Archiv für das Thema ‘Politik’

Und keiner nimmt den Feuerlöscher

von CHRISTOPH WESEMANN

Entweder sind sie sich ihrer Sache sehr sicher, oder sie sind übergeschnappt. Anders lässt sich die Reaktion der Regierung auf die Proteste am vergangenen Donnerstag nicht erklären. Da gingen allein in der Hauptstadt Buenos Aires zwischen 50 000 und 100 000 Menschen auf die Straße, um sich über die Politik der Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und vor allem deren Herrschaftsstil zu beklagen. »Se va a acabar/se va a acabar/la dictadura de los K«, sangen sie, als wäre es schon beschlossen. »Sie wird enden, die Diktatur der Kirchneristen.«

In vielen anderen Städten dieses großen Landes wurde, angesteckt von den sonst nicht gerade geliebten Hauptstädtern, ebenfalls protestiert. In Mendoza sollen es nach Polizeiangaben 10 000 gewesen sein, in Córdoba 15 000. Es sind die größten Kundgebungen seit vier Jahren, und die Bürger waren nicht etwa einem Aufruf von Gewerkschaften oder Parteien gefolgt. Im Gegenteil: Die Opposition hat kurz vor Abmarsch Unterstützung signalisieren dürfen, gerade noch rechtzeitig, um sich nicht komplett lächerlich zu machen. Leute ohne Parteibuch hatten das kollektive Topfschlagen (cacerolazo) selbst und spontan organisiert. So etwas gelingt nur, wenn sich eine Menge Wut aufgestaut hat, wenn viele Fäuste vom dauernden Ballen schon schmerzen.

Und die Regierung? Sie reagiert so, wie es jedem vernünftigen Krisenmanagement widerspricht. Sie nimmt die Proteste nicht ernst, sondern macht sie lächerlich. Sie versucht nicht, das erste Feuerchen zu löschen, sondern legt selbst noch ein paar neue Brände. So verurteilte Kabinettschef Abal Medina die Protestierer als Leute, denen es wichtiger ist, was in Miami passiert als in San Juan«. Dass diese vermeintlich schlechten Patrioten wieder und wieder die Hymne gesungen hatten, störte ihn offenkundig nicht. Medina sprach von einer »Minderheit« und rief ihr zu, doch eine Partei zu gründen und Wahlen zu gewinnen. Mehr Arroganz geht kaum. In Juan, einer Stadt im Westen des Landes, hatte Cristina Kirchner am Donnerstagabend – parallel zu den Protesten – übrigens eine Lacostefabrik eröffnet. Die Präsidentin selbst sagte: »Ich werde nicht nervös, und die werden mich auch nicht nervös machen.«

Deutlich schlauer scheinen einige kirchneristische Gouverneure zu sein, auch wenn mancher, dem Lust auf die nächste Präsidentschaft nachgesagt wird, sicher auch die Gelegenheit genutzt hat, die Amtsinhaberin zu ärgern. Francisco Pévez, der die Provinz Mendoza regiert, also eine Art Ministerpräsident ist, nannte die Proteste »zweifellos eine Warnung«. Daniel Scioli, Gouverneur der Provinz Buenos Aires, sagte, man müsse »den Menschen mit Respekt und Demut zuhören«.

Entscheidend ist nun, ob es die Unzufriedenen erst einmal bei diesem einen Wutausbruch belassen – oder ob sie wieder auf die Straße gehen. Schlagen sie weiter auf ihre Kochtöpfe, könnte es eine Regierung, die so auf Kritik reagiert, eines Tages hinwegfegen. Wie gesagt: Entweder sind sie sich ihrer Sache sehr sicher, oder sie sind übergeschnappt. Wobei das eine das andere ja nicht unbedingt ausschließt.

Das grosse Unwohlsein

von CHRISTOPH WESEMANN

Kurzer Nachklapp zur Topfschlagen-Geschichte von heute Morgen – auf dem iPad aus dem Kaffeehaus, wollte ich immer schon mal machen. Und ich versuche mal, ohne Umlaute, eszett und Akzentstriche auszukommen, all das kriege ich nicht hin.

