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Jenseits von Belgrano, im Wilden Rheingau – ausgerechnet am Feiertag

von MARC KOCH (Gastbeitrag)

 

Der Autor hat als Lateinamerikakorrespondent der Deutschen Welle in Buenos Aires gelebt und ist festes Ensemblemitglied des Argentinischen Theaters Tagebuchs.

 

♦♦♦♦♦

 

Wissen Sie, ich hatte eine Schreibstube in Buenos Aires, am Fuß des Belgrano-Hügels.

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Die Äquatorlinie zog sich 2460 Meilen weiter nördlich durchs Tiefland, doch meine Stube lag 19 Stockwerke über dem Fluss. Der Himmel war unfasslich blau, die Züge unfasslich kaputt, doch wir hatten unser Auskommen und die wöchentliche Mordrate war erträglich.

 

»Geh’ für das Argentinische Tagebuch nach Deutschland, als Korrespondent«, hieß es irgendwann. »Da kannst Du was erleben, und vielleicht zahlen wir auch was«, hieß es. Das hatte den Ausschlag gegeben. Heute weiß ich, dass sie mich loswerden wollten. Zu erfolgreich geworden, verstehen Sie? Bei den Lesern. Und bei den möglichen Praktikantinnen. Und im Fußball, natürlich.

 

Jetzt soll ich also aus diesem Deutschland berichten.

 

Na gut.

 

Wir gingen nach Osten, zu den Westgoten.

 

Die Westgoten: leben in Regen & Dunkelheit. In Deutschland regnet es praktisch immer. Die Meteorologen behaupten zwar etwas anderes, aber die haben nur Schiss um ihre gutbezahlten Jobs im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Das Wetter ist fast so schwer auszuhalten wie die Tatsache, dass es in diesem Land kein gutesrichtiges Fleisch gibt. Hier haben sie Hühnchen (pollo), Schwein (cerdo) und Tofu (tofu). Und Bio-Rind, das schmeckt, wie eingeschlafene Fußsohlen (pies durmidos). Weil es in einem aus veganem Magerjoghurt destilliertemhandgewalktem Bratfettmittel angewärmt wird.

 

Viele Korrespondenten aus zivilisierten Ländern leiden deswegen unter Mangelerscheinungen und Fehlernährung. Wenn der Herausgeber CW erfährt, dass ich der hiesigen argentinischen Sektion der anonymen Vegetarier beigetreten bin, kürzt er mir die Auslandszulage. Aber irgendwas müssen wir ja essen. Vegetariertum wird in Deutschland übrigens nicht von der Krankenkasse bezahlt. Es gilt sogar als Eintrittskarte in Politik, Gesellschaft und Höhere Kreise.

 

Aba ick schweife ab.

 

An Feiertagen, die hier übrigens immer ›Sonntage‹ genannt werden, auch, wenn sie auf einen anderen Wochentag fallen, was wiederum daran liegt, dass die Deutschen für ihr Geld arbeiten müssen und kaum Feiertage haben – an solchen Feiertagen also: geht der Deutsche gerne in die Natur.

 

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Er nennt das »wild romantisch«. Ich verlange für sowas Schlamm-Zulage (die der Geizhals CW natürlich nicht zahlt).

 

Der Deutsche ist so gerne in der Natur, weil Goethe (JWv, 1749-1832, Nationaldichter, völlig überschätzt, höchstens ein Drittel der Sachen taugt was – um Ihnen den Link auf die Wikipedia zu ersparen, haha!) gesagt hat: »Die Natur versteht keinen Spaß, sie ist immer wahr, immer ernst, immer strenge, sie hat immer recht, und die Fehler und Irrtümer sind immer des Menschen.« Wenn det Cristina wüsste, wa!?

 

Mein Fehler also, wenn ich nasse Schuhe habe, Ende (!) Mai (!) einen Schnupfen bekomme und die Aufstiegsfeiern von Darmstadt 98 verpasse. Danke für nichts, Goethe!

 

Der Deutsche hingegen hört auf seinen FührerNationaldichter und frönt der Natur, die er auch gerne »Mutter«  nennt, aber das ist ein anderes Thema. Zum Beispiel als kontemplierende Künstlerin

 

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als grimmiger Single mit klarer Perspektive

 

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oder als energisches Paar mit Karriereambitionen

 

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Um es mit dem Dichterwort zu sagen: »Wie es Euch gefällt« (GoetheMadonnaGrönemeyerShakespeare).

 

Doch am Ende des Tages hat auch der Park ein Ende: »Hier riecht’s nach Pferd, hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!« (GoetheWaalkesMK): Im Schatten des Schlosses. In B. bei W.! Das ist ja wie zuhause, joder!! Bár!ba!ro!! Wie, wenn man an der Plaza Italia aussteigt und unter strahlendem Himmel auf das ehrwürdige Portal zuschreitet, um mit der von den üblichen Verdächtigen organisierten Ehren-Eintrittskarte die halbe Familie für umsonst an den wartenden Besuchern vorbei…

 

Aba ick fange zum Heulen an!

