Posts Tagged ‘Argentinien’

Drei offene Rechnungen

von CHRISTOPH WESEMANN

Logo des WM-Tagebuchs - Zeichung: Danü (Daniel Schlierenzauer)

Der gewöhnliche Argentinier weiß zwar nicht mehr, was er gestern auf der Arbeit gemacht hat – mutmaßlich: nichts (der Faule) bis nicht viel (der Fleißige), es ist ja Weltmeisterschaft, amigo. Aber an diesen Elfmeter von Rom, an den erinnert er sich. Er kann die Hanauer Schwalbe, Rückennummer 9 so detailgetreu schildern, als hätte sich Rudi Völler erst vor fünf Sekunden fallen lassen – hier, direkt vor unserem Argentinier mit dem Elefantengedächtnis. »Se tiró!« Ganz klarer Fall. »Er hat sich hingeworfen.«

 

Die Fußballfachwelt, die naturgemäß nur aus Argentiniern bestehen kann, ist sich weitgehend einig, dass der Sieg der deutschen Mannschaft bei der Weltmeisterschaft 1990 in Italien glücklich bis unverdient war. Man muss nur schauen, welcher der beiden Kontrahenten die schwierigeren Aufgaben bis zum Finale zu lösen hatte. In der Vorrunde trifft Deutschland auf Jugoslawien, Kolumbien und Scheiche. Nach zwei Siegen und einem Unentschieden ist der Weg ins Endspiel schon so gut wie frei – es kommen nur noch die Niederländer (Achtelfinale), die Tschechoslowaken (Viertelfinale) und die Engländer (Halbfinale). Argentinien indes hat mit der Sowjetunion, Rumänien und Roger Milla eine sogenannte Todes- oder auch Hammergruppe erwischt, setzt sich aber durch. Um ins Finale zu kommen, muss das Team von Dr. Bilardo dann nacheinander den Rekordweltmeister Brasilien, das saustarke Jugoslawien und Gastgeber Italien ausschalten. Das gelingt, aber ganz offensichtlich soll Argentinien 1990 nicht Weltmeister werden.

Ich weiß übrigens noch, wie ich, damals zwölf Jahre alt, meine Eltern sofort und ohne Zeitlupe auf Völlers Schwalbe hingewiesen hatte: »Kein Foul von Roberto Néstor Sensini, Ball gespielt, muss er einfach sehen, der Schiri, stand doch gut.«

*****

Wir müssen auch über 2006 reden. Berliner Olympiastadion. Viertelfinale. Ich stehe mit meinem Schwiegervater, der mich noch nicht so gut kennt und deshalb glaubt, mich zu mögen, in der argentinischen Kurve. Wir gehen kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit in Führung, wir sind überlegen, Deutschland rennt nur hinterher, und dann wechselt Trainer José Pekerman in der 72. Minute Juan Román Riquelme aus. Unser Mittelfeldgenie ist der Mann des Spiels, es könnte Románs Turnier werden, er ist nämlich in der Form seines Lebens. Aber Pekerman nimmt ihn runter und bringt, nein, nicht den gerade 19 Jahre alt gewordenen Wunderknaben Lionel Messi. Es kommt Esteban Cambiasso, der später den letzten Elfmeter verschießen wird. Kollektives Kopfschütteln in der Kurve. Der Argentinier rechts neben mir will irgendetwas, ich spreche aber kaum Spanisch. »He Schwachkopf«, sagt er vielleicht und meint damit mich, »was macht dieser Idiot da? Die Muschel deiner Schwester, Alter! Die Hure, die mich geboren hat!«

Welche Schwester? Ich habe bloß einen Bruder! Und was heißt »concha«? Oh, ist dieser Kerl aufgebracht!

Fußball-WM 2006, 16. Juni in Gelsenkirchen Arena

In der 79. Minute wechselt der Trainer das dritte Mal, Hérnan Crespo geht raus, und jetzt kommt natürlich … nein … wieder nicht. Pekerman bringt statt Messi einen gewissen Julio Ricardo Cruz, einen Stürmer, der am Ende seiner Nationalmannschaftskarriere in 22 Länderspielen vier Tore geschossen haben wird. (Übrigens wird Cruz unmittelbar nach dem Ende der Partie vollkommen zu Recht von Torsten Frings eine gefaustet kriegen.)

 

Der Argentinier bufft mich jetzt an und wiederholt noch mal, was er gerade schon gesagt hat. Nur viel lauter.

Ich habe keine Schwester, Señor!

Eine Minute später macht Miroslav Klose den Ausgleich, und ich tausche mit meinem Schwiegervater den Platz – nur für den Fall, dass der Argentinier meine wahre Identität entdeckt. Deutschland gewinnt das Elfmeterschießen, weil das Elfmeterschießen immer Deutschland gewinnt, seit Uli Hoeneß nicht mehr spielt. Mein Schwiegervater freut sich. Pekerman tritt unmittelbar nach dem Spiel zurück und nimmt alle Schuld auf sich, was für einen Argentinier eine beachtliche Leistung ist.

*****

Südafrika 2010. Viertelfinale. Eine wunderbare Mannschaft ist das, auf dem Papier: Ángel Di María, Lionel Messi, Gonzalo Higuaín, Carlos Tévez und auf der Bank Kun Agüero, jeder von ihnen vier Jahre jünger und gesünder und wilder als heute. Was für eine Offensive! Was fehlt, ist ein Trainer. Argentinien hat sich das Maskottchen Diego Maradona auf die Bank gesetzt und wird von Deutschland überrollt. Es sieht mitunter aus, als wäre eine Auswahl Best of Bolzplätze von Buenos Aires angetreten. Nullvier.