Was gestern Abend geschehen ist, nennt die Zeitung „La Nacion“ heute „ein klares Signal der Warnung“ an die Regierung und „eine Demonstration des Unwohlseins“. Argentinien habe die schwersten Proteste gegen den Kirchnerismus seit der Landwirtschaftskrise im Jahr 2008 erlebt. „Fast im ganzen Land“ habe es grosse Proteste gegegen. Ausgangspunkt war Buenos Aires. Der cacerolazo auf der Plaza de Mayo habe auch die Leute in den Provinzen angesteckt und auf die Strasse geschickt. Wie viele Leute in der Hauptstadt unterwegs waren, weiss auch die Zeitung nicht genau. Die Hauptstadtpolizei, die allerdings nicht der Kirchner-Regierung untersteht, spricht von 200.000 Teilnehmern. „La Nacion“ schreibt denn auch gleich im naechsten Satz, andere Beobachter gingen von 60.000 Menschen auf der Plaza de Mayo aus. (Auch an dieser Zahl habe mittelschwere Zweifel.)

Was ich besonders interessant fand gestern Abend, waren die Abstinenz (oder Unsichtbarkeit) von Parteien und der Verzicht auf Ansprachen jeder Art. Es sang das Volk: Nationalhymne, Parolen, Nationalhymne, Parolen, das war’s. Zur Nachahmung dringend empfohlen.

Topfschlagen der Tausenden

von CHRISTOPH WESEMANN

(Ich komme gerade vom Topfschlagen, also vom Cacerolazo-Protest gegen die Regierung und die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner auf der Plaza de Mayo. Das wird jetzt ein Schnellschuss. Ich wollte es multimedial aufhübschen, aber es ist spät geworden, und die Technik macht mir Probleme und ich mache der Technik Probleme.)

Cacerolazo

Es sind nicht die Armen, die Abgehängten, die sich am Donnerstagabend auf der Plaza de Mayo zu Tausenden versammelt haben. Wer in Argentinien wenig hat, besitzt doch immerhin etwas: die Gunst der Präsidentin. Cristina Fernández de Kirchner sorgt für sie. Erst gestern hat sie versprochen, dass die staatliche Unterstützung pro Kind um mehr als 25,9 Prozent erhöht wird – von derzeit 270 Peso im Monat auf 340. Verkündet hat sie’s natürlich per Ansprache ans Volk – es war Nummer zwei in diesem Monat und Nummer 18 in diesem Jahr. In den vergangenen drei Jahren hat sie mehr als 50 Reden gehalten, die die staatlichen Radio- und Fernsehsender live übertragen mussten. Ihr Mann Nestor hatte das in vier Jahren übrigens nur zweimal getan. Cristina Kirchner meldet sich spontan zu Wort und lässt das laufende Programm unangekündigt unterbrechen. Darf sie das? Der argentinische Regierungschef, ob männlich oder weiblich, hat dieses Recht. Er soll es aber  behutsam nutzen – für Krisen, Katastrophen und Ereignisse, die das Volk verunsichern oder erschüttern.

Es sind auch nicht die Reichen gekommen. Dass die Reichen am meisten zu verlieren hätten, ist ein weitverbreiteter Irrtum. Reiche gewinnen, deshalb sind sie reich. Gekommen sind die, die etwas besitzen, aber nicht so viel, dass es zu schwer wäre, es ihnen zu nehmen. Es sind die Gutfrisierten und die Gutgekleideten da, viele elegante Männer, noch im Büroanzug mit Krawatte, die Gebildeten, viele Studenten und Schüler, manch vornehme Dame, auch Kinder. Mittelschicht? Man sollte mit dem Begriff vorsichtig sein, weil er zu Vergleichen mit Deutschland verführt, die zwangsläufig hinken, auch, weil Wohlstand hier etwas anderes ist. Aber mir fällt auch gerade kein besserer Begriff ein.

Was eint diese Menschen? Es ist ein Allerlei, eine Art Mischung aus Angst vor dem eigenen Abstieg und der Sorge um das Land. Glaube ich. Ich bin erst zwei Monate hier und taste mich langsam heran an das politische Geschehen. Vieles ist noch angelesen statt schon erlebt. Deshalb halte ich mich auch zurück, in diesem Protest vor dem Präsidentenpalast den Beginn von etwas Größerem zu erkennen. Ja, es waren so viele Leute da, dass die Plaza de Mayo nicht genug Platz für alle bot und die Menge noch die anliegenden Straßen blockierte. Ja, es hat sich etwas entladen. Aber wie viel davon war über Facebook angeleiertes Ich-muss-dabei-sein-Happening? Wie viel Eventprotest? Ich weiß es nicht. Aber dieser große Platz ist ein kleiner Fleck in dieser Stadt und damit auch nur ein winziger Ausschnitt der politischen Wirklichkeit in einem Land, das fast achtmal so groß ist wie Deutschland. Und ihre Anhänger, ja Verehrer hat diese Präsidentin nach wie vor.

