Archiv für das Thema ‘Alltag’

Der Ticker zum WM-Finale: Dem Diego Maradona su Wetter

von MARC KOCH & CHRISTOPH WESEMANN

Logo des WM-Tagebuchs - Zeichung: Danü (Daniel Schlierenzauer)

Sonnabend, 12. Juli, 10.30 Uhr

CW Buenas! Cómo andan, gente? Wir melden uns aus Buenos Aires und haben Großes vor, vielleicht auch nur Kleines, aber das würden wir niemals zugeben. Marc Koch und ich versprechen beim Heiligen aller Zauberkünstler, Diego Maradona, die Zeit bis zum Finale der Weltmeisterschaft halbwegs sinnvoll zu verplempern. Vor allem wollen wir uns selbst ablenken – von Langeweile und innerer Unruhe. Hätten wir einen Redaktionsbus, stünde draußen drauf die Parole: »13. Juli 2014 – Maracanã – Bereit wie nie. – Kann man das Finale einen Tag vorziehen?«

Es lohnt sich, heute und morgen immer mal wieder hier vorbeizuschauen. Wir werden tickern, was wir hören, sehen, lesen und erleben. Applaus, Lob und Blumen, Werbeverträge, Kuscheltiere, Telefonnummern und Heiratsanträge sind erwünscht. Fragen, Kritik und Kommentare natürlich auch. Nicht alles wird uns gelingen. Aber mehr über Argentinien vor dem Finale als hier erfahren Sie bei ARD und ZDF ja auch nicht. Jedenfalls habe ich aufgeschnappt, dass sich die Öffentlich-Rechtlichen doch sehr auf die deutsche Elf konzentrieren.

 

 

Blick auf die Uhr, das rechnen wir jetzt schnell im Kopf aus, ¡vamos!, ähm, tja, nein, wir nehmen doch besser die Finger zu Hilfe: noch 24 plus eins, zwei, drei, vier, fünf, fünfeinhalb Stunden. Also 29einhalb Stunden bis zum Anpfiff des WM-Finales zwischen Deutschland und Argentinien.

11.15

CW. Ich schnuppere gerade an meinem Argentinientrikot. Gegen Bosnien am 15. Juno hatte ich es zum ersten Mal an, danach bei jedem anderen Spiel meiner Lieblinge. Sechsmal. Gewaschen wurde es in den vergangenen vier Wochen natürlich nicht, wir Argentinier sind ja abergläubisch. Sollte ich mir morgen vielleicht ein Duftbäumchen (Vanille oder Flieder) umhängen? Ja, sagt die Nase, unbedingt.

11.46

CW. Meine Familie ist übrigens gespalten. Die Frau hält zu Deutschland, der Achtjährige wohl auch, Argentinien ist nur seine zweitliebste Mannschaft. Vielleicht schaffe ich es aber noch, ihn umzudrehen, er wackelt, und ich kann gut verunsichern. Noch am Mittwoch nach dem Halbfinale gegen Holland hatte er auf dem Heimweg verkündet, im Endspiel beiden Teams die Daumen zu drücken. Kinder, pffffff, also wirklich. Am nächsten Tag war er dann wieder bei Deutschland; der aktuelle Stand ist: Er kann auch mit dem Weltmeister Argentinien einigermaßen leben.

Wo steckt eigentlich mein Kollege? Er sollte mich ja irgendwann ablösen, weil ich jetzt ein paar Stunden mit den Kindern unterwegs bin. Wir arbeiten im Schichtbetrieb. Das hat zum einen zeitökonomische Gründe. Zum anderen haben wir nach vier Wochen WM Lagerkoller. Der eine will dem anderen nur begegnen, wenn es unbedingt sein muss. Ich bin letzte Nacht über den Zaun geklettert und habe in der Stadt einen draufgemacht.

Unser Deutscher hat sich wahrscheinlich in der Toilette eingeschlossen. Seine Angst vor Argentinien ist gewaltig, aber psssssssst.

12.40

MC. Haha! Der Chefreporter hier! Kürzel: MC! Lustig, der Herausgeber, oder!? Geht Angstshoppen! Steht also in diesem Hypermarkt in unserem Viertel. Sein kleiner Sohn muss den Einkaufskarren mit Tiefkühlpizza und Quilmes beladen. Währenddessen steht CW vor der Sonderfläche mit weiß-himmelblauen Fanartikeln und überlegt sich, wie er seiner Frau beibringen soll, dass er schon wieder einen Haufen Pesos für den Plunder ausgegeben hat, der am Montag von bolivianischen Altplastikhändlern eingesammelt wird.

13.09

MC. Typisch wieder: Seit Monaten erzählt CW, dass »wir«(also: »er«. Also die Argentinier) Weltmeister werden. Und jetzt, keine 36 Stunden vor dem Finale, geht er EINKAUFEN! Macht sich aus dem Staub. Und ich wieder Sonderschicht. Ohne Bezahlung. Das Honorar geht wahrscheinlich wieder an die im Liegen bloggenden Edelfedern. Dabei zeigt ihm das argentinische Mittelfeldchefchen Mascherano doch, wie man seinen Mann steht: Dem gibt man ne Knarre, und er holt die Malwinen Falklands alleine zurück!

13.15

MC. Immerhin steht CW zu seiner Albiceleste in guten und in schlechten Zeiten. Kann man nicht von allen behaupten: Die hiesige Regierung schickt keinen Repräsentanten zum Finale. Sie wollen ihnen kein Pech bringen. Und so richtig mit Tschingderassabum und Trommeln wird das Team am Montag nur empfangen, wenn es Weltmeister ist. Also nicht.

14.15

MC. Die Wetteraussichten für den Finalsonntag in Buenos Aires. Rudelgucker, aufgepasst: Sieht nicht gut aus. Fritz-Walter-Wetter!

14.32

MC. Vor dem Finale der Männer: Das Frauenfinale. Merkel vs. Cristina. Smokey Eyes gegen Naturlook. Uckermark gegen La Plata. Weltmeisterin gegen Vizeweltmeisterin. So oder so.

14.51

MC. Das Spiel um Platz 3. #NEDBRA. Wird zwei, drei Stunden später angepfiffen: Die Brasilianer müssen noch ihr Tor aufräumen.

Das brasilianische Tor

15.20

MC. Alter, CW hat sie nicht mehr alle! Weil sie auf der Sonderverkaufsfläche im Hypermarkt seines Vertrauens kein Mascherano-Trikot in XXL hatten (seit er mehr Fußball guckt als spielt, hat er zugenommen!), ist er jetzt extra nach Caballito gerammelt. Das ist ein Stadtteil. Und dort, im Parque Rivadavia, gibt es noch Fanartikel. Sicher hat er wieder in die Haushaltskasse gegriffen, während seine Gattin ihre wohlverdiente Siesta gehalten hat.

parque rivadavia 2

MC. Dabei gibt es in diesem Park ausnehmend schöne Statuen zu sehen. Aber für sowas hat ein argentinischer Fußballfan ja kein Auge…

Parque Rivadavia

15.58

MC. In Buenos Aires schüttet es in Strömen, gleich wird dann doch #NEDBRA angepfiffen, verhaltensauffällige junge Argentinier hupen und tröten auf der Straße rum. Da muss ich, vor meinem brabbelnden Kamin, doch gleich an den großen Eric Meiijer denken und den jungen Leuten da unten (und CW natürlich auch!) zurufen: »Nichts ist scheißer als Platz 2!«

16.06

MC. Doch. Arjen Robben fällt ein, dass es doch noch was Scheißeres als Platz 2 gibt. Gleich mehr dazu aus Brasilia…

16.21

CW. Mann, Mann, Mann, sieht das hier aus. Da gibt man dem Chefreporter die Schlüssel und muss hinterher erst mal aufräumen. Hässliche Anführungsstriche. Kleine Bilder. Falsch positionierte Kürzel. Ans Telefon geht er natürlich nicht. Bin gleich wieder da.