Unter einer Autobahnbrücke in Bajo Flores, einem Stadtteil von Buenos Aires

Eine Schmach. Eine Schande.

»Die ganzen Träume im Mülleimer, alles schon vorbei«, schreibt das Sportblatt Olé. »Das war ein Rausschmiss mit einer Tracht Prügel, mit einer historischen Tracht Prügel bedauerlicherweise«.

Aber wozu gibt es Brasilien?

Danksagung

von CHRISTOPH WESEMANN

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Danke, Sergio Romero, für die zwei gehaltenen Elfmeter. Verzeih, Chiquito1, dass ich dich unseren Lesern als »Fliegenfänger« vorgestellt habe.

Danke, mein Rosenkranz, du mit dem Anhänger der Jungfrau von Luján und dem anderen aus Quilmes, dass du dich wieder dreißig Mal hast beten lassen. Und knutschen, reiben, anpusten. Obwohl ich nicht einmal getauft bin.

Danke, mein Sohn, dass du beim Elfmeterschießen die Hände zum Gebet gefaltet hast und dich nach jedem Treffer von uns und jedem Fehlschuss von denen hast küssen lassen. Im Finale wirst du für Deutschland sein. Aber erwartest du ernsthaft, dass wir das letzte Spiel verlieren?

Danke, du Mann im Bus auf dem Heimweg, für das, was du sehr laut in dein Telefon gebrüllt hast: »Ich bin total verrückt geworden. Ich kann mich einfach nicht beruhigen. Du müsstest mich sehen, ich flenne wie ich Mädchen.«

Danke, du anderer Mann im Bus, dafür, dass du dich von hinten eingemischt hast: »Genau wie ich!«

*****

Fußballgucken auf der Plaza General San Martín im Zentrum von Buenos Aires

Anti-Brasilien-Plakat, frei übersetzt: Papa bleibt noch zu Besuch. (Der Papa ist Argentinien.)

Halbfinale 3

Halbfinale 4

halbfinale 5

Halbfinale 6

Gäste und Kellner eines Cafés in Buenos Aires bejubeln das gewonnene Elfmeterschießen.

Vorbeimarsch mit der Fahne am Bahnhof Retiro

Halbfinale 9

  1. Spitzname []

Unter Geiern … äh … Brasilianern

von MARC KOCH (Gastbeitrag)

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Marc Koch ist Lateinamerika-Korrespondent der Deutschen Welle und lebt in Buenos Aires.

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Argentiniens Hauptstadt, gestern Abend: WM-Halbfinale. Ein Deutscher und seine Mannschaft. Viele Brasilianer und ihre Mannschaft. 

1.-16. Minute

Krawallende Glotze, kreischende Kinder, klingende Gläser, coole Caipis, Samba im Hintergrund. Alberne Schminke. Fingerfood ganz ok, Bier kalt und nicht von Quilmes. Schönes Spiel.

Die Brasilianer, als ob sie aus den Deutschen gleich einen Oliver-Kahn-Gedächtnisauflauf machen wollten: Luiz guckt, Hulk kratzt, Marcelo spuckt. Ich: nervös. CW, zu Hause: malt entspannt weiß-himmelblaue Papierstreifen. Und twittert.

11. Minute

Gol! GooooooooooooooooooooooooooooooolTomáßmuller.

17. Minute

A. (Name von der Redaktion geändert), der Brasilianer aus São Paulo, kommt rein, seinen fiebernden Dreijährigen auf dem Arm, seine unlustige Fünfjährige an der Hand und seine reizende Gattin an der Seite.

A. schaut auf den Fernseher. Ob das ein Scherz sei? BRA-GER 0:1? Ne Montage, oder sowas?

23. Minute

A. hat seine Plagen zu den anderen ins Kinderzimmer geschickt und will sich gerade mit seinem Bier setzen – da kommt Opa Klose. Null-zwo. A. lacht. Sein Sohn will noch eine von diesen Deutschlandfahnen haben, die einer zur Party mitgebracht hat.

24. Minute

Kroos. Das Dritte. Einfach so. Meine Frau heult. Wie Julio César und David Luiz. Im Gegensatz zu denen aber vor Rührung. Dass sie das noch erleben darf, sagt sie. (Im Viertelfinale ist sie noch Shoppen gewesen. Mit der Gattin von Hausherr CW!)

26. Minute

Kroos. Nochmal. Keine Wiederholung! Haha!

29. Minute

0:5. Ich finde, wir sollten jetzt gehen. Immerhin sind auch hier die Gastgeber Brasilianer.

Touristenführer Jogi Löw

Aber Merte hatte unrecht: Unter den letzten 16 war doch eine Karnevalsmannschaft.

Interessant: Einer, den ich nicht kenne, aber für einen Argentinier halte, stülpt die Nase über den linken Mittelfinger, hält sich den Zeigefinger an die Schläfe, legt die Stirn in Falten – und schweigt. Sehr ungewöhnlich für einen Argentinier. Klarer Fall: Die haben Angst! Jetzt schon! Ach, der Mann ist Bolivianer?! Ok, ok, ok: »Kannst du dich an Deutschland-Bolivien erinnern, WM 1994? Das 1:0?« Kann er. Will er nicht drüber reden. Fast ein Argentinier, irgendwie.

Halbzeit

Wir machen Späße. Mit den Brasilianern. Zum Aufheitern. So: »Hey, in der zweiten Halbzeit stellt sich Neuer in euer Tor. Zum Spaß. Haha!« Finden die nicht witzig.

Unser Gastgeber. Steht in der Küche. Im Glas: Cola. In der Hand: Veganerschnitte. Im Auge: eine Träne. Wir versuchen, zu trösten. Seelische Betreuung. Notfallseelsorge. Betreutes Fernsehen, sozusagen.

Zweite Halbzeit

Huy, die drücken. Ich twittere an CW: »Brasilien dreht das noch.« A., der Brasilianer, mantrat auf dem Teppich: »CincoGolesCincoGolesCincoGoles.«

69. Minute

Lahm. Und Schürrle. »Macht das halbe Dutzend voll«, würde Rubi wortmetzen. A. sitzt im Halbdunkel hinter dem Sofa und singt seinem Sohn melancholische Volkslieder aus Brasilien vor. Das Kind schwenkt die D-Fahne und grinst verzückt.

Ich lege mich fest: Brasilien dreht das Spiel nicht mehr.

70. Minute

Ich habe es geschafft. Ich habe den jüngeren Brasilianern von Zico, Sócrates und Pelé (kommt schon: Den kennt sogar ihr!) erzählt – jetzt sind sie wieder glücklich und lachen. Ach nee, es ist nur, weil Fred, der brasilianische Fußballer mit den sieben linken Füßen, endlich ausgewechselt wird.

79. Minute

Schürrle. Der alte Bruchwegboy! 0:7. Und A., der Brasilianer, so: »Deutscher Fußball ist geil.« Schon, A.! Eine deutsche Zuschauerin fragt: »Kommen wir jetzt ins Endfinale?«

90. Minute

Ja. Kommen wir.

Abpfiff

Beim Rausgehen treffe ich einen argentinischen Freund.

Bild 3 Brasilien

Ich frage: »Was steht an?« – Er: »Wir spielen gegen Holland.« – Ich: »So ein Zufall: Wir am Sonntag auch!«

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Weitere Text von Marc Koch

Die Geschichte des »Ooouh« und der beste Keks von Amsterdam

von KATHARINA HANDY (Gastbeitrag)

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Katharina Handy ist freie Journalistin und hat zwei Monate in Amsterdam gelebt und gearbeitet. Sie bloggt als Katrijn Mobiel.

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»Je krijgt het meisje wel uit Nederland, maar Nederland niet uit het meisje.«1

»Ich soll was über die Niederlande und Argentinien schreiben«, habe ich meinem holländischen Kollegen über Skype erzählt. »Ooouh«, sagte er, und trotz des verpixelten Bildes konnte ich sehen, wie sich schmerzhafte Erinnerungen auf sein Gesicht zeichneten. »Neunzehnhundertachtundsiebzig«, sagte er dann mit bedeutungsschwangerer Stimme. Und weil er wie alle Experten sonst im Fernsehen vor einer Bücherwand saß, während ich mit ihm sprach, wusste ich, dass es sich wirklich um eine ernste Angelegenheit handelte. »Effe googelen … eben mal googeln«, dachte ich.

Bei der WM 1978 hatte Gastgeber Argentinien die Niederlande im Finale mit 3:1 nach Verlängerung geschlagen. Argentinien wurde Weltmeister, die Niederlande … äh,  Zweiter.

 

Kaum hatte der glücklose Michael Umaña in der Nacht auf den 6. Juli 2014 den letzten Elfmeter für Costa Rica versemmelt, kaum stürmte der Oranje-Kader auf den Rasen von Salvador – da twitterte schon ein Freund aus Amsterdam: »Bin gespannt, ob Máxima das Halbfinale bei Willy im Wohnzimmer gucken darf.« Wenig später ging ein Bild durch die Netzwerke, das die Königin und den König der Niederlande Rücken an Rücken im Ehebett zeigt, mit dem Hashtag #NEDARG.

 

Máxima kam 1971 in Buenos Aires auf die Welt. Sie ist gebürtige Argentinierin. Irgendwann hat sie sich den niederländischen Thronfolger geangelt.

Es war der Sommer von 1998. Die Fußball-WM war in Frankreich und ich irgendwo in einem Sommercamp in Mecklenburg. Ach ja, und die Niederlande spielten ihr Viertelfinale gegen Argentinien. Zum Ende der regulären Spielzeit stand es 1:1, als Verteidiger Frank de Boer einen traumhaften Pass auf Stürmer Dennis Bergkamp platzierte, der dann in der 90. Minute das entscheidende Tor schoss.

Ach guck, da haben die Niederländer auch schon mal gegen Argentinien gespielt?

 

Das ist es, was mich am Fußball so stört. Jedes Mal werden die Legenden beschworen, der Geist von neunzehnhundert-(bitte selbst ergänzen), die Rückennummer von (da fällt euch schon wer ein) und die verwandtschaftlichen Beziehungen von (zum Beispiel Máxima). Dabei gibt es eigentlich, eigentlich, EIGENTLICH nur drei vier fünf Gründe, weshalb die Niederländer heute ins Finale kommen:

1. Ihr König ist zur Hälfte ein Deutscher.
2. Die Niederländer haben den weltweit größten Privatbestand an orangefarbenen Devotionalien.
3. Das Wort des Jahres 2013 in den Niederlanden war »Selfie«.
4. Die Niederländer können zwei Kinder, zwei Einkaufstaschen, einen Rucksack und eine Ehefrau auf einem Fahrrad transportieren.
5. Diese Pommes (mit Majo und Erdnuss-Soße).

Pommes

Einen hab ich aber noch (bester Keks). Und den hier (bestes Sonntagsdate). Nicht zu vergessen, das hier (#partylikeaninsider).

Hipper

  1. Du kriegst das Mädchen zwar aus Holland, aber Holland nicht aus dem Mädchen. []

Van Gaal, der Rasputin von Máxima

von MARC KOCH (Gastbeitrag)

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Marc Koch ist Lateinamerika-Korrespondent der Deutschen Welle und lebt in Buenos Aires.

