Archiv für das Thema ‘Fußball’

Pep Guardiola, die Katzenfresser, der fluchende Taxifahrer und ein Sohn

von CHRISTOPH WESEMANN

Wenn die Newell’s Old Boys aus Rosario Ende Juli die Copa Libertadores gewinnen sollten und dann im Weltpokalfinale in Tokio1 Marokko gegen die Bayern spielen, werde ich Pep Guardiola anrufen und mich als Informant auf Honorarbasis (steuerfrei) anbieten. Ich habe die Truppe aus der Provinz Santa Fe jetzt zweimal live gesehen und kann das Spiel der so genannten »Katzenfresser« lesen. Pep lernt natürlich deutsch, aber um sicher zu gehen, dass er meine Anweisungen zum horizentalen Pressing mit gleichzeitiger Vertikalverschiebung auch kapiert, werden wir in seiner Sprache reden. Ich hoffe nur, dass er mit seinem Gelehrtenspanisch mein eher volkstümliches Argentinisch mit starkem Buenos-Aires-Akzent auch versteht.

Diesmal hatten es die Newell’s Old Boys, der Tabellenführer der ersten Liga, auch Ñuls genannt, übrigens mit dem Hauptstadtklub All Boys aus dem Viertel Floresta zu tun. Montagabendspiel. Feierabendverkehr. Verstopfte Hauptstraßen. Gesperrte Nebenstraßen. Rauchende Polizisten am Rand. Ein paar hundert Meter vorm Ziel soll aus den drei Spuren, die aber benutzt werden, als wären es fünf, nun eine Spur werden. Der Taxifahrer ganz links lässt mal kurz die Hupe los, macht die Scheibe runter und zeigt mit dem Finger Gesprächsbedarf an. Was ist denn los? Er gibt alles: eine halbe Minute feinster Schimpfwörter und Flüche, alles Hurensöhne, Trottel, scheiß Baustelle, hörst du, die F**** deiner Schwester, die Hure, die mich geboren hat, sollen mir doch alle einen blasen, diese Idioten.

Recht hast du, mein Freund, danke fürs Gespräch.

»Hast du das gehört?«

»Jedes Wort, Papa.«

Aber wo müssen wir überhaupt hin? Fragen wir doch den jungen Mann im All-Boys-Trikot nach dem Weg zum Estadio Islas Malvinas. Der kommt gleich mit einer Gegenfrage. »Willst du zum Eingang von Ñuls?«

»Hey, ich ess‘ doch keine Katzen!«

Großes Hahaha.

Klar, wenn man sich als Fan der Heimmannschaft ausgibt, sollte man vielleicht das Stadion auf Anhieb finden. Andererseits: Fassungsvermögen 21 000. Das ist keine Cancha, das ist eine Canchita, die man durchaus mal übersehen darf.

Am Ende steht ein 2:1-Sieg der Hauptstadt über die Provinz. Und der Siebenjährige nutzt die Chance zum Triumphieren, beschimpft aus voller Kehle die abrückenden Gäste als »hiiiijos de puuuuutaaa« – und bekommt Szenenapplaus.

  1. Da verlasse ich mich mal wieder auf Lebenserfahrung (wie immer Tokio, wo denn sonst) und bekomme gleich eine dezente Kurznachricht mit Link von Leser Wacho_Chorro: »Morsche, zieh Deinen Bericht zurück. Dicker Fehler drin.« []

Der Fluch und die Läuse-Kolumne

von CHRISTOPH WESEMANN

Am 3. Juli 2012 kletterte ich mit meiner Frau und drei Kindern in ein Flugzeug, um die nächsten Jahre in Buenos Aires zu leben. In der Nacht, irgendwo über dem Atlantik, sagte ich River Plate ab und ließ mein Herz für die Mannschaft aus dem Hafenviertel schlagen. Als wir argentinischen Boden betraten und auf unsere 13 Koffer warteten, erfuhr ich, dass meine Boca Juniors am Abend das Finale der Copa Libertadores gegen Corinthians verloren hatten. Ich wusste zwar erst jetzt, dass wir so weit gekommen waren, war aber wegen der Niederlage augenblicklich zerstört. Ich wollte niedersinken und theatralisch trauern, aber dann kam das Gepäck, und wir mussten ja auch los. Juan Román Riquelme war zurückgetreten, der einzige Boca-Spieler, den ich kannte, ja, auch das noch.