Es geht natürlich um die Inflation, die irgendwo zwischen 20 und 30 Prozent galoppiert und die Löhne auffrisst, es geht um steigende Steuern, aus denen die Präsidentin ihre Wohltaten für die ärmeren Schichten bezahlt, es geht immer auch um Kriminalität. In jedem Wahlkampf der jüngeren Zeit ist innere Sicherheit ein wichtiges Thema gewesen. Die Leute verbarrikadieren sich zu Hause und leben in einer Art Gefängnis. Terrassen und Fenster sind vergittert, die Türen alarmgesichert, Eingänge von Kameras überwacht. Wer es sich leisten kann, zieht gleich in eine »gated community«. Unabhängig davon, wie sicher und unsicher das Leben hier ist – Angst lässt sich nicht einzäunen, nicht wegsperren. Vielleicht wächst das Gefühl der Unsicherheit eher, wenn man in einem Hochsicherheitstrakt lebt.

Der stärkste Kleber, der den Protest der Mittelschicht zusammenhält, scheinen mir aber die Präsidentin selbst und ihre Regierung zu sein. Es ist das Gefühl, dass Politiker regieren, als wäre der Staat ein Familienbetrieb und ihr Privateigentum. Mitglieder der Nachwuchsorganisation »La Cámpora«, angeführt vom Präsidentensohn Máximo, sollen, so hört man, reihenweise in Ministerien einziehen und Schaltstellen besetzen. Jung sind sie, gut ausgebildet und machthungrig.

Man darf nicht vergessen, dass die Kirchners das Land schon fast zehn Jahre regieren: erst Nestor (2003 bis 2007), dann Cristina. Ihre zweite und letzte Amtszeit endet im Herbst 2015. Doch schon jetzt wird diskutiert, ob an der Verfassung geschraubt werden soll, die keine dritte Amtszeit zulässt. Würde die Verfassung geändert, was nicht auszuschließen ist, könnte Kirchner bis 2019 regieren. Argentinien stünde dann 16 Jahre am Stück unter Herrschaft einer Familie. Auch gegen diese Aussicht richtete sich der Protest am Donnerstag. »Cristina, geben Sie das Land zurück«, stand auf einem Plakat. Auf einem anderen: »Finger weg von der Verfassung.«

Der Eindruck ist, dass es die Präsidentin übertreibt – und nicht mehr merkt. Die Kritik an ihren vielen Ansprachen hat sie in einer Ansprache (Nr. 18) am Mittwoch mit Witzchen zu kontern versucht. Auch das ist kein gutes Zeichen. Mit »Clarín« und »La Nación«,  zwei der wichtigsten Zeitungen im Land, befindet sie sich im Krieg. Warum? »Clarín miente.« – »Clarín lügt.«. Eine ältere Dame hatte ein Schild dabei, auf dem stand: »Clarín lügt vielleicht – Cristina ganz sicher.« Es schaukelt sich allmählich hoch. Diese unsäglichen Hitler-Bart-Karrikaturen gibt es inzwischen auch von der argentinischen Präsidentin. Und selbst mit Hugo Chavez, der Venezuela mehr und mehr autoritär regiert, wird sie schon verglichen – auch auf der Plaza de Mayo: »Wir wollen kein Argenzuela, wir wollen Argentinien.«

Ich habe gestaunt, womit man Cacerolazo-Krach machen kann. Es muss gar kein Kochtopf sein. Es reichen Münzen in Plastikflaschen. Es reicht ein Verkehrsschild. Oder der Sperrzaun vor dem Präsidentenpalast. Es wurde viel gesungen und getanzt, gehüpft und geklatscht und gelacht. Es war nie aggressiv. Viele hatten ein Trikot der Nationalmannschaft angezogen, viele auch eine argentinische Fahne mitgebracht. Immer wieder erklang der Ruf: »Argentina! Argentina!«

Im Präsidentenpalast brannte übrigens noch Licht.