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Ich habe neulich mit Holländern Fußball gespielt.

Ja!

Na und??!!

Was gucken Sie denn jetzt so indigniert?

Erstens fehlte bei denen ein Mann, und zweitens sagt meine Frau immer, ich solle mich mehr bewegen, anstatt für umsonst für ein unterklassiges Fußballblog zu schreiben. Außerdem sind die Argentinier, zu denen mich der Hausherr CW manchmal mitnimmt, damit er nicht der schlechteste Spieler auf dem Platz ist, eigentlich zu schnell für einen Mann in meinem Alter.

 

Es war auch nicht teuer, wir hatten so eine cancha gemietet. Das sind kleine Fußballplätze, die man in dieser wunderbaren Stadt an jeder Ecke finden kann, sogar unter Autobahnbrücken und sogar als Ausländer (was zum Beispiel bei Handyverträgen oder städtischen Mietfahrrädern völlig ausgeschlossen ist.)

Und ich hatte ein lustiges Trikot. Was da drauf steht, ist natürlich gar nicht mein Name. Das ist spanisch und heißt: »Ihr werdet verlieren.« Klingt aber holländisch. Gut, oder!!?

Van a perder

Als jemand, der seinerzeit die Aufnahme in die Ajax-Schule nur haarscharf verpasst hat, schätze ich ja den eleganten Angriffsfußball nach ausführlichem Kurzpass-Vorspiel. Die Älteren erinnern sich: 1972, Finale Europacup der Landesmeister: Ajax Amsterdam, 2:0 gegen Inter. Der Sieg des totalen Fußballs. Der Tod des Catenaccio. Seitdem war das 4-3-3-System in Holland heilig.

Dann kam van Gaal. Dieses sympathische Feierbiest. Der sich von seinen Kindern siezen lässt (was ich CW für seinen Nachwuchs auch mal empfehlen sollte!). Der seine Spieler nicht mit Namen, sondern mit Nummern anspricht. Und verlangt, dass sie tun, was er sagt. Der perfekte Pädagoge also. Ein Mann mit Prinzipien. Einer, der irgendwie nicht nach Argentinien passt. Dachten wir.

Doch der alte Aloysius hat es drauf: Da muss er mit einer Truppe zur WM, die es – na ja, sagen wir mal – nicht so richtig gut kann, das Fußballspielen. Und dann kicken die sich locker durch dieses Turnier. Wie das jetzt? Weil van Gaal den Argentinier in sich entdeckt hat! Er wechselt das System, wie es ihm gerade passt: Stundenlang lässt er 5-3-2 spielen. Das braucht nicht nur kein Mensch, das kapiert auch kein Gegner. Aber zehn Minuten vor Schluss: Heißa, die Waldfee, 4-3-3, Robben rennt fünftausend Meter in einer halben Minute, trifft und Holland gewinnt.

Dazu kommt, und auch das ist ja argentinisch gedacht, dass van Gaal schon mit einem 1:0 zufrieden ist. Früher waren argentinische Fußballer da anders: »Fußball ohne Tore ist wie ein Tag ohne Sonne«, hat der sehr große Don Alfredo di Stéfano immer gesagt. Aber der ist dann ja auch Spanier geworden.

Apropos Waldfee und Nationalitätenwechsel: Die Holländer haben sich ja vor ewigen Zeiten eine Argentinierin ins Königshaus geholt. Wahrscheinlich, damit das Protestantenvolk mal ein bisschen lockerer wird. Kein Festhalten an sogenannten »ewigen Wahrheiten«. Und schon gar nicht am 4-3-3. Wenn Holland demnächst Republik wird, ist Máxima schuld!

Wenn Argentinien nicht Weltmeister wird, allerdings auch.

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Weitere Texte von Marc Koch im Argentinischen Tagebuch:

Der unvollendete Nachruf

von CHRISTOPH WESEMANN

Logo des WM-Tagebuchs - Zeichung: Danü (Daniel Schlierenzauer)

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Buenos Aires, Freitag, 4. Juli 2014

11.45 Uhr. Deutschland könnte heute gegen Frankreich ausscheiden. Ich brauche einen Text. Ich bin sogar ziemlich sicher, dass Deutschland ausscheidet. Ich kann nur nicht auf das Ende warten. Aber auch seriöse Zeitungen haben ja für jede halbwegs bedeutende Persönlichkeit einen vorbereiteten Nachruf im Stehsatz – damit sie vom Tod niemals überrascht werden. Und wie sollte das kein Tod sein: ein Ausscheiden dieser hochbegabten Truppe im Viertelfinale, nach diesen schwachen Partien gegen Ghana, die USA und Algerien?

Nach dem Abpfiff muss ich meine drei Kinder bewachen und die zwei argentinischen Schulfreunde des Sohnes, die sich zum Spielen angemeldet haben. Fünf Kinder zwischen zweieinhalb und neun Jahren, ganz oder weitgehend sozialisiert in Argentinien: Da werde ich nicht an Deutschlands Nachruf denken, höchstens an meinen eigenen. Also schreibe ich jetzt vor und veröffentliche mit dem Abpfiff. Erster! Wenn das Ergebnis stimmt.

Ein paar hübsche Ideen, ringsum Wörter und Wortspiele, und dann ruht hier gleich der deutsche Männerfußball.

