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Wie ich zum zweiten Tattoo kam

von CHRISTOPH WESEMANN

Ich habe es nicht immer leicht mit dieser Familie. Leider sieht diese Familie das genau umgekehrt, und das ist auch einer der Gründe, warum ich es nicht immer leicht mit ihr habe.

Mitte Januar 2018. Sommerurlaub. Wie so oft in den vergangenen Jahren fahren wir mit dem Mietwagen durch Argentinien. Wir sind gerade in der Provinz Tucumán. 4000 Kilometer haben wir schon geschafft, 4000 Kilometer kommen noch. Der Pilot bin ich, und ich habe extra eine CD für die langen Fahrten zusammengestellt: Onda Vaga, Los Auténticos Decadentes, Intoxicados, natürlich unsere Götter Fito Páez und Andrés Calamaro. Aber die Kinder, so war das schon immer, wissen ja überhaupt nicht, was gute Musik ist. Nach spätestens drei Liedern schreit jemand von der Rückbank: »Wie lange noch?« Wenn sie ihren großzügigen Tag haben, lassen sie mit sich reden, und man darf María Elena Walsh einlegen. Deren Lieder kann wirklich jedes Kind in Argentinien und Uruguay schön schief mitsingen, und diese Bande dort hinten noch ein bisschen mehr. An allen anderen Tagen bekommt man Plastikmusik gereicht.

Provoziert werde ich auch laufend. Sobald ich etwas Merkwürdiges sehe, das vielleicht einen Kommentar verdient, und bloß Luft hole, sagt der Erste: »Achtung, gleich redet Papa wieder schlecht über Argentinien.«
Und die Zweite: »Oder über Argentinier.«
Und die Dritte: »Oder über beide.«
Und die Frau: »Aber wehe, wir wagen es, Argentinien nicht pausenlos toll zu finden.«
Und wieder der Erste: »Gleich dreht er die Musik lauter.«
»Erstens: Ein echter Argentinier redet immer schlecht über andere Argentinier. Zweitens: Ich trage die Karte und die Flagge dieses wunderbaren Landes sogar als Tattoo auf der Brust. Und drittens: Das ist keine Musik. Nacho & Chino, wasissendas überhaupt für‘n Name?«
»Die heißen Chino & Nacho!«

Die meisten anderen würden auf einer solchen Reise irgendwann die Nerven verlieren. Stundenlanges Geradeausfahren. Linkespurbelagerer mit Tempo 90 und Rückspiegelphobie. Das enge Familienzimmer im lange nicht geputzten Hostel. Hitze & Mücken. Rücken & Schmerzen. Chino & Nacho.

Ich reagiere besonnen und grüße einfach Gauchito Gil nicht mehr. Gauchito ist ein argentinischer Volksheiliger, der Schutzpatron der Auto-, Laster- und Mopedfahrer. Entlang der Straßen stehen Schreine, mal groß, mal ganz klein, man kann anhalten und eine Zigarette oder einen Schluck Wein hinterlassen, es reicht aber auch, die Hupe zu drücken, und Gauchito, der Legende nach eine Art Robin Hood, der die Reichen bestahl und es den Armen gab, passt auf dich auf. Seit unserer ersten Autotour Ende 2012 – von Buenos Aires zu den Wasserfällen von Iguazú und zurück – habe ich immer gehupt; selbst dann, wenn neben dem Schrein zwei Polizisten im Streifenwagen dösten. (Wer, bitte, macht auch die Siesta an einem solchen Ort?) Und wenn ich ihn doch mal übersah, hat eins der Kinder aufgepasst: »Papa, Gauchito! Hupen!«

Heute hupe ich nicht.
»Papa, Gauchito! Hupen! Paaaaaapaaaaaa!«
Natürlich kann das nicht gut gehen.

Wir sind unterwegs zu einem Stein. Die Frau hat sich das Ding in der Touri-Info von Tucumán als Attraktion aufschwatzen lassen. Einen Stein! Wir durchqueren erst Bäche (voller Steine), dann Flüsse (voller spitzer Steine), manchmal muss ich Gewicht abwerfen, dann steigt die Familie aus und ich fahre allein mit Chino & Nacho ans andere Ufer.

