Archiv für 2013

Lauschangriffchen

von CHRISTOPH WESEMANN

Sonntag, 18.10 Uhr:

»Cristina ist verrückt.«

»Meine Eltern wählen sie.«

»Sie ist trotzdem verrückt.«

»Schau mal, jeder Mensch hat gute Seite und schlechte Seiten.«

»Aber Cristina ist verrückt.«

Fran und Franco, die beiden sieben Jahre alten Schulfreunde des Sohnes, über Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner.

kein radio im auto aber nen kühlschrank finste lustig

von CHRISTOPH WESEMANN

Wonach Leute bei Google suchen, um (dann) mein Argentinisches Tagebuch zu finden – Auszug aus der Statistik:

  • in meiner rechten tasche habe ich eine tüte bonbons, aus der schon 3 gegessen sind. in der linken tasche habe ich eine noch volle tüte. wenn ich aus der rechten noch 7 bonbons nehme und sie in djie linke tasche lege, dann hat es dort doppelt so viele bonbons wie rechts. wie viele bonbons hat es in der vollen tüte??
  • jemand hat sich verdächtig ums auto geschlichen
  • Herr Wesemann
  • christopf wesemann
  • mein neuer freund ist im urlaub in argentinien und meldet sich nicht
  • blick am abend kuss buenos aires
  • berliner angebissen
  • klapsmühle argentinien
  • bauplan argentinischer grill
  • papst ruft seinen zahnarzt in argentinien an
  • woran erkenne ich einen gehweg parkplatz pflasterwechsel
  • der mann der sich 38 jahre nicht geduscht hat
  • warum steht bei den argentinischem trikot kein name hinten dran
  • indianerkopf fussball
  • que significa nicht verstehen. er kommt aus argentinien.
  • »mach mir ein kind«
  • botox unfälle
  • heino nudel
  • was heisst gerne zwei spurig fahren
  • kein radio im auto aber nen kühlschrank finste lustig
  • pille in buenos aires kaufen
  • ich esse nie wieder einen pfirisch sagte er
  • mein sohn liebt eine argentinierin
  • woran ist zu erkennen, dass es jemand mit dem duschen übertrieben hat
  • Speiseplan Kindergarten.

Und natürlich, aber das war ja klar:

  • kalauer beispiel

(Alle Fehler sind original.)

Haste ma‘ ’nen Messi?

von CHRISTOPH WESEMANN

Den Einzigartigen gibt es jetzt zweimal: Weil der Dollar auf dem Schwarzmarkt demnächst wohl zehn Peso kosten wird, nennt man ihn schon »Messi«. Die Logik: Floh Leo hat die Rückennummer 10, und überhaupt ist ja alles Fußball in Argentinien. Der offizielle Wechselkurs von fünfkommairgendwas ist nur noch ein Witz, ein unterirdischer. Denn der Kurs, zu dem man überhaupt noch an Dollar kommt, liegt 80 Prozent höher.

Doppelmessi

Tja, es sind verrückte Zeiten, mal wieder. Der Wirtschaftsminister stammelt im griechischen Fernsehen, weil ihm zur Inflation nichts einfällt – nicht mal deren Höhe. »Me quiero ir, si, me quiero ir«, sagt er. »Ich will gehen, ja, ich will gehen.« Leute, die die Regierung nicht mehr so mögen, und das sind inzwischen eine Menge, haben nichts dagegen. »Ja, dann geh doch!« Aber das ist alles noch vergleichsweise harmlos. Denn die Regierung steht schwer unter Verdacht, und die Spuren führen bis zur Präsidentenfamilie: Angeblich mit Wissen Cristina Kirchners sollen in der Pinguinprovinz Santa Cruz, der Heimat des Staatsoberhauptes, über Jahre millionenschwere Bauaufträge an Freunde gegangen sein. Außerdem: Geldwäsche im großen Stil, mal in Uruguay, mal – na klar – in der Schweiz. Die Rede ist vom »Weg des Kirchnergeldes«.

Aufgedeckt hat den Skandal maßgeblich Jorge Lanata in seiner Sonntagabendsendung Periodismo para todos (Journalismus für alle). Heute wurde er im Radio gefragt, ob es übermorgen neue Enthüllungen gebe. Lanata sagte, sinngemäß: Es geht jetzt erst los.

