennen uns schon länger. Er hat so’n Blog über Argentinien, und wir folgen uns gegenseitig bei Twitter …«

»????!!!!«

Ok, vielleicht nicht die beste Art, deine Frau zu überzeugen, dass sie sich keine Sorgen machen soll, wenn du dich mit eurem ganzen Reisebudget einem Typen anvertraust, den du noch nie im Leben persönlich getroffen hast. Aber rückblickend ist ja alles gut gegangen, und mein Bauchgefühl hat sich als richtig herausgestellt.

Das Innenministerium in Buenos Aires Foto: Dirk Rüger

> Das Innenministerium Foto: Dirk Rüger

Meine Frau und ich hatten uns vorher informiert über den Euro-Wechselkurs in Argentinien: Da es für Argentinier nahezu unmöglich ist, Pesos in Dollar (oder Euro) zu tauschen, und man dementsprechend nicht an die stabile ausländische Währung herankommt, hat sich ein »inoffizieller« (um nicht zu sagen: illegaler) Parallel-Umtausch-Markt entwickelt,  der sogennante »Blue Dollar« und sein kleiner Bruder, der »Blue Euro«. Die sind zwar, wie gesagt, offiziell verboten, aber selbst in den Tageszeitungen kann man sich über die beiden Tages-Kurse (Offizieller Umtausch vs. Blue Dollar) informieren. Entsprechend geben sich die blauen Wechsler in der Fußgängerzone »La Florida« im City-Center von Buenos Aires auch unverhohlen zu erkennen und sprechen alle, die so aussehen, als ob sie sich nur aus diesem einen bestimmten Grund in der Gegend aufhielten, darauf an: »¿Cambio?, ¿cambio?« (Wechseln? Wechseln?).

Die Fußgängerzone der Hauptstadt: Calle Florida

> Die Fußgängerzone: Calle Florida

> Ein Schuhputzer in der Calle Florida

> Arbeiten in der Florida: der Schuhputzer, ein südamerikanischer Beruf

Allerdings hatte ich auch gehört, dass es dort auf der Straße erstens oft nicht allzu wahrscheinlich ist, dass man den allerbesten inoffiziellen Kurs bekommt, und es zweitens natürlich so eine Sache ist, wenn man Leuten in eine Wechsel-»Höhle« (so der offizielle inoffizielle Name dieser Art Wechsel-Stube: »cueva«) folgt. Denn: Wenn jemand eh etwas Illegales am Laufen hat, was hindert ihn daran, weitere illegale Aktionen zu unternehmen, wie zum Beispiel dir das gerade getauschte Geld auf dem Rückweg wieder abzunehmen? Mit dem Vorteil, dass er sogar genau weiß, wie viel Bargeld du dabei hast und ob es sich entsprechend lohnt. Wen sollst du denn zu Hilfe rufen?

Frau Polizistin, dieser Señor hat mir gerade mein soeben unerlaubterweise getauschtes Geld wieder unerlaubterweise abgenommen!

Da aber das Ausgehen in Buenos Aires manchmal sogar teurer ist als in Berlin, hatten wir uns trotzdem entschieden, Bargeld mitzunehmen, um unser Reise-Budget etwas blau zu färben, will sagen, durch den Blue-Euro zu vergrößern.

Um auf Nummer Sicher zu gehen und uns nicht gleich am ersten Tag in die Wechsel-Höhle des Löwen begeben zu müssen, hatten wir eine, auch vom argentinischen Staat erlaubte Zwischen-Lösung gefunden: den Online-Geldtransfer »Azimo«. Auf diese Weise kann man an sich selbst Geld vom eigenen Konto überweisen, zu einem Kurs irgendwo zwischen »offiziell« und »blue«, und muss dann »nur noch« bei einem ausgewiesenen Büro (Info gibts auf der Website) unter Vorlage des Reisepasses und einer Referenznummer das argentinische Geld abholen.

