Posts Tagged ‘Cristina Kirchner’

Gänsehaut unterm Brustfell

von CHRISTOPH WESEMANN

Ist das nun ein gutes Zeichen? Der Protest gegen die Politik der argentinischen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner wird professioneller und organisierter – ein bisschen jedenfalls. Gewiss, es gibt noch immer keine Tribüne, auf der sich ein Gewerkschafter heiser schreien oder ein Kirchenmann predigen könnte. Wieder wehen keine Parteifahnen. Die Suche nach einem charismatischen Gegenspieler zur Amtsinhaberin ist bislang erfolglos geblieben, so wie die Opposition insgesamt nicht genug glänzt, als dass der Volkszorn sie unbedingt dabeihaben müsste. Und die Plakate, die sind nach wie vor handgemalt. Manche Tafel wird noch bekritzelt, als am Donnerstagabend der 8N-Protest längst begonnen hat. Vieles ist noch immer wie am 13. September, als das Land den größten Wutausbruch seit vier Jahren erlebte.

Aber die fliegenden Händler sind da. Sie verkaufen die argentinische Fahne, andere blauweißblaue Winkelemente und Getränke. Und irgendwo auf der Avenida 9 de Julio, der angeblich breitesten Straße der Welt, steht auch ein Grill. Es gibt Choripán, also grobe Wurst im Brot.

Eine halbe Million soll es sein, die sich um den Obelisken zum kollektiven Topfschlagen versammelt hat. Nach Angaben der Stadt, die freilich von Mauricio Macri regiert wird, einem Gegner der Präsidentin, sind 700 000 Porteños auf der Straße, um mit Kochtöpfen und Pfannen gegen Korruption, Inflation, Kriminalität und eine dritte Amtszeit Kirchners Lärm zu machen. Auch vor der Haustür der Präsidentin ist es nicht ruhig. Im noblen Stadtviertel Olivos, wo Cristina Kirchner wohnt, haben sich 30 000 Menschen versammelt. Und in den Provinzen? Auch dort ist was los, mal mehr, mal weniger. Córdoba, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, meldet 40 000 Teilnehmer, Río Grande, die größte Stadt von Feuerland, »bis 100«.

Der Hauptstadtbürgermeister Macri behauptet, es seien landesweit zwei Millionen gewesen. Diese Zahl mag übertrieben sein. Wer weiß das schon? Aber die Wut auf Cristina und ihre Leute ist längst Massenware. Die Zeitung La Nación spricht heute von einem »historischen Protest«. Clarín, die meistgelesene Zeitung des Landes, titelt: »Gigantischer Protest gegen die Regierung«. Auf 17 Seiten widmet sich das Blatt dem Thema des Tages. Und ein bisschen Poesie gibt’s auch. Clarín schwärmt von der »Nacht der kurzen Hosen«.

Oh ja, es ist warm, fast heiß am späten Donnerstag. Und viel Haut liegt bloß. Mancher aber hat es wohl nach Feierabend nicht mehr nach Hause geschafft, um sich umzuziehen. Ärzte und Krankenschwestern sind noch in Dienstkleidung unterwegs.

Apropos viel Haut: Vor der Fußball-WM 2010 verkündete der pummelige Nationaltrainer Diego Maradona, er werde nackt den Obelisken umrunden, wenn er mit seiner Mannschaft den Titel hole. Die Welt sollte noch heute dankbar sein, dass es anders gekommen ist und ihr dieser Anblick erspart blieb. Aber der 1936 errichtete Obelisk, der die wichtigsten Daten der Stadt auf seinen Seiten trägt, ist ein mythischer Ort. Die Triumphe der Nationalmannschaft wurden hier gefeiert. Und Evita Perón ließ sich von Millionen bejubeln, als sie 1951 Vizepräsidentin werden sollte und vielleicht auch wollte, aber nicht durfte. Die Massen feierten die Nationalheilige am 67 Meter hohen Wahrzeichen – und Juan Perón, der Präsident, war nur ein Statist und schaute deshalb finster. Er hatte doch Evita erschaffen! Er hatte doch diese unbedeutende Schauspielerin aus Los Toldos geheiratet und zur Primera Dama gemacht.

Ich habe in den vergangenen Wochen zwei Romane des großen argentinischen Erzählers Tomás Eloy Martínez gelesen, erst seinen Welterfolg »Santa Evita«, dann »Der General findet keine Ruhe«. Martínez berichtet wieder und wieder von großen Aufmärschen. Seitdem frage ich mich, ob Argentinier leichter zu mobilisieren sind als etwa Europäer, Deutsche sowieso. Natürlich steht hier auch mehr auf dem Spiel, ist der eigene Wohlstand gefährdeter, sind die Kontinuitäten schwächer. Argentinien hat in 53 Jahren – zwischen 1930 und 1983 – sechs Staatsstreiche erlebt, auch das prägt und macht aufmerksamer, wenn sich jemand mal wieder am Land vergreift und es wie einen Familienbetrieb zu führen versucht.