Als die Präsidentin vor ein paar Tagen in Santa Cruz unterwegs war, rief eine Frau aus der Menge: »Vorsicht, sie stehlen!« Kirchner antwortete: »Niemand wird irgendwas stehlen, bleib ruhig, Liebste!« Dann zitierte sie noch Juan Domingo Perón, den Überpräsidenten von einst: »Wir alle sind gut, aber wenn wir uns kontrollieren lassen, sind wir noch besser.«

Sonst was Neues? Ja, der andere Jorge, der ausgewanderte, wird sich demnächst eine Putzfrau zulegen. Die Präsidentin glaubt nämlich, er habe schon eine, und weil er nicht weiß, wie er nachweisen soll, dass er keine hat, wird er bald eine haben. Glaube ich. Was sich die argentinische Regierung da wieder ausgedacht hat, steht jedenfalls drüben bei Jorge. Schon vor längerer Zeit hat er beschrieben, wie irre das mit dem Dollar ist. Ich empfehle dringend, auch die Kommentare zu lesen. Wer alles versteht, muss mit Stephen Hawking oder Bill Gates verwandt sein. Bei mir war’s extrem knapp.

Aber nun bereiten wir uns bitte auf den Sonntag vor. So schlimm kann keine Regierung sein, dass wir den Superclásico vergessen. Die Boca Juniors empfangen River Plate, den Erzfeind aus dem edlen Stadtviertel Nuñez, und ich bin grenzenlos optimistisch. Wir haben nämlich am Mittwochabend in der Copa Libertadores, der südamerikanischen Champions League, gegen Corinthians Paulista gespielt und die brasilianische Supertruppe aus dem Stadion gefegt1. Wir sind so gut drauf, wir würden sogar Bayern und Dortmund bezwingen, also jedenfalls die U-23. Der Schiedsrichter der Partie heißt übrigens Delfino mit Nachnamen und Germán mit Vornamen.

Sohn und ich brauchen nur noch einen Plan, um den Kindergeburtstag der Vierjährigen am Sonntagnachmittag zu schwänzen. Zwei Männer gegen acht Mädchen – nein!

  1. 1:0 []

Pablo und die komplexe Minderwertigkeitskolumne

von CHRISTOPH WESEMANN

Mein Nachbar Pablo versteht nicht, dass ich diese Matetasche aus echtem Kunstleder vom Markt im Rivadavia-Park unbedingt gebraucht habe. Dabei hat sie umgerechnet nur zwölf Euro gekostet. Und wie soll man außerdem alles transportieren, was man braucht, um unterwegs Mate zu trinken: die Thermosflasche, das Yerbakraut, den Trinkhalm, den Becher?

Matekram

Ich kann es aber Pablo sowieso nie recht machen. Wenn ich beim Sprechen argentinisch gestikuliere, also die Fingerkuppen zusammenführe und die Hand aus dem Gelenk unentwegt schüttele, weil mir das hilft, die Wörter zu finden, regt er sich auf. Wenn ich dann nicht gestikuliere, versteht mich Pablo nicht – und regt sich auch auf.

geste neu

Ein Deutscher, der schon ein paar Jahre in Buenos Aires lebt, hat mir neulich seine argentinische Theorie vorgestellt, die im Kern besagt, dass zwei Argentinier (oder mehr) auf einem Haufen für Nichtargentinier schwer erträglich seien. Die Formel lautet entsprechend:

• 1 Argentinier = 1 Mensch

• 1 Argentinier + 1 Argentinier = 2 Größenwahnsinnige

• x Argentinier + x Argentinier = x+x Größenwahnsinnige.

Ich halte die argentinische Theorie für unausgereift. Sie berücksichtigt zum Beispiel nicht den so genannten Pablofaktor.

»Häng einem Ausländer eine Matetasche um, und er denkt, er wäre Argentinier«, sagt Pablo.

Ich gebe übrigens zu: Ich habe die Matetasche vor allem für die Zeit gekauft, wenn ich wieder in Deutschland lebe und sonnabendnachmittags in meine kleine Charlottenburger Kneipe gehe, um die Bundesligakonferenz auf Sky zu gucken.

Ich habe meinen Auftritt bereits geplant und auch die Dialoge vorgeschrieben. Ich werde, egal wie heiß es gerade ist, den schwarzen Poncho und den schwarzen Lamahirtenhut tragen, die ich mit Herrn T. in La Quiaca (Bolivien) gekauft habe. Dann trete ich ein, puh, stinkt das hier, und meine Augen brauchen auch ein Weilchen, bis sie den Zigarettenqualm durchschaut haben. Ganz so schlimm ist es nicht, aber als großer Theaterfreund weiß ich natürlich: Hetzen lassen sich nur die Nebendarsteller.