Quilmes-Newell's 2

Quilmes-Newell's 3

Quilmes-Newell's 4

Quilmes-Newell's

In der Ligatabelle stehen jetzt Vereine vor uns, von denen ich bis vor einem Jahr noch nie etwas gehört hatte: Lanús. All Boys. Rafaela. San Martín. Angeblich gibt es sogar einen Klub namens Godoy Cruz, und der ist auch noch Fünfter. Wir sind Drittletzter. Wenn das so weitergeht, nehme ich, bevor wir nach Deutschland zurückkehren, noch Bocas Abstieg mit.

Es scheint ein Fluch auf mir zu liegen, wahrscheinlich bekomme ich eines Tages, wie die sieben schwarzen Katzen von Independiente im Racing-Stadion, einen Abschnitt bei Wikipedia, weil sich herausgestellt hat: Meine Sippe und mich mit 13 Koffern für ein paar Jahre nach Buenos Aires zu schicken war nur ein großes Komplott von River Plate.

Mein Sohn findet Boca auch gut. Ich habe mich auf gar keine Diskussion eingelassen, ich werde noch früh genug jeden Einfluss auf ihn verlieren, er lässt sich ja schon jetzt wenig von mir sagen, was seine Mutter übrigens überhaupt nicht schlimm findet.

Ich will es als Fußballphilosoph nicht übertreiben, aber es ist doch so: Ich habe es meinem Sohn leicht machen wollen. Boca ist ein Erfolgsklub: 24 Meisterschaften, nur ein Verein hat mehr, und es spielt gar keine Rolle, welcher. Die meisten Spiele im Leben gehen aber nun einmal verloren. Man will immer gewinnen, und meistens verliert man. Vieles ist Kampf und Krampf. Man lauert auf Großchancen, um sie dann zu vergeben. Und wer nie ausgewechselt worden ist, obwohl es gerade ziemlich gut lief, hat Entscheidendes verpasst: die Hoffnungslosigkeit, die Reha fürs kranke Herz und das Comeback.

 

Nun habe ich mit meinem Sohn einen anderen Verein besucht und darüber eine Kolumne geschrieben, als Gastbeitrag für das wunderbare Blog Argifutbol – Argentinischer Fußball auf Deutsch. Darauf wollte ich hinaus – und außerdem die übrig gebliebenen Textreste weiterreichen, man soll ja nichts verkommen lassen.

Ein Lausbub bei den Bierbrauern von Quilmes

Seit mein Sohn bei den Cerveceros gewesen ist, hat er Läuse. Wegen der angedeuteten Kausalität zwischen der Cancha von Quilmes und dem Kopfkratzen des siebenjährigen Kolumnistenkindes könnten mich die Bierbrauer aus der kleinen Stadt im Speckgürtel von Buenos Aires locker verklagen. Ich habe nämlich keine Beweise, ich kann nur sagen: am Abend Estadio Centenario, am Morgen Pediculus humanus capitis.

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Danü hat wieder zwei zauberhafte Bilder gemalt – eins zeige ich hier. Wir trafen nämlich die Katzenfresser aus Rosario.

Katze

Eine tolle Dokumentation mit deutschem Untertitel gibt es über den Quilmes Atlético Club und seine Fans übrigens auch.

Haste ma‘ ’nen Messi?

von CHRISTOPH WESEMANN

Den Einzigartigen gibt es jetzt zweimal: Weil der Dollar auf dem Schwarzmarkt demnächst wohl zehn Peso kosten wird, nennt man ihn schon »Messi«. Die Logik: Floh Leo hat die Rückennummer 10, und überhaupt ist ja alles Fußball in Argentinien. Der offizielle Wechselkurs von fünfkommairgendwas ist nur noch ein Witz, ein unterirdischer. Denn der Kurs, zu dem man überhaupt noch an Dollar kommt, liegt 80 Prozent höher.