 

So ne Art Rural, jedenfalls. Nur halt für das Landleben nahe des Polarkreises. Also ohne Kühe. Dafür mit Handschuhen, Decken und was der Verteidiger der Nordwand sonst noch braucht

 

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Pfingst-Reitturnier in B. bei W. am R.: Champagner. Chapeau. Schale Erdbeeren mit Sahne € 5,20 (= AR$ 52, wenn Sie nicht schwarzgeschickt tauschen). Und es gewinnt? Damas & Caballeros? Im herbstlichen Mai? Mitten in Deutschland? Kein Gaucho. Sondern: ein Mexikaner. Singende caballeros auf’m bombigen Beat!

 

 

In der TexMex-Kneipe um die Ecke meckert der Besitzer (ein Italiener!), dass der Mexikaner für einen katarischen Stall reitet. Aber nicht von Blatter bezahlt wird.

 

Endlich vertraute Töne. Wir essen. Es ist warm. Spesen gehen auf den Herausgeber. Haha!

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Alle Texte aller Gastautoren des Argentinischen Tagebuchs

Deutsch-argentinischer Größenwahn

von CHRISTOPH WESEMANN

Mein sechseinhalbjähriger Sohn hält sich für Lionel Messi, den besten Fußballer der Welt, geboren in der argentinischen Millionenstadt Rosario.1 Und ich bin sehr weit von irgendeiner Karriere entfernt und glaube deshalb gern, dass er bald von allen großen Klubs dieses Planeten gejagt wird. Dann werde ich sein Manager, zumindest so lange, bis er dahinterkommt, dass ich sowohl faul als auch überfordert bin, und mich abfinden muss. Jedenfalls sagt mein Sohn: »In der Schule spielen mich immer alle an. Genau wie Messi. Der kriegt auch immer den Ball, weil er der Beste ist.«

Größenwahn im sehr frühen Stadium? Nein! Mein Sohn ist nach nur vier Monaten in Buenos Aires schon argentinisiert. Fragen Sie mal einen Kolumbianer, Uruguayer, Peruaner oder Chilenen, was er vom Argentinier als solchen hält. Ja, die Argentinier sind in Südamerika nicht unbedingt beliebt. Man hält sie für arrogant. Es ist auch der Stolz, die einzigen Weißen des Kontinents zu sein, obendrein Nachfahren europäischer Einwanderer, der sie manchmal herabschauen lässt auf all die Nachbarn. Und unter den hochnäsigen Argentiniern ist der Porteño, der Bürger der Hauptstadt Buenos Aires, der hochnäsigste. Andererseits lebt er auch in der wichtigsten Metropole der Welt. »Gott ist überall«, sagt der Porteño, »aber seine Sprechzeiten hat er in Buenos Aires.«

Mein Sohn integriert sich also bloß. Als Familienoberhaupt ist es mir wichtig, dass sich meine drei Kinder integrieren. Es klappt. Wenn die Einjährige fiebert, trinkt sie Mate, das teeähnliche Nationalgetränk. Sie spricht außer »hola« und »Mama« kein Wort, zieht aber an der bombilla, dem Halm aus Weißblech, als hätte ich sie im Kinderwagen und ohne Nuckelflasche eine Woche durch die Pampa geschoben. Die Dreieinhalbjährige verdrückt die Riesensteaks mit Speckrand, was nicht ohne Folgen für ihre Figur bleibt. Wenn sie im
Park mit uns Fußball spielt und natürlich auch Messi sein will, sagt ihr Bruder: »Du bist zu dick für Messi, du bist Maradona.«

Mein Sohn und ich tendieren zu Real Madrid. Aber unter Bayern München, Manchester United oder Juventus Turin machen wir es nicht. Hansa Rostock kann gern meine Tochter unter Vertrag nehmen.

(Diese Kolumne ist erstmalig in der Schweriner Volkszeitung erschienen.)

  1. Der andere berühmte Rosarino ist übrigens Che Guevara. []

Freie Gabel auf der Straße des Todes

von CHRISTOPH WESEMANN

Provinz Corrientes, Kilometer 452 der Ruta Naci0nal 14, einer Straße mit fürchterlichem Spitznamen. Buenos Aires ist eine Weltreise oder eben 650 Kilometer entfernt. Neben dem Sitz steht griffbereit der Mate, der – wie Argentinier glauben – auch den Appetit zügelt. Aber vor diesem Hunger, der einen rechts und links Rinder sehen lässt, wo keine sind, kapituliert er.

Zeit für eine Rast in der Parrilla.

Der Asador, der Grillmeister, verspricht in seinem Zelt »tenedor libre«, also »freie Gabel«, die argentinische Variante des »all you can eat«. Es gibt Chorizos, diese groben Würste, natürlich carne und pollo. Immer wieder köstlich, dass der Argentinier zwischen »Fleisch« und »Huhn« unterscheidet. Fleisch kommt nur vom Rind. Huhn ist kein Fleisch, sondern – Huhn.