»Dass ihr euch immer so groß machen müsst, ist nicht angenehm«, sagt Pablo. »Und uns erreicht ihr ja sowieso nicht.«

Poncho

Ich sehe den Tisch von Gabi, die in einem Spandauer Blumengeschäft arbeitet, und von Peter, der nicht arbeitet. Gabi ist wieder direkt von der Arbeit gekommen und trägt noch ihren Fleurop-Pullover. Sie wird in den nächsten zwei Stunden fünf Tassen Kaffee trinken und bei jedem Dortmunder Tor schreien. Was sie ganz besonders nicht mag: Tore der Bayern, Tore der Schalker und Kneipengäste, die nicht über Fußball reden oder von ihr jetzt, nach Feierabend, wissen wollen, wie man Orchideen umtopft.

Peter fährt viel Fahrrad und betreut als Co-Trainer eine Fußballmannschaft, E-Jugend. Michael Ballack, der Micha, ist sein Allzeitheld, und jedes Mal, wenn einer zu lange mit dem Ball läuft, wird Peter den Fernseher anbrüllen: »Spiel doch ab, du Idiot!« Schon vor dem Anpfiff schaut er alle drei Minuten auf seinen Wettzettel. Die Bayern müssen heute zu Hause mit drei Toren Unterschied gegen Braunschweig verlieren. Aber Braunschweig kann befreit aufspielen, die Mannschaft steht ja schon seit fünf Wochen als Absteiger fest. Dann noch zwei Spiele, in denen jeweils mehr als sechs Tore fallen, aber bitte nicht alle in der ersten Halbzeit, plus ein Doppelpack des Stürmers, der seit Monaten nicht getroffen hat, und wenn die vier anderen Partien enden, wie Peter das annimmt, dann hat er aus fünf Euro 1628,34 gemacht. Seinen Gewinn wird er aber erst am Montag im Wettbüro abholen, denn gleich morgen, das wäre viel zu riskant. Die anderen denken ja, dass er gleich am Sonntag das Geld abholt, also denkt er, Peter, gar nicht dran.

Der Stuhl zwischen Gabi und Peter ist frei. Mein Platz. Ich gehe ein paar Schritte und grüße unterwegs den Mann hinterm Tresen: »Wie geht’s dir, Horst?«

»Hä?«

»Du erinnert dich nicht an mich, oder? Bin ’ne Weile weggewesen. Argentinien.« Kurze Pause. Das Wort muss ja erst wirken. »Ich war der mit der Cola. Ohne Glas. Aus der Flasche. Macht’s jetzt klick?«

»Jut«, sagt Horst, »ick bringse dir.«

»Nein, keine Cola mehr. Ich brauch heißes Wasser«, sage ich und hole die Thermoskanne aus meiner Matetasche. »Aber kochen darf‘s nicht, 75 Grad, ja? Und bisschen kaltes Wasser, bitte. Der erste Mateschluck darf nämlich nicht heiß sein.«

Dann werde ich schlürfen und mich demonstrativ nur mäßig interessieren für die Bundesligakonferenz, und das nicht nur, weil die Boca Juniors gleichzeitig spielen, was ich per Live-Ticker möglichst unauffällig, also so, dass es wirklich jeder mitbekommt, auf dem Handy verfolge. Hin und wieder werde ich murmeln, dass es der deutsche Fußball in punkto Leidenschaft gar nicht mit dem argentinischen aufnehmen könne.

»Argentinier kann man nicht kopieren«, sagt Pablo. »Der liebe Gott hat uns mit einem Kopierschutz ausgestattet.«

Als die Mauer fiel, war ich elfeinhalb. Bis dahin hatte ich die DDR zweimal verlassen, 1985 und 1988, immer Tscheh-ess-ess-ärr. Von der Welt kannte ich Prag, Bratislava und Mladá Bodeslav. Wenn ich heute, beinahe ein Vierteljahrhundert später, mittwochnachts um halb elf vom Fußballspielen nach Hause fahre und mich im Radio zufällig das falsche, also richtige Lied erwischt, muss ich manchmal schlucken. Vor Glück, dass ich hier lebe, vor Glück, dass ich gerade mit neun Argentiniern unter Flutlicht in einem Käfig gekickt habe, vor Glück, dass ich in diesem Augenblick am berühmten Monumental vorbeirolle, dem Stadion des Klubs River Plate, und natürlich vor Glück, dass mein Herz einem anderen Verein gehört. All das und noch viel mehr war doch bei meiner Geburt überhaupt nicht vorgesehen.