12.05 Uhr. Mir geht diese Weltmeisterschaft ja mitunter sehr auf die Nerven. Mich nervt das demonstrative Gottangebete der brasilianischen Spieler. Mich nervt, dass man im Fernsehen wenig vom Spiel sieht, weil schon wieder eine Superzeitlupe von Neymars verzerrtem Gesicht eingespielt wird. (Und Neymar, darum natürlich wissend, verzerrt das Gesicht.) Viele Spieler scheinen sehr auf das Bild bedacht zu sein, das die Kameras von ihnen einfangen. Wenn Mario Götze eingewechselt wird, sieht er aus, als käme er nicht vom Aufwärmen, sondern geradewegs aus der Maske, und wolle weiter zum Fotoshooting. Frisuren sind auch wichtig geworden. Es wird getönt, gescheitelt und haargesprayt wie nie. Jeder hat seine Rolle. Selbst Thomas Müllers Empörung über einen nicht gegebenen Einwurf wirkt immer ein bisschen zu empört. Er ist der letzte deutsche Volkfußballspieler.

12.15 Uhr. Eine Idee reicht auch.

12.22 Uhr Die verkleideten und geschminkten Zuschauer nerven mich übrigens noch mehr als die winkenden. Sind die nächsten zwei Weltmeisterschaften – Russland 2018 und Katar 2022 – vielleicht auch eine Chance für den Fußball? Weil alle Tribünenspaßvögel – der Goudaaufdemkopfbalancierer, der Perückte, der Federschmuckträger – wegbleiben. Scheichs verkleiden sich ja wohl eher nicht noch mal.

12.29 Uhr. Ich könnte kritisieren, dass Joachim Löw bei diesem Turnier mit vier Innenverteidigern auf 1986 gemacht hat, weil er unbedingt und egal wie Weltmeischter werden wollte. Jedes Mittel war ihm recht, um nicht für alle Zeiten der Bundestrainer zu sein, der mit der goldensten Generation, die der deutsche Fußball je hervorgebracht hat, ohne Titel bleibt.

Übrigens, eine üble WM muss das gewesen sein, für Fußballästheten, damals vor 28 Jahren in Mexiko, aus deutscher Sicht, meine ich. Die Deutschen rumpelten, grätschten und mauerten sich durchs ganze Turnier. Teamchef Franz Beckenbauer sagte am Abend vor dem Endspiel gegen Argentinien zu seinem Assistenten Vogts: »Stell dir das mal vor, Berti. Mit dieser Trümmertruppe stehen wir im Finale. So schlecht ist der Fußball geworden.« Solche Sätze konnte der Franz also schon damals sagen. Ich dachte viele Jahre, Beckenbauer wäre erst 1990 – mit dem WM-Triumph in Italien – cool geworden.

12.36 Uhr. Ich könnte auch über Höwedes schreiben, der, sobald er schwitzt, aussieht wie Al Bundy. Höwedes schwitzt immer, schon in den ersten Minuten, er arbeitet ja Fußball nicht nur, er sieht dabei auch noch aus, als schöbe er schon die dritte unbezahlte Überstunde an diesem Tag.

Mir fällt gerade auf, dass mir nicht einfällt, wie Höwedes mit Vornamen heißt. Google sagt: Benedikt. Sieht der schwitzende Benedikt Höwedes wirklich aus wie Al Bundy? Vielleicht bilde ich mir das auch ein, weil ich in meinem Leben ein bisschen zu oft Al Bundy und viel zu oft Benedikt Höwedes gesehen habe. Außerdem: Wenn ich bei Höwedes bin, bin ich wieder bei Löw. Ohne Löw kein Manndecker als linker Verteidiger.

Der neue deutsche Fußball wurde in Argentinien in jüngster Zeit sehr bewundert. Für das Stürmische, Wilde, Leidenschaftliche und zugleich Leichte der Jahre 2006ff.; für die kurzen und schnellen Pässe, die in den besten Augenblicken eine Präzisionsarbeit waren, ohne je nach Herstellung am Fließband auszusehen. Es waren Künstler am Werk, keine Schrauber und Schweißer. Das passte überhaupt nichts ins Bild, das der Argentinier vom fútbol alemán hatte. Jahrzehntelang hatte man am Río de la Plata von »El Panzer«gesprochen. Die Deutschen zerstörten den schönen Fußball der anderen; und sie taten es mit deutscher Gründlichkeit.

12.56 Uhr. Argentinische Männer haben mir, dem Deutschen in Buenos Aires, oft Fußballkomplimente gemacht. Das war mir unangenehm. Argentinierinnen haben mir schöne Augen gemacht. Dagegen habe ich mich nicht gewehrt, obwohl ich ja schon ewig verheiratet bin. Und: weil. Natürlich dachten die Frauen an Jogi Löw und Oliver Bierhoff, aber man darf nicht alles im Leben hinterfragen. Verdammt schöne Augen!

Hätte Deutschland den Titel geholt, hätte ich in Buenos Aires eine Weile mit dem Weltmeischtertrainerdialekt gesprochen. Español badense. Hola, cómo eschtás? Haschta luego!

13.12 Uhr. Haha, das ist gut. Eine Idee! Me guschta mucho. Weiter! Weiter! Weiter! Jetzt habe ich einen Lauf und …

Fernseher: »Goooooooooooooooooooooooooooooooooooooool! Gooooooooooooooooooool para Alemania! Gooool de Mats Uuuuuummmmmmmmmeeeeeelts!«

Hmmmh.

14.45 Uhr. Nach 95 Minuten ist Schluss. 1:0 für D.

14.46:30 Uhr. Der Text liegt jetzt in der Schublade »Nachrufe, noch zu überarbeiten«.

Die hochspekulative Komödie

von MARC KOCH & CHRISTOPH WESEMANN

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Zwei Deutsche in Buenos Aires schreiben sich Kurznachrichten und plaudern über Fußball und den Rest.