Nachtrag: »Clarin« spricht von Tausenden, die im ganzen Land gegen die Regierung protestiert hätten, und zeigt ein paar schöne Cacerolazo-Bilder aus der Luft. Ich hatte ja auch meinen Hubschrauber dabei – aber die Technik.

Dreierpack der Präsidentin

von CHRISTOPH WESEMANN

Vor ein paar Tagen hatte ich mich mit »Fútbol para todos« beschäftigt, den Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner ihren Untertanen spendiert, damit die ihr was spendieren. Gerade spielen die Boca Juniors gegen Racing Club um den argentinischen Pokal. Und so sieht das dann im Fernsehen aus: Drei der zwölf Sender, die ich empfange – und es gibt noch viel mehr -, zeigen das Spielchen. Glauben Sie nicht? Doch:

Es gibt auch eine Art Dauer-Bauchbinde: »Gentileza de Fútbol para todos«, sinngemäß: »Präsentiert von Fußball für alle«. Und zwischendurch kommt immer wieder eine Einblendung der Präsidentin, die die Zuschauer daran erinnert, wer das Gratisgucken bezahlt: die Präsidentin.

Mit ihrem Privatvermögen?
Nö.

Der Schriftsteller Heinrich Mann hat einmal gesagt: »An der Sprache erkennt man das Regime.«

Pille auf Staatskosten

von CHRISTOPH WESEMANN

Da sage noch einer, Politiker hielten ihre Wahlkampfversprechen nicht. Auch zukünftig »Fútbol para todos«, »Fußball für alle«, hatte Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner ihrem Land versprochen, als sie sich im vergangenen Jahr um eine zweite Amtszeit bewarb. Und sie gewann die Wahl im Oktober mit 53 Prozent.

»Fußball für alle« meint: Die Spiele der Ersten Liga werden seit drei Jahren im frei empfangbaren Fernsehen gezeigt, gestern Abend zum Beispiel Meister Arsenal FC aus Sarandí (bei Buenos Aires) gegen Unión (aus der Provinz Santa Fe) und Vélez Sársfield (aus Buenos Aires) gegen Argentinos Juniors (aus Buenos Aires). Heute Abend schaue ich mir an, wie die Boca Juniors (aus Buenos Aires) gegen Quilmes AC (aus der Provinz Buenos Aires) gewinnen, und am Sonntag gönne ich mir die Heimniederlage von River Plate (aus Buenos Aires) gegen Belgrano (aus Córdoba).

(Dass die Primera División ein bisschen hauptstadtlastig ist, behaupten nur Deutsche. Hertha BSC Berlin hat gestern Abend übrigens 2:2 gespielt. Zu Hause. Gegen Paderborn.  Primera B Nacional.)

»Canal 7« überträgt, und was »Canal 7« nicht überträgt, überträgt »Canal 9«, und was »Canal 9« nicht überträgt, überträgt »América«. So einfach ist das. Der Steuerzahler Staat bezahlt seit 2009 die Übertragungsrechte, immerhin 110 Millionen Euro pro Jahr. »Die Verquickung von Sport und Politik ist in Argentinien so verhängnisvoll wie in kaum einem anderen Land«, schrieb die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« damals über den Deal zwischen Regierung und Fußballverband, zwischen dem Präsidentenpaar Kirchner und dem Allmächtigen: Julio Grondona, einem der übelsten Halunken des an üblen Halunken nicht armen Gewerbes. Sein Lebensmotto trägt der Chef des argentinischen Fußballs und Vizepräsident der Fifa eingraviert auf einem Goldring: »Todo pasa«, »alles geht vorüber«. Argentiniens Justiz versucht seit 2011, ihn zur Strecke zu bringen.

Ein bisschen kompliziert ist es auch mit den Regeln der Primera División. Bislang gab pro Saison es immer zwei Meister: einen Meister der Hinrunde, des »Torneo Inicial« (August bis Dezember), und einen Meister der Rückrunde, des »Torneo Final« (Februar bis Juni). Von dieser Saison an wird es nur noch einen Meister geben. Der Erste der Hinrunde trifft am Ende auf den Ersten der Rückrunde. Ist das eine Welterfindung? (Und wenn der Erste der Hinrunde auch der Erste der Rückrunde ist, spielt der natürlich nicht gegen sich selbst.)