 

»Schön, dass du wieder da bist, mein Großer«, wird Gabi in der Halbzeitpause sagen. »Der ganze Kiez, vom Klausenerplatz bis zur Schustehrusstraße, hat übrigens dein Argentinisches Tagebuch gelesen, jede einzelne Kolumne, sag ich dir. Und wir haben dich bewundert, wie du klargekommen bist da am Ende der Welt, du warst ein richtiger Argentinier. Die Leute in Buenos Aires haben dich ja überhaupt nicht mehr als Ausländer wahrgenommen.«

»Das lag doch nur daran, dass ich akzentfrei spanisch gesprochen habe.«

»Nee, nee, Großer, nicht so bescheiden, das lag nicht nur daran. Da gehört schon mehr dazu. Wahnsinn, oder, Peter?«

»Absolut, Gabi. Einfach war das bestimmt nicht.«

»Ach, na ja, nun übertreibt mal nicht.«

»Schwachkopf, das Ding leih ich mir mal aus, brauchst du ja sowieso nicht«, sagt Pablo.

Der Test: Haben Sie das Zeug zum argentinischen Wirtschaftsminister?

von CHRISTOPH WESEMANN

Stellen Sie sich vor, Sie sollen einer griechischen Journalistin ein Fernsehinterview geben. Es ist klar, worum es geht: Wirtschaft. Argentinien stand 2001/2002 dort, wo Griechenland heute steht: kurz vor der Pleite. Argentinien hat sich wieder aufgerappelt und könnte vielleicht ein Vorbild für Griechenland sein. Die Journalistin ist nicht blöd. Sie sagt, sie habe eine »einfache Frage«, die aber in Ihrem Land momentan »ziemlich kompliziert« sei. Sie fragt: »Wie hoch ist die Inflation gerade?«

Natürlich wissen Sie, dass die Inflation in Argentinien ein Thema ist, das die Leute besonders aufregt und sogar zum Protestieren auf die Straße treibt. Sie wissen auch, dass die offiziellen Angaben der Regierungsbehörde Indec nicht stimmen und die Inflationsrate in Wahrheit bei 20 bis 30 Prozent liegt. Genauer weiß man es nicht, weil die unabhängigen Institute ihre Statistiken ja nicht mehr veröffentlichen dürfen.

Wie reagieren Sie auf die Frage nach der Inflationshöhe?

a) Sie haben diese Frage natürlich lange vorher gerochen. Also sind Sie vorbereitet, bleiben locker und labern gekonnt am Thema vorbei. Sie jonglieren mit eigenen Zahlen, die vielleicht nicht stimmen, aber schön verwirren, ablenken und sich auf die Schnelle nicht überprüfen lassen. Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner macht das in ihren Volksreden auch so. Sie wissen: Wer nicht verstanden werden will, kann gar nicht genug Zahlen präsentieren. Sie wechseln so schnell vom Agrar- zum Automarkt und wieder zurück, dass jedem Zuhörer schwindelig wird. Außerdem flirten Sie noch ein bisschen mit der Journalistin. Die ist nicht ganz Ihr Typ, aber was macht man nicht alles fürs Vaterland.

b) Mit dieser Frage haben Sie nun gar nicht gerechnet. Wie kommt die Tante nur darauf? Aber Sie versuchen trotzdem zu antworten und sagen, dass die Inflation von der Behörde Indec monatlich gemessen werde. Von ihr stamme »die einzig mögliche Inflation«. Als Sie jedoch nach der Höhe der offiziellen Inflationsrate gefragt werden, geraten Sie ins Schwimmen: »Äh, das hängt davon ab«, sagen Sie. »Ich glaube, 10,2 Prozent jährlich akkumuliert, bei den Dezimalstellen kann ich mich irren.«