16.27

CW. Nichts als Ausreden. Schlimmer als jeder Argentinier. Na ja, Journalist.

Auch interessant: was man erfährt, wenn man mit dem Sohn im Auto unterwegs ist. Die Familie hat doch heute Morgen unsere zwei Meerschweinchen zu Freunden gebracht, weil wir ja am Montag für ein paar Wochen nach Deutschland fliegen. Ja, gleich am Montag, zu diesem Thema kommen wir später. Jedenfalls berichtete der Achtjährige, wie sich seine Mama und die Mama seines Schulfreundes gemeinsam über die Väter ihrer Söhne aufgeregt hätten. Weil die – also wir, Jorge und ich – seit Wochen nix anderes als Fußball im Kopf haben.

»Mama ist froh, wenn die WM morgen vorbei ist. Und die Mama von Facu auch.«

»Deine Mama weiß aber nicht, dass ich eine Woche sehr traurig sein werde, falls Argentinien verliert. Und wenn Argentinien gewinnt: das restliche Leben sehr glücklich. Dann werde ich mir ab und zu frei nehmen, um übers Wasser zu laufen.«

»Übers Wasser kann man nicht laufen, Papa.«

»Ein Argentinier dann schon.«

 16.45

CW.  Apropos Mascherano: Der dementiert heute in Olé, Argentiniens großer Sportzeitung. »Ich bin nicht Rambo«, sagt er im InterviewSan Martín will er auch nicht sein. Hübsche Analogie. Nordamerikanischer Befreiungskämpfer mit fünf Buchstaben? Rambo.

Rambo MasChe

17.20

CW. Mascherano ist laut Olé übrigens nicht der beste Spieler des Turniers. Sein Olé-Notendurchschnitt: 7,5 (von 10). Hier die Noten der anderen Spieler, die die Fifa nominiert hat:

  • Robben: 8,2
  • James Rodriguez: 7,9
  • Thomas Müller: 7,4
  • Mats Hummels: 7,1
  • Toni Kroos und Philipp Lahm: 7,0
  • Neymar: 6,7.
  • Messi ist nominiert, aber seine Note finde ich nicht in der Zeitung. Wahrscheinlich: 12,9.

17.31

CW. Der Chefreporter guckt das Spiel um Platz 3 und fragt per Mail: »Ist Heulen eigentlich eine brasilianische Kulturtechnik?«

17.43

CW. Wenn uns jemand von einem Boten zweimal 120 000 Peso (in großen Scheinen!) vorbeibringen ließe, könnten wir noch schnell nach Río de Janeiro düsen. So viel, umgerechnet 11 000 Euro, soll ein Finalticket auf dem Schwarzmarkt maximal kosten. Wir würden natürlich hart verhandeln und uns auch mit Kurve begnügen. Unsere Spesenabrechnung reichen wir nächste Woche nach.

17.45

CW. Wir warten.

17.55 CW. Und wer mir eine echte Freude machen will, der kaufe bitte diesen hübschen Sessel zum Schnäppchenpreis von 2300 Peso:

Sessel

Hoppla, soeben fällt mir ein, dass ich ja versprochen habe, mich tätowieren zu lassen, wenn Argentinien Weltmeister wird. Glatze obendrein, behauptet mein Sohn. ¡Vamos Alemania, carajo!

18.03

CW.  Die Deutschen greifen aber auch zu allen Mitteln. Gerade habe ich die Frau dabei ertappt, wie sie Sohnemanns weiß-himmelblauen Trainingsanzug in die Waschmaschine stecken wollte. Der hat uns doch so viel Glück gebracht am Mittwoch im Elfmeterschießen. Ich frage mich, wie es die Frau geschafft hat, dass er das Ding auszieht. Er war damit zwei Tage in der Schule, er schläft darin, ich kann mir sogar vorstellen, dass die Zwei zusammen baden.

1.03

CW. Rätselhafter Satz in der Süddeutschen Zeitung: »Der Mann mit der Alfredo-Di-Stéfano-Gedächtnisfrisur ist der heimliche Chef in der argentinischen Kabine, was auch daran liegen könnte, dass er vergleichsweise unfallfrei spricht.«

Ich frage mal den Chefreporter, was das heißen soll.

»Meinen sie Dich? Oder den Trainer?«

Nein, Pablo Zabaleta. Die Unverzichtbarkeit des Rechtsverteidigers hat sich mir in sechs Partien nicht erschlossen. Ein paar Mal habe ich sogar schon nach zehn Minuten seine Auswechslung gefordert.

Ich mache für heute mal das Licht aus.

*****

Sonntag, 13. Juli 2014

7.51 Uhr

CW. Buenas! Todo tranquilo? Seit gestern regnet es in Buenos Aires, aber der Morgenkaffee hat weniger bitter geschmeckt als sonst. Ein guter Tag wird das! ¡Vamos Argentina, carajo!

»Todo depende de Messi«, hatte es vor dem Turnier in Argentinien geheißen, von Messi hängt alles ab. Und weil wir aus tiefer Bewunderung Argentiniern alles nachplappern, stand der Satz auch bei uns. Und es stimmte doch: In der Vorrunde schoss der Kapitän Tore und führte seine Mannschaft zum Gruppensieg. Mittlerweile aber überzeugt das Kollektiv. Der Schriftsteller und Fußballpoet Eduardo Sacheri (den wir selbstverständlich bewundern und lesen und dann wieder bewundern usw. usf.), Sacheri sagt heute in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, Argentiniern sei »das Teamdenken schon immer schwergefallen: Als Gesellschaft sind wir individualistisch, chaotisch und ziemlich undiszipliniert. Und so spielen wir auch Fußball«. Im Verlaufe des Turnier allerdings habe sich die Albiceleste jedoch erstaunlich entwickelt. »Unser neuer Stil ist solidarisch, geordnet, geduldig.«

Sacheri tippt übrigens – ich sage doch: guter Mann – auf Sieg ohne Elfmeterschießen. Plappern wir gleich nach.

Und Ihr? Geht’s rein und lest’s Sacheri. Seinen Roman »Papeles en el viento« gibt es – wir sind schlauer als Wikipedia – seit dem vergangenen Jahr auf Deutsch. Titel: »Vier Jungs auf einem Foto«. Eine herrlich absurde Geschichte.

8.07

CW. Vielleicht verdeutlicht das ein bisschen den Stellenwert, den der Fußball in Argentinien hat: Supermärkte sind hierzulande das ganze Jahr über geöffnet, auch an den beiden Nationalfeiertagen (25. Mai und 9. Juli), auch an Weihnachten und Ostern. Heute schließen sie um 13 Uhr unserer Zeit, drei Stunden vor dem Anpfiff des Endspiels. Dann werden auch wir hier einpacken und aufbrechen in Richtung Obelisk. Dort irgendwo versuchen wir dann, einen Tisch zu blockieren. Im Café habe ich neulich mit meinem Sohn das Elfmeterschießen gegen Holland gewonnen, davon können wir jetzt nicht mehr abweichen. Man muss nur früh genug da sein; denn das Café ist einer der Orte, an denen sich der Argentinier besonders wohl fühlt.