Wie das mit dem Abstieg funktioniert, habe ich gelesen und nicht verstanden. Da geht es um Koeffizienten der vergangenen drei Jahre. Ist mir egal, Boca steigt ja nicht ab. Anderseits: Wer hätte damit gerechnet, dass im Juni 2011 der Rekordmeister River Plate nach 110 Jahren zum ersten Mal absteigt? Dieser Fan jedenfalls nicht:

(Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa, das Filmchen ist uralt. Aber als es neu war, hatte ich noch kein Argentinisches Tagebuch.)

Wenn Sie noch mehr wissen wollen, empfehle ich Ihnen, bei den Jungs von »Argifútbol« vorbeizuschauen, die aus Buenos Aires auf Deutsch über den argentinischen Fußball berichten. Das ist nicht so ein Gestümper wie bei mir. Mir ist am Freitag aufgefallen, dass am Freitag die Saison beginnt. Also habe ich mir schnell die Saisonvorschauen der beiden Tageszeitungen »La Nación« und »Clarín« besorgt. Die von »Clarín« hatte ich sogar aus einem Café stehlen müssen, weil an sechs Kiosken die Zeitung ausverkauft war.

Andreas, Etienne, Christof und Viktor haben vor Beginn der Saison die Vereine geröngt und wissen mehr über die Mannschaften als die Mannschaften selbst. Atlético de Rafaela braucht zum Beispiel ganz dringend einen Ersatztorwart:

Für die B-Elf steht im Trainingsspiel derzeit der 15-jährige Axel Werner im Tor. Der Torwart der argentinischen U17 misst bereits 1,92m und gilt als das größte Talent der Jugendschmiede, aus der auch Sara kam. Ein Kandidat ist Vélez dritter Torwart Alan Aguerre.

Die Jungs erkennen sogar die Spielerfrauen am Hinterteil. Ohne anfassen, natürlich.

Und ich werde mal im Kanzleramt anrufen und erklären, wie Frau Merkel mit 53 Prozent die nächste Bundestagswahl gewinnt. Und falls sie mich abwimmelt, ruf ich Sigmar Gabriel an. Und falls der »zu viel zu tun hat«, um mit mir zu sprechen, tja, dann heißt der nächste Bundeskanzler einer FDP-Alleinregierung halt Rainer Brüderle. Ist doch nicht mehr mein Problem.

Ein Pate, eine Zeitung und viel Geld

von CHRISTOPH WESEMANN

Manchmal bekommt man es nur unter dem Ladentisch und muss den Verkäufer um ein Exemplar bitten. Das »Argentinische Tageblatt«, die einzige deutschsprachige Zeitung des Landes, hat einen eher kleinen Leserkreis (Auflage: offiziell 10 000) und liegt deshalb am Kiosk selten an prominenter Stelle. Eine stolze Zeitung, vom Schweizer Einwanderer Johann Alemann 1889 gegründet und heute in vierter Generation herausgegeben, ist sie trotzdem. Das liegt auch daran, dass sie – anders als die längst gestorbene, strammdeutsche »La Plata Zeitung« – von 1933 und 1945 gegen den Nationalsozialismus angeschrieben hat. Sie war die Hauspostille der Deutschen in Argentinien, die sich zum Widerstand zählten. Propagandaminister Joseph Goebbels verbot das Erscheinen in Deutschland und ließ die Zeitung auch in Argentinien bekämpfen.

Seine Parteigenossen, von denen schon vor Kriegsende Tausende im Land lebten, klagten gegen das liberale und antitotalitäre »Tageblatt«, hatten aber keinen Erfolg. Die Zeitung überlebte Bombenanschäge und Anzeigenboykotte deutscher Unternehmen. Verboten wurde es – vorübergehend dreimal – erst nach dem Krieg, als Juan Perón Präsident war (1946-1955), ein Mann, dem die Nationalsozialisten in den zwölf Jahren ihrer Herrschaft nicht unsympathisch gewesen waren. Auch so erklärt sich, dass viele Mörder und Schreibtischtäter über »Rattenlinien« nach Südamerika entkommen konnten.