Wolken ziehen auf, es wird bald dunkel. Wo ist denn jetzt dieser Stein? Das Navi? Zeigt nicht mal die Flüsse an. Da, ein Opa, auf einem Pferd, ein richtiger Gaucho, der kann uns helfen. Die Frau steigt aus und befragt ihn sogleich. Nach fünf Minuten ist sie zurück und sagt: »Ich habe kein Wort verstanden.«

»Lass mich mal, mit dem Mann muss man von Gaucho zu Gaucho reden.«
»Ɽⱷ ♥☼♣ ●Ⱳ∙♯▬ﬨ £© ﬞ꜠ⱦﭺﭸﭱﮁﯓ₫⃰⅜ ⅎΩ™ℓ ⅞₭«, sagt der Mann.
»Hmmh.«
»ᾔ&%ϗ ᶀ●Ⱳ∙♯▬ᶭҌҁ™ℓ Ϡϙ ϗ˦ʎ●Ⱳ ∙♯▬⅞ûï.«
»Claro.«
»&%ϗ Ɽⱷ? ♥₫⃰⅜ ⅎΩ™ℓ&%ϗ ⅞₭&%ϗ Ɽⱷ. ♥₫⃰⅜ ⅎΩ™ℓ&%ϗ ⅞₭☼♣ ●Ⱳ∙♯▬ﬨ &%ϗ £© ﬞ꜠ⱦﭺﭸﭱﮁﯓ. ₫⃰⅜ ℓ ⅞₭ ☼♣ ●Ⱳ∙♯▬ﬨ &%ϗ £© ﬞ꜠ⱦﭺﭸﭱﮁﯓ₫⃰⅜ & ℓ&%ϗ ⅞₭&%ϗ Ɽⱷ ♥₫⃰⅜ ⅎΩ™ℓ&%ϗ ⅞₭☼♣.&%ϗ £© ﬞ꜠⃰⅜ &%ϗ ⅎΩ™ℓ ⅞₭ ☼♣ ●Ⱳ∙♯▬ﬨ %ϗ ⅎΩ™ℓ ⅞₭ &%ϗ Ɽⱷ ♥₫⃰∙♯▬ﬨ &%ϗ £© ﬞ꜠ⱦﭺﭸﭱﮁﯓ₫⃰⅜ ℓ&%ϗ ⅞₭&%ϗ Ɽⱷ ♥₫⃰⅜. ⅎΩ™ℓ&%ϗ ⅞₭☼♣ ●Ⱳ∙♯▬ﬨ &%ϗ. ﬞ꜠ⱦﭺﭸﭱﮁﯓ₫⃰⅜ &%ϗ ⅎΩ ⅜ ⅎΩ™ℓ&%ϗ ⅞₭☼♣ ●Ⱳ ™ℓ ⅞₭. ☼♣ ●Ⱳ∙♯▬ﬨ &%ϗ ⅎΩ™ℓ ⅞₭.“
»Bueno, mil gracias.«

Jetzt aber schnell zurück ins Auto. Diese Hitze! Die uruguayischen Freunde hatten ausnahmsweise recht: Den Hochsommer verbringt man am Meer, lange schlafen, leichtes Frühstück, dann mit Mate und ein paar Häppchen an den Strand, schnell den Sonnenschirm aufspannen, danach aber nicht mehr zu viel Bewegung, bisschen Siesta (die Faulen im Hotelbett, die ganz Faulen im Sand), Sonnenuntergang gucken, zusammenpacken, Fleisch kaufen, Feuer machen, grillen und Rotwein trinken. Jedenfalls kurvt man nicht durch den Norden Argentiniens, die heißeste Region, die das Land zu bieten hat.

»Alles klar, Kinder. Wir sind fast da.«

Als wir den nächsten Fluss durchqueren, schlitzt ein Stein den Unterboden des Autos auf. Ich bin noch nicht mal auf den Knien, um den Schaden zu begutachten, da hat mich das Familiengericht in einem Schnellverfahren schon verurteilt.
»Papa ist schuld.«
»Weil er bei Gauchito nicht gehupt hat.«
»Er hat unseren Beschützer verraten.«

Zwei Wochen später bitte ich den Volksheiligen ganz offiziell um Vergebung und lasse ihn mir auf den rechten Oberarm tätowieren.

Dieser Stein übrigens: ein Traum. Wahrlich spektakulär.

Eine Schule für Diebe, der Polizist, der Deutschen vertraut, und ein überfahrener Hund: Unterwegs im Nordosten Argentiniens (2)

von CHRISTOPH WESEMANN

Dritter Tag: Resistencia, Hauptstadt der Provinz Chaco

♦♦♦♦♦

Müllsammler (cartoneros) in Resistencia

> Müllsammler (cartoneros) in Resistencia

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Um 6.37 Uhr stoppt der Bus. Licht an. Ein Polizist tritt ein. Er will einmal durchgehen, müsste dafür aber über eine Tasche steigen, die im Gang steht. Das tut er nicht.

»Deine?«

»Häh?«

Ich bin gewöhnlich weniger, zugegeben: nur ein bisschen weniger, begriffsstutzig. Aber gerade erst ist es mir halbwegs gelungen, die Frage zu beantworten, die ich mir vor einer halben Stunde gestellt hatte, nämlich, warum ich überhaupt in diesem Bus sitze.

»Gehört dir die Tasche, Chef?«

Es ist wohl wegen Jorge Capitanich. Ich hatte ja ziemlich große Pläne mit ihm. Ich wusste damals gleich, dass sein neuer Posten als Kabinettschef der gesundheitlich angeschlagenen Präsidentin Cristina Kirchner nicht das Ende seiner politischen Karriere sein würde. Das war ein Sprungbrett! Natürlich hatte er, das räumte ich auch ein, bislang nur Chaco regiert, eine der rückständigsten Provinzen des Landes, in der einer Studie zufolge 71 Prozent der Kinder und Jugendlichen arm sind. »Aber Capitanich ist kein Bürokrat wie sein Vorgänger, sondern ein Macher, und er hat Cristina öffentlich stets verteidigt«, schrieb ich. »Nun soll er mitführen und sie entlasten, weil klar ist, dass sie ihr altes Arbeitspensum vorerst nicht schaffen wird. Zum ersten Mal gibt sie Macht ab. Und der Mann, mit dem sie sie teilt, könnte 2015 als Präsident kandidieren, um die kirchneristische Politik fortzusetzen.«

Für mich klang das logisch. Das war am 21. November 2013. Später entdeckte ich, dass er sogar schon Wirtschaftsminister gewesen war. Drei Tage lang. Vom 21. bis 23. Dezember 2001.

Mittlerweile ist Capitanich, genannt Coqui, kein Kabinettschef mehr – und Präsidentschaftskandidat schon mal gar nicht. Er hat eine Weile die beste Witzfigur der argentinischen Politik abgegeben, sein allmorgendliches Gestammel, deklariert als Pressekonferenz, wurde legendär, einmal zerriss er vor den Kameras sogar Seiten der oppositionellen Zeitung Clarín, damit das »argentinische Volk« erfahre, von wem es belogen werde, wie er sagte.

15 Monate nach meinem Text verbannte ihn Cristina Kirchner zurück in seine Provinz. Er ist jetzt wieder, was er schon gewesen war, bevor er sich beurlauben ließ, um Kabinettschef zu werden: Gouverneur von Chaco. Aber seine Amtszeit endet, und weil er nicht wiedergewählt werden darf, will er wenigstens Bürgermeister der Hauptstadt Resistencia werden. Dorthin fahre ich gerade. Ich will mir Coquis Reich angucken.

Die Tasche, richtig. Ich zeige auf den Mann neben mir. Der schläft noch, wird aber vom Polizistenzeigefinger augenblicklich angetippt und aufgeweckt. Er scheint auch gerade an Capitanich gedacht zu haben.

»Häh?«

»Darf ich die Tasche öffnen?«, fragt der Polizist noch einmal.

Kontrollen an den Provinzgrenzen sind üblich in Argentinien, auch Autofahrer werden nach Belieben angehalten. Die Polizisten fragen nach dem Ziel der Reise, lassen sich Pässe, Führerscheine und Fahrzeugpapiere zeigen, öffnen auch mal den Kofferraum und wünschen dann eine gute Fahrt.

Gestern auf der Rückfahrt aus Asunción, kurz hinter der Grenze, hat eine Frau aussteigen und neben der Straße ihre drei Riesenkoffer ausleeren müssen. Dabei sah sie gar nicht aus wie eine Schmugglerin.

Für mich hatte sich der Polizist gar nicht interessiert.

»Ich habe ein paar Geschenke gekauft, sonst nichts«, hatte ich gesagt und ihm meinen Reisepass gereicht. Ich wollte den Rucksack öffnen, als er abwinkte. »Du bist Deutscher. Lass gut sein.«

In dieser Tasche nun ist offenbar nichts, das nicht sein darf. Der Polizist verschließt sie wieder, erkundet den Gang bis zum letzten Sitz, ruckelt noch einmal an der Gepäckablage und geht dann ab. Licht aus. Augen zu.

Zwischen meinem Quartier in Formosa und Resistencia liegen 160 Kilometer reines Nichts. Mehr als eine Million Menschen leben in der Provinz Chaco, aber sie ist auch fast so groß wie Bayern und Baden-Württemberg zusammen. Es gibt beim Blick aus dem Busfenster keine Ortschaften oder Dörfchen, hie und da immerhin steht eine Hütte schief am Wegesrand.

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Chaco wurde auch erst spät, am 8. August 1951, per Gesetz 14 037 zur Provinz erklärt – unter dem Präsidenten Juan Domingo Perón. Ein halbes Jahr darauf, wiederum per Gesetz, erhielt sie den Beinamen Provincia Presidente Perón.

Ich bin nun in 16 der 23 Provinzen gewesen. Das sind mehr, als jeder Argentinier besucht hat, den ich kenne. Die fahren aber auch immer nur an den Atlantik, ans mar Argentino, das argentinische Meer, oder nach Punta del Este, dem Schnöselbadeort in Uruguay. Mir fehlen noch: Catamarca, Feuerland, La Rioja, San Juan, Santa Cruz, Santiago del Estero und Tucumán.

Die Evita-Statue auf der Plaza 25 de Mayo

> Die Evita-Statue auf der Plaza 25 de Mayo

Über Santiago del Estero und Tucumán erzählt der Aufgeweckte neben mir einen erstklassigen Witz. Seine Oma war Paraguayerin, der Opa kam aus Polen nach Argentinien. Eine tolle Mischung, findet er. Wir unterhalten uns über das mitunter schwierige deutsch-polnische Verhältnis, über die Kriege und die Verbrechen, die Vorurteile vieler Deutscher, die Polenwitze der neunziger Jahre. Werbung des polnischen Fremdenverkehrsverbandes: »Kommen Sie im nächsten Urlaub nach Polen − Ihr Auto ist schon da.«

Hier mache man solche Witze über die Leute aus Tucumán, sagt er. Die Tucumanos hätten nämlich den Ruf, Diebe zu sein. In der Provinz habe es vor 100 Jahren sogar eine Schule gegeben, an der das Stehlen unterrichtet worden sei.

»Ist das der Witz?«

»Nein, die Schule gab es.«

»Nicht wahr!«

»Ich schwör’s dir.«

»Dann erzähl mir mal einen Tucumán-Witz.«

»Bueno. Du weißt sicher, dass Santiago del Estero eine sehr arme Provinz ist, ¿no?«

»Sí. Und in Tucumán essen sie Mandarinen wie die Irren − wenn Saison ist: jeder Tucumano 20 bis 30 pro Tag. Hat mir mein Sohn erzählt, und der war schon da.«

»Kann sein. Also: Treffen sich ein Tucumano und ein Santiagueño. Der Tucumano sagt: ,Ach ihr, ihr habt ja nicht mal Asphalt auf euren Straßen.‘ – ,Stimmt gar nicht‘, erwidert der Santiagueño. ‚Wir haben Asphalt, aber wir bedecken ihn mit Erde, damit ihr uns den nicht klauen könnt.‘«

Resistencia te quiere, heißt der Slogan der Hauptstadt, in die wir gerade einfahren. Sie hat dich also gern. Sagen wir’s so, man glaubt es ihr nicht auf Anhieb. Resistencia empfängt Gäste wie fast jede andere Stadt in Argentinien: ungewaschen und ungeschminkt, insgesamt labil. Man fährt zunächst durch eine Art Gewerbegebiet, viele Autowerkstätten, einige Autoreifenbuden, nicht ganz so viele Autowaschanlagen, dann noch mal alles zusammen unter einem, nun ja, Dach, mit angeschlossenem Imbissstand, bevölkert von Männern, die changas suchen, Gelegenheitsarbeit, und Frauen mit kleinen Karren voller Thermosflaschen, um Tee und Kaffee zu verkaufen.