Halbfinale 7

Um sieben, halb acht – kein Elfmeterschießen, nein – strömen wir hinaus auf die Avenida 9 de Julio, die breiteste der Welt, und feiern mit Hunderttausenden, nein, wahrscheinlich zwei bis drei Millionen, den dritten Weltmeistertitel.

Ein guter Plan.

8.19

CW. Falls Sie den Chefreporter vermissen: Der hat sich im Abschlusstraining den Zeigefinger gezerrt und will sich nicht fitspritzen lassen. Der ist heute rund um die Uhr für die Deutsche Welle im Einsatz. Ich soll ganz lieb grüßen.

8.40

La Nación, die zweitgrößte Zeitung des Landes, hat den Argentiniern einige der unheimlich witzigen Fantasie-Schlagzeilen von Deutschlands größtem Hetz- und Dreckblatt übersetzt. »Franziskus tritt aus Scham zurück« – »El papa Francisco abdica de la vergüenza«.  Unter dem Text kommentiert einer: »Die Deutschen machen sichere Pläne – und Gott lacht hinter ihrem Rücken. Sie wissen, wie viele Äpfel am Baum hängen. Aber nur Gott weiß, wie viele Äpfel ein Saatkorn gibt.«

9.20

CW. Wenn wir Weltmeister werden, wird es sehrsehrsehr bitter: Am Montag landet die Mannschaft in Buenos Aires, und ich hebe nach Europa ab. Der jährliche Sommerurlaub. Ich hatte schon vor einem Jahr am Esstisch verkündet: »Ich will die WM in Argentinien erleben! Wir fliegen nach dem Endspiel! Argentinien wird Weltmeister!«

So wurde Montag, der Tag nach der WM, gebucht. Vielleicht hätte ich dazusagen sollen: Ein Land feiert so einen Titel und empfängt seine Helden.

Wie es feiern wird! Am Obelisken und überall! Und ich sitze im Flugzeug nach Amsterdam.

9.27

CW. Genial.

 

9.40

CW. Frage an die Experten: Was machen diese Leute hier in Buenos Aires?

Panini-Tausch

Antwort: Sie tauschen Paninibilder.

Zehn Schritte weiter habe ich mich gestern noch abergläubisch verstärkt und für umgerechnet drei Euro bei einem Straßenhändler diesen schönen Rosenkranz mit Papstanhänger gekauft. »Rosenkranz« heißt auf Spanisch übrigens »rosario«, ja, genau wie die drittgrößte Stadt Argentiniens, in der unter anderem Che Guevara, Leo Messi und die drei berühmten Trainer César Luis Menotti, Marcelo Bielsa und Gerardo Martino geboren … ach ja, hatten wir schon.

Rosario mit papa

9.55

CW.  Eine Mail von vorgestern aus Alemania:

Lieber Christoph!

Soeben habe ich aus der Zeitung erfahren, dass in Brasilien eine Großveranstaltung läuft, deren Sinn darin besteht, eineinhalb Stunden lang Lederkugeln in auf Holzrahmen gespannte Fischernetze zu schießen. Als ich weiter las, erfuhr ich, dass die besten zweiundzwanzig Männer aus Argentinien und Deutschland kommen, und dass in den nächsten Tagen die allerbesten elf Männer durch weitere Schüsse in die Fischernetze ermittelt werden.

Beim Lesen dachte ich sofort an Dich. Denn ich meine mich erinnern zu können, dass Du mit großer Begeisterung solche Lederkugelinsfischernetzwettkämpfe verfolgst.

Und da Du ja nun seit einiger Zeit in Argentinien bist, dachte ich, dass Du nun wohl hin und her gerissen sein musst, welcher Gruppe der Lederkugelspieler Du die meisten Schüsse in die Fischernetze wünschen sollst. So wünsche ich Dir trotz dieses Zwiespaltes einen spannenden Endkampf.

Die WM bekommt nicht nur mir nicht.

Noch sechs Stunden. ¡Vamos Argentina, carajo!

Übrigens: kein Regen mehr. Sonnenschein. Dem Diego Maradona su Wetter.

10.23

CW. Relativiert das holländische Dreinull gegen Brasiliens Zehnkampfnationalmannschaft von gestern Abend eigentlich das 7:1 der Deutschen im Halbfinale? Die Frau kam ja von diesem Spiel ganz begeistert nach Hause und fragte, ob ich schon mal dieses tolle Lied gehört hätte. Dann sang sie: »Oh, wie ist das schön.« Natürlich, das Lied wurde schon gesungen, als Uwe Seeler noch spielte. Aber wie sollte ich ihr das sagen? Den kennt sie doch gar nicht.

Wir haben auch die geileren Lieder.

 

Kurze Pause. Muss Olé kaufen.

11.25

CW. Der Oléverkäufer hier im Viertel hat mir gerade die Ohren lang gezogen, weil ich für Argentinien bin. »Patriotismus ist kein Geschäft. Man leugnet nicht sein Vaterland.« Als er nach 15 Minuten beim Wählen als demokratische Pflicht landete, musste ich wirklich los.

11.29

CW. Mein Freund Vicente, der klügste Argentinier unter 30, schickt eine SMS:

Buen día!!! Me levanté de muy buen humor. Ganamos 2:0. – Guten Tag!!! Ich bin mit sehr guter Laune aufgestanden. Wir gewinnen 2:0.

11.50

CW. Ich habe Vicente mal gefragt, welches Bild die Argentinier von Deutschen und Deutschland haben. Hier seine Antwort, die ich übersetzt habe:

Argentinische Oberschicht: hält die Deutschen für sehr gut gebildet und geschäftstüchtig; denkt bei Deutschland an die großen Denker und die bedeutende Kultur; Deutschland ist für diese Argentinier ein Vorbild, das Ideal eines Landes.

Argentinische Mittelschicht/Arbeitklasse: hält die Deutschen für pedantisch, gewissenhaft und extremst pünktlich; kennt bestimmte Marken wie Mercedes und BWM, ohne genau zu wissen, wo die hergestellt werden; verbindet mit Deutschland Strudel oder etwas anderes typisch Deutsches.

Argentinische Unterschicht: hält alle Deutschen für blond, groß und dünn; denkt bei Deutschland an Bier und neuerdings auch an Fußball.

(Hinweis von mir: In Argentinien geht man unbefangener mit dem Schichten-Begriff um.)

12.10

CW. Angestachelt von ihrer Mutter, provozieren die Kinder.

Vizeweltmeisterfahne

12.15

CW. Wie gut hat es unser Chefreporter: Der dreht schon den ganzen Tag unter Argentiniern. Ist bestimmt lustig, oder?

MC. Ja. Lustig. Die haben das Gleiche genommen wie Du. Sie glauben, sie seien Weltmeister.

12.40

CW. Wir kommen allmählich zum Schluss, ich muss los. Ich treffe mich um 14 Uhr unserer Zeit, zwei Stunden vor dem Anpfiff, mit Cristian am Obelisken. Cristian und ich sind im vergangenen Oktober mit zwei Millionen anderen Irren 70 Kilometer von Buenos Aires nach Luján gepilgert, zur Heiligen Jungfrau. Start morgens um halb elf, Ankunft kurz vor halb drei nachts. Ich wollte die Geschichte immer mal erzählen, hatte sie schon fast fertig, dann fiel ein Buch auf den Laptop und zerstörte die Festplatte. Kein Backup, natürlich nicht.