Damit die Präsidentin es auch versteht, erklingt am Donnerstag wieder und wieder die argentinische Version vom 89er »Wir sind das Volk!« – natürlich nicht gerufen, sondern gesungen: »Oleeleeee, olala! Si este no es el pueblo/El pueblo dónde está?« – »Wenn das hier nicht das Volk ist, wo ist das Volk denn dann?«

 

Und dann die Nationalhymne, vorgetragen vom Großen Gemischten Chor Buenos Aires: Männer haben Tränen in den Augen und bekommen eine Gänsehaut. Die besten Männer der Welt! Argentinische Männer! Männer mit so viel Brustfell, dass es sich vom Hemd nicht einsperren lässt und immer auf einen offenen Knopf besteht.

Wie ist das nun mit dem professioneller gewordenen Protest? Gemach. Noch um halb neun – 30 Minuten nach Beginn des Protestes – haben sich Autos über die Avenida Corrientes in Richtung Obelisk gequält. Sie fuhren mitten durch den Aufmarsch, obwohl der schon seit Wochen angekündigt war. Erst dann sperrten zwei Polizisten die Zufahrt. Rund um den Obelisken war indes gar keine Polizei zu sehen. Es blieb, wie der Argentinier sagt, »bien tranquilo«, angenehm ruhig. Besondere Vorkommnisse: keine.

(Ich habe gerade ein paar Probleme mit dem Computer und bastele deshalb nach und nach Bilder und ein Gesangsstück rein. Dauert ein bisschen.)

 

Eine neue Runde Topfschlagen

von CHRISTOPH WESEMANN

Wichtiger Tag heute: Wir haben 8N, und das Kürzel meint mehr als den 8. November, es steht auch für einen weiteren Aufstand der Mittelschicht. Im ganzen Land wird es am Abend Proteste gegen die Regierung geben. Man knüpft an die Cacerolazos vom 13. September an, als allein in Buenos Aires Hunderttausend auf der Straße waren, um mit Kochtöpfen und Pfannen Lärm zu machen. Diesmal könnten es noch mehr werden, zumal optimales Demowetter ist: Der argentinische Frühling spielt schon mal Sommer und hat die Heizung aufgedreht, vorerst noch auf mittlere Stufe, also 33 Grad, was hier als humane Temperatur empfunden wird. Die Hitze geht übrigens auch nicht schlafen.

Protestiert wird gegen allerlei, es hat sich offenbar ein bisschen was angesammelt: Korruption, Kriminalität, Inflation, eine mögliche Verfassungsreform, die es Präsidentin Cristina Kirchner erlauben würde, 2015 ein drittes Mal zu kandidieren, und die Wirtschaftspolitik insgesamt, die zunehmend auf Kontrolle und Importbeschränkungen setzt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sieht Argentinien schon »auf dem Weg in die Planwirtschaft«.

Und dann ist da noch der 7. Dezember, 7D genannt. Bis zu diesem Tag hat die Clarín-Gruppe noch Zeit, sich von Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern zu trennen. So will es ein vor drei Jahren erlassenes Mediengesetz, das Meinungsmonopole verhindern soll. Nun ist Clarín einerseits der finanzstärkste Medienkonzern des Landes und hat anderseits auch die lautesten Journalisten, wenn es darum geht, die Regierung zu kritisieren.

Es ist kurios. Clarín will, was die Regierung nicht will: alles behalten. Und die Regierung will, was Clarín nicht will: viel wegnehmen. Und beide behaupten, dasselbe zu wollen: mehr Meinungsfreiheit und mehr Demokratie. Das ist Argentinien.

Protestiert wird übrigens auch vor den argentinischen Botschaften und Konsulaten – wie hier in Sydney.

 

Dreierpack der Präsidentin

von CHRISTOPH WESEMANN

Vor ein paar Tagen hatte ich mich mit »Fútbol para todos« beschäftigt, den Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner ihren Untertanen spendiert, damit die ihr was spendieren. Gerade spielen die Boca Juniors gegen Racing Club um den argentinischen Pokal. Und so sieht das dann im Fernsehen aus: Drei der zwölf Sender, die ich empfange – und es gibt noch viel mehr -, zeigen das Spielchen. Glauben Sie nicht? Doch:

Es gibt auch eine Art Dauer-Bauchbinde: »Gentileza de Fútbol para todos«, sinngemäß: »Präsentiert von Fußball für alle«. Und zwischendurch kommt immer wieder eine Einblendung der Präsidentin, die die Zuschauer daran erinnert, wer das Gratisgucken bezahlt: die Präsidentin.

Mit ihrem Privatvermögen?
Nö.

Der Schriftsteller Heinrich Mann hat einmal gesagt: »An der Sprache erkennt man das Regime.«

Pille auf Staatskosten

von CHRISTOPH WESEMANN

Da sage noch einer, Politiker hielten ihre Wahlkampfversprechen nicht. Auch zukünftig »Fútbol para todos«, »Fußball für alle«, hatte Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner ihrem Land versprochen, als sie sich im vergangenen Jahr um eine zweite Amtszeit bewarb. Und sie gewann die Wahl im Oktober mit 53 Prozent.