Die Journalistin will jetzt auch noch über den Internationalen Währungsfonds sprechen, der Argentinien wegen der Inflationsschummelei mit Strafen gedroht hat. Sie merken natürlich, dass Ihnen das Gespräch gerade entglitten ist, schütteln sich aber und nehmen einen neuen Anlauf. Es lässt sich sicher alles klären. Oder? »Schauen Sie, ich wiederhole, ich glaube, äh, das ist ein … ich weiß nicht … können wir kurz abbrechen?« Sekunden später, als die Kamera wie gewünscht von Ihnen weggeschwenkt ist, sagen Sie: »Ich möchte gehen, ja, ich möchte gehen. Und außerdem, ehrlich, über die Inflationsstatistik in Argentinien zu reden ist ein komplexes Thema, okay?«

Aber Sie haben ja eine Referentin dabei, die Ihre peinliche Vorstellung mitbekommen hat und versuchen wird, noch etwas zu retten. Nicht, dass Sie am Ende noch zur Witzfigur bei Youtube werden. Man kann ja so ein Gestammel auch wunderbar mit Musik unterlegen, da wirken Sie dann gleich doppelt lächerlich. Sicher wird Ihre Referentin wissen, dass das Mikrofon noch angeschaltet ist. Hören wir mal zu, was sie der griechischen Journalistin nun sagt: »Im Ernst, über Inflation reden, wo wir doch nicht einmal mit den argentinischen Medien über die Inflation reden …«

Auswertung

a) Sie haben das Zeug zum Politiker.

b) Sie sind Hérnan Lorenzino, Argentiniens Wirtschaftsminister

 

 

 

 

 

 

El peluquero y el filósofo

von CHRISTOPH WESEMANN

Mi corte de pelo – no quiere que lo llamen peinado – desde ayer me está exigiendo una explicación.

Oldells Boys

Tal vez debí haber estado advertido. Por un lado, el cliente anterior dejó unos tres kilos de rulos negros en el piso del salón – supuestamente porque es periodista y tiene poco tiempo para ir a la peluquería, según dijo más tarde Julio, el hombre de las tijeras.

Por otra parte, había fotos en la pared junto al espejo: el seleccionado de fútbol uruguayo y el Presidente uruguayo José Mujica.

Mujica

Mujica, llamado El Pepe, cultiva flores, es un ex – guerrillero del movimiento de liberación tupamaro y ateo. Su auto privado es un VW escarabajo y como limusina oficial le gusta utilizar un Opel Corsa. Calienta el agua para el mate en una caldera abollada y dona el 90 percentos de su sueldo de 12 500 dólares a pequeñas empresas y ONGs.

Recientemente ofendió a la Presidenta argentina Cristina Fernández de Kirchner y a su fallecido esposo Néstor. Supuestamente no sabía que el micrófono estaba abierto cuando dijo »Esta vieja es peor que el tuerto. El tuerto era más político, esta es terca.«

 

»¿Sos uruguayo?« le pregunté a Julio, mi nuevo peluquero, a quien descubrí casualmente en el barrio de Almagro, donde el niño de 7 y la niña de casi 4 estudian ruso los miércoles.

»Sí. Pero ya hace muchos años que vivo en Buenos Aires.«

»Esta mañana no me lavé el pelo. ¿Te molesta?«

»Pero no … ningún problema.«

Entonces Julio comenzó a cortarme los dos centímetros que habíamos acordado, contándome al mismo tiempo acerca de dónde en Uruguay podría pasar las mejores vacaciones. Fue a buscar un mapa, paseó con su dedo índice por la costa atlántica hasta Castillos y me recomendó por último que sentara base en Aguas Dulces. Supuestamente sería una playa sin gente, un pueblito paradisíaco, algunos restaurantes y la laguna de Castillos: »¡Un sueño! Cuando quieras ir vení antes por aquí que te ayudaré a encontrar algo bueno.«

O nuestra conversación duró demasiado, o los peluqueros uruguayos no dominan el sistema métrico.

Para los supuestos dos centímetros menos de cabello que debía tener, mi cabeza había quedado demasiado calva.

»¿Te gusta vivir aquí?« pregunté como para despedirme.

»Sí, mucho, Buenos Aires es una ciudad maravillosa«, dijo Julio. »¡Ay, si no hubiera tanta delincuencia!«

»¿Está empeorando?«

»Sí.«

»¿Por qué?«, pregunté. »¿Demasiados pobres?«

»No.«

»¿No?«

»Demasiados ricos.«

(Según Wikipedia, Aguas Dulces tiene »417 habitantes, de los cuales 215 son hombres y 202 mujeres«.)

◊◊◊◊◊

Muchísima gracias a mi lectora Moníca por la traducción del texto Phriseur y Filosoph.