Wallfahrt 3

Wallfahrt 2  Wallfahrt

Wallfahrt 4

Mit Cristian

12.47

CW. Helge, unser Freund vom Blog Me llaman Jorge, hat an uns gedacht und einen wunderbaren Text geschickt, der auf Facebook unterwegs ist. Man kann ihn leider nicht ins Deutsche übersetzen. Es ist eine Erzählung, in der die Namen der argentinischen Nationalspieler ähnliche Wörter ersetzen. Man versteht es erstaunlicherweise trotzdem.

Hoy me desperté Mascherano q nunca, Higuaín q todos los dias, me Lavezzi la cara, me puse las Zabaleta, me preparé el mate con unas hojitas de Romero. Elegí al azar una página de la Biglia q hablaba Dimaria y del Messias, Basanta palabra!!! Me puse mi gran saco Rojo, para salir y me pareció q tenía un Agüero en la manga, Garay q susto!!! No era nada.. En la esquina estaba un Campagnaro querido q Andujar siempre en un Orion, nos desencontramos! Por telefono le dije: te pedi q mes Perez alli!!! Por suerte Rodriguez el del Maxikiosco, le hizo una seña y nos encontramos finalmente frente al Palacio. Mas tarde, café de por medio, le dije entre otras cosas: – mira; no me Gago ante los alemanes… el domingo ganamos, SABELLAAA!!!!

¡Vamos Argentina, carajo!

¡Hasta luego. ¡Nos vemos! Beso grande.

Der Mann Wese und der monotheistische Fußball

von MARC KOCH (Gastbeitrag)

Logo des WM-Tagebuchs - Zeichung: Danü (Daniel Schlierenzauer)

*****

— von Dr. S. F. Roit —

(Vorbemerkung der Redaktion: Seit Tagen beobachten wir seltsame Veränderungen an unserem Herausgeber CW. Wir haben einen der vielen Seelenklempner in Buenos Aires gebeten, sich das mal anzuschauen, und gefragt, ob es ansteckend ist. Hier ist sein Bericht.)

Dass sich der Patient ebenso gerne wie wahrheitswidrig als Argentinier bezeichnet, ließe sich immerhin dadurch erklären, dass er die hervorstechendsten Charaktereigenschaften dieses liebenswerten Pampavolkes wie kein anderer in sich vereint: Er ist bescheiden, zurückhaltend, fleißig und prinzipienfest.

Beunruhigender allerdings erscheint, dass seine Hinwendung zum argentinischen Fußball, die seine Mitarbeiter und Familienmitglieder beklagen, inzwischen verhaltensauffällige Formen angenommen hat. Beispielsweise wird er nicht müde, das Halbfinale #NEDARG zu loben. Natürlich den argentinischen Anteil daran. Zur Erinnerung hier noch einmal die Höhepunkte der Partie:

 

Nein, Ihr Gerät ist nicht kaputt.

Angehörige des Patienten berichten, dass er wiederholt mit schlammigen Schuhen von unterklassigen Fußballspielen nach Hause gekommen sei. Dort habe er sich hinter die hauseigene Parrilla gekauert und seinem Sohn fremd klingende Lieder vorgesungen:

 

Schon aus diesen wenigen Indizien erhellt, dass die empfundene Zurückweisung durch den Schwiegervater (man beachte auch den Titel dieser zweifellos vom Patienten als therapeutisch erachteten Schrift!: „Drei offene Rechnungen“!!!), dieser Schwiegervater also, der, obgleich viel älter, mühelos eine Schwalbe von einem fälligen Strafstoß unterscheiden kann, nicht alleine Grund für die aktuelle Störung ist.

In seiner vielbeachteten Studie »Das Tabu des Totems als Torpfosten« (Manchester 1962) schreibt der sympathische Autor W. Rooney mitfühlend: »Aber man wird sich durch kein Beispiel bewegen lassen, die Wahrheit zugunsten vermeintlicher nationaler Interessen zurückzusetzen, und man darf ja auch von der Klärung eines Sachverhalts einen Gewinn für unsere Einsicht erwarten.«

Wir haben bereits an anderer Stelle nachgewiesen, dass Moses kein Argentinier, sondern Ägypter war. Und so wie Moses sich seines Bruders Aaron bedienen musste, wenn er zu den Argentiniern sprechen wollte, so muss sich der Patient heute seiner Kinder bedienen, wenn er sich mit Argentiniern verständigen möchte.

An dieser Stelle bricht der Bericht ab, der Seelenklempner musste Fanartikel fürs Finale kaufen gehen. Gerade ruft der Hausmeister im Büro an. Keine Heizung bis zum Tag nach dem Finale, schafft er nicht mehr. Ist ja auch nur Juli. Aber Weltmeister werden wollen. Der Herausgeber CW schaut sein argentinisches Lieblingsspiel auf DVD. Seine Augen leuchten wie die Fenster brennender Irrenhäuser. Fußball ist schön.

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Marc Koch ist Lateinamerikakorrespondent der Deutschen Welle und lebt in Buenos Aires.

Drei offene Rechnungen

von CHRISTOPH WESEMANN

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Der gewöhnliche Argentinier weiß zwar nicht mehr, was er gestern auf der Arbeit gemacht hat – mutmaßlich: nichts (der Faule) bis nicht viel (der Fleißige), es ist ja Weltmeisterschaft, amigo. Aber an diesen Elfmeter von Rom, an den erinnert er sich. Er kann die Hanauer Schwalbe, Rückennummer 9 so detailgetreu schildern, als hätte sich Rudi Völler erst vor fünf Sekunden fallen lassen – hier, direkt vor unserem Argentinier mit dem Elefantengedächtnis. »Se tiró!« Ganz klarer Fall. »Er hat sich hingeworfen.«

 

Die Fußballfachwelt, die naturgemäß nur aus Argentiniern bestehen kann, ist sich weitgehend einig, dass der Sieg der deutschen Mannschaft bei der Weltmeisterschaft 1990 in Italien glücklich bis unverdient war. Man muss nur schauen, welcher der beiden Kontrahenten die schwierigeren Aufgaben bis zum Finale zu lösen hatte. In der Vorrunde trifft Deutschland auf Jugoslawien, Kolumbien und Scheiche. Nach zwei Siegen und einem Unentschieden ist der Weg ins Endspiel schon so gut wie frei – es kommen nur noch die Niederländer (Achtelfinale), die Tschechoslowaken (Viertelfinale) und die Engländer (Halbfinale). Argentinien indes hat mit der Sowjetunion, Rumänien und Roger Milla eine sogenannte Todes- oder auch Hammergruppe erwischt, setzt sich aber durch. Um ins Finale zu kommen, muss das Team von Dr. Bilardo dann nacheinander den Rekordweltmeister Brasilien, das saustarke Jugoslawien und Gastgeber Italien ausschalten. Das gelingt, aber ganz offensichtlich soll Argentinien 1990 nicht Weltmeister werden.

Ich weiß übrigens noch, wie ich, damals zwölf Jahre alt, meine Eltern sofort und ohne Zeitlupe auf Völlers Schwalbe hingewiesen hatte: »Kein Foul von Roberto Néstor Sensini, Ball gespielt, muss er einfach sehen, der Schiri, stand doch gut.«

*****

Wir müssen auch über 2006 reden. Berliner Olympiastadion. Viertelfinale. Ich stehe mit meinem Schwiegervater, der mich noch nicht so gut kennt und deshalb glaubt, mich zu mögen, in der argentinischen Kurve. Wir gehen kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit in Führung, wir sind überlegen, Deutschland rennt nur hinterher, und dann wechselt Trainer José Pekerman in der 72. Minute Juan Román Riquelme aus. Unser Mittelfeldgenie ist der Mann des Spiels, es könnte Románs Turnier werden, er ist nämlich in der Form seines Lebens. Aber Pekerman nimmt ihn runter und bringt, nein, nicht den gerade 19 Jahre alt gewordenen Wunderknaben Lionel Messi. Es kommt Esteban Cambiasso, der später den letzten Elfmeter verschießen wird. Kollektives Kopfschütteln in der Kurve. Der Argentinier rechts neben mir will irgendetwas, ich spreche aber kaum Spanisch. »He Schwachkopf«, sagt er vielleicht und meint damit mich, »was macht dieser Idiot da? Die Muschel deiner Schwester, Alter! Die Hure, die mich geboren hat!«

Welche Schwester? Ich habe bloß einen Bruder! Und was heißt »concha«? Oh, ist dieser Kerl aufgebracht!

Fußball-WM 2006, 16. Juni in Gelsenkirchen Arena

In der 79. Minute wechselt der Trainer das dritte Mal, Hérnan Crespo geht raus, und jetzt kommt natürlich … nein … wieder nicht. Pekerman bringt statt Messi einen gewissen Julio Ricardo Cruz, einen Stürmer, der am Ende seiner Nationalmannschaftskarriere in 22 Länderspielen vier Tore geschossen haben wird. (Übrigens wird Cruz unmittelbar nach dem Ende der Partie vollkommen zu Recht von Torsten Frings eine gefaustet kriegen.)

 

Der Argentinier bufft mich jetzt an und wiederholt noch mal, was er gerade schon gesagt hat. Nur viel lauter.

Ich habe keine Schwester, Señor!

Eine Minute später macht Miroslav Klose den Ausgleich, und ich tausche mit meinem Schwiegervater den Platz – nur für den Fall, dass der Argentinier meine wahre Identität entdeckt. Deutschland gewinnt das Elfmeterschießen, weil das Elfmeterschießen immer Deutschland gewinnt, seit Uli Hoeneß nicht mehr spielt. Mein Schwiegervater freut sich. Pekerman tritt unmittelbar nach dem Spiel zurück und nimmt alle Schuld auf sich, was für einen Argentinier eine beachtliche Leistung ist.

*****

Südafrika 2010. Viertelfinale. Eine wunderbare Mannschaft ist das, auf dem Papier: Ángel Di María, Lionel Messi, Gonzalo Higuaín, Carlos Tévez und auf der Bank Kun Agüero, jeder von ihnen vier Jahre jünger und gesünder und wilder als heute. Was für eine Offensive! Was fehlt, ist ein Trainer. Argentinien hat sich das Maskottchen Diego Maradona auf die Bank gesetzt und wird von Deutschland überrollt. Es sieht mitunter aus, als wäre eine Auswahl Best of Bolzplätze von Buenos Aires angetreten. Nullvier.

Unter einer Autobahnbrücke in Bajo Flores, einem Stadtteil von Buenos Aires

Eine Schmach. Eine Schande.

»Die ganzen Träume im Mülleimer, alles schon vorbei«, schreibt das Sportblatt Olé. »Das war ein Rausschmiss mit einer Tracht Prügel, mit einer historischen Tracht Prügel bedauerlicherweise«.

Aber wozu gibt es Brasilien?

Danksagung

von CHRISTOPH WESEMANN

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Danke, Sergio Romero, für die zwei gehaltenen Elfmeter. Verzeih, Chiquito1, dass ich dich unseren Lesern als »Fliegenfänger« vorgestellt habe.

Danke, mein Rosenkranz, du mit dem Anhänger der Jungfrau von Luján und dem anderen aus Quilmes, dass du dich wieder dreißig Mal hast beten lassen. Und knutschen, reiben, anpusten. Obwohl ich nicht einmal getauft bin.

Danke, mein Sohn, dass du beim Elfmeterschießen die Hände zum Gebet gefaltet hast und dich nach jedem Treffer von uns und jedem Fehlschuss von denen hast küssen lassen. Im Finale wirst du für Deutschland sein. Aber erwartest du ernsthaft, dass wir das letzte Spiel verlieren?

Danke, du Mann im Bus auf dem Heimweg, für das, was du sehr laut in dein Telefon gebrüllt hast: »Ich bin total verrückt geworden. Ich kann mich einfach nicht beruhigen. Du müsstest mich sehen, ich flenne wie ich Mädchen.«

Danke, du anderer Mann im Bus, dafür, dass du dich von hinten eingemischt hast: »Genau wie ich!«

*****

Fußballgucken auf der Plaza General San Martín im Zentrum von Buenos Aires

Anti-Brasilien-Plakat, frei übersetzt: Papa bleibt noch zu Besuch. (Der Papa ist Argentinien.)

Halbfinale 3

Halbfinale 4

halbfinale 5

Halbfinale 6

Gäste und Kellner eines Cafés in Buenos Aires bejubeln das gewonnene Elfmeterschießen.

Vorbeimarsch mit der Fahne am Bahnhof Retiro

Halbfinale 9

  1. Spitzname []

Warum es in Argentinien Schuluniformen gibt

von AXEL SCHERM (Gastbeitrag)

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Axel Scherm bloggt im Moment wenig, musiziert aber viel.

*****

Heute Morgen in der Teeküche der Firma erzählte mir ein Kollege, sein Sohn habe neulich von seiner Oma ein Trikot geschenkt bekommen, über das sich der Enkel so sehr freute, dass er es gar nicht mehr ausziehen wollte.

Bis, ja bis bei näherem Hinsehen der Arbeitskollege feststellen musste, das Trikot stammt von der iranischen Fußballnationalmannschaft.

Sofort ausziehen, forderte er den verdutzten Sohn auf, der daraufhin seinem liebgewonnenen Fußballerhemdchen so sehr nachweinte, dass sich seine Mutter veranlasst sah, einen größeren Posten brasilianischer Trikots anzuschaffen. DAS WAR GESTERN.

Als der Arbeitskollege heute Morgen seinem Sohn wieder nicht erlaubte, eins dieser Trikots anzuziehen, weil er befürchtete, er würde sich zum Gespött der Schule machen, verstand der Kleine die Welt überhaupt nicht mehr.

*****

Ein anderer Text von Axel Scherm im Argentinischen Tagebuch:

Unter Geiern … äh … Brasilianern

von MARC KOCH (Gastbeitrag)

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Marc Koch ist Lateinamerika-Korrespondent der Deutschen Welle und lebt in Buenos Aires.

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Argentiniens Hauptstadt, gestern Abend: WM-Halbfinale. Ein Deutscher und seine Mannschaft. Viele Brasilianer und ihre Mannschaft. 

1.-16. Minute

Krawallende Glotze, kreischende Kinder, klingende Gläser, coole Caipis, Samba im Hintergrund. Alberne Schminke. Fingerfood ganz ok, Bier kalt und nicht von Quilmes. Schönes Spiel.

Die Brasilianer, als ob sie aus den Deutschen gleich einen Oliver-Kahn-Gedächtnisauflauf machen wollten: Luiz guckt, Hulk kratzt, Marcelo spuckt. Ich: nervös. CW, zu Hause: malt entspannt weiß-himmelblaue Papierstreifen. Und twittert.

11. Minute

Gol! GooooooooooooooooooooooooooooooolTomáßmuller.

