Posts Tagged ‘WM 2014’

WM-Gezwitscher (3)

von CHRISTOPH WESEMANN

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Vaters Tag

von CHRISTOPH WESEMANN

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Sonntag, 15. Juni 2014: Día del Padre, argentinischer Vatertag  — und die Mutter muss arbeiten.

Papa soll Frühstück machen.

Papa soll für die Marketingklausur am Dienstag lernen.

Papa darf nicht vergessen, dass er schon einmal durchgefallen ist.

Papa darf die Kinder nicht schon am Sonntagmorgen vor den Fernseher setzen.

Papa soll mit den Kindern auf den Spielplatz gehen.

Papa soll dem Jungen da die Schippe wegnehmen. Die gehört uns.

Papa muss anschubsen.

Papa kann dem Jungen da die Schippe nicht wegnehmen. Die gehört uns doch nicht.

Papa soll beim Pinkeln helfen.

Papa soll von der Wippe aufstehen.

Papa darf nach dem Mittagessen nicht einschlafen.

Papa soll für die Marketingklausur am Dienstag lernen.

Papa darf nicht noch mal durchfallen.

Papa soll nicht schon wieder »hijo de puta«, »la puta que te parió« und »la puta madre« sagen.

Papa will endlich die Aufstellung erfahren.

Papa soll mit den Kindern bestimmt schon wieder auf den Spielplatz gehen.

Papa darf sie immer noch nicht vor den Fernseher setzen.

Papa kann aber sehr gut lügen.

Papa kann natürlich auch sehr gut tanzen. Aber nicht jetzt.

Papa soll die Kinder baden.

Papa muss sie überreden.

Papa kann auch schreien, um zu überreden.

Papa soll aber nicht schreien.

Papa will Bier trinken. Oder Fernet mit Cola. Hauptsache, Alkohol.

Papa will nachher Argentinien gegen Bosnien und Herzegowina gucken.

Papa darf drei Gesichter blau und weiß anmalen.

Papa muss Abendessen machen.

Papa darf schon mal den Fernseher anschalten lassen.

Papa kann auch anders.

Papa muss Schulbrote schmieren.

Papa kann Argentinien gegen Bosnien und Herzegowina gucken (wenn jetzt endlich alle aufhören rumzuspinnen!).

Papa kann den Abwasch nicht länger stehen lassen.

Papa muss ungefähr 60 Zähne putzen.

Papa muss drei Kuscheltiere, diese verdammten Hurensöhne, finden.

Papa soll sich entschuldigen.

Papa soll mit einschlafen.

Jetzt wollte Papa Argentinien gegen Bosnien und Herzegowina gucken.

WM-Gezwitscher (2)

von CHRISTOPH WESEMANN

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Abschlusstraining

von CHRISTOPH WESEMANN

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Bevor am Sonntagabend die Weltmeisterschaft in Brasilien beginnt, verteile ich noch ein paar Lesebefehle. Ich erwarte, dass sich alle ordentlich vorbereiten auf Argentiniens Spiel gegen Bosnien-Herzegowina. Anpfiff in Río de Janeiro ist um 19 Uhr oder Punkt Mitternacht in Deutschland.

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Andreas Geipel von Argifutbol (Argentinischer Fußball auf Deutsch) hat gleich mal das ganze große Besteck ausgepackt. Hier bei uns wird ja eher aus dem Ärmel geschüttelt, wobei ich oft vergesse, vorher was hinein zu tun. Dort drüben, ach ja, ein ganz anderes Niveau, wobei der Geipel natürlich auch schüttelt — aber bei ihm kommt halt was heraus. Jedenfalls: Nach dem Lesen weiß man alles, was man wissen kann über Kader, Taktik und Aufstellung des kommenden Weltmeisters. Man könnte drei Tage in dem Text verbringen.