Unser Asador hat inzwischen den Tisch gedeckt und die Getränke gebracht. Er bietet auch Salat an und verspricht eine Nachspeise. Aber was ist bloß mit den Kindern los? Sie verlangen Servietten – und bekommen eine Küchenrolle.

Mit dem Besen verscheucht der Asador die zwölf Hunde (geschätzt). Die 55 Fliegen (ebenfalls geschätzt), die auf dem noch rohen Fleisch vor dem Grill Starten und Landen üben, sind deutlich hartnäckiger. Die Grillstube wirkt ein bisschen schmuddelig und staubig, aber dass jetzt eine argentinische Großfamilie einkehrt, ist bestimmt ein gutes Zeichen. Die deutsche Großfamilie empfängt es wie ein Gütesiegel vom Hygieneamt.

Eine Stunde später wird man die argentinische Großfamilie an einer Tankstelle wiedersehen und feststellen, dass es eine uruguyaische Großfamilie ist. Das Oberhaupt wird sagen: »Uruguay ist das bombastischste Land der Welt. Und Uruguayer sind die geilsten Typen auf Gottes Erde.« Da muss man natürlich widersprechen. »Hör mal! Argentinien: der tollste Fußball, das beste Fleisch, die schönsten Frauen, die breiteste Straße der Welt und die längste Straße, der höchste Berg Südamerikas. Und jetzt kommst du, mein Freund.« Er fragt, in wie vielen Etappen man die 1300 Kilometer vom Norden in die Hauptstadt zurückzulegen gedenkt. Man flüstert: drei Tage. Riesengelächter. Brrrrrruuuuuuuuaaarrrrrr. Er macht‘s in einem Ritt, er fährt sowieso wie der Teufel höchstpersönlich. »Meine Frau schimpft immer mit mir, wenn ich 200 fahre«, sagt er, »aber sie schimpft auch, wenn ich 10 fahre. Also fahre ich 200.«

Noch zweimal wird er einen überholen und Sekunden später am Horizont verschwunden sein. Er muss wohl öfter halten, sei es, dass den Kindern von der Raserei schlecht wird, sei es, dass sein weißer Pickup zu viel Sprit schluckt. Die eigene Rennstrategie ist: ein gleichmäßiges Tempo von 140, zwanzig mehr als erlaubt, und wenige Boxenstopps.

Der Asador bringt das Fleisch. »Woher seid ihr?«, fragt er. »Frankreich?«
Also, bitte.
»Beckenbauer! Äh, wie nennt ihr ihn: Kaiser?«
Fußballwissen wird abgefragt. Daniel Passarella, den Namen schon mal gehört? Sag mal, wo spielt Carlos Tévez noch mal? Ach ja, stimmt, ein guter Stürmer. Warum ist Messi, als er 13 war, mit seiner Familie nach Barcelona ausgewandert? Unglaublich.

Irgendwas schlägt auf den Magen. Das Fleisch? Die Fliegen? Die Musik aus dem Lieferwagen draußen? Auf die Zunge und die Eingeweide verzichtet man jetzt doch. Und um den Asador nicht zu beleidigen, reicht man die unverzehrten Steakreste an die Hunde unterm Tisch weiter.

Die Toilette ist auf dem Hof. Damals, nach dem Mauerfall, wusste man nicht, wie das Westwasser aus dem Hahn kommt, weil es nichts zum Drehen gab. So ist das hier auch. Man fuchtelt mit den Händen herum und hofft auf ein Wunder. Tja, dann eben nicht.

Der Flan als Nachspeise schmeckt trotzdem.
»Von der Señora zubereitet?«
»Jaja, von der Mutter vom Dickerchen da.«

Der Junge, vielleicht 17 Jahre alt, hat die Statur eines Gewichthebers, er sieht aus, als hätte man Manfred Nerlinger den Schädel abgenommen und einen Indianerkopf raufgeschraubt. Seit einer halben Stunde schleppt er Kisten aus dem Transporter vor der Parrilla, meist drei auf einmal, ohne dass es ihn anstrengt.

Und dann geht es zurück auf die Ruta 14. Die Straße entlang der Grenzen zu Uruguay und Brasilien beginnt in der Provinz Entre Ríos, führt durch die Provinz Corrientes und endet nach 1127 Kilometern in der Provinz Misiones kurz vor den Wasserfällen von Iguazú hoch im Norden. Ruta 14 heißt: oft nur eine Spur in jede Richtung, viele Berge, viele Lastwagen, viele Baustellen, viele Polizeikontrollen, viele Unfälle.

Eine Strecke mit einem fürchterlichen Spitznamen: »ruta de la muerte«, »Straße des Todes«.

 


Argentinische Helden

Diego Maradona, gezeichnet von Danü (c)

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Steckbrief

Wir sind schnell.
Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geistes-
wissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie.


2012 von Christoph Wesemann in Buenos Aires gegründet. Derzeit im Exil. (Berlin)