CW. Wann spielt der nächste Weltmeister sein Viertelfinale? Sonnabendmittag? (Erbitte argentinische Anstoßzeit.)

MC. Freitag um fünf.

CW. Hahaha. Jetzt auch Kolumbianer, he?

MC. Klar! Oder Belgier. Alle anderen können gehen.

CW. Du warst ja auch schon Holländer, Chilene und Franzose.

MC. Nur für einzelne Spiele. Es muss verhindert werden, dass der hässliche Fußball Weltmeister wird. Um jeden Preis.

CW. Ein Idealist. Ein Schöngeist. Wie putzig! Ich komme gleich zum Streicheln vorbei.

MC. Aber zieh Dir vorher ein sauberes Trikot an!

CW. Argentinien hat alle Spiele gewonnen. Ich darf nicht waschen. Bringt Unglück.

MC. Wir brauchen übrigens einen Plan.

CW. Fürs Leben?

MC. Nein. Vielleicht doch. Ja, bestimmt. Ich meine aber: fürs Viertelfinale. Wir müssen reagieren, wenn Deutschland, Brasilien und Argentinien rausfliegen. Wer macht wen fertig?

CW. Puh.

MC. Als der authentische Argentinier, der Du ja bist, müsstest Du natürlich Deinen Jungs umgehend in den Rücken fallen. Wenn sie gegen Belgien am Sonnabend verlieren …

CW. … dann war mir das spätestens vor einer Woche längst klar.

MC. Zu spät! Viel zu spät! Du hast nie an diese Mannschaft geglaubt. Nie!

CW. Ich habe nie an diese Mannschaft geglaubt. Nie!

MC. Gut so. Ich nehme an, Brasilien machst Du dann gleich mit fertig.

CW. Ehrensache.

MC. Dann bin ich der deutsche Stammtisch. Wir sollten überlegen, wie wir das anpacken. Es soll ja originell werden.

CW. Was können wir, was die anderen nicht können? Was haben wir, was die anderen nicht haben? Wie sind wir? Und wie sind die anderen nicht?

MC. Wir sind schnell. Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geisteswissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie. Mehr?

Rumpelfußball reloaded

von MARC KOCH (Gastbeitrag)

Logo des WM-Tagebuchs - Zeichung: Danü (Daniel Schlierenzauer)

Marc Koch ist Lateinamerikakorrespondent der Deutschen Welle und lebt in Buenos Aires.

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Die zugegeben attraktive Dienstkleidung der Argentinier war noch kein bisschen beschmutzt, da hatten die Kommentatoren von Canal 7 schon die Erklärung parat: Der Boden im Stadion von São Paulo sei viel zu hart. Keineswegs liege es an den begnadeten argentinischen Fußballern, wenn der Umgang mit dem Spielgerät bisweilen etwas ungewöhnlich wirke. Wenn man zum Beispiel mal wieder nicht wusste, ob der Mann in weiß-himmelblau jetzt stoppen oder einen weiten Pass spielen wollte.

Dazu muss man wissen, dass Canal 7 das hiesige Staatsfernsehen und gleich nach Mate und Fernet-Cola eine der übelsten argentinischen Erfindungen ist. Zwischen Videoclips mit Regierungspropaganda senden sie ein bisschen Fußball und reden den schön, sofern es sich um das eigene Team handelt. Natürlich auch den Grottenkick gegen die Schweiz.

 

Nach diesem Spiel schickte der Hausherr CW, der von Fußball noch mehr versteht als von Marketing, eine SMS: »Noch dreimal so eine Scheiße, und wir haben den Pokal!«

Das klang irgendwie erschöpft. Aber Erschöpfte neigen ja dazu, große Dinge gelassen auszusprechen – unser MC Merte in der Eis-Eis-Tonne kann sozusagen ein Lied davon singen:

 

Und schon sind sie wieder da, die alten Geister.

Mit freundlicher Genehmigung von Härringers Spottschau (c)                              zum Vergrößern aufs Bild klicken

Keine zehn Tage ist es her, dass die Holländer gemeinschaftlich mit den Chilenen die Erfinder des schönen Fußballs getötet haben. Und schon ist er wieder salonfähig: der Rumpelfußball. (Es lohnt sich übrigens, Wikipedia nach »Rumpelfußball« zu fragen. Ich konnte nicht glauben, was ich da gesehen habe. (Grüße an die Kameraden von heftig.co!)

Hauptsache gewonnen ist wieder schick: zur Not auch mit einem »0,5 : 0«, wie Brasiliens Heulboje Neymar Junior gerade erklärt hat. Thomas Müller brandredet für »irgendwie gewinnen«, und das Fachblatt für den langen Ball in die Spitze lobt den »Schrottfußball«. Solange er erfolgreich ist. Die Rehabilitation des Rumpelfußballs feiert fröhliche Urständ.

Nur noch eine Frage der Zeit, wann die Fachpresse eine Wildcard für Griechenlands Finalteilnahme fordert.

Doch während wir dem Spirit von Mexiko, Chile und den USA nachtrauern und uns fit machen, Kolumbien und Belgien in die nächste Runde zu singen, kommt plötzlich Zuspruch von einer Seite, von der wir es nie erwartet hätten: von IHM. Dem, den sie hier für den ALLERGRÖSSTEN halten. ER also spricht zu uns: »Ich aber sage Euch: Wir können nicht immer nur der Sportclub Messi sein!« Und dann liest ER dem Übungsleiter Alejandro Sabella mal so richtig die Leviten.

ER will auch keinen Rumpelfußball. Dass ich das noch erleben darf!

Gracias, Diego!