Auftrag Maracanazo

»Am besten platzieren sie einen Helikopter am Spielfeldrand, dann können sie sofort flüchten, sobald das Endspiel gewonnen ist«, sagt Stürmerlegende Hernán Crespo mit stolzem Lächeln und verschmitzen Blick. Der ehemalige Weltklassestürmer trägt sein Herz auf der Zunge und spricht aus, was 40 Millionen Argentinier denken: »Wir wollen endlich wieder den Titel holen! Am liebsten im Finale gegen den Erzrivalen Brasilien.« Markante Worte, wie man es aus dem Land des zweifachen Weltmeisters gewohnt ist. Die Albiceleste um Superstar Lionel Messi ist heiss und hat einen klaren Auftrag: Maracanazo, der Finalsieg im altehrwürdigen Estádio do Maracanã. Weiterlesen

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Marc Koch, Lateinamerika-Korrespondent der Deutschen Welle, stellt das Projekt Dritter WM-Titel vor. Er hat Ezequiel Fernández Moores getroffen, den vielleicht tollsten argentinischen Sportjournalisten. Brillant geschrieben ist der Text obendrein. Nur diese Gemeinheit gegen meinen Quilmes Atlético Club (»hüftsteifer Vorstadtverein«) hätte er sich natürlich verkneifen müssen.

Messi und Co. im Auftrag der Nation

(…) Sogar die vielbeschworenen äußeren Umstände scheinen es diesmal gut mit Argentinien zu meinen. Zu gut, fanden viele Beobachter nach der Auslosung der Gruppengegner: Die Gruppe F mit Nigeria, Iran und Bosnien-Herzegowina gilt im Vergleich zu anderen Kombinationen als gehobene Trainingseinheit. Und weil die »Albiceleste« nicht nur im nahegelegenen und klimatisch angenehmen brasilianischen Süden spielt, sondern dort schon vor der Auslosung ein Quartier angemietet hatte, liegt die Frage nahe, ob denn alles mit rechten Dingen zugegangen sei. »Natürlich!«, versicherte die FIFA umgehend. Experte Fernández Moores gibt höflich lächelnd zu Bedenken: »Als ich gesehen habe, dass ausgerechnet England und Italien bei 40 Grad im Schatten spielen müssen, dachte ich: Oh oh, das ist ein Hinweis von Südamerika!« Weiterlesen

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Mutti, der Libero, weiß aus bestens unterrichteten Kreisen, wer Weltmeister wird.

Endlich transparent: FIFA gibt die nächsten WM-Ergebnisse von Gastgeber Brasilien bekannt

In der Debatte um mehr Transparenz beim Fußball-Weltverband hat FIFA-Boss Joseph Blatter am Freitag eingelenkt: Der Schweizer ließ unmittelbar nach dem Eröffnungsspiel gegen Kroatien alle kommenden Turnier-Resultate des brasilianischen Teams veröffentlichen – inklusive des Endspielsieges gegen Titelverteidiger Spanien. Weiterlesen

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Für alle, die Spanisch sprechen: Hier steht, warum Argentinien so gute Chancen hat, endlich mal wieder Weltmeister zu werden.

Por qué Argentina puede ser campeón mundial

(…) Todo puede pasar. Pero aún Brasil, el gran candidato a ganar el título en casa, le teme a nuestra Selección. No quieren otro Maracanazo y mucho menos contra el rival de toda su vida. La pesadilla de Pelé y compañía es ver a Messi levantar la Copa en 2014. Weiterlesen

Hahaha, auf Pelés Gesicht, wenn Messi den WM-Pokal hochhält, freue ich mich auch schon.

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Schon ein paar Monate alt: Reporter Alexander Osang besucht, nein sucht für den Spiegel das deutsche WM-Quartier. Zum Brüllen komisch. Und warum? Auch, weil Osang weiß, was sich gehört: Er macht sich selbst noch ein bisschen mehr fertig als alle anderen.

Alemanha? Futebol?