»In Echt« war das dann aber etwas aufwendiger (weil bürokratischer) als gedacht. Ich hatte vergessen, dass die argentinische Bürokratie bisweilen der deutschen (also kafkaesken) nicht ganz unähnlich ist. Entsprechend reichte die in der Email angegebene Ausweisung mit Pass und Referenznummer dann doch nicht aus, sondern ich musste außerdem ein zweiseitiges Formular ausfüllen, schriftlich versichern, dass das auszuzahlende Geld von einem »Sparkonto« stammt und obendrein eine Kopie des Reisepasses, inklusive Einreisestempel mit Visum abgegen. Plus einer halben Stunde Wartezeit.

Für das Nötigste (die ersten Tage) war nun gesorgt. Da wir jedoch noch Bus-Tickets für die Weiterreise kaufen wollten, benötigten wir so bald wie möglich mehr argentinische Pesos, denn per Online-Buchung hätte man die Fahrkarten ja wieder nur zum offiziellen Kurs bekommen. Zum Glück hatte mir mein Internet-Bekannter CW vorher versichert, dass, wenn wir beim Geld-Tauschen Hilfe brauchten, er uns aus der blauen Patsche helfen könne. Er kenne da vielleicht jemanden, der vielleicht auch jemanden kennt, und diese Person kenne dann wiederum … Argentinien halt.

Facebook-Nachricht an CW.: »Hast du morgen (Samstag) Zeit, mich beim Geldwechseln zu begleiten?«

Antwort von CW: »Tut mir Leid, aber morgen geht leider nicht. Und Sonntag haben die Cuevas ja zu. Also Montag.«

WAS?! Die illegalen Geld-Höhlen haben sonntags geschlossen? Das kann ja wohl nicht …

Facebook-Nachricht an CW: »Wie viel Uhr denn? Geht bei Dir vormittags? Wir müssen ja noch die Bus-Tickets kaufen. Je früher also, desto besser.«

Antwort von CW: »Ich muss erst über einen Freund die Nummer von Mauro besorgen und den dann fragen, wann die aufmachen. Vormittag ist grundsätzlich ok.«

Kurz darauf, noch mal CW: »Ok, um 11 in der Calle Soundso, Hausnummer 1000irgendwas! Wir treffen uns vor dem Haus auf der Straße, ok? Du wirst mich leicht erkennen, ich bin der, der am argentinischsten von allen aussieht!«

Facebook-Nachricht an CW: »Super! Dann bis Montag!«

Erinnert ihr euch an das Gespräch vom Anfang dieses Artikels? Ich kannte CW wirklich nur aus dem Internet. Aber wir hatten schließlich auch mehrere gemeinsame Themen: das argentinische Exil (er jetzt, ich vor 17 Jahren), das Bloggen, den Journalismus. Und ich hatte ihn vorher um seine Einschätzung gebeten, was die Kriminalität und aktuelle soziale und politische Situation in Argentinien angeht, woraufhin er mir ausführlich geantwortet hatte. Kurzum: CW erschien mir überaus sympathisch und vertrauenswürdig. Was sollte also passieren?

Am Montagmorgen packe ich unser gesamtes Euro-Bargeld für zwei Wochen in das »geheime« Reißverschluss-Fach meines Ledergürtels und nehme den Linien-Bus Nummer 24 von Paternal in den Nachbarbezirk nach Caballito. Ich steige kurz hinter der Statue des »Cid Campeador« aus, laufe die Hauptstraße weiter und biege in die von CW benannte Seitenstraße ein. Ich bin wider Erwarten pünktlich und warte besser nicht direkt vor der richtigen Hausnummer, sondern zwei Häuser weiter.

Nur fünf Minuten später (also eigentlich noch hora alemana, deutsche Pünktlichkeit) spricht mich ein bärtiger Brillenträger aus einem Auto heraus an: »Dirk? Ich such nur kurz ‘nen Platz zum Parken, ok?« Den findet CW auch gleich gegenüber und erklärt mir, nach unserer ersten Begrüßung, wie das Ganze abzulaufen hat.

Wir klingeln, und sobald jemand über die Gegensprechanlage fragt, was wir wollen, sagen wir, dass Mauro uns erwartet. Bloß nicht sagen, warum wir eigentlich hier sind, ok?