Doppelmessi

Tja, es sind verrückte Zeiten, mal wieder. Der Wirtschaftsminister stammelt im griechischen Fernsehen, weil ihm zur Inflation nichts einfällt – nicht mal deren Höhe. »Me quiero ir, si, me quiero ir«, sagt er. »Ich will gehen, ja, ich will gehen.« Leute, die die Regierung nicht mehr so mögen, und das sind inzwischen eine Menge, haben nichts dagegen. »Ja, dann geh doch!« Aber das ist alles noch vergleichsweise harmlos. Denn die Regierung steht schwer unter Verdacht, und die Spuren führen bis zur Präsidentenfamilie: Angeblich mit Wissen Cristina Kirchners sollen in der Pinguinprovinz Santa Cruz, der Heimat des Staatsoberhauptes, über Jahre millionenschwere Bauaufträge an Freunde gegangen sein. Außerdem: Geldwäsche im großen Stil, mal in Uruguay, mal – na klar – in der Schweiz. Die Rede ist vom »Weg des Kirchnergeldes«.

Aufgedeckt hat den Skandal maßgeblich Jorge Lanata in seiner Sonntagabendsendung Periodismo para todos (Journalismus für alle). Heute wurde er im Radio gefragt, ob es übermorgen neue Enthüllungen gebe. Lanata sagte, sinngemäß: Es geht jetzt erst los.

Als die Präsidentin vor ein paar Tagen in Santa Cruz unterwegs war, rief eine Frau aus der Menge: »Vorsicht, sie stehlen!« Kirchner antwortete: »Niemand wird irgendwas stehlen, bleib ruhig, Liebste!« Dann zitierte sie noch Juan Domingo Perón, den Überpräsidenten von einst: »Wir alle sind gut, aber wenn wir uns kontrollieren lassen, sind wir noch besser.«

Sonst was Neues? Ja, der andere Jorge, der ausgewanderte, wird sich demnächst eine Putzfrau zulegen. Die Präsidentin glaubt nämlich, er habe schon eine, und weil er nicht weiß, wie er nachweisen soll, dass er keine hat, wird er bald eine haben. Glaube ich. Was sich die argentinische Regierung da wieder ausgedacht hat, steht jedenfalls drüben bei Jorge. Schon vor längerer Zeit hat er beschrieben, wie irre das mit dem Dollar ist. Ich empfehle dringend, auch die Kommentare zu lesen. Wer alles versteht, muss mit Stephen Hawking oder Bill Gates verwandt sein. Bei mir war’s extrem knapp.

Aber nun bereiten wir uns bitte auf den Sonntag vor. So schlimm kann keine Regierung sein, dass wir den Superclásico vergessen. Die Boca Juniors empfangen River Plate, den Erzfeind aus dem edlen Stadtviertel Nuñez, und ich bin grenzenlos optimistisch. Wir haben nämlich am Mittwochabend in der Copa Libertadores, der südamerikanischen Champions League, gegen Corinthians Paulista gespielt und die brasilianische Supertruppe aus dem Stadion gefegt1. Wir sind so gut drauf, wir würden sogar Bayern und Dortmund bezwingen, also jedenfalls die U-23. Der Schiedsrichter der Partie heißt übrigens Delfino mit Nachnamen und Germán mit Vornamen.

Sohn und ich brauchen nur noch einen Plan, um den Kindergeburtstag der Vierjährigen am Sonntagnachmittag zu schwänzen. Zwei Männer gegen acht Mädchen – nein!

  1. 1:0 []

Pablo und die komplexe Minderwertigkeitskolumne

von CHRISTOPH WESEMANN

Mein Nachbar Pablo versteht nicht, dass ich diese Matetasche aus echtem Kunstleder vom Markt im Rivadavia-Park unbedingt gebraucht habe. Dabei hat sie umgerechnet nur zwölf Euro gekostet. Und wie soll man außerdem alles transportieren, was man braucht, um unterwegs Mate zu trinken: die Thermosflasche, das Yerbakraut, den Trinkhalm, den Becher?

Matekram

Ich kann es aber Pablo sowieso nie recht machen. Wenn ich beim Sprechen argentinisch gestikuliere, also die Fingerkuppen zusammenführe und die Hand aus dem Gelenk unentwegt schüttele, weil mir das hilft, die Wörter zu finden, regt er sich auf. Wenn ich dann nicht gestikuliere, versteht mich Pablo nicht – und regt sich auch auf.

geste neu

Ein Deutscher, der schon ein paar Jahre in Buenos Aires lebt, hat mir neulich seine argentinische Theorie vorgestellt, die im Kern besagt, dass zwei Argentinier (oder mehr) auf einem Haufen für Nichtargentinier schwer erträglich seien. Die Formel lautet entsprechend:

• 1 Argentinier = 1 Mensch

• 1 Argentinier + 1 Argentinier = 2 Größenwahnsinnige

• x Argentinier + x Argentinier = x+x Größenwahnsinnige.