Dass die heutigen Herausgeber, die Brüder Juan und Roberto Alemann, ausgerechnet in der Zeit der fürchterlichen Militärdiktatur in Argentinien Finanzminister und Wirtschaftsminister waren, gehört wiederum zu den rätselhaften Begleiterscheinungen. Wer es gut meint, sagt vielleicht, dass damals der Wille, dem Land in schwerer Lage zu dienen, stärker war als die liberale Überzeugung. Andererseits sind da diese drei Sätze, die Juan Alemann 2006 dem Reporter Oliver Wegner für die »taz« mitgegeben hat:

Die einzige Diktatur, die ich erlebt habe, war die unter Perón. Die Militärregierung war nur formell eine Diktatur. Die Justiz hat funktioniert, die Presse war frei, und die Einwohner wurden nicht belästigt.

Aber zurück in die Gegenwart: Jüngst hat Staatspräsidentin Cristina Fernández de Kirchner (CFK) mit großem Wirbel ihr Vermögen von Dollar in Peso umgetauscht. Das ist durchaus kurios für eine Frau, die unbedingt aus dem Volk kommen will. Denn das Volk will’s wegen der üppigen Inflation von 25 bis 30 Prozent am liebsten andersrum und seine Pesos schnell loswerden. Es gibt inzwischen einen gewaltigen Schwarzmarkt, weil man zum offiziellen und festgelegten Wechselkurs von 4,5 Pesos je Dollar nicht mehr an die grünen Scheinchen aus den USA kommt. Beschaffen kann man sie sich auf der Straße. Der »blue dollar« kostet um die sieben Pesos. Cristina Kirchner hat dann übrigens auch gleich noch ihre Minister aufgefordert, ihr Erspartes in die Landeswährung umzutauschen.

In der Ausgabe vom 28. Juli steht im »Argentinischen Tageblatt« nun die sensationelle Nachricht, dass die hiesigen Minister – es gibt 109, 20 – bis übermorgen beim Antikorruptionsamt ihre Vermögens- und Einkommenserklärungen für 2011 abgeben müssen. Und der Leser erfährt, dass Sicherheitsministerin Nilda Garré ein Kraftwagenregister besitzt und drei Immobilien in Esteban Echeverría, Pinamar und Palermo, dem Viertel, in dem ich noch zu Hause bin. Landwirtschaftsminister Norberto Yauhar hat keine Immobilien, fährt aber ein »deutsches Luxusauto«. Gesundheitsminister Juan Manzur hat zwölf Etagenwohnungen verkauft und Sozialministerin Alicia Kirchner vom Fiskus 833 Quadratmeter Bauland erworben – in El Calafate, einem Städtchen in Patagonien, über das der »Spiegel« vor drei Jahren schrieb:

In El Calafate haben die Kirchners in den vergangenen Jahren ein richtiges Immobilienimperium aufgebaut. Das halbe Städtchen gehört der Präsidentenfamilie, allein acht Hotels nennen sie ihr Eigen, darunter auch Los Sauces. Die Einrichtung der noblen »Evita-Suite« soll Cristina selbst ausgesucht haben. Evita, das war die Ikone der Argentinier, die Frau des Präsidenten Juan Domingo Perón, der wie ein Monarch über das Land herrschte. Manche Einwohner von El Calafate behaupten, die Präsidentin habe die Möbel für das Luxusappartement mit der Regierungsmaschine Tango 1 von Buenos Aires nach El Calafate transportieren lassen.

Sozialministerin Alicia Kirchner? Ach ja, Alicia ist die Schwägerin der Präsidentin, auch das ist in Argentinien möglich.

Aber kommen wir zu Guillermo Moreno. Der Staatssekretär für Binnenhandel ist eine Legende und trägt den Titel »Pate vom Río de la Plata«. Moreno ist zuständig für die Kontrolle des Außen- und Devisenhandels und bestellt angeblich auch gern große Bosse um Mitternacht zu sich, um ihnen dann die Pistole auf die Brust zu setzen: Er macht ihnen ein Angebot, dass sie besser nicht ablehnen. Dass in solchen Gesprächen auch eine Pistole auf dem Tisch liegt, habe ich mittlerweile so oft gelesen, dass ich es allmählich glaube. Señor Moreno habe »sein bescheidenes Vermögen« dank seines »Eisenwarenhandels und Finanzgeschäften« erhöht, schreibt das »Argentinische Tageblatt«. Er besitze jetzt fast eine Million Pesos, laut Währungsrechner also 177792,1889 Euro. Ein Häuschen hat er eigenen Angaben zufolge nicht, er fährt aber einen »Kraftwagen Modell 97«. Ich habe mich gerade zwei Stunden durch Autoforen gewühlt, um herauszufinden, was »Modell 97« bedeutet. Ich kann nicht mehr, ich habe einen Getriebeschaden, und mit meinem Kolben stimmt auch was nicht. Ich sage einfach mal: Das ist das Baujahr.