(…) Ich begann eine Rede, in der ich die Anwesenden darüber informierte, was es bedeutet, Gastgeber einer Weltmeisterschaft zu sein. Ich erklärte ihnen, dass São Paulo ja wohl keinen Dorfflughafen betreiben dürfe. Ich hielt die Rede auf Englisch und bin mir ziemlich sicher, dass das Wort Responsibility vorkam. Verantwortlichkeit. Ich dachte an die halbfertigen Stadien, die unzufriedenen Bürger Brasiliens, das Sommermärchen von 2006 und an das Knie von Sami Khedira. Ich wies alle auf die Notwendigkeit einer ordentlichen Beschilderung hin. Weiterlesen

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Zum Schluss der Hinweis auf meine erste Kolumne aus Buenos Aires, 23. Juli 2012, aber im Grunde Sommer 1986:

Diego und die Holzfäller

Ich war acht Jahre alt und ganz sicher nicht einmal der klügste Achtjährige in meiner Straße, und ich bin nicht in einer Straße wie der Avenida Rivadavia aufgewachsen, die 35 Kilometer lang ist. Meine Straße hieß Ipser Weg. Kürzer geht’s kaum. Vielleicht erklärt das, was jetzt kommt.

Das erste Mal habe ich von Argentinien am 29. Juni 1986 gehört. Ich weiß das genau, obwohl seitdem ordentlich Zeit vergangen ist – wie viel genau, spielt jetzt keine Rolle, bitte. Ich saß an diesem Sonntagabend vor dem Fernseher, bestimmt trug ich einen gestreiften Schlafanzug, und die deutsche Nationalmannschaft stand gegen Argentinien im Endspiel der Fußballweltmeisterschaft in Mexiko. Wahrscheinlich habe ich damals »BRD« gesagt. Meine Heimat war die DDR, und wer in der DDR lebte, der sagte auch »BRD«, nicht »Bundesrepublik« und nicht »Deutschland«. Weiterlesen

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Und zur Entspannung gucken wir jetzt ein kurzes Video, in dem ich eine tragende Rolle habe — und mein Argentinientrikot auch. Cristian, Sebastián und Cristian, drei Jungs, mit denen ich Fußball spiele, erzählen, wie Argentinier eine Weltmeisterschaft erleben, und sie packen richtig aus. Weil der Beitrag auf Spanisch ist, fasse ich mal den Wahnsinn um Rituale schnell zusammen: Jedes Spiel von Argentinien wird mit denselben Leuten geschaut; die dürfen aber nicht quatschen, sondern höchstens ein Tor bejubeln. Die Stühle bleiben bis zur nächsten Partie stehen, nichts darf verrückt werden. Sebastián hat auch immer zwei Kreuze in der Hand und stoppt obendrein mit der Uhr die Spielzeit. Wie, die wird links oben eingeblendet? Hallo! Das haben wir schon immer so gemacht. Soll Argentinien ausscheiden, weil wir rational geworden sind?

Ich bitte, den eleganten und geschmeidigen Jüngling im weißen Quilmes-Trikot zu beachten. Wie er das Spiel lenkt — herrlich. Und am Ende hält er sogar noch einen sogenannten Unhaltbaren.

WM-Gezwitscher (1)

von CHRISTOPH WESEMANN

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¡Vamos, carajo!

von WACHO CHORRO (Gastbeitrag)

Slide448 mit Titel

Stammleser Wacho Chorro bloggt bei den Borrachos Bornheim. Dort ist sein Text zuerst erschienen.

Alle vier Jahre das gleiche Dilemma: Ich habe nichts zum Anziehen!

Wacho 2

Wacho 1

Zwei Trikots sind einfach viel zu wenig, um dem kommenden Weltmeister zu huldigen. Mann will ja gut aussehen, wenn die Albiceleste (Weiß-Himmelblaue) von Sieg zu Sieg eilt.

Während im gelobten Lande arme, unschuldige Kinder zu Schwerstarbeit abgestellt werden, perfektioniere ich von Tag zu Tag meine Version der Hymne:

 

Und ich werde besser und besser. Ich vertrete schließlich in Spanien während der WM unsere Farben. Während andere Leute – etwa dieser unsägliche Schreiberling vom noch unsäglicheren Tagebuch aus Buenos Aires – gelangweilt vor dem Schwarz-Weiß-Radio sitzen und gähnend dem Reporter lauschen, werde ich alles geben und dem Iberer sekündlich mitteilen, dass der Weltmeister nur Argentinien heißen kann.

