Posts Tagged ‘Alejandro Sabella’

Rumpelfußball reloaded

von MARC KOCH (Gastbeitrag)

Logo des WM-Tagebuchs - Zeichung: Danü (Daniel Schlierenzauer)

Marc Koch ist Lateinamerikakorrespondent der Deutschen Welle und lebt in Buenos Aires.

*****

Die zugegeben attraktive Dienstkleidung der Argentinier war noch kein bisschen beschmutzt, da hatten die Kommentatoren von Canal 7 schon die Erklärung parat: Der Boden im Stadion von São Paulo sei viel zu hart. Keineswegs liege es an den begnadeten argentinischen Fußballern, wenn der Umgang mit dem Spielgerät bisweilen etwas ungewöhnlich wirke. Wenn man zum Beispiel mal wieder nicht wusste, ob der Mann in weiß-himmelblau jetzt stoppen oder einen weiten Pass spielen wollte.

Dazu muss man wissen, dass Canal 7 das hiesige Staatsfernsehen und gleich nach Mate und Fernet-Cola eine der übelsten argentinischen Erfindungen ist. Zwischen Videoclips mit Regierungspropaganda senden sie ein bisschen Fußball und reden den schön, sofern es sich um das eigene Team handelt. Natürlich auch den Grottenkick gegen die Schweiz.

 

Nach diesem Spiel schickte der Hausherr CW, der von Fußball noch mehr versteht als von Marketing, eine SMS: »Noch dreimal so eine Scheiße, und wir haben den Pokal!«

Das klang irgendwie erschöpft. Aber Erschöpfte neigen ja dazu, große Dinge gelassen auszusprechen – unser MC Merte in der Eis-Eis-Tonne kann sozusagen ein Lied davon singen:

 

Und schon sind sie wieder da, die alten Geister.

Mit freundlicher Genehmigung von Härringers Spottschau (c)                              zum Vergrößern aufs Bild klicken

Keine zehn Tage ist es her, dass die Holländer gemeinschaftlich mit den Chilenen die Erfinder des schönen Fußballs getötet haben. Und schon ist er wieder salonfähig: der Rumpelfußball. (Es lohnt sich übrigens, Wikipedia nach »Rumpelfußball« zu fragen. Ich konnte nicht glauben, was ich da gesehen habe. (Grüße an die Kameraden von heftig.co!)

Hauptsache gewonnen ist wieder schick: zur Not auch mit einem »0,5 : 0«, wie Brasiliens Heulboje Neymar Junior gerade erklärt hat. Thomas Müller brandredet für »irgendwie gewinnen«, und das Fachblatt für den langen Ball in die Spitze lobt den »Schrottfußball«. Solange er erfolgreich ist. Die Rehabilitation des Rumpelfußballs feiert fröhliche Urständ.

Nur noch eine Frage der Zeit, wann die Fachpresse eine Wildcard für Griechenlands Finalteilnahme fordert.

Doch während wir dem Spirit von Mexiko, Chile und den USA nachtrauern und uns fit machen, Kolumbien und Belgien in die nächste Runde zu singen, kommt plötzlich Zuspruch von einer Seite, von der wir es nie erwartet hätten: von IHM. Dem, den sie hier für den ALLERGRÖSSTEN halten. ER also spricht zu uns: »Ich aber sage Euch: Wir können nicht immer nur der Sportclub Messi sein!« Und dann liest ER dem Übungsleiter Alejandro Sabella mal so richtig die Leviten.

ER will auch keinen Rumpelfußball. Dass ich das noch erleben darf!

Gracias, Diego!

*****

Härringers Spottschau hat uns freundlicherweise erlaubt, seinen Cartoon zu benutzen. Vielen Dank!

 

Argentinische Ruuuuuuudiiiiiiibildung

von MARCO MICHEL (Gastbeitrag)

Logo des WM-Tagebuchs - Zeichung: Danü (Daniel Schlierenzauer)

Glückwunsch, mein Lieber,

Deine Argentinier haben es tatsächlich ins Achtelfinale geschafft. Damit war nicht unbedingt zu rechnen – bei dieser hammerstarken Gruppe, in die Euch die Fifa, nun ja, angeblich gelost hat. Eure Gegner haben es verdient, gewürdigt zu werden.

