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Haste ma‘ ’nen Messi?

von CHRISTOPH WESEMANN

Den Einzigartigen gibt es jetzt zweimal: Weil der Dollar auf dem Schwarzmarkt demnächst wohl zehn Peso kosten wird, nennt man ihn schon »Messi«. Die Logik: Floh Leo hat die Rückennummer 10, und überhaupt ist ja alles Fußball in Argentinien. Der offizielle Wechselkurs von fünfkommairgendwas ist nur noch ein Witz, ein unterirdischer. Denn der Kurs, zu dem man überhaupt noch an Dollar kommt, liegt 80 Prozent höher.

Doppelmessi

Tja, es sind verrückte Zeiten, mal wieder. Der Wirtschaftsminister stammelt im griechischen Fernsehen, weil ihm zur Inflation nichts einfällt – nicht mal deren Höhe. »Me quiero ir, si, me quiero ir«, sagt er. »Ich will gehen, ja, ich will gehen.« Leute, die die Regierung nicht mehr so mögen, und das sind inzwischen eine Menge, haben nichts dagegen. »Ja, dann geh doch!« Aber das ist alles noch vergleichsweise harmlos. Denn die Regierung steht schwer unter Verdacht, und die Spuren führen bis zur Präsidentenfamilie: Angeblich mit Wissen Cristina Kirchners sollen in der Pinguinprovinz Santa Cruz, der Heimat des Staatsoberhauptes, über Jahre millionenschwere Bauaufträge an Freunde gegangen sein. Außerdem: Geldwäsche im großen Stil, mal in Uruguay, mal – na klar – in der Schweiz. Die Rede ist vom »Weg des Kirchnergeldes«.

Aufgedeckt hat den Skandal maßgeblich Jorge Lanata in seiner Sonntagabendsendung Periodismo para todos (Journalismus für alle). Heute wurde er im Radio gefragt, ob es übermorgen neue Enthüllungen gebe. Lanata sagte, sinngemäß: Es geht jetzt erst los.

Als die Präsidentin vor ein paar Tagen in Santa Cruz unterwegs war, rief eine Frau aus der Menge: »Vorsicht, sie stehlen!« Kirchner antwortete: »Niemand wird irgendwas stehlen, bleib ruhig, Liebste!« Dann zitierte sie noch Juan Domingo Perón, den Überpräsidenten von einst: »Wir alle sind gut, aber wenn wir uns kontrollieren lassen, sind wir noch besser.«

Sonst was Neues? Ja, der andere Jorge, der ausgewanderte, wird sich demnächst eine Putzfrau zulegen. Die Präsidentin glaubt nämlich, er habe schon eine, und weil er nicht weiß, wie er nachweisen soll, dass er keine hat, wird er bald eine haben. Glaube ich. Was sich die argentinische Regierung da wieder ausgedacht hat, steht jedenfalls drüben bei Jorge. Schon vor längerer Zeit hat er beschrieben, wie irre das mit dem Dollar ist. Ich empfehle dringend, auch die Kommentare zu lesen. Wer alles versteht, muss mit Stephen Hawking oder Bill Gates verwandt sein. Bei mir war’s extrem knapp.

Aber nun bereiten wir uns bitte auf den Sonntag vor. So schlimm kann keine Regierung sein, dass wir den Superclásico vergessen. Die Boca Juniors empfangen River Plate, den Erzfeind aus dem edlen Stadtviertel Nuñez, und ich bin grenzenlos optimistisch. Wir haben nämlich am Mittwochabend in der Copa Libertadores, der südamerikanischen Champions League, gegen Corinthians Paulista gespielt und die brasilianische Supertruppe aus dem Stadion gefegt1. Wir sind so gut drauf, wir würden sogar Bayern und Dortmund bezwingen, also jedenfalls die U-23. Der Schiedsrichter der Partie heißt übrigens Delfino mit Nachnamen und Germán mit Vornamen.

Sohn und ich brauchen nur noch einen Plan, um den Kindergeburtstag der Vierjährigen am Sonntagnachmittag zu schwänzen. Zwei Männer gegen acht Mädchen – nein!

  1. 1:0 []

Reiseziel: toter Staat

von CHRISTOPH WESEMANN

Was ist das beste Geschäft deines Lebens? Kauf einen Argentinier für das, was er tatsächlich wert ist. Und dann verkauf ihn für das, was er wert zu sein glaubt. (Südamerikanischer Witz)

Der Argentinier hat bei seinen Nachbarn einen Ruf: Er hält sich für den Größten und kriegt eher nicht so viel hin. Und weil mir das nicht ganz unbekannt ist, finde ich’s überaus sympathisch.

Eine der schönsten Nachrichten aus Argentinien liefert die Zeitung »La Nación«. Sie berichtet von Startschwierigkeiten im neuen Reisesystem der Steuerbehörde Afip: „Arrancó con desprolijidades el sistema de la AFIP para viajeros“. Die Afip will den Argentiniern die Flucht aus dem schlappen Peso erschweren. Pauschalreisen ins Ausland über ein Reisebüro müssen jetzt registriert werden. Gefragt wird, in welcher Währung der Reisende zahlt, welchen Beruf er hat, in welches Land es geht, warum und wie lange er weg will. So ermittelt die Steuerbehörde, wie viele Dollar der Kunde erhält.

Und natürlich gibt es Probleme im System. Wie „La Nación“ berichtet, kann der Reisende als Zielland die DDR, die Sowjetunion, Jugoslawien und die Tschechowslowakei nennen und als Wunschwährung zwischen Franc, Lira und D-Mark wählen. Auch hübsch: »desprolijidades« übersetzt mir mein Wörterbuch mit »Ungenauigkeiten«.

So viel Chaos – und ich bin noch nicht einmal da.


Argentinische Helden

Diego Maradona, gezeichnet von Danü (c)

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Musik: Somos de acá

Steckbrief

Wir sind schnell.
Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geistes-
wissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie.


2012 von Christoph Wesemann in Buenos Aires gegründet. Derzeit im Exil. (Berlin)