Aber schlussendlich werden Wese und ich uns weinend in den Armen liegen und uns, gegenseitig auf die Schultern klopfend, zu unserem Fußballsachverstand gratulieren. Denn im Herzen sind wir beide die wohl größten Argentinier!

Der Papierkamerad mit den sehr blöden Daumen

von CHRISTOPH WESEMANN

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Gleich werden die Kinder anfangen, aus alten Zeitungen Papierschnipsel zu machen. Die brauchen wir am Sonntag um kurz vor 19 Uhr argentinischer Zeit.

Für meinen Sohn ist’s auch eine Strafarbeit, weil er bei dieser WM die Daumen blöde drückt. Seine Mutter hat es ihm erlaubt.

»Mama, ich wäre gern für Deutschland.«

»Das kannst du doch.«

»Aber Papa hat’s mir verboten.«

Ja, natürlich. ¡Vamos Argentina!

¡Mehr Papierschnipsel, hijo! ¡Mehr! ¡Viel mehr!

 

(Werbung aus Argentinien zur Fußball-WM 2006 in Deutschland)

 

Gesetz zum Ausrasten: Wie Berlin die WM-Stimmung und den letzten Iraner sucht

von NICO ESCH (Gastbeitrag)

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Nico Esch (32) ist Journalist, lebt in Berlin und hat mit mir bei der Schweriner Volkszeitung volontiert.

Die Nummer 457 heißt Ehsan Hajsafi. Ein Kollege hat herumgefragt, ob den jemand doppelt hat, denn der iranische Verteidiger ziert das letzte Panini-Sammelbildchen, das seinem Sohn noch fehlt. Ich konnte leider nicht helfen. Ich hab die Nummer 457 nicht und ich hab auch die anderen 639 Bilder nicht. Ich hatte neulich Andy Köpke in einem geschenkten Duplo, hab ihn aber weggeworfen. Duplo- und Hanuta-Bilder passen nicht ins Panini-Album, das weiß ich noch von früher. Ich habe mir keinen Beamer gekauft, obwohl Saturn und Media-Markt es ständig von mir verlangen, kein Trikot, keinen Hut, kein Kicker-Sonderheft und keine Fähnchen fürs Auto – kurz: Ich bin zu meinem eigenen Entsetzen überhaupt nicht in WM-Stimmung.

Ich bin damit aber nicht allein, hab ich festgestellt – und das in Berlin, was ja bekanntlich die Hauptstadt des Sommermärchens von 2006 ist. Man sieht zwar häufiger mal grölende Leute mit nacktem Oberkörper fahnenschwenkend im Auto über den Ku’damm fahren, und es wird auch ohne Ende gehupt, aber dafür braucht in Berlin ja niemand einen Anlass. Und ansonsten halten sich viele, die man so trifft, noch vornehm zurück und haben Mühe, sich den Termin des Eröffnungsspiels zu merken.  Irgendwie so…Donnerstag? Begeisterung sieht anders aus. Was soll das überhaupt mit dem Donnerstag? Und dann noch um 22 Uhr. Wer soll denn das gucken?

In Argentinien ist das völlig anders und alle rasten schon jetzt völlig aus, nehme ich an. Das ganze Land wird vier Wochen lang nicht arbeiten, jedes Spiel anschauen und absolut überzeugt sein, den Titel zu holen. Ich war noch nie in Argentinien, aber ich kenne den Betreiber dieses Tagebuchs, den argentinischsten aller Argentinier, und halte das für einen guten Maßstab.

Ich selbst weiß noch nicht, ob ich mich werde aufraffen können, mir um Mitternacht deutscher Zeit Chile gegen Australien oder Japan gegen Griechenland anzugucken. Dabei könnte ich das sogar draußen tun und dürfte dabei auch noch Lärm machen. Es gibt eine Ausnahmeregelung für die WM, eine »Verordnung über den Lärmschutz bei öffentlichen Fernsehdarbietungen«. Muss man zwar selbst in der hinterletzten Ecke nochmal extra beim Ordnungsamt anmelden, aber trotzdem: Öffentlicher Lärm! Nach 22 Uhr! In Deutschland! Mehr Ausnahmezustand geht eigentlich gar nicht.