Ich halte die argentinische Theorie für unausgereift. Sie berücksichtigt zum Beispiel nicht den so genannten Pablofaktor.

»Häng einem Ausländer eine Matetasche um, und er denkt, er wäre Argentinier«, sagt Pablo.

Ich gebe übrigens zu: Ich habe die Matetasche vor allem für die Zeit gekauft, wenn ich wieder in Deutschland lebe und sonnabendnachmittags in meine kleine Charlottenburger Kneipe gehe, um die Bundesligakonferenz auf Sky zu gucken.

Ich habe meinen Auftritt bereits geplant und auch die Dialoge vorgeschrieben. Ich werde, egal wie heiß es gerade ist, den schwarzen Poncho und den schwarzen Lamahirtenhut tragen, die ich mit Herrn T. in La Quiaca (Bolivien) gekauft habe. Dann trete ich ein, puh, stinkt das hier, und meine Augen brauchen auch ein Weilchen, bis sie den Zigarettenqualm durchschaut haben. Ganz so schlimm ist es nicht, aber als großer Theaterfreund weiß ich natürlich: Hetzen lassen sich nur die Nebendarsteller.

»Dass ihr euch immer so groß machen müsst, ist nicht angenehm«, sagt Pablo. »Und uns erreicht ihr ja sowieso nicht.«

Poncho

Ich sehe den Tisch von Gabi, die in einem Spandauer Blumengeschäft arbeitet, und von Peter, der nicht arbeitet. Gabi ist wieder direkt von der Arbeit gekommen und trägt noch ihren Fleurop-Pullover. Sie wird in den nächsten zwei Stunden fünf Tassen Kaffee trinken und bei jedem Dortmunder Tor schreien. Was sie ganz besonders nicht mag: Tore der Bayern, Tore der Schalker und Kneipengäste, die nicht über Fußball reden oder von ihr jetzt, nach Feierabend, wissen wollen, wie man Orchideen umtopft.

Peter fährt viel Fahrrad und betreut als Co-Trainer eine Fußballmannschaft, E-Jugend. Michael Ballack, der Micha, ist sein Allzeitheld, und jedes Mal, wenn einer zu lange mit dem Ball läuft, wird Peter den Fernseher anbrüllen: »Spiel doch ab, du Idiot!« Schon vor dem Anpfiff schaut er alle drei Minuten auf seinen Wettzettel. Die Bayern müssen heute zu Hause mit drei Toren Unterschied gegen Braunschweig verlieren. Aber Braunschweig kann befreit aufspielen, die Mannschaft steht ja schon seit fünf Wochen als Absteiger fest. Dann noch zwei Spiele, in denen jeweils mehr als sechs Tore fallen, aber bitte nicht alle in der ersten Halbzeit, plus ein Doppelpack des Stürmers, der seit Monaten nicht getroffen hat, und wenn die vier anderen Partien enden, wie Peter das annimmt, dann hat er aus fünf Euro 1628,34 gemacht. Seinen Gewinn wird er aber erst am Montag im Wettbüro abholen, denn gleich morgen, das wäre viel zu riskant. Die anderen denken ja, dass er gleich am Sonntag das Geld abholt, also denkt er, Peter, gar nicht dran.

Der Stuhl zwischen Gabi und Peter ist frei. Mein Platz. Ich gehe ein paar Schritte und grüße unterwegs den Mann hinterm Tresen: »Wie geht’s dir, Horst?«

»Hä?«

»Du erinnert dich nicht an mich, oder? Bin ’ne Weile weggewesen. Argentinien.« Kurze Pause. Das Wort muss ja erst wirken. »Ich war der mit der Cola. Ohne Glas. Aus der Flasche. Macht’s jetzt klick?«

»Jut«, sagt Horst, »ick bringse dir.«

»Nein, keine Cola mehr. Ich brauch heißes Wasser«, sage ich und hole die Thermoskanne aus meiner Matetasche. »Aber kochen darf‘s nicht, 75 Grad, ja? Und bisschen kaltes Wasser, bitte. Der erste Mateschluck darf nämlich nicht heiß sein.«

Dann werde ich schlürfen und mich demonstrativ nur mäßig interessieren für die Bundesligakonferenz, und das nicht nur, weil die Boca Juniors gleichzeitig spielen, was ich per Live-Ticker möglichst unauffällig, also so, dass es wirklich jeder mitbekommt, auf dem Handy verfolge. Hin und wieder werde ich murmeln, dass es der deutsche Fußball in punkto Leidenschaft gar nicht mit dem argentinischen aufnehmen könne.