17. Minute

A. (Name von der Redaktion geändert), der Brasilianer aus São Paulo, kommt rein, seinen fiebernden Dreijährigen auf dem Arm, seine unlustige Fünfjährige an der Hand und seine reizende Gattin an der Seite.

A. schaut auf den Fernseher. Ob das ein Scherz sei? BRA-GER 0:1? Ne Montage, oder sowas?

23. Minute

A. hat seine Plagen zu den anderen ins Kinderzimmer geschickt und will sich gerade mit seinem Bier setzen – da kommt Opa Klose. Null-zwo. A. lacht. Sein Sohn will noch eine von diesen Deutschlandfahnen haben, die einer zur Party mitgebracht hat.

24. Minute

Kroos. Das Dritte. Einfach so. Meine Frau heult. Wie Julio César und David Luiz. Im Gegensatz zu denen aber vor Rührung. Dass sie das noch erleben darf, sagt sie. (Im Viertelfinale ist sie noch Shoppen gewesen. Mit der Gattin von Hausherr CW!)

26. Minute

Kroos. Nochmal. Keine Wiederholung! Haha!

29. Minute

0:5. Ich finde, wir sollten jetzt gehen. Immerhin sind auch hier die Gastgeber Brasilianer.

Touristenführer Jogi Löw

Aber Merte hatte unrecht: Unter den letzten 16 war doch eine Karnevalsmannschaft.

Interessant: Einer, den ich nicht kenne, aber für einen Argentinier halte, stülpt die Nase über den linken Mittelfinger, hält sich den Zeigefinger an die Schläfe, legt die Stirn in Falten – und schweigt. Sehr ungewöhnlich für einen Argentinier. Klarer Fall: Die haben Angst! Jetzt schon! Ach, der Mann ist Bolivianer?! Ok, ok, ok: »Kannst du dich an Deutschland-Bolivien erinnern, WM 1994? Das 1:0?« Kann er. Will er nicht drüber reden. Fast ein Argentinier, irgendwie.

Halbzeit

Wir machen Späße. Mit den Brasilianern. Zum Aufheitern. So: »Hey, in der zweiten Halbzeit stellt sich Neuer in euer Tor. Zum Spaß. Haha!« Finden die nicht witzig.

Unser Gastgeber. Steht in der Küche. Im Glas: Cola. In der Hand: Veganerschnitte. Im Auge: eine Träne. Wir versuchen, zu trösten. Seelische Betreuung. Notfallseelsorge. Betreutes Fernsehen, sozusagen.

Zweite Halbzeit

Huy, die drücken. Ich twittere an CW: »Brasilien dreht das noch.« A., der Brasilianer, mantrat auf dem Teppich: »CincoGolesCincoGolesCincoGoles.«

69. Minute

Lahm. Und Schürrle. »Macht das halbe Dutzend voll«, würde Rubi wortmetzen. A. sitzt im Halbdunkel hinter dem Sofa und singt seinem Sohn melancholische Volkslieder aus Brasilien vor. Das Kind schwenkt die D-Fahne und grinst verzückt.

Ich lege mich fest: Brasilien dreht das Spiel nicht mehr.

70. Minute

Ich habe es geschafft. Ich habe den jüngeren Brasilianern von Zico, Sócrates und Pelé (kommt schon: Den kennt sogar ihr!) erzählt – jetzt sind sie wieder glücklich und lachen. Ach nee, es ist nur, weil Fred, der brasilianische Fußballer mit den sieben linken Füßen, endlich ausgewechselt wird.

79. Minute

Schürrle. Der alte Bruchwegboy! 0:7. Und A., der Brasilianer, so: »Deutscher Fußball ist geil.« Schon, A.! Eine deutsche Zuschauerin fragt: »Kommen wir jetzt ins Endfinale?«

90. Minute

Ja. Kommen wir.

Abpfiff

Beim Rausgehen treffe ich einen argentinischen Freund.

Bild 3 Brasilien

Ich frage: »Was steht an?« – Er: »Wir spielen gegen Holland.« – Ich: »So ein Zufall: Wir am Sonntag auch!«

*****

Weitere Text von Marc Koch

Van Gaal, der Rasputin von Máxima

von MARC KOCH (Gastbeitrag)

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Marc Koch ist Lateinamerika-Korrespondent der Deutschen Welle und lebt in Buenos Aires.

*****

Ich habe neulich mit Holländern Fußball gespielt.

Ja!

Na und??!!

Was gucken Sie denn jetzt so indigniert?

Erstens fehlte bei denen ein Mann, und zweitens sagt meine Frau immer, ich solle mich mehr bewegen, anstatt für umsonst für ein unterklassiges Fußballblog zu schreiben. Außerdem sind die Argentinier, zu denen mich der Hausherr CW manchmal mitnimmt, damit er nicht der schlechteste Spieler auf dem Platz ist, eigentlich zu schnell für einen Mann in meinem Alter.

 

Es war auch nicht teuer, wir hatten so eine cancha gemietet. Das sind kleine Fußballplätze, die man in dieser wunderbaren Stadt an jeder Ecke finden kann, sogar unter Autobahnbrücken und sogar als Ausländer (was zum Beispiel bei Handyverträgen oder städtischen Mietfahrrädern völlig ausgeschlossen ist.)

Und ich hatte ein lustiges Trikot. Was da drauf steht, ist natürlich gar nicht mein Name. Das ist spanisch und heißt: »Ihr werdet verlieren.« Klingt aber holländisch. Gut, oder!!?

Van a perder

Als jemand, der seinerzeit die Aufnahme in die Ajax-Schule nur haarscharf verpasst hat, schätze ich ja den eleganten Angriffsfußball nach ausführlichem Kurzpass-Vorspiel. Die Älteren erinnern sich: 1972, Finale Europacup der Landesmeister: Ajax Amsterdam, 2:0 gegen Inter. Der Sieg des totalen Fußballs. Der Tod des Catenaccio. Seitdem war das 4-3-3-System in Holland heilig.

Dann kam van Gaal. Dieses sympathische Feierbiest. Der sich von seinen Kindern siezen lässt (was ich CW für seinen Nachwuchs auch mal empfehlen sollte!). Der seine Spieler nicht mit Namen, sondern mit Nummern anspricht. Und verlangt, dass sie tun, was er sagt. Der perfekte Pädagoge also. Ein Mann mit Prinzipien. Einer, der irgendwie nicht nach Argentinien passt. Dachten wir.

Doch der alte Aloysius hat es drauf: Da muss er mit einer Truppe zur WM, die es – na ja, sagen wir mal – nicht so richtig gut kann, das Fußballspielen. Und dann kicken die sich locker durch dieses Turnier. Wie das jetzt? Weil van Gaal den Argentinier in sich entdeckt hat! Er wechselt das System, wie es ihm gerade passt: Stundenlang lässt er 5-3-2 spielen. Das braucht nicht nur kein Mensch, das kapiert auch kein Gegner. Aber zehn Minuten vor Schluss: Heißa, die Waldfee, 4-3-3, Robben rennt fünftausend Meter in einer halben Minute, trifft und Holland gewinnt.

Dazu kommt, und auch das ist ja argentinisch gedacht, dass van Gaal schon mit einem 1:0 zufrieden ist. Früher waren argentinische Fußballer da anders: »Fußball ohne Tore ist wie ein Tag ohne Sonne«, hat der sehr große Don Alfredo di Stéfano immer gesagt. Aber der ist dann ja auch Spanier geworden.