Ich bin mir nur leider nicht sicher, ob das lohnt. Kommt noch jemand auf die Fanmeile am Brandenburger Tor, wenn Deutschland in der Vorrunde ausscheidet? Oder kann da dann doch noch die Fashion Week stattfinden, die man mit viel Mühe und großem Drama von da vertrieben hat? (Die ist jetzt im Wedding, was die Veranstalter – sagen sie – ohnehin immer schon viel hipper fanden.) Einheimische gehen ja sowieso nicht zur Fanmeile – jedenfalls streiten sie es genauso empört ab wie die Unterstellung, Silvester am Brandenburger Tor zu feiern.

Ich bin auch nicht nur nicht richtig in Stimmung, sondern habe auch keinen Schimmer, wer wohl Weltmeister wird. In der Zeitung stand, es wird Brasilien. Sieg über Argentinien im Finale, Deutschland und Spanien scheiden im Halbfinale aus. Das glaub ich aber nicht. Wie Deutschland sich ohne Reus, dafür mit falscher Neun ins Halbfinale mogeln soll, ist mir schleierhaft. Und wieso ist Brasilien angeblich auf einmal so gut? Wer spielt denn da und wo waren die jahrelang? Und war nicht Belgien zwischendurch mal irgendwie Geheimfavorit? Wo sind die geblieben?

Ich muss mich da jetzt dringend einlesen, sonst geht die ganze Sache total an mir vorbei. Marco Reus ist übrigens die Nummer 502 im Panini-Album.

Ob man da den Shkodran Mustafi einfach so drüberkleben kann?

Pablo, zwei Deutsche und die Eintrittskartenkomödie – Epilog

von CHRISTOPH WESEMANN

Wenn nichts mehr dazwischenkommt, schauen wir nachher im Stadion von River Plate das Länderspiel Argentinien gegen Trinidad und Tobago: M., der andere Deutsche in Buenos Aires, mein Freund Pablo, mein Sohn und ich. Aber in Argentinien und mit Argentiniern kommt ja immer was dazwischen. Trotzdem beenden wir die Eintrittskartenkomödie jetzt mit einem Epilog. Ich kann nämlich nicht mehr.

Wir erinnern uns:

Wie schon in den ersten drei Akten wird auch diesmal über SMS, WhatsApp und Facebook-Chat kommuniziert. Pablo und M. kennen sich immer noch nicht. Zum besseren Verständnis sind die spanischen Sätze ins Deutsche übersetzt worden — es reicht ja, ganz genau, wenn die Akteure bis zum Ende nicht miteinander klargekommen sind.

Dienstagmittag

M. → ICH Wie sieht’s aus?

M. → ICH Hat Pablo die Karten?

M. → ICH Bist Du da?

M. → ICH Du bist sonst immer da.

M. → ICH Hallo?

ICH → PABLO Cheeeeeeeeee Dicker, was ist denn jetzt? Ich kann M. nicht mehr lange hinhalten.

M. → ICH Haaaaaaaalllllloooooooooooooo?

PABLO → ICH Alles okay. Mach Dir keine Sorgen. Heute hole ich die Karten. Ich sag Dir Bescheid.

ICH → M. Tut mir leid, ich habe kein Internet.

M. → ICH Aber ich schreibe Dir doch die ganze Zeit SMS.

ICH → M. Achso.

M. → ICH Und?

ICH → M. Pablo ist optimistisch. Er ist so grenzenlos optimistisch, er könnte bereits naiv sein.

Dienstagabend

Die Karten

PABLO → ICH Hier sind sie, Heulsuse! Na, wie habe ich das gemacht?

ICH → PABLO Jetzt willst Du bestimmt einen Orden.

PABLO → ICH Gebt mir einfach 350 Peso pro Karte.

ICH → PABLO Gestern waren es noch 250.

PABLO → ICH Es sind zusätzliche Kosten angefallen.