*****

Härringers Spottschau hat uns freundlicherweise erlaubt, seinen Cartoon zu benutzen. Vielen Dank!

 

Die Pseudoexpertenkomödie

von MARC KOCH & CHRISTOPH WESEMANN

Logo des WM-Tagebuchs - Zeichung: Danü (Daniel Schlierenzauer)

Zwei Deutsche in Buenos Aires schreiben sich Kurznachrichten und plaudern über Fußball und den Rest. 

ERSTER AKT

MC. Traumfinale Costa Rica gegen Algerien ist immer noch möglich!

CW. Was wäre dagegen schon Argentinien gegen Brasilien?

MC. Jeder Klassiker wird irgendwann geboren.

CW. Seltsam.

MC. Was?

CW. Irgendwie ist heute kein Unterricht an der Uni.

MC. Nuscheln wieder alle?

CW. Nein. Ich bin allein im Raum 5.5. Und er ist dunkel. Ich gehe mal fragen.

MC. Gute Idee.

MC. Und?

CW. Ich wollte fragen, war aber gleich überfordert von der Frage, ob ich auf Karriere studiere oder ejecutivo … programa … grado … irgendwas anderes halt. Also, Karriere auf keinen Fall. Das andere dann.

MC. Das ist doch die richtige Antwort!

CW. Natürlich. Aber der Typ von der Information war nicht sonderlich hilfsbereit. Ich wusste ja auch nicht mal den Titel des Kurses.

MC. Marketing. Bei Sergio. Raum 5.5.

CW. Habe ich auch gesagt. Nix.

MC. Dann war’s kein Argentinier. Ein Argentinier antwortet immer. Ehe Dir ein Argentinier keine Antwort gibt, gibt er Dir lieber eine falsche. Aber ganz tolle Menschen. Immer sooooooooooooo hilfsbereit. Übrigens: Wie heißt die Hauptstadt von Costa Rica, ich komme gerade nicht drauf?

CW. Ähm. Managua.

MC. Danke, Du hast den Test bestanden.

*****

ZWEITER AKT

CW. Ich muss Dir was gestehen.

MC. Ich höre.

CW. Bei der WM 1990 war ich gegen Argentinien.

MC. Gibt Schlimmeres.

CW. Ich war für Italien.

MC. Bitte? Waaaaaaaaaas?

CW. Wegen Toto Schillaci.

 

MC. MAN IST NIEMALS FÜR ITALIEN!

CW. Ich war zwölf. Und Ossi. Ein zwölfjähriger Ossi aus einer Kleinstadt.

MC. MAN IST VIELLEICHT MANCHMAL NICHT GEGEN ITALIEN. VIELLEICHT! MANCHMAL!

CW. Ich kann übrigens die deutsche Mannschaft nicht mehr angucken.

MC. Jetzt übertreibst Du es aber mit Deiner Argentinisierung.

CW. Ist mir zu akademisch, das deutsche Spiel.

MC. Dir fließt natürlich nicht genug Blut.

CW. Fußball ist: unsaubere Grätsche, schmutziges Trikot, große Eier.

MC. Müller. Müller hat Eier.

CW. Aber im Sturm fehlt eindeutig der Typ Hrubesch.

MC. In welchem Sturm?

CW. Du musst das ganzheitlicher betrachten. Im modernen Fußball gibt es keine festen Positionen mehr. Manuel Neuer ist sozusagen die hängendste Spitze. Verstehst Du?

MC. Das sagt die Fleisch gewordene Blutgrätsche, die den mitspielenden Torwart für eine Erfindung von Mario Basler hält? Damit er weniger laufen musste?

CW. An Mats Hummels wird der Streit zwischen seiner Freundin Cathy Fischer und der Ex von Ballack auch nicht spurlos vorbeigehen. Wahrscheinlich hat der Teampsychologe nicht mal mehr Termine frei für die anderen. Armer Poldi.

MC. Die Albträume fürchten Poldi. Poldi therapiert sich selbst. Bei Poldi liegt der Psychologe auf der Couch.

CW. Prognose für Deutschland?

MC. Es reicht für die schwächeren Teams, also USA, Argentinien oder Brasilien. Aber für Frankreich, Kolumbien oder Holland? Ich weiß ja nicht.

CW. Hast Du gerade Argentinien zu den schwächeren Teams gezählt? Meine Argentinier haben bisher geblufft.

MC. Das machen sie ja am liebsten. Und das haben sie mit unserem Beruf gemeinsam. Deswegen mögen wir sie ja auch so.

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DRITTER AKT

CW. Schön, dass Brasilien weiter ist.

MC. Seit zwei Wochen erzählst Du mir, dass Du die Mannschaft, nein: das ganze Land nicht leiden kannst – mit Ausnahme der Brasilianerinnen.

CW. Weil ich ein guter Argentinier bin. Und weil Diego nun mal viel größer ist als Pelé.

MC. Du wirst doch nicht den dicken Lügner mit Pelé-Fußballgott vergleichen wollen!? Und warum bist Du jetzt für Brasilien?

 

CW. Ich habe nachgedacht: Brasilien erreicht das Finale, natürlich total unverdient. Sie spielen mies, richtig mies, kommen aber jedes Mal weiter. Tore nach Ecken. Tore nach Elfmetern. Tore nach Neymar. Aber dann werden sie im Endspiel von Argentinien – endlich! – kaltgemacht. Die ganze Welt wird uns lieben, verehren, bewundern. Wie wir es verdient haben.

MC. Mieser Taktiker! Opportunist!

CW. In Deutschland werden Neugeborene nach mir benannt.