Papa allein zu Haus: Eine Prügelei, ein Schwein mit Trikotsponsor und das Winkebaby

von CHRISTOPH WESEMANN

Ich bin erst zwei Tage allein mit den drei Kindern, das ist noch nicht einmal Halbzeit. Aber zum Glück habe ich alle im Griff.

◊◊◊◊◊

In der Küche, wo ich abwasche, erreichen mich Schreie aus dem Wohnzimmer. Ich klappere ein bisschen mehr mit dem Geschirr, vielleicht hilft das ja. Nein, die Schreie werden lauter, ich identifiziere: die Stimmbänder der fast Vierjährigen.

»He! Was ist da los?«

»Papa, er haut mich.«

Kurzes Nachdenken. Selbstgespräche ohne Ton. Ich sollte endlich etwas essen, oder? – Aber du wäschst doch gerade ab. – Trotzdem. Ich habe Hunger. – Ist sowieso nichts da. – Sag das doch gleich.

»Hau zurück.«

Der Kampf geht über mehrere Runden. Kein eindeutiger Sieger.

◊◊◊◊◊

Der Siebenjährige hat im Deutschunterricht am Internationalen Tag des Buches (23. April) ein Schwein basteln müssen. (Nein, was ein Schwein damit zu tun hat, kann ich nicht erklären. Ich wüsste es aber auch gern.) Ich lasse mir das Arbeitsheftchen zeigen.

Titelblatt: »Wir malen ein Schwein.«

Seite 2: »Wir malen drei Kreise auf das Blatt.«

Seite 3: »Dann malen wir vier Punkte.«

Die Aufgaben mögen für Zweitklässler etwas sehr leicht wirken, aber es sind ja argentinische Zweitklässler, die Deutsch lernen. Ich nehme zum Beispiel an, dass bei mir – wären das spanische Sätze – am Ende eine Giraffe herauskäme. Oder ein Nashorn.

Seite 4: »Wir malen zwei Dreiecke.«

Seite 5: »Und nun malen wir zwei Vierecke.«

Seite 6: »Am Ende malen wir einen Kringel.«

Rückseite: »Jetzt basteln wir zusammen ein buntes Schwein!«

Das Sohnschwein heißt Lloyd und sieht so aus:

Boca Schwein

Lloyd trägt das Trikot der Boca Juniors, ganz eindeutig. Sein Verein. Mein Verein. Unser Verein. Sogar an den Trikotsponsor hat mein Sohn gedacht. Aber Schwein bleibt Schwein. Ich weiß nicht, ob das bei dem Burschen was Harmloses ist – vielleicht Unterbelichtung im Oberstübchen – oder eher was Dramatisches: Vereinswechsel.

 

◊◊◊◊◊

Die Rothaarige ist fasziniert von den chinesischen Winkekatzen, die in vielen Schaufenstern stehen, es gibt ja auch viele Chinesen. Manchmal schauen wir minutenlang zu, wie die kleinen Goldviecher hinter der Scheibe den Arm auf und ab bewegen. Man trifft in Buenos Aires eigentlich keine Katzen, vielleicht wegen der vielen Chinesen. Hunde gibt es allerdings genug.

Wenn wir weitergehen, frage ich: »Macht die Katze miau

Die Rothaarige schüttelt den Kopf, sagt »no«, ballt die Faust und winkt mit dem Arm.

Phriseur und Filosoph

von CHRISTOPH WESEMANN

Seit gestern 15 Uhr (Ortszeit) sagt mir mein Haarschnitt, der übrigens nicht »Frisur« genannt werden will, er bestehe darauf, erklärt zu werden. Ich versuch‘s.

Vielleicht hätte ich gewarnt sein sollen. Zum einen hatte der Kunde vor mir schätzungsweise drei Kilogramm schwarzer Locken auf dem Boden des Salons zurückgelassen – angeblich, weil er Journalist ist und wenig Zeit für Friseurbesuche hat, wie Julio, der Scherenmann, später erzählen sollte. Zum anderen waren da die Fotos an der Wand neben dem Spiegel: Uruguays Nationalmannschaft und Uruguays Präsident José Mujica.

Mujica, genannt El Pepe, ist gelernter Blumenzüchter, Ex-Guerillero der kommunistischen Befreiungsbewegung Tupamaros und Atheist. Er fährt privat VW-Käfer und nutzt als Dienstlimousine gern einen Opel Corsa. Sein Matewasser erwärmt er in einem ollen Kessel, und er lebt von 1500 Dollar im Monat, weil er fast 90 Prozent seines Präsidentengehalts (260 259 uruguayische Pesos, 12 000 Dollar) Betrieben und Nichtregierungsorganisationen spendet.