Ich mag das »Argentinische Tageblatt« übrigens auch, weil es mir das Gefühl gibt, dass ich nicht zu blöd bin, Nachrichten auf Spanisch zu verstehen. Ich bin es nämlich auch bei Nachrichten in meiner Muttersprache:

Das Schatzamt weist im Juni bei den Finanzen des Nationalstaates ein echtes (im offiziellen Jargon eufemistisch als »finanziell« bezeichnetes) Defizit von $ 3,77 Mrd. aus, gegen $ 3,31 Mrd. im gleichen Vorjahresmonat. Im 1. Halbjahr 2012 summiert das Defizit somit $ 10,63 Mrd., 390% mehr als das von $ 2,17 Mrd. der gleichen Vorjahresperiode. Doch in Wirklichkeit ist die Lage viel schlimmer: denn im 1. Halbjahr 2012 wurden als echte Einnahmen auch $ 12 Mrd. verbucht, von denen $ 4,56 Mrd. von der ANSeS und der Rest von der ZB und in geringerem Ausmass von anderen Staatsämtern stammen. Das echte Defizit erreicht somit im 1. Halbjahr insgesamt $ 22,63 Mrd. Finanziell kommt dann noch der negative Saldo hinzu, der sich dadurch ergibt, dass Staatsschulden amortisiert werden, aber keine neuen in diesem Ausmass aufgenommen werden, so dass die Differenz der ZB, der ANSeS u.a. Ämtern aufgebürdet wird.

Kostenloser Download der Ausgabe vom 28. Juli

 

Reiseziel: toter Staat

von CHRISTOPH WESEMANN

Was ist das beste Geschäft deines Lebens? Kauf einen Argentinier für das, was er tatsächlich wert ist. Und dann verkauf ihn für das, was er wert zu sein glaubt. (Südamerikanischer Witz)

Der Argentinier hat bei seinen Nachbarn einen Ruf: Er hält sich für den Größten und kriegt eher nicht so viel hin. Und weil mir das nicht ganz unbekannt ist, finde ich’s überaus sympathisch.

Eine der schönsten Nachrichten aus Argentinien liefert die Zeitung »La Nación«. Sie berichtet von Startschwierigkeiten im neuen Reisesystem der Steuerbehörde Afip: „Arrancó con desprolijidades el sistema de la AFIP para viajeros“. Die Afip will den Argentiniern die Flucht aus dem schlappen Peso erschweren. Pauschalreisen ins Ausland über ein Reisebüro müssen jetzt registriert werden. Gefragt wird, in welcher Währung der Reisende zahlt, welchen Beruf er hat, in welches Land es geht, warum und wie lange er weg will. So ermittelt die Steuerbehörde, wie viele Dollar der Kunde erhält.

Und natürlich gibt es Probleme im System. Wie „La Nación“ berichtet, kann der Reisende als Zielland die DDR, die Sowjetunion, Jugoslawien und die Tschechowslowakei nennen und als Wunschwährung zwischen Franc, Lira und D-Mark wählen. Auch hübsch: »desprolijidades« übersetzt mir mein Wörterbuch mit »Ungenauigkeiten«.

So viel Chaos – und ich bin noch nicht einmal da.

Ganz schön was los

von CHRISTOPH WESEMANN

Ich danke bloß rasch Argentinien, das meine Ankunft Anfang Juli offenbar heiß erwartet und mir deshalb die Eingewöhnung unbedingt erleichtern will – indem es mit Verhältnissen lockt, die mir aus Odessa nicht ganz unbekannt sind.

¡Argentina es un país fantástico!

 


Argentinische Helden

Diego Maradona, gezeichnet von Danü (c)

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Musik: Somos de acá

Steckbrief

Wir sind schnell.
Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geistes-
wissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie.


2012 von Christoph Wesemann in Buenos Aires gegründet. Derzeit im Exil. (Berlin)