Iran: laaaaaaaaaange Fußballtradition; man kann die Bolzplätze in und um Teheran kaum noch zählen.

Bosnien: alle Ex-Jugos können bekanntlich kicken.

Nigeria: sowieso schwer im Kommen, der schwarze Kontinent.

Aber eine Frage, amigo: Was habt Ihr denn für einen Trainer? Hat der schon mal was von einem Friseur gehört? Weiß der, dass es auch kürzere Krawatten gibt? Und Kollegen, erfolgreichere als er, die gar keine tragen?

Alejandro Sabella Telam

Argentiniens Nationaltrainer Alejandro Sabella                           Foto: Télam

Ihr müsst wahrscheinlich Belgien schlagen. Die zeigen in der ersten Halbzeit oft gar nix, geraten sogar manchmal absichtlich – wie gegen Algerien – in Rückstand, um dann souverän 2:1 zu gewinnen. So spielen Spitzenteams! Vorsicht! Ihr Argentinier neigt ja angeblich mitunter zum Größenwahn.

Wieso kümmert sich nicht Diego Maradona um die Mannschaft? Von der WM 2010 in Südafrika ist ja kaum mehr übriggeblieben als Euer ewiger Held auf der Trainerbank; der hellgraue, glänzende Anzug; die farblich darauf abgestimmte Krawatte, die – wie mir erst jetzt auffällt – ebenfalls ein bisschen phallisch gebunden war; und der Vollbart, natürlich ergraut. Ton in Ton, sagt man wohl. Vor allem aber trug Diego zwei Uhren! Und da heißt es immer, Pünktlichkeit werde in Argentinien als Unhöflichkeit betrachtet.

Unvergessen auch, wie Euer Dickerchen nach einem Freundschaftsspiel unseren Thomas Müller für einen Balljungen hielt und dessen Rauswurf aus der Pressekonferenz forderte. So eine Verwechslung kann passieren. Erstens hatte Müller nur 70 Minuten gespielt, und zweitens sehen für Argentinier sowieso alle Deutschen gleich aus.

 

Übrigens habe ich mich richtig erschrocken, als Diego gegen Iran auf der Stadionleinwand eingeblendet wurde: schwarzer Kapuzenpulli, wie ihn die Autonomen bei uns in Kreuzberg beim Tanz in den Mai tragen, schwarze Sonnenbrille, abgemagert, eine junge Frau im Arm (wahrscheinlich deshalb abgemagert), griesgrämig wie unser Ruuuuuuuuuuuuudiiiiiii damals auf Island.

 

Diego hat schon mal besser ausgesehen, meine ich. (Noch häufiger sah er natürlich viel, viel, viel, viel, viel, viel, viel schlechter aus, wie erinnern uns gut.) Jedenfalls verließ er das Stadion vor dem Abpfiff, und prompt erzielte Lionel Messi mit einem Traumtor das 1:0.

In der Nachspielzeit!

Gegen Iran!

Laaaaaaaaaaaange Fußballtradition!

Irgendein unbedeutender Fußballfunktionär (82) konstruierte dann noch einen Zusammenhang und faselte etwas von: »Der Pechvogel war weg, und wir haben gewonnen, die Hure, die ihn geboren hat!« Und Diego knurrte »armer Narr« zurück, rempelte verbal ein bisschen gegen die Fifa und streckte seinen Mittelfinger aus.

 

Also, Umgangsformen habt Ihr bei Euch da unten, Mann oh Mann! Unser Jogi ist uns ja schon unheimlich, wenn er mal aufstampft.

Abrazo fuerte desde Berlin!1

PS: Spaniens Nationaltrainer Vicente del Bosque will allen Ernstes weitermachen. Da war ja König Juan Carlos einsichtiger.

  1. Feste Umarmung aus Berlin []

Argentinische Helden

Diego Maradona, gezeichnet von Danü (c)

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Steckbrief

Wir sind schnell.
Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geistes-
wissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie.


2012 von Christoph Wesemann in Buenos Aires gegründet. Derzeit im Exil. (Berlin)