Apropos Waldfee und Nationalitätenwechsel: Die Holländer haben sich ja vor ewigen Zeiten eine Argentinierin ins Königshaus geholt. Wahrscheinlich, damit das Protestantenvolk mal ein bisschen lockerer wird. Kein Festhalten an sogenannten »ewigen Wahrheiten«. Und schon gar nicht am 4-3-3. Wenn Holland demnächst Republik wird, ist Máxima schuld!

Wenn Argentinien nicht Weltmeister wird, allerdings auch.

*****

Weitere Texte von Marc Koch im Argentinischen Tagebuch:

Im Hafen von Alcúdia: Je enger das Spiel, umso härter die Flüche

von WACHO CHORRO (Gastbeitrag)

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Stammleser Wacho Chorro bloggt bei den Borrachos Bornheim. Sein erster Beitrag im WM-Tagebuch steht hier.

*****

Das nenne ich Glück: Die Weltmeisterschaft genieße ich auf den Balearen, fernab der unsäglich deutschen TV-Kommentatoren. Die spanischsprachigen Vertreter der Zunft leben das Spiel und vor allem die Tore geringfügig mehr. Geguckt werden die Partien der Albiceleste, unserer weißhimmelblauen Nationalelf, im El Bodegón, einer argentinischen Bar im Hafen von Alcúdia. Da fast alle Argentinier hier in der Tourismusbranche arbeiten, wechselt die Besetzung natürlich von Spiel zu Spiel. Aber die Stimmung ist trotzdem jedes Mal prächtig, wie mein jüngster Lauschangriff beweist:

 

 

Foto

Wir schenken uns diesmal 117 Minuten Erinnerung an das Achtelfinalspiel gegen die Schweiz und beginnen gleich mit dem Tor von Ángel Di María nach schönem Dribbling von Leo Messi. Welch Erlösung!

 

Die Kumpels reißt es so heftig hoch, dass ihre Stühle nebenan beim Souvenir-Laden zwei große Ständer umwerfen. Also gehen wir hinüber und bitten um Entschuldigung – nein, natürlich nicht. Nicht jetzt. Später vielleicht. Wenn wir’s vor Freude über den Einzug ins Viertelfinale nicht vergessen. Die Kumpels sind sowieso schon anderweitig beschäftigt, sie rennen wie die Irren herum, und die Händler gucken da gleich noch finsterer. Es droht eine Eskalation. Ich muss etwas tun. Wacho, zeig dich von deiner besten Seite!

Meine körperliche Erscheinung beruhigt augenblicklich die Lage.

Die Partie kann wohl regulär beendet werden, aber die letzten Minuten haben es in sich. Die Schweiz greift an und trifft nur den Pfosten. Eine alte argentinische Gaucho-Regel besagt übrigens: Je enger das Spiel, umso härter die Flüche. Hören wir mal, ob sie stimmt:

 

Wir werden danach noch zu einer Freifahrt mit der Touri-Bimmelbahn durch den Ort eingeladen – zum Leidwesen der anderen Passagiere. Aber ein Ende unseres Ausnahmezustands ist ja absehbar: Nur noch drei Siege, und wir sind durch! Welt-meis-ter! ¡Vamos Argentina, carajo!

Bimmelbahn

Der argentinische WM-Hit: Warum Brasilianer seit 24 Jahren heulen

von CHRISTOPH WESEMANN

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Wir sind alle noch ein bisschen erschöpft von unserem epischen 1:0 im Achtelfinale gegen die Schweiz gestern. Deshalb lassen wir heute die Seele baumeln und hören ein paar Versionen des argentinischen WM-Hits »Brasil, decime que se siente«. Fußball und Musik gehören in Argentinien naturgmäß zusammen, und die Musik wiederum soll bitteschön tanzbar sein. Argentinier tanzen wirklich gern, und nicht nur, wenn sie betrunken sind. (Dann natürlich auch.) Irgendeine Feier beginnt, die Musik wird aufgedreht – und die Tanzfläche ist sofort voll. Die ganz Jungen tanzen, die ganz Alten tanzen und die ganz Dazwischenen auch. So bleibt es, bis die Musik abgedreht wird. Kein Stimmungsmacher muss bitten und betteln, dass ein paar Leute aufstehen und mitmachen.

Beim Fußball wird leidenschaftlich gesungen, und mitunter kommt Großes dabei heraus: etwa die Nationalhymne, vorgetragen in der U-Bahn von Río de Janeiro vor dem Gruppenspiel gegen Bosnien-Herzegowina.

 

Genau so halte ich mich übrigens über Wasser, wenn bei Schul- oder Kindergartenfesten mal wieder die Hymne gefordert ist. Diesen elendig langen Text kann sich ja der größte Patriot nicht merken.

Nun aber zu »Brasil, decime que se siente« – so klingt das:

 

Das Lied spielt mit der großen südamerikanischen Fußballfeindschaft zwischen Brasilien und Argentinien. Das eine Land hat fünf WM-Titel, das andere demnächst drei; dem einen verdankt die Welt Pelé, dem anderen Diego Maradona (der wiederum das Tor das Jahrhunderts geschossen hat und überhaupt viel toller war). Das vorerst letzte Duell bei einer Weltmeisterschaft gewann vor 24 Jahren übrigens Argentinien. Das Siegtor in der 82. Minute schoss Claudio Caniggia (Spitzname: Cani) nach einem wunderbaren Solo von Diego.

 

Der schlechte Verlierer klagte hernach über Betrug – und das nur, weil unser Masseur dem Brasilianer Branco eine Trinkflasche gereicht hatte, die Schlaf- oder Brechmittel (vielleicht auch beides) mit ordentlich Alkohol enthielt. Argentiniens Nationaltrainer Carlos Bilardo sagte Jahre später: »Ich sage nicht, dass dies nicht passiert ist.«

Zurück zum WM-Gasserhauer. Die Melodie von »Bad Moon Rising« der amerikanischen Rockgruppe Creedence Clearwater Revival wird in Argentinien gern für Stadiongesänge benutzt – und kommt auch hier wieder zum Einsatz.

 

Gesungen wird also:

Brasil, decime qué se siente tener en casa a tu papá.

Te juro que aunque pasen los años, nunca nos vamos a olvidar…

Que el Diego te gambeteó, que Cani te vacunó, que estás llorando desde Italia hasta hoy.

A Messi lo vas a ver, la Copa nos va a traer, Maradona es más grande que Pelé.

Ich versuche mich mal an einer Übersetzung:

Brasilien, sag mir, wie es sich anfühlt, wenn dein schlimmster Feind wild in deiner Hütte feiert.

Und auch wenn’s lange her ist, werden wir es niemals vergessen, das schwöre ich dir:

Wie du 1990 von Diego schwindelig gespielt wurdest und Caniggia dich abgeschossen hat. Seitdem heulst du nun schon.

Und jetzt wirst du erleben, wie uns Messi den Pokal bringt. Maradona ist viel größer als Pelé.

Auch den Nationalspielern scheint das Lied zu gefallen, wie man im nächsten Video sehen wird. Mal ehrlich: Ist es vorstellbar, dass irgendetwas die deutschen Kicker so ausflippen lässt? Doch nicht mal der WM-Titel, oder?

 

 

 

Funkhaus Europa hat mit unseren Freuden vom Blog Argifutbol einen Hörbeitrag über argentinische Fangesänge veröffentlicht.

 

Die Pseudoexpertenkomödie

von MARC KOCH & CHRISTOPH WESEMANN

Logo des WM-Tagebuchs - Zeichung: Danü (Daniel Schlierenzauer)

Zwei Deutsche in Buenos Aires schreiben sich Kurznachrichten und plaudern über Fußball und den Rest. 