ICH → PABLO Und das ganze Chaos war ja auch nicht Deine Schuld.

PABLO → ICH Genau.

ICH → M. Er hat die Karten! Argentina! Argentina! Argentina!

M. → ICH Hast Du sie gesehen?

M. → ICH Ist auch das Logo vom Fußballverband drauf?

M. → ICH Rattern sie, wenn sie durch die Finger laufen?

M. → ICH Immer noch kein Internet?

ICH → M. Mein Lieber, die gefälschten Fußballkarten in Argentinien rattern; die echten, die schnalzen! Bekommst gleich ein Foto.

M. → ICH Schpeck!Ta!Ku!Lär! Ein′ Pa-hab-lo-ho, es gibt nur ein′ Pa-hab-lo-ho, ein′ Pa-hab-loooooo-hooooooooo, es gibt nur ein′ Pa-hab-lo-ho.

ICH → M. Er will auf einmal doch 350 pro Karte. Nicht 250.

M. → ICH Wir zahlen, was drauf steht.

ICH → M. Dürfen wir ihm bloß nicht vorher sagen. Sonst verbringt er die Nacht mit Lupe und Schere schnippelnd über Zeitungen, um ein paar 3en zu finden, die er über die 2en kleben kann.

M. → ICH Wie machen wir es eigentlich morgen?

ICH → M. Ist ja nicht weit. Bus oder zu Fuß.

M. → ICH Ich gehe auf keinen Fall zu Fuß.

ICH → M. Und Du willst mit mir im Oktober 70 Kilometer nach Luján zu unserer heiligen Jungfrau pilgern? Da habe ich Dich ja schon am Ortausgang von Buenos Aires huckepack.

M. → ICH Ich fahre Rad. Oder Pick-up. Und stelle am Ziel schon mal das Bier kalt.

ICH → M. Das zählt aber nicht.

M. → ICH Wieso? Wäre doch typisch argentinisch. Solange es keiner merkt…

ICH → M. Stimmt auch wieder. Und falls Du erwischt wirst, streitest Du erst alles ab und weinst dann dramatisch.

M. → ICH An der Schulter eines Pfarrers!

Dienstagnacht

PABLO → ICH Könnt Ihr eigentlich unsere herrliche Hymne singen?

ICH → M. Pablo fragt, ob Du bei der Hymne textsicher bist.

M. → ICH Also, ich habe gerade kein Internet.

ICH → M. Puh, ich ja auch nicht.

 

Pablo, zwei Deutsche und die Eintrittskartenkomödie – Teil 3

von CHRISTOPH WESEMANN

M., der andere Deutsche in Buenos Aires, mein Freund Pablo und ich werden am Mittwoch das Länderspiel von Argentinien gegen Trinidad und Tobago besuchen. Ganz sicher. Vielleicht. Wohl eher nicht. Also Pablo schon.

Wir erinnern uns: Im ersten Teil der Eintrittskartenkomödie waren M. und ich daran gescheitert, die Tickets zu besorgen. Im zweiten Teil hatte Pablo, der König des Einmaleins, horrende Forderungen gestellt. Und nun: eine unerwartete Wendung, die uns sagen will, dass bisher doch alles harmlos gewesen ist.

Wie schon im ersten Teil und zweiten Teil, wird auch diesmal über SMS, WhatsApp und Facebook-Chat kommuniziert. Pablo und M. kennen sich immer noch nicht. Zum besseren Verständnis sind die spanischen Sätze ins Deutsche übersetzt worden — es reicht ja, ganz genau, wenn die Akteure ein drittes Mal nicht miteinander klarkommen.

Kartennachricht

Montagnachmittag

ICH → M. Ich habe übrigens gestern Pablo getroffen und für uns 600 Peso bei ihm angezahlt. Nicht, dass er noch, weil das Spiel zufällig ausverkauft ist, unsere Karten auf dem Schwarzmarkt vertickt. Sie kosten aber nur 250 pro Person, nicht 350. Er wollte uns veräppeln.

M. → ICH Toll. Dann komme ich gleich vorbei und hole mein Kärtchen ab. Ich weiß nämlich noch nicht, ob wir uns am Mittwoch bei Dir treffen oder erst im Stadion.

ICH → M. Die Karten habe ich noch nicht.

M. → ICH DU HAST IHN BEZAHLT, UND DU HAST KEINE TICKETS? Darauf einen Fernet-Cola. Oder drei. Schwester, reich mir mein Tagebuch…

ICH → M. Hör auf, ich kenne Pablo schon lange, und außerdem hat er mir seine Hand drauf gegeben.

M. → ICH Ach, das beruhigt mich jetzt total. Der Argentinische Handschlag, schon viel von gehört. Weltberühmt! Der Handschlag, mit dem man ein Geschäft besiegelt und der mehr wert ist als jeder Vertrag – eine argentinische Erfindung, ja, jetzt, wo Du’s sagst. Wissen das die hanseatischen Kaufleute eigentlich schon?

ICH → M. Hab’ doch ein bisschen Vertrauen, alemán.

M. → ICH Jeder argentinische Taxifahrer sagt Dir ungefragt: »Dieses Land ist voller Diebe.« Und gleich darauf fährt er mit Dir einen hübschen Umweg.

ICH → M. Am Freitag habe ich zum ersten Mal mit Ecuadorianern Fußball gespielt. Stell Dir vor: Keiner flucht, niemand beschimpft den anderen, und der Einzige, der sich für Diego Maradona gehalten hat, war ich. Fürchterlich.

M. → ICH Ecuadorianer mögen’s sowieso eher gemütlich. Ihr einziger Olympiasieger war ein Geher. Atlanta 1996.

ICH → PABLO Hallo mein Bruder, wie geht’s? M. hat Angst, dass Du uns die Karten nicht geben wirst. Feste Umarmung.

PABLO → ICH Deutsche, hahahaha. Sehr feste Umarmung, Bruder.

ICH → PABLO Ein Schwachkopf. Er trinkt weder Mate noch Quilmes.

PABLO → ICH Mit so einem gehe ich ins Stadion?

ICH → PABLO Ich habe ja auch mit Ecuadorianern gekickt.

PABLO → ICH Oh Gott, die spielen wie Mädchen einer katholischen Schule. Und fluchen können die auch nicht, oder?

ICH → PABLO Schick mir mal ein Foto von den Karten, dann kann ich ihn beruhigen.

PABLO → ICH Welche Karten?

ICH → PABLO Sehr witzig.

PABLO → ICH Du bist wirklich der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der einem Argentinier Geld gibt, ohne von ihm die Ware zu fordern. Nicht der andere Deutsche ist also schwachköpfig.

Kurz vor Mitternacht

PABLO → ICH Kannst Du das glauben? Ich habe meine Kreditkarte weggeworfen, die, mit der ich online unsere Eintrittskarten bestellt hatte. Jetzt weiß ich leider nicht, wie ich an die Tickets kommen soll. Keine Ahnung, ob sie mir die aushändigen werden. Willst Du wissen, was passiert ist? Also, ich hatte die Karten ja mit meiner Visa bezahlt, und weil der Magnetstreifen schon ein bisschen kaputt war, habe ich eine neue angefordert. Als ich die neue Visa dann hatte, habe ich die alte weggeschmissen!!!! Hahahaha. Ich schwöre Dir, es stimmt. Also habe ich jetzt keine Karte, die ich vorzeigen kann, wenn ich unsere Tickets abhole. Aber, bleib ganz ruhig. Ich glaube, ich wiederhole: ich glaube, dass ich das Problem lösen werde. Hahahaha.

ICH → PABLO Ich habe keine Ahnung, wie ich das unserem deutschen Freund beibringen soll. Und meinem Sohn, dem größten Messi-Fan Argentiniens.

PABLO → ICH Das ist Argentinien.

VORHANG

 


Argentinische Helden

Diego Maradona, gezeichnet von Danü (c)

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Steckbrief

Wir sind schnell.
Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geistes-
wissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie.


2012 von Christoph Wesemann in Buenos Aires gegründet. Derzeit im Exil. (Berlin)