»Fußball für alle« meint: Die Spiele der Ersten Liga werden seit drei Jahren im frei empfangbaren Fernsehen gezeigt, gestern Abend zum Beispiel Meister Arsenal FC aus Sarandí (bei Buenos Aires) gegen Unión (aus der Provinz Santa Fe) und Vélez Sársfield (aus Buenos Aires) gegen Argentinos Juniors (aus Buenos Aires). Heute Abend schaue ich mir an, wie die Boca Juniors (aus Buenos Aires) gegen Quilmes AC (aus der Provinz Buenos Aires) gewinnen, und am Sonntag gönne ich mir die Heimniederlage von River Plate (aus Buenos Aires) gegen Belgrano (aus Córdoba).

(Dass die Primera División ein bisschen hauptstadtlastig ist, behaupten nur Deutsche. Hertha BSC Berlin hat gestern Abend übrigens 2:2 gespielt. Zu Hause. Gegen Paderborn.  Primera B Nacional.)

»Canal 7« überträgt, und was »Canal 7« nicht überträgt, überträgt »Canal 9«, und was »Canal 9« nicht überträgt, überträgt »América«. So einfach ist das. Der Steuerzahler Staat bezahlt seit 2009 die Übertragungsrechte, immerhin 110 Millionen Euro pro Jahr. »Die Verquickung von Sport und Politik ist in Argentinien so verhängnisvoll wie in kaum einem anderen Land«, schrieb die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« damals über den Deal zwischen Regierung und Fußballverband, zwischen dem Präsidentenpaar Kirchner und dem Allmächtigen: Julio Grondona, einem der übelsten Halunken des an üblen Halunken nicht armen Gewerbes. Sein Lebensmotto trägt der Chef des argentinischen Fußballs und Vizepräsident der Fifa eingraviert auf einem Goldring: »Todo pasa«, »alles geht vorüber«. Argentiniens Justiz versucht seit 2011, ihn zur Strecke zu bringen.

Ein bisschen kompliziert ist es auch mit den Regeln der Primera División. Bislang gab pro Saison es immer zwei Meister: einen Meister der Hinrunde, des »Torneo Inicial« (August bis Dezember), und einen Meister der Rückrunde, des »Torneo Final« (Februar bis Juni). Von dieser Saison an wird es nur noch einen Meister geben. Der Erste der Hinrunde trifft am Ende auf den Ersten der Rückrunde. Ist das eine Welterfindung? (Und wenn der Erste der Hinrunde auch der Erste der Rückrunde ist, spielt der natürlich nicht gegen sich selbst.)

Wie das mit dem Abstieg funktioniert, habe ich gelesen und nicht verstanden. Da geht es um Koeffizienten der vergangenen drei Jahre. Ist mir egal, Boca steigt ja nicht ab. Anderseits: Wer hätte damit gerechnet, dass im Juni 2011 der Rekordmeister River Plate nach 110 Jahren zum ersten Mal absteigt? Dieser Fan jedenfalls nicht:

(Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa, das Filmchen ist uralt. Aber als es neu war, hatte ich noch kein Argentinisches Tagebuch.)

Wenn Sie noch mehr wissen wollen, empfehle ich Ihnen, bei den Jungs von »Argifútbol« vorbeizuschauen, die aus Buenos Aires auf Deutsch über den argentinischen Fußball berichten. Das ist nicht so ein Gestümper wie bei mir. Mir ist am Freitag aufgefallen, dass am Freitag die Saison beginnt. Also habe ich mir schnell die Saisonvorschauen der beiden Tageszeitungen »La Nación« und »Clarín« besorgt. Die von »Clarín« hatte ich sogar aus einem Café stehlen müssen, weil an sechs Kiosken die Zeitung ausverkauft war.

Andreas, Etienne, Christof und Viktor haben vor Beginn der Saison die Vereine geröngt und wissen mehr über die Mannschaften als die Mannschaften selbst. Atlético de Rafaela braucht zum Beispiel ganz dringend einen Ersatztorwart:

Für die B-Elf steht im Trainingsspiel derzeit der 15-jährige Axel Werner im Tor. Der Torwart der argentinischen U17 misst bereits 1,92m und gilt als das größte Talent der Jugendschmiede, aus der auch Sara kam. Ein Kandidat ist Vélez dritter Torwart Alan Aguerre.

Die Jungs erkennen sogar die Spielerfrauen am Hinterteil. Ohne anfassen, natürlich.

Und ich werde mal im Kanzleramt anrufen und erklären, wie Frau Merkel mit 53 Prozent die nächste Bundestagswahl gewinnt. Und falls sie mich abwimmelt, ruf ich Sigmar Gabriel an. Und falls der »zu viel zu tun hat«, um mit mir zu sprechen, tja, dann heißt der nächste Bundeskanzler einer FDP-Alleinregierung halt Rainer Brüderle. Ist doch nicht mehr mein Problem.


Argentinische Helden

Diego Maradona, gezeichnet von Danü (c)

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Wir sind schnell.
Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geistes-
wissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie.


2012 von Christoph Wesemann in Buenos Aires gegründet. Derzeit im Exil. (Berlin)