»Argentinier kann man nicht kopieren«, sagt Pablo. »Der liebe Gott hat uns mit einem Kopierschutz ausgestattet.«

Als die Mauer fiel, war ich elfeinhalb. Bis dahin hatte ich die DDR zweimal verlassen, 1985 und 1988, immer Tscheh-ess-ess-ärr. Von der Welt kannte ich Prag, Bratislava und Mladá Bodeslav. Wenn ich heute, beinahe ein Vierteljahrhundert später, mittwochnachts um halb elf vom Fußballspielen nach Hause fahre und mich im Radio zufällig das falsche, also richtige Lied erwischt, muss ich manchmal schlucken. Vor Glück, dass ich hier lebe, vor Glück, dass ich gerade mit neun Argentiniern unter Flutlicht in einem Käfig gekickt habe, vor Glück, dass ich in diesem Augenblick am berühmten Monumental vorbeirolle, dem Stadion des Klubs River Plate, und natürlich vor Glück, dass mein Herz einem anderen Verein gehört. All das und noch viel mehr war doch bei meiner Geburt überhaupt nicht vorgesehen.

 

»Schön, dass du wieder da bist, mein Großer«, wird Gabi in der Halbzeitpause sagen. »Der ganze Kiez, vom Klausenerplatz bis zur Schustehrusstraße, hat übrigens dein Argentinisches Tagebuch gelesen, jede einzelne Kolumne, sag ich dir. Und wir haben dich bewundert, wie du klargekommen bist da am Ende der Welt, du warst ein richtiger Argentinier. Die Leute in Buenos Aires haben dich ja überhaupt nicht mehr als Ausländer wahrgenommen.«

»Das lag doch nur daran, dass ich akzentfrei spanisch gesprochen habe.«

»Nee, nee, Großer, nicht so bescheiden, das lag nicht nur daran. Da gehört schon mehr dazu. Wahnsinn, oder, Peter?«

»Absolut, Gabi. Einfach war das bestimmt nicht.«

»Ach, na ja, nun übertreibt mal nicht.«

»Schwachkopf, das Ding leih ich mir mal aus, brauchst du ja sowieso nicht«, sagt Pablo.

El peluquero y el filósofo

von CHRISTOPH WESEMANN

Mi corte de pelo – no quiere que lo llamen peinado – desde ayer me está exigiendo una explicación.

Oldells Boys

Tal vez debí haber estado advertido. Por un lado, el cliente anterior dejó unos tres kilos de rulos negros en el piso del salón – supuestamente porque es periodista y tiene poco tiempo para ir a la peluquería, según dijo más tarde Julio, el hombre de las tijeras.

Por otra parte, había fotos en la pared junto al espejo: el seleccionado de fútbol uruguayo y el Presidente uruguayo José Mujica.

Mujica

Mujica, llamado El Pepe, cultiva flores, es un ex – guerrillero del movimiento de liberación tupamaro y ateo. Su auto privado es un VW escarabajo y como limusina oficial le gusta utilizar un Opel Corsa. Calienta el agua para el mate en una caldera abollada y dona el 90 percentos de su sueldo de 12 500 dólares a pequeñas empresas y ONGs.

Recientemente ofendió a la Presidenta argentina Cristina Fernández de Kirchner y a su fallecido esposo Néstor. Supuestamente no sabía que el micrófono estaba abierto cuando dijo »Esta vieja es peor que el tuerto. El tuerto era más político, esta es terca.«

 

»¿Sos uruguayo?« le pregunté a Julio, mi nuevo peluquero, a quien descubrí casualmente en el barrio de Almagro, donde el niño de 7 y la niña de casi 4 estudian ruso los miércoles.

»Sí. Pero ya hace muchos años que vivo en Buenos Aires.«

»Esta mañana no me lavé el pelo. ¿Te molesta?«

»Pero no … ningún problema.«

Entonces Julio comenzó a cortarme los dos centímetros que habíamos acordado, contándome al mismo tiempo acerca de dónde en Uruguay podría pasar las mejores vacaciones. Fue a buscar un mapa, paseó con su dