Archiv für März, 2014

Elf Tage ohne

von CHRISTOPH WESEMANN

 

 

 

 

 

 

 

 

Pferderennen 3 Pferderennen 2 Pferderennen 1

 

 

Superclásico

  1. ((((((((((((((Und 140 verloren. []

Zurück in der Wildnis

von CHRISTOPH WESEMANN

Endlich lebe ich in Buenos Aires nicht mehr nur wie ein Student1, sondern bin’s auch wieder. Das Studium war ja sowieso die wildeste Zeit, ach, was haben wir, also speziell ich, damals Party … und die Weiber erst, sag ich euch …  Menschmenschmensch … ja, nicht immer, nicht jeden Tag und nicht jede Woche, aber schon relativ oft. Wie gesagt: Wild war’s.


Sportmarketing: der Fall Boca Juniors
heißt der Kurs, den ich an der Universität von Palermo belegt habe. Dienstags, 19 bis 22 Uhr, Ecke Larrea und Santa Fe, Raum 5.5. Ja, nur ein Kurs, aber ich muss ja der akademischen Welt auch nichts mehr beweisen, ich habe schließlich schon ein abgeschlossenes Hochschulstudium.

Wenn man aus dem Fahrstuhl steigt, ist das Erste, das man sieht, ein Plakat: Andrew Grove, der Mitbegründer von Intel, spricht sein weltberühmtes (und mir bisher selbstverständlich unbekanntes) Zitat:

Sólo el paranoico sobrevive. – Nur der Paranoide überlebt.

In solch einem intellektuellen Zirkel braucht jemand wie ich nur wenige Augenblicke, um sich heimisch und endlich auch mal verstanden zu fühlen. Ja, in der Pause reden wir Jungs natürlich über Fußball. Aber das ist doch nur ein kurzes Dahingleiten vor dem nächsten Höhenflug des Geistes. Ich bin guter Dinge, dass das alles auch meinem Œuvre dienen und das Niveau dieses Blogs heben wird.

Gestern Abend gegen halb neun habe ich gleich mal den Professor ordentlich hängen lassen.

»Habt ihr das verstanden? Nein? Okay, versuchen wir es mit einem Beispiel. Ich frage, ach, ich frage unseren deutschen Freund. Christoph, trinkst du nur Bier oder auch mal Mate?«

»Aber hallo!«

»Nenn mir doch mal drei Hersteller von Yerba-Kraut.«

»Taragüi

»Eins.«

»Äh, also Taragüi. Dann gibt es noch CBirgendwas …«

»Das ist eine Bank.«

»Ähm, ich meine, so eine rote Tüte.«

»Danke, Christoph. Nehmen wir ein anderes Beispiel, und ich frage mal Jorge.«

(Fortsetzung folgt)

  1. der dem Klischee entspricht []

Unvorzeige-Eltern

von CHRISTOPH WESEMANN

Buenos Aires, 5. März 2014: wieder eine Elternversammlung traditionell verpasst. Unentschuldigt, klar doch. In meiner Schulzeit hat sich meine stets anwesende Mutter ja über jede abwesende Mutter einzeln aufgeregt. Tagelang.

Aber man muss doch solche Sachen auch nicht aufs Spiel von Boca legen. Der River-Fan Jorge, Vater von Sohnemanns bestem Freund, war natürlich da, mit seiner Frau. Aber der Kerl trinkt keinen Mate und mag Asado nicht, hat ja nicht mal einen Grill auf seiner Terrasse, ist also Argentinier nur auf dem Papier. Um 20.14 Uhr, eine Stunde nach Anpfiff des Elternabends, bei Boca gegen Olimpo waren gerade zwölf Minuten gespielt, schrieb er eine SMS: »Wir warten mit der Klassenlehrerin auf Dich. Wann kommst Du?«

»Machst Du Witze?«

Argentinischer Grill

Meine einzige Elternversammlung war Ende 2008 im Kindergarten des Sohnes in Odessa, Ukraine – und ich verstand kein Wort. Seitdem: nichts mehr. Bei keinem der drei Kinder.

Die Frau behauptet, sie habe 2012 in Berlin an was teilgenommen.

 

Die Königin aus dem Reich der überwachten Kondome

von CHRISTOPH WESEMANN

1. März 2014 (Foto: Casa Rosada)

1. März 2014 (Foto: Casa Rosada)

Cristina Kirchner kann sich auch kurz fassen. Für ihre Verhältnisse, versteht sich. Am Sonnabend hat Argentiniens Präsidentin die diesjährige Parlamentssaison eröffnet und bloß zwei Stunden und 45 Minuten geredet. Vor einem Jahr hatte sie sich eine Stunde länger Zeit genommen, um zu den Abgeordneten und Senatoren zu sprechen. Damals benahm sich der Congreso de la Nación allerdings wie ein Fußballstadion und sah auch so aus, was vor allem daran lag, dass auf den Zuschauerrängen die treuesten Anhänger der Präsidentin saßen: die Mitglieder von La Cámpora, der militanten Jugendbewegung, die von Cristina Kirchners Sohn Máximo angeführt wird. Die Cámporisten hatten ihre Fahnen mitgebracht, sie sangen und warfen Papierflieger auf die Politiker der Opposition.

1. März 2013 (Foto: Casa Rosada)

Diesmal war es deutlich ruhiger – wohl auch, weil sich die Opposition, Sieger der Parlamentswahlen im Oktober, ein ähnliches Spektakel nicht noch einmal hätte gefallen lassen. Es gab vorab allerdings ein paar Unstimmigkeiten. So übernahm die Casa Rosada, der Präsidentenpalast, die Vergabe der Eintrittskarten und bevorzugte dabei abermals Anhänger der Regierung. Und anders als in früheren Jahren durften nur die offiziellen Fotografen des Parlaments im Saal bleiben – die der Zeitungen mussten nach fünf Minuten hinaus. Die Opposition beklagte dies, entschied sich aber dagegen, ein Zeichen zu setzen, und behielt sich nur vor, im Falle von Provokationen hinauszugehen.

Ich habe mich zunächst vor dem Saal herumgetrieben und mich dann draußen umgeschaut, wo sich die Anhänger der Präsidentin versammelt hatten. Die Hauptstadtpolizei sprach von 100 000 Teilnehmern, was vielleicht übertrieben ist. Dennoch waren es mehr als am 1. März 2013. Im Vorfeld hatte die kirchneristische Bewegung ihre Bürgermeister, Gewerkschaften und sonstige Truppen aufgerufen, Präsenz zu zeigen – nach dem Motto: Alle mit Cristina. Politik wird in Argentinien seit ihrer Erfindung – also seit Juan Domingo Perón, dem Archetypus des Volkstribuns und Überpräsidenten – auch auf der Straße gemacht. Die Autorität, die ein Politiker genießt, hängt davon ab, wie er mobilisiert.

Die Zeiten für Cristina sind härter geworden. Im Oktober 2011 hatte sie die Präsidentschaftswahlen noch haushoch gewonnen – mit mehr als 53 Prozent. Mittlerweile aber schwächelt die Wirtschaft, steigt die Inflation, verliert der Peso gegenüber dem Dollar, verteuert sich der Alltag. Die Regierung schreibt den Supermärkten inzwischen die Preise für mehr als 200 Produkte vor: Kekse, Cola, Waschmittel, Zucker, Kugelschreiber, Paprika, Reis, Dosenerbsen, Bier, Milch und Shampoo. »Überwachte Preise« für Waren des täglichen Bedarfs, nennt sie das, und dazu zählen – ein bisschen Spaß muss sein – auch Kondome. Nur gibt es die günstigen Marken dann oft nicht im Regal, sondern nur die teureren Varianten, deren Preise nicht kontrolliert werden. Im Februar war ja selbst McDonald’s das Ketchup ausgegangen – peinlich für den Konzern, noch mehr aber für die Regierung. Deren Devisen- und Importkontrollen hatten offenbar die Einfuhr der Tomatensoße aus Chile verhindert.

Nach einer neuen Umfrage, gestern von der Zeitung Clarín veröffentlicht, sind 67,5 Prozent der Befragten gegen die Regierung von Cristina Kirchner. Im November waren es noch weniger als 50 Prozent.

Natürlich standen nicht nur Freiwillige auf dem Kongressplatz und blickten auf die Leinwände, die die Rede der Präsidentin übertrugen. Gewiss, der Kirchnerismus, der Argentinien seit 2003 regiert, hat nach wie vor genug Anhänger – auch, weil viele von einer Politik profitieren, die das Geld, das längst nicht mehr da ist, mit vollen Händen verteilt. Aber es wird bei der Mobilisierung auch nachgeholfen. Man darf sich das so vorstellen: Der Bürgermeister einer beliebigen Stadt bekommt einen Anruf von einem Funktionär der Regierung. Man erinnert ihn daran, dass die Präsidentin ja erst im vergangenen Jahr Geld gegeben hat, um – sagen wir – den etwas heruntergekommenen Bahnhof zu renovieren. Der ist doch auch wirklich schön geworden, oder? Jetzt erwartet Cristina ein kleines Zeichen des Dankes – vier Busladungen. Und dann werden Leute aufgetrieben. Die Angestellte der Stadtbibliothek hat eigentlich schon was anderes vor, auf jeden Fall keine Lust, am Sonnabendmorgen nach Buenos Aires zu fahren und dann stundenlang in der Sonne zu stehen, während die Präsidentin erzählt, wie viele Millionen die Regierung für so und so viele neue Kilometer Straße ausgegeben hat. (Cristina liebt Zahlen, manchmal. Über die Inflation, die aufs Jahr gesehen bei 20 bis 30 Prozent liegt, fünf Prozent allein im Januar, redet sie natürlich nicht so gern, ja eigentlich gar nicht.) Dass sich die Bibliothekarin nicht so richtig amüsiert, sieht man dann auch. Sie sitzt draußen vor dem Café oder irgendwo im Schatten, sie läuft herum und kauft sich an einem der Grillstände einen Hamburger oder eine chorí. Es gibt viele Leute, die zuhören und klatschen. Es gibt aber noch mehr Bibliothekarinnen.

Ich erinnere mich bis heute ungern an die 1. Maie meiner Grundschulzeit. Wir versammelten uns auf dem zentralen Schotterplatz der Stadt und lauschten den ollen Genossen auf der Tribüne. Und es war immer heiß am Internationalen Kampf- und Feiertag der Werktätigen für Frieden und Sozialismus. Die armen Füße! Was mussten die im Schotter pulen, weil dem Kopf sonst nichts mehr einfiel gegen die Langeweile. Und so gucke ich heute, ein halbes Jahrhundert später, auch mit anderen Augen auf die junge Leute, die der Kirchnerismus aufmarschieren lässt. Sie kommen – man kann’s den Plakaten entnehmen – von weit her, aus entfernten Provinzen. Sie zählen – man sieht’s der Kleidung an – nicht zu Begüterten in diesem Land. Darunter dürften viele sein, die vom Versprechen geködert werden, ein Wochenende in der Hauptstadt zu erleben.

Die Präsidentin ist übrigens durchaus eine sehr gute Rednerin. Sie hat Witz und formuliert scharf (oft zu scharf). Für Zitate ist sie immer gut.

Die Wirtschaft wächst wieder, und wir vollenden die Periode des wirtschaftlichen Wachstums mit der virtuosesten sozialen Inklusion in unserer 200-jährigen Geschichte.

Wachstum (crecimiento) ist eines der kirchneristischen Schlüsselwörter. Man sieht sich als Bewegung, die das Land nach dem Totalzusammenbruch von 2001/02 wieder aufgebaut hat (was nur teilweise stimmt, weil der Aufschwung schon unter dem Übergangspräsidenten Eduardo Duhalde begann).

Wir müssen mehr zusammenstehen als je zuvor, um weiter voranzukommen.

Der Kirchnerismus versteht sich als Bewegung des Nac&Popnacional (für das ganze Land) und popular (für alle Schichten)

Es kann nicht sein, dass zehn Leute die Straße sperren, aus welchen Gründen auch immer. Und dass nichts passiert.

Hier hat mich Cristina überrascht. Es vergeht seit Wochen kaum ein Tag in Buenos Aires ohne Straßensperrung. Die so genannten piquetes sind eine beliebte Protestform in Argentinien, eine Art Erpressung. Man stellt sich auf die Straße, zündet ein paar Reifen an und fordert. Wer sich ungerecht behandelt fühlt oder schlecht bezahlt oder eine neue Wohnung will oder gerade keinen Strom hat – hält den Verkehr auf und sorgt für Staus und dann für Wut bei den Gestauten. Die Polizei steht meist daneben und guckt zu. Die piqueteros waren und sind allerdings eine Säule der Bewegung. Néstor Kirchner, der Präsident von 2003 bis 2007, hatte sie genauso aufgenommen wie andere soziale Gruppen, um sich als volksnaher Regent zu inszenieren.

Wo bist du, Axel? Ich sehe dich gerade nicht. Mein Kleiner, aber Pflichtbewusster. Er hat wie ein Löwe für YPF gekämpft.

YPF ist die 2012 wiederverstaatlichte Ölgesellschaft, bis dahin eine Tochter des spanischen Konzerns Repsol. Und Axel ist der Vorname des neuen Wirtschaftsministers Kicillof. Argentinien zahlt Repsol eine Entschädigung von fünf Milliarden Dollar, die wohl Kicillof ausgehandelt hat. Ich vermute, das meint Cristina mit dem Löwen-Vergleich. Ich habe ihn durchaus gesehen, den Axel. Er schaute auf dem Weg zur Rede seiner Chef allerdings ein bisschen finster.

Axel Kicillof

Die Zeitung La Nación hat die am häufigsten benutzten Wörter der Rede ermittelt.

  • Argentinien: 54-mal.
  • Millionen: 48
  • Dollar: 31
  • Investition: 26
  • Gas: 24
  • Bank: 23
  • Nation: 22
  • YPF: 20
  • Wachstum: 18

Über die Themen, die den Argentiniern am meisten Sorgen machen, sprach Cristina wiederum nicht. Die vier großen Probleme sind, wie Umfragen belegen: Kriminalität, Inflation, Arbeitslosigkeit und Korruption.

In einem Jahr wird Cristina Kirchner zum letzten Mal die Parlamentssaison eröffnen. Im Oktober 2015 wählt Argentinien ein neues Staatsoberhaupt – und die Präsidentin darf nach zwei Amtszeiten nicht noch einmal antreten.


Argentinische Helden

Diego Maradona, gezeichnet von Danü (c)

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Steckbrief

Wir sind schnell.
Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geistes-
wissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie.


2012 von Christoph Wesemann in Buenos Aires gegründet. Derzeit im Exil. (Berlin)