MC. Hebamme: »Na, wie heißt er denn, unser kleiner Fratz?« – Mutter, noch keuchend: »CW.« – Hebamme (zu sich selbst): »Schon der Vierte heute, und nebenan in der Wanne wird auch noch gehechelt.«

CW. Straßen auch.

MC. Straßen natürlich auch. In Niederndodeleben.Und in La Boca: »Calle de la madre que le parió a CW«.1 Hat ja schon mal nicht geklappt! Aber erst, wenn Dein Sohn seinen Erbteil auf Kokspartys in Rosario durchgebracht hat, während Du in Hamburg-Lokstedt aufm Armenfriedhof liegst. Und genau dann werde ich mit Deiner Biografie – trimedial! – Bestsellerautor.

CW. Titel?

MC. Wesemann: Autor. Vater. Fußballer. Als E-book, DVD und Buch. Auch im Geschenkschuber.

CW. Nicht weniger als 800 Seiten! Besser 1000. Wirkt sonst zu komprimiert, mein Leben.

MC. Du musst mir natürlich die Manuskripte und Briefwechsel überlassen.

CW. Ich gucke jetzt mal Holland gegen Mexiko und studiere Argentiniens überübernächsten Gegner.

MC. Das wäre ein geiles Halbfinale!

CW. Aber kein leichtes.

MC. Sicher.

CW. Unangenehm zu spielen.

MC. Oh ja!

CW. Sind gut drauf.

MC. Das kannst Du laut sagen.

CW. Verrückter Trainer.

MC. Sehr verrückt.

CW. Sehr guter Torhüter.

MC. Ja, auch.

CW. Die dicken Männer mit den Riesenhüten nerven natürlich.

MC. Wie bitte?

CW. Und die Schnurrbärte – auch die Frauen.

MC. Häh?

CW. Tequila könnte ich auch mal wieder trinken.

MC. Zum Teufel: Wovon redest Du?

CW. Mexiko!

  1. »Straße zu Ehren der Mutter, die CW gebar« []

Abschlusstraining (2)

von CHRISTOPH WESEMANN

Logo des WM-Tagebuchs - Zeichung: Danü (Daniel Schlierenzauer)

Unser Spaniologe Marc Koch empfiehlt Ronald Reng, der so viele großartige Bücher über Fußball und Fußballer geschrieben hat, unter anderem die Biografie von Robert Enke. Reng erbricht sich köstlich − erst auf seiner Facebookseite, dann noch einmal in der Taz. Übelkeit haben ihm all die verursacht, die den spanischen Fußball a) nicht verstehen, b) für tot erklären oder c) beides. Wir haben im Blog zwar einen Nachruf veröffentlicht, einen fabelhaften übrigens. Aber zugleich klargemacht: Die Spanier werden spätestens in vier Jahren wieder eine Macht sein. Trotzdem streue ich Asche auf mein Haupt, denn beim ersten Punkt hat mich Reng tatsächlich erwischt:

Vollidioten, labert weiter Blödsinn!

1. So oft es auch wiederholt wird: Das spanische Spiel von den kontinuierlichen Passkombinationen heißt nicht Tiki-Taka, sondern el toque, zu deutsch: »die Berührung des Balles«. Tiki-Taka war ein Schimpfwort des rustikalen spanischen Nationaltrainers der Neunziger, Javier Clemente, der damit das samtene Passspiel der Barca-Schule verspotten wollte: »dieses Tiki und Taki«. Weiterlesen

Fußball ist bekanntlich nur die schönste Nebensache der Welt. Es gibt viel Wichtigeres. Aber das kann mitunter in die Verlängerung gehen − jedenfalls in Argentinien, wie Helge in seinem Blog Me llaman Jorge erzählt:

Das Bürokratiemonster

Es fing aber damit an, dass die behandelnden Ärzte in einem Krankenhaus am anderen Ende der Stadt praktizieren, was ungeheuer praktisch ist, weil Rezepte hier grundsätzlich nicht per Post verschickt werden. Kostet ja Geld. Und außerdem müsste jemand zur Post laufen und dort Schlange stehen. Die Postämter werden nämlich auch als Auszahlstellen für Sozialhilfe in jeglicher Form mißbraucht. Und Briefkästen zum Einwurf hab ich glaube ich zuletzt 1995 gesehen. Weiterlesen

Es ist nicht unsere Art, auf unseren kleinen Nachbarn herabzuschauen, zumal Fußballexoten ja eine Weltmeisterschaft auch irgendwie bereichern. Aber man wird wohl noch daran erinnern dürfen, wem die Chilenen ihre tolle Mannschaft verdanken. Uns! Argentinien! Javier Caceres hat Nationaltrainer Jorge Sampaoli vor einigen Tagen in der Süddeutschen Zeitung porträtiert:

Der Weltmeister-Überlister

Sampaoli wurde in einem argentinischen Provinznest der echten, nicht der sprichwörtlichen Pampa geboren: Casilda, wo es »47 Straßen, vier Plätze und das Recht auf Siesta« gibt, wie die chilenische Zeitung El Mercurio recherchierte. Er hätte eigentlich Profi werden wollen und war bei Newell’s Old Boys aktiv. Weiterlesen

Toller Typ, Argentiniener halt.

Noch was ohne Text, einfach nur Bilder: Fußballer der WM und ihre Doppelgänger. Mit dabei sind drei große Schauspieler: Steve Buscemi, Robert De Niro und Chuck Norris. Hier geht’s lang.

 


Argentinische Helden

Diego Maradona, gezeichnet von Danü (c)

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Musik: Somos de acá

Steckbrief

Wir sind schnell.
Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geistes-
wissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie.


2012 von Christoph Wesemann in Buenos Aires gegründet. Derzeit im Exil. (Berlin)