Gesagt getan. Als daraufhin der Summer ertönt und uns die Tür öffnet, will ich sofort durchmarschieren. Aber CW hält mich erschrocken zurück: »Nein, Boludo1. Wir warten erst, bis jemand kommt, und dann klären wir, ob wir beide hoch dürfen oder du alleine gehst, ok?« Als aber nach fünf Minuten immer noch niemand gekommen ist, trauen wir uns schließlich doch, bis in den zweiten Stock zu gehen und an die Tür zu klopfen. Schließlich öffnet uns ein schnurrbärtiger älterer Herr, den zwar auch CW nicht kennt, der uns aber in einer Art Wartezimmer eintreten lässt, in dem schon andere Leute sitzen. Wir nehmen ebenfalls Platz, und CW erklärt mir die weiteren Schritte.

Alsbald kommt der Schnurrbärtige zurück und fragt mich nach Währung und Betrag, die ich tauschen will, teilt uns den Tageskurs mit, wartet auf unser Einverständnis und verschwindet wieder. Ein paar Minuten später taucht er wieder auf und drückt mir so etwas wie einen Kassenbon in die Hand, auf dem der Wechselkurs und die zu erwartende Summe in Pesos Argentinos stehen.

Etwas später geht die Tür zu einem anderen Büro auf, aus dem heraus mich jemand hereinwinkt. Dies stellt sich jedoch als Missverständnis heraus, und ich werde überaus unwirsch wieder in den Wartebereich dirigiert. Etwas erschrocken falle ich zurück auf meinen Stuhl.

Endlich taucht Señor Bigote2 abermals auf, und ich folge ihm in ein Zimmer, in dem er mir gegenüber hinter einem großen Tisch Platz nimmt. Vor ihm ein Packen argentinischer Geldscheine und ein Geld-Zähl-Automat. Ich schnalle etwas umständlich meinen Gürtel ab, um die Euro-Scheine aus dem Geheimfach zu befreien. Er zählt nach, bestätigt mir per Kopfnicken sein OK und legt das argentinische Equivalent in die Zähl-Maschine. Auf Knopfdruck raschelt das Geld hindurch, aber die im Display angezeigte Zahl entspricht nicht unser beider Erwartung. Sein Versuch, die Einstellung zu ändern, bringt keine Veränderung! Schließlich ruft er einen Kippa-tragenden Kollegen, mit mehr Ahnung, der es schafft, von Dollar auf Pesos umzustellen. Jetzt ist das Ergebnis ok.

Bigote nimmt das argentinische Geld aus dem Automaten und hält es mir hin. Ich gucke wohl etwas verzweifelt auf meinen Gürtel. Der größte existierende Peso-Schein ist die 100er-Note, was nur etwa zehn Euro entspricht, und das Bündel ist entsprechend voluminös. »Das kannst du gleich vergessen!«, lacht der Schnauzbart und gibt mir stattdessen das Gummiband, das schon am Anfang unseres Unterfangens die Scheine zusammengehalten hatte. Mit einem resignativen Seufzen stecke ich den Klumpen Guita (Slang für »Geld«) in die Tasche und habe ein etwas ungutes Gefühl bei der Vorstellung, im öffentlichen Bus und später zu Fuß durch die Seitenstraßen nach Hause zu müssen. Das Geld nachzuzählen traue ich mich natürlich auch nicht! Stattdessen bedanke und verabschiede ich mich und verlasse das Büro.

Als CW mich sieht, springt er sofort auf, und zusammen begeben wir uns Richtung Treppenhaus. Leider hat Bigote jedoch vergessen, den Tür-Öffner für die Haustür zu betätigen, so dass CW ein paar Fitnessübungen vor der Überwachungskamera machen muss (»Bloß nicht klopfen! Das gibt nur Stress!«), bis sich schließlich jemand erbarmt und uns in die Mittagssonne entlässt. Was für ein Abenteuer!

Ab nach Hause Foto: Dirk Rüger

> Ab nach Hause Foto: Dirk Rüger

Zum Glück bleibt mir die Heimfahrt mit den Öffis erspart, da CW mich netterweise zurück in den Stadtteil Paternal chauffiert. Als ich ihn aus Dankbarkeit in die Wohnung meiner Freundin EA hereinbitte, begrüßt uns diese zunächst wenig begeistert: »Woher kanntest du den Typen noch mal? Ist’n Freund von dir, oder?«

»Ja, genau! Aus dem Internet!«

PS: Meine anschließende Kontrolle des umgetauschten Betrages ergab übrigens eine 100%ige Übereinstimmung mit der auf dem Kassenbon von Señor Schnauzbart vermerkten Anzahl Pesos Argentinos.

  1. argentinisch für Depp oder Schwachkopf, eine liebgemeinte Anrede unter Freunden []
  2. Schnauzbart []

Aus dem Leben eines Chauffeurs

von CHRISTOPH WESEMANN

Die Frau ist wieder verdienstreist, also passiert heute etwas, weil ja immer etwas passiert, wenn die Frau verdienstreist ist. Sicherheitshalber und ausnahmsweise schaue ich mal ins Mitteilungsheft der Dreidreivierteljährigen. Sag ich doch: 9 Uhr, Elternversammlung im Kindergarten. Alles gut. ¡Tranquilo!1 Ja, der Tag wird hart, das schon, viele Fahrten quer durch die Stadt, ich rechne mit 40 Kilometern. Aber ich werde schweben, ich kann gar nicht anders, schließlich hat Argentinien am Abend das Halbfinale der Copa América mit 6:1 gegen Paraguay gewonnen. Außerdem verpasst die Frau ja oft auch dolle Dinger. Vor einer Woche zum Beispiel hat unser Sohn, wie das Brauch ist für Viertklässler hier zu Lande, in seiner Schule geschworen, »die argentinische Fahne zu achten, verteidigen und zu lieben«. Ich hatte Tränen in den Augen.

Die Südamerikameisterschaft ist gleich das Gesprächsthema all der Väter auf diesen winzigen Stühlen. Am Sonnabend kommt es zum Endspiel gegen Chile. Argentinier mögen Chilenen nicht, und Chilenen mögen Argentinier nicht. Diese zwei Nachbarn haben sich zu oft gestritten im 20. Jahrhundert, 1978 standen sie wegen irgendwelcher Inseln sogar kurz vor einem Krieg. Nun ja, ein Ausländer hält sich, wenn er klug ist, aus diesem quilombo2 komplett heraus. Unser aber sagt zweimal »Hurensöhne« und einmal »verdammte Scheißhurensöhne« – zum Glück klingt ja derlei auf Spanisch viel harmloser.

Der Blick der Erzieherin sieht das anders.

10.15 Uhr. Wieder zu Hause. Mate trinken. Zeitung lesen. Noch einmal die Tore vom 6:1 gucken. Und noch mal. Danach noch dreimal.

12 Uhr. Mittwochs endet der Unterricht nicht um 16 Uhr, sondern schon vier Stunden früher, und ich habe zugesagt, nicht nur meine Sechsjährige zur Geburtstagsfeier einer Mitschülerin zu fahren, sondern auch noch drei Freunde aus ihrer Klasse mitzunehmen. Ich stelle jetzt fest: Das war leichtsinnig. Aber es gibt kein Zurück mehr, zumal ich gestern vor den hübschen Müttern der drei Schreihälse auf Superheld gemacht habe: Ach was, gar kein Problem, das schaff ich locker.

Was Lautstärke und Selbstbewusstsein betrifft, entspricht ein argentinisches Kind übrigens zwölf bis 15 deutschen Kindern.

Auto 4

12.30 Uhr. Rrrrrrrrrrrrrraus mit euch!

Zurück zur Schule. Fünf Kilometer. Das müsste in einer halben Stunde zu schaffen sein – wenn ich zügig fahre.

Auto 1

Auto 2

13 Uhr. Das Fußballtraining des Neunjährigen ist gerade zu Ende gegangen, ich plaudere noch kurz mit Tomás, seinem Trainer. Wir sind uns nicht immer einig. Zum Beispiel sehe ich meinen Sohn eher zentral, in der Rolle des Spielgestalters, ausgestattet mit allen Freiheiten; sein Trainer findet, er sei für die Mannschaft als Beinesteller in der Abwehr wertvoller. Was allerdings die Chilenen angeht, sind wir hundertprozentig einer Meinung. Tomás urteilt nur nicht so sanft wie ich.

Auto 3

Hör mal, mein Sohn, wenn wir zu Hause sind, könnten wir vielleicht noch mal die Tore von gestern gucken. Was meinste? Und dann muss ich schon wieder los, um deine Schwester vom Kindergeburtstag abzu … warte mal, da winkt einer. Das ist doch der Dings, äh, der, wie?, ja, genau der, jetzt erkenn ich ihn auch: Ignacio, der chino. Der war heute in deiner Mannschaft, ne? Och, reg dich nicht gleich wieder auf, ich weiß, dass seine Eltern Taiwaner sind, nein, sie sind keine Taiwaner, sondern Argentinier, sie kommen nur aus Taiwan, Du hast Recht. Aber in Argentinien sind alle Asiaten Chinesen, weißt du doch.

Radio aus. Warnblinker an. Scheibe runter. Hola, ¿cómo andan? ¿Todo bien? Me alegro.3 Die beiden wollen bestimmt ein Stück mitgenommen werden. Oder? Nein, ja, vielleicht, im Prinzip schon, aber die Sache ist … Leute, ich stehe mitten auf der Straße, und das fühlt sich sehr chilenisch an. Der Typ im Rückspiegel ist schon rot angelaufen und steigt in spätestens 20 Sekunden aus. Immerhin wird er dann seine Hupe loslassen müssen. Was denn nun? Klartext, por favor. Und du pelotudo4 da, hör auf, mich zu beschimpfen, la puta que te parió5.

Bueno, die Mutter hat einen Arzttermin. Ignacio kann also gern mit zu uns kommen, für ein paar Stunden. Aber wenn es heute nicht passt, dann ein andermal, ich muss es nur sagen. Ach was, gar kein Problem. Ignacio sitzt ja ohnehin schon angeschnallt auf der Rückbank. Ich bin übrigens allein mit meinen drei Kindern!

Auto 5

15 Uhr. Die Route bislang: Wohnung → Kindergarten → Wohnung → Schule → Kindergeburtstag → Schule → Wohnung → Kindergeburtstag. Die harten Etappen sind damit überstanden. Jetzt rollen wir langsam aus: → Wohnung → Kindergarten → Wohnung. Zwischendurch wird hoffentlich der Chinese abgeholt, und wenn alle baden, bereite ich das Abendessen zu. Serviert wird die Spezialität des Hauses: Chicken Nuggets an Ketchup und Mayonnaise.

Hoppla, Facundo will mitfahren, er wird bei uns übernachten. Nein, das glaube ich nicht. Die Sechsjährige schwört aber, dass sie mir das gesagt habe. Wirklichwirklichwirklich.

Wann?

Vorhin.

Geht’s genauer, corazón6?

Im Auto.

Ach so, als die zwei Schulklassen aus Wuppertal auf meiner Rückbank saßen.

Wuppertal? Kennt sie nicht.

Ich meine: Als ihr so herrlich schräg gesungen habt, da irgendwann hast du‘s mir gesagt, ja?

Ja. Wirklich, Papi.

Mein Schatz, das war ein sehr günstiger Augenblick, um Papa eine solch wichtige Nachricht zu überbringen. Sind wir startklar? Auf geht’s! Nächster Halt: Wohnung.

Später am Abend, es ist schon tiefe Nacht in Buenos Aires: Vier Kinder sind eingeschlafen, man hört zwei von ihnen schnarchen. Ein gebückter Mann, schwer atmend, tritt vor den großen Spiegel im Bad, er macht sich unmerklich gerade und beginnt zu lächeln. So verharrt er minutenlang. Es sieht aus, als bewundere er sich selbst, aber nein, das bilden wir uns sicher nur ein.

  1. Ruhig! []
  2. Slang für Chaos, Durcheinander []
  3. typische Begrüßung in Argentinien: Hallo, wie geht’s euch? Alles gut? Freut mich. []
  4. Blödmann []
  5. argentinischer Fluch, wörtlich übersetzt: Die Hure, die dich geboren hat []
  6. Herz, beliebte Anrede für Kinder und andere geliebte Menschen []

Argentinische Helden

Diego Maradona, gezeichnet von Danü (c)

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Steckbrief

Wir sind schnell.
Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geistes-
wissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie.


2012 von Christoph Wesemann in Buenos Aires gegründet. Derzeit im Exil. (Berlin)