Herr T. hat ein Jahr in Argentinien gelebt. Der Leser des Argentinischen Tagebuchs kennt ihn vor allem als nervenstarken Reisebegleiter nach Chile und Bolivien. Heute vor einem Jahr landete er wieder in Deutschland.

Herr T. in Santiago de Chile

Herr T. auf dem Cerro San Cristóbal, dem Hügel über Santiago de Chile (Dezember 2012)

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Mit diesem Text wird es offiziell: Ich bin ein Exilant. Fernab der emotional neugewählten Heimat, schreibe ich diese Zeilen voller Sehnsucht nach meinem Land. Ganze 333 Tage habe ich dort verbracht, und fort wollte ich schon nach 33 nicht mehr. Man kann zwar von Wein, Fleisch und nächtlichen Ausschweifungen durchaus leben, mitunter sogar ausgezeichnet, muss sie aber auch bezahlen können. So drücke ich nun wieder in Deutschland die Schulbank und verharre in Studierzimmern, um mich eines Tages als Magister zu betiteln. Und zurückzukehren.

Bis dahin versuche ich, mir Argentinier nahe zu halten. Fotos schmücken meine Regale, ein Baby-Lama bewacht mein Kopfkissen, eine weiß-himmelblaue Flagge mit der Sonne weht über meiner Tür, und ein Malbec steht in der hintersten Ecke meines Schreibtisches. Ich habe noch nicht gewagt, ihn zu öffnen.

Selbst nicht eingeweihte Gäste sollten bei der Reizüberflutung sofort erkennen, dass ich in Südamerika war. Zwar ist das Reisen auf andere Kontinente längst ein Statussymbol meiner Generation geworden, mit dem jeder Zweite prahlen kann. Aber ich bemühe mich dennoch gleichzeitig cool und voller Glück zu klingen, wenn ich sage: »Ja, ich habe dort unten ein Jahr gelebt.«

In der Universität falle ich auf. Chronisch zu spät kommend, da ich der Gewohnheit folge, einfach zum Bus zu gehen, wenn ich so weit bin, anstatt dann zu gehen, wenn er fährt. In Argentinien wusste ich nie, ob ich den Bus gerade verpasst hatte, oder ob er in der nächsten Minute kommt. In Deutschland weiß ich das. Und bin natürlich sofort frustriert, wenn er nicht pünktlich ist. In den Seminaren werde ich für meinen Mate angestarrt. Die Verbindung zwischen meinem heißem Tee – aua! Zunge verbrannt – und dem Modegetränk aus den deutschen Clubs und Universitätsmensen können nur wenige herstellen. Es verwundert daher nicht, dass ich recht exotisch wirke, wenn ich konzentriert schauend oder zumindest konzentriert tuend Referaten lausche und dabei schlürfe. »Du bist wie Gandalf!«, heißt es von einer Kommilitonin. Es gelingt einem richtigen Argentinier sehr selten, seine Großartigkeit zu verbergen.

Herr T. im Salar de Uyuni (Bolivien), der größten Salzwüste der Welt (Februar 2013)

Auch im sozialen Leben ecke ich an. Der beste Wein der Welt, den ich anfangs für gemütliche Runden beisteuerte, wurde von den Freunden zwar probiert − abgestürzt sind sie aber dann doch lieber mit Bier. Bei der Weltmeisterschaft störte sich niemand an meiner Unterstützung Argentiniens. Erst als die Niederlande verloren hatten und das Finale feststand, kamen die Fragen.

»Für wen bist du denn?«

»Na, für beide.« Zwei Kammern eines Herzens.

Als Mario Götze das Tor schoss, rief ich »Ja!«, begriff, rief »Nein!«, begriff abermals, erntete Blicke und flüsterte: »Vielleicht.«

Argentinien hatte verloren, doch wenigstens wusste Deutschland wieder, dass es uns gibt. Da sich mein Leben tatsächlich ein Jahr lang um und innerhalb Südamerikas drehte, nervte ich wohl viele meiner Freunde. Wahrscheinlich war ich tatsächlich schwer erträglich mitunter. Wenn auch der siebte Satz mit »Als ich in Argentinien war …« beginnt, stößt Toleranz an Grenzen. Mein Vater gab mir einen Rat: »Du wirst viel zu erzählen haben, aber keiner wird es hören wollen.« Er selbst verbrachte lange Zeit im feindlichen inselstehlenden Königreich. Ganz egal, wo er gewesen ist: Er hat Recht.

Meine Rückkehr war seltsam. Nach dem Lärm und der Größe von Buenos Aires, war mein kleines Dörfchen mit gerade einmal 300 Einwohnern so winzig und so still. Argentinier – per Skype zugeschaltet – konnten mir gar nicht glauben, dass es keine Bars gibt, es auf den Straßen ungefährlich ist und vor allem, dass nach Mitternacht die Laternen ausgehen. Schnell fiel mir die Decke auf den Kopf. Mit einem neuen Studienplatz im Ausblick, packte ich meine Sachen. Doch es reichte nicht. Eine neue Reise kam dazu: London wird es sein. Der Alltag sollte mich noch nicht so schnell wieder haben.

Fortsetzung folgt