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Die Provinz Chaco ist, wie der gesamte Norden und Nordosten Argentiniens,  eine Hochburg der Schwarzarbeit. Selbst das Statistikamt Indec, das auf Wunsch der Regierung unangenehme Zahlen gern aufhübscht oder ganz verschweigt, schätzt sie auf 43 Prozent im Großraum Resistencia (letztes Quartal 2014; landesweit: 34 Prozent). Allerdings hat die Region laut Indec mit 0,6 Prozent auch die geringste Arbeitslosenquote Argentiniens, es herrscht: »Vollbeschäftigung«.

Hunderte – viele Frauen mit Kindern – stehen an diesem Tag vor Ämtern und Banken, um sich ihre Zuschüsse abzuholen, und man selbst erstarrt augenblicklich vor diesen reglosen Schlangen. Schaut man ihnen lange genug zu, zucken sie kurz, dann geht es ein paar Schritte vorwärts. Stunden werden die Leute ganz hinten brauchen, bis sie dann drin. Eine voll beschäftigte Provinz.

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Sitz der Provinzregierung von Chaco in Resistencia

> Gouverneurssitz in Resistencia

Die Frau im Tourismusbüro empört sich professionell darüber, dass ich heute Resistencia gleich wieder verlassen werde. »Nur ein Tag? Das ist so schade.«

»Eigentlich bleibe ich nur drei, vier Stunden.«

»Aber bei uns gibt es doch sehr viel!«

Das weiß ich, señora. Die Plaza 25 de Mayo ist eine der größten Argentiniens, mehr als vier Hektar misst sie. Außerdem hat das Parlament Resistencia vor Jahren zur Capital Nacional de las Esculturas ernannt. Es stehen nämlich 606 Skulpturen in den Straßen und Parks der Stadt, und gefühlte 250 davon werden mir gerade nacheinander intensiv ans Herz gelegt.

Eigentlich wollte ich nur einen Stadtplan schnorren.

»Man kann sich für zwei Stunden ein Fahrrad ausleihen. Kostenlos.«

»Oh, das ist toll.«

»Wollen Sie?«

»Nein.«

»Aber unseren Fernando, den müssen Sie besuchen!«

Der Hund Fernando

> Der Hund Fernando

Herrje, den Köter hätte ich fast vergessen. Fernando streunte Ende der Fünfziger, Anfang der Sechziger um die Plaza und besuchte Bars und Konzerte, bis er ganz berühmt war. Angeblich inspirierte er die Bürger zu Tagträumen, und der Chef einer Bank soll ihn jeden Morgen zum Frühstück eingeladen haben. »In einer Stadt, die den Künsten verpflichtet ist, galt Fernando als eine (haarige) Künstlerexistenz«, schreibt der Reiseführer. Am 28. Mai 1963 wurde er allerdings von einem Auto angefahren und starb. Das städtische Orchester spielte einen Trauermarsch, und die Leute schlossen aus Respekt ihre Fensterläden. Fernandos Begräbnis soll das meistbesuchte in der Geschichte Resistencias gewesen sein. Zwei Skulpturen erinnern an ihn.

Es tut mir leid für Resistencia und die Frau, die alles unternimmt, um mich zu begeistern. Ich habe leichte Motivationsprobleme, ich fühle mich sehenswürdigkeitensatt: Drei Städte, zwei argentinische Provinzen, ja zwei südamerikanische Länder in drei Tagen, das ist zu viel. Heute bin ich um halb fünf aufgestanden, um zum Bahnhof zu fahren. Die Bustouren nerven mittlerweile auch. Gestern acht Stunden, heute mindestens sechs, ich lebe ja praktisch im Oberdeck von Nueva Godoy.

»Danke für die Hilfe und den Stadtplan. Ich gehe gleich zu Fernando.«

Ich laufe noch ein bisschen ziellos herum.

Trikotverkauf im Zentrum von Resistencia

> Trikotverkauf im Zentrum von Resistencia

> Skulptur zu Ehren der ersten italienischen Einwanderer

> Skulptur zu Ehren der ersten italienischen Einwanderer

Dritter Teil: Robinson Wese, ein Katzenfresser und eine Fähre, die nicht kommt − von Argentinien nach Paraguay und zurück


Argentinische Helden

Diego Maradona, gezeichnet von Danü (c)

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Wir sind schnell.
Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geistes-
wissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie.


2012 von Christoph Wesemann in Buenos Aires gegründet. Derzeit im Exil. (Berlin)