Gerade hat er die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner beleidigt – und deren verstorbenen Mann und Amtsvorgänger Néstor gleich mit. Angeblich wusste er nicht, dass das Mikrofon offen ist, als er sagte: »Die Alte ist schlimmer als der Einäugige. Der Einäugige war politischer, sie ist störrisch.« Mujica entschuldigte sich ein bisschen, wurde aber mit der uruguayischen Variante von Eber an stolzer Eiche auch pampig:»Was kümmert den Tiger schon ein weiterer Streifen?«

 

»Bist du Uruguayer?«, fragte ich Julio, meinen neuen Herrenfriseur, den ich zufällig im Stadtviertel Almagro gefunden hatte, wo der Siebenjährige und die fast Vierjährige zweimal die Woche Russisch lernen.

»Ja. Aber ich lebe schon viele Jahre in Buenos Aires.«

»Ich habe meine Haare heute Morgen nicht gewaschen, stört dich das?«

»Gar gar kein Problem.«

Dann begann Julio, mir die vereinbarten zwei Zentimeter abzuschneiden, und erzählte dabei, wo ich in Uruguay am besten und schönsten den nächsten Urlaub verbrächte, er holte eine Landkarte, reiste mit seinem Zeigefinger an der Südatlantikküste entlang bis nach Castillos und empfahl schließlich, in Aguas Dulces Quartier zu nehmen. Menschenleer sei dort der Strand, ein paradiesisches Dörfchen, ein paar Restaurants, und die Lagune von Castillos – ein Traum! »Wenn du hinfahren willst, komm vorher vorbei, ich helf dir, was Gutes zu finden.«

Entweder hat unser Gespräch ein bisschen zu lange gedauert, oder aber uruguayische Friseure haben es nicht so mit dem Metrischen Einheitensystem. Für angeblich zwei Zentimeter weniger Haar war mein Kopf jedenfalls viel zu kahl.

»Gefällt’s dir eigentlich hier?«, fragte ich zum Abschied.

»Ja, sehr, Buenos Aires ist eine wunderschöne Stadt«, sagte Julio. »Wenn nur die Kriminalität nicht wäre!«

»Wird’s denn schlimmer?«

»Ja.«

»Warum?«, fragte ich. »Zu viele Arme?«

»Nein.«

»Nein?«

»Zu viele Reiche.«

◊◊◊◊◊

Aguas Dulces hat laut Wikipedia »417 Einwohner, davon 215 männliche und 202 weibliche«.

Cristina twittert sich aus

von CHRISTOPH WESEMANN

Diese Präsidentin ist einfach sensationell. Während augenblicklich im ganzen Land Hunderttausende gegen ihre Regierung protestieren und die Oppositionsparteien zum ersten Mal mitmachen, twittert Cristina Fernández de Kirchner (1 872 527 Follower) wie eine Süchtige – und ignoriert den Massenaufmarsch. Stattdessen verkündet sie: »Wir bauen das Gebäude der Kunstschule. Es wird finanziert vom Ministerium für Entwicklung und gebaut von den Arbeitskollektiven.«

Zwischenstand um 21.41 Uhr: 44 Tweets von Cristina in einer Stunde. Nein, die Präsidentin lässt nicht twittern. Sie macht das wirklich selbst.

Clarín, Argentiniens größte Tageszeitung, zählt übrigens live die Massenprotest-Tweets auf Twitter. Ich finde das eine grandiose Idee.

Twitter

Kinderquatsch mit Messi, der Mama von Fran und Onkel Siggi

von CHRISTOPH WESEMANN

Das fast vierjährige Vorschulmädchen schaut mit mir im Sportkanal Barcelona gegen Paris St. Germain, das Viertelfinalrückspiel der Champions-League. Barca liegt 0:1 zurück und braucht ein Tor, um das Halbfinale zu erreichen. Lionel Messi, als erster Spieler viermal in Folge Weltfußballer, soll eingewechselt werden und beginnt sich warmzuwachen. Der Argentinier ist noch verletzt und darf eigentlich nicht spielen.

 

»Kennst du Messi?«, frage ich.