ERSTER AKT

MC. Traumfinale Costa Rica gegen Algerien ist immer noch möglich!

CW. Was wäre dagegen schon Argentinien gegen Brasilien?

MC. Jeder Klassiker wird irgendwann geboren.

CW. Seltsam.

MC. Was?

CW. Irgendwie ist heute kein Unterricht an der Uni.

MC. Nuscheln wieder alle?

CW. Nein. Ich bin allein im Raum 5.5. Und er ist dunkel. Ich gehe mal fragen.

MC. Gute Idee.

MC. Und?

CW. Ich wollte fragen, war aber gleich überfordert von der Frage, ob ich auf Karriere studiere oder ejecutivo … programa … grado … irgendwas anderes halt. Also, Karriere auf keinen Fall. Das andere dann.

MC. Das ist doch die richtige Antwort!

CW. Natürlich. Aber der Typ von der Information war nicht sonderlich hilfsbereit. Ich wusste ja auch nicht mal den Titel des Kurses.

MC. Marketing. Bei Sergio. Raum 5.5.

CW. Habe ich auch gesagt. Nix.

MC. Dann war’s kein Argentinier. Ein Argentinier antwortet immer. Ehe Dir ein Argentinier keine Antwort gibt, gibt er Dir lieber eine falsche. Aber ganz tolle Menschen. Immer sooooooooooooo hilfsbereit. Übrigens: Wie heißt die Hauptstadt von Costa Rica, ich komme gerade nicht drauf?

CW. Ähm. Managua.

MC. Danke, Du hast den Test bestanden.

*****

ZWEITER AKT

CW. Ich muss Dir was gestehen.

MC. Ich höre.

CW. Bei der WM 1990 war ich gegen Argentinien.

MC. Gibt Schlimmeres.

CW. Ich war für Italien.

MC. Bitte? Waaaaaaaaaas?

CW. Wegen Toto Schillaci.

 

MC. MAN IST NIEMALS FÜR ITALIEN!

CW. Ich war zwölf. Und Ossi. Ein zwölfjähriger Ossi aus einer Kleinstadt.

MC. MAN IST VIELLEICHT MANCHMAL NICHT GEGEN ITALIEN. VIELLEICHT! MANCHMAL!

CW. Ich kann übrigens die deutsche Mannschaft nicht mehr angucken.

MC. Jetzt übertreibst Du es aber mit Deiner Argentinisierung.

CW. Ist mir zu akademisch, das deutsche Spiel.

MC. Dir fließt natürlich nicht genug Blut.

CW. Fußball ist: unsaubere Grätsche, schmutziges Trikot, große Eier.

MC. Müller. Müller hat Eier.

CW. Aber im Sturm fehlt eindeutig der Typ Hrubesch.

MC. In welchem Sturm?

CW. Du musst das ganzheitlicher betrachten. Im modernen Fußball gibt es keine festen Positionen mehr. Manuel Neuer ist sozusagen die hängendste Spitze. Verstehst Du?

MC. Das sagt die Fleisch gewordene Blutgrätsche, die den mitspielenden Torwart für eine Erfindung von Mario Basler hält? Damit er weniger laufen musste?

CW. An Mats Hummels wird der Streit zwischen seiner Freundin Cathy Fischer und der Ex von Ballack auch nicht spurlos vorbeigehen. Wahrscheinlich hat der Teampsychologe nicht mal mehr Termine frei für die anderen. Armer Poldi.

MC. Die Albträume fürchten Poldi. Poldi therapiert sich selbst. Bei Poldi liegt der Psychologe auf der Couch.

CW. Prognose für Deutschland?

MC. Es reicht für die schwächeren Teams, also USA, Argentinien oder Brasilien. Aber für Frankreich, Kolumbien oder Holland? Ich weiß ja nicht.

CW. Hast Du gerade Argentinien zu den schwächeren Teams gezählt? Meine Argentinier haben bisher geblufft.

MC. Das machen sie ja am liebsten. Und das haben sie mit unserem Beruf gemeinsam. Deswegen mögen wir sie ja auch so.

*****

DRITTER AKT

CW. Schön, dass Brasilien weiter ist.

MC. Seit zwei Wochen erzählst Du mir, dass Du die Mannschaft, nein: das ganze Land nicht leiden kannst – mit Ausnahme der Brasilianerinnen.

CW. Weil ich ein guter Argentinier bin. Und weil Diego nun mal viel größer ist als Pelé.

MC. Du wirst doch nicht den dicken Lügner mit Pelé-Fußballgott vergleichen wollen!? Und warum bist Du jetzt für Brasilien?

 

CW. Ich habe nachgedacht: Brasilien erreicht das Finale, natürlich total unverdient. Sie spielen mies, richtig mies, kommen aber jedes Mal weiter. Tore nach Ecken. Tore nach Elfmetern. Tore nach Neymar. Aber dann werden sie im Endspiel von Argentinien – endlich! – kaltgemacht. Die ganze Welt wird uns lieben, verehren, bewundern. Wie wir es verdient haben.

MC. Mieser Taktiker! Opportunist!

CW. In Deutschland werden Neugeborene nach mir benannt.

MC. Hebamme: »Na, wie heißt er denn, unser kleiner Fratz?« – Mutter, noch keuchend: »CW.« – Hebamme (zu sich selbst): »Schon der Vierte heute, und nebenan in der Wanne wird auch noch gehechelt.«

CW. Straßen auch.

MC. Straßen natürlich auch. In Niederndodeleben.Und in La Boca: »Calle de la madre que le parió a CW«.1 Hat ja schon mal nicht geklappt! Aber erst, wenn Dein Sohn seinen Erbteil auf Kokspartys in Rosario durchgebracht hat, während Du in Hamburg-Lokstedt aufm Armenfriedhof liegst. Und genau dann werde ich mit Deiner Biografie – trimedial! – Bestsellerautor.

CW. Titel?

MC. Wesemann: Autor. Vater. Fußballer. Als E-book, DVD und Buch. Auch im Geschenkschuber.

CW. Nicht weniger als 800 Seiten! Besser 1000. Wirkt sonst zu komprimiert, mein Leben.

MC. Du musst mir natürlich die Manuskripte und Briefwechsel überlassen.

CW. Ich gucke jetzt mal Holland gegen Mexiko und studiere Argentiniens überübernächsten Gegner.

MC. Das wäre ein geiles Halbfinale!

CW. Aber kein leichtes.

MC. Sicher.

CW. Unangenehm zu spielen.

MC. Oh ja!

CW. Sind gut drauf.

MC. Das kannst Du laut sagen.

CW. Verrückter Trainer.

MC. Sehr verrückt.

CW. Sehr guter Torhüter.

MC. Ja, auch.

CW. Die dicken Männer mit den Riesenhüten nerven natürlich.

MC. Wie bitte?

CW. Und die Schnurrbärte – auch die Frauen.

MC. Häh?

CW. Tequila könnte ich auch mal wieder trinken.

MC. Zum Teufel: Wovon redest Du?

CW. Mexiko!

  1. »Straße zu Ehren der Mutter, die CW gebar« []

Argentinische Helden

Diego Maradona, gezeichnet von Danü (c)

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Steckbrief

Wir sind schnell.
Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geistes-
wissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie.


2012 von Christoph Wesemann in Buenos Aires gegründet. Derzeit im Exil. (Berlin)