»Ja!«

»Magst du ihn?«

»Ja!«

»Ist der gut?«

»Hm, ich glaube nicht.«

Zehn Minuten später tritt Messi einmal an, trickst zwei Spieler aus und bereitet den Ausgleich vor. »Einbeiniger Allmächtiger« titelt die Süddeutsche Zeitung zwei Tage später und staunt: Messi habe, obwohl erkennbar geschwächt und kaum fähig zu laufen, die »psychologische Balance des Spiels schlagartig« verändert. »Er kippte sie.« Stürmer David Villa wird mit dem Satz zitiert: »Messi entscheidet ein Spiel mit seiner alleinigen Präsenz.«

◊◊◊◊◊

Wir sprechen über das Verhältnis zu ihrem siebenjährigen Bruder.

»Weißt du, Papa, er sagt zu mir immer blöde Kuh.«

»Echt?«

»Ja. Und das ist doch ein schlimmes Wort, ja?«

»Eigentlich sind das sogar zwei schlimme Wörter.«

»Manchmal nennt er mich auch dumme Kuh

»Echt?«

»Ja!«

»Und was sagst du dann?«

»¡Cállate!« – Cállate heißt: Halt’s Maul!

◊◊◊◊◊

Die Eineinhalbjährige wird im Kindergarten nur Colo gerufen, eine Kurzform des Adjektivs colorado/a, was bunt, obszön und pikant, aber auch rot bedeutet. Ich frage mich natürlich schon länger, warum sie als einzige in der Familie rote Haare hat. Angeblich kommen die von Onkel Siggi, wobei ich auf diversen Familienfeiern nie einen Onkel Siggi getroffen habe. Scheint ein sehr entfernter Verwandter zu sein.

Die Rothaarige könnte außerdem allmählich anfangen zu sprechen. Sie versteht sehr viel, beherrscht aber bislang nur vier Wörter: hola, mamá (wie im Spanischen endbetont), Kitty und no. Die Kommunikation mit ihr ist nicht immer ganz einfach, obwohl ich sogar bilingual unterwegs bin.

»Hunger?«

»No.«

»Willst du was trinken?«

»No.«

»Queres tomar algo?«

»No.«

»Gibst du mir einen Kuss?«

»No.«

»Un beso?«

»No.«

»Soll ich dich küssen?«

»No.«

»Hast du Papa lieb?«

»No.«

»He!«

»Mamá.«

»Hunger?«

»No.«

 

◊◊◊◊◊

Der Siebenjährige erzählt ein paar Tage lang immer wieder, dass sein Schulfreund Fran ihn zum Spielen eingeladen habe. Es gibt für solche Fälle ein Verfahren: Die Eltern sprechen eine Einladung aus, indem sie entweder anrufen, wenn sie die Telefonnummer haben, oder beim Klassenlehrer einen kurzen Brief abgeben, den der wiederum ins Mitteilungsheft des Eingeladenen legt. Frans Eltern melden sich jedoch nicht. Ich habe die Angelegenheit gerade vergessen, als ich in der Schultasche des Sohnes einen beschriebenen und zum Kuvert gefaltenen Zettel finde:

Hallo Mama von Fran darf ich irgendeinen Tag (unlesbares Wort) bei euch übernachten er kann dann am Sonnabend bei mir schlafen

(Übersetzung von mir)

Brief an Mutter Fran

Im Klassenraum findet er tags darauf zehn Pesos, und vielleicht um Spuren zu verwischen, investiert er sie sogleich am Schulkiosk in Kartoffelchips. Sein Klassenlehrer ertappt ihn und schreibt mal wieder ins Mitteilungsheft. Das Geld gehöre nämlich Alejandro, der es verloren habe und morgen bitte zurückbekomme. »¡Muchas Gracias! Saludos, Juan.«

◊◊◊◊◊

In den vergangenen Wochen hat mein Sohn seinen Schimpfwortschatz erheblich erweitert. Mittlerweile kennt er alle handelsüblichen Beleidigungen und Flüche Argentiniens, und zwar sowohl auf Spanisch als auch auf Deutsch.

Lieber Leser, alter Schwachkopf, Du kannst Dir nicht vorstellen, wie stolz ich bin.


Argentinische Helden

Diego Maradona, gezeichnet von Danü (c)

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Musik: Somos de acá

Steckbrief

Wir sind schnell.
Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geistes-
wissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie.


2012 von Christoph Wesemann in Buenos Aires gegründet. Derzeit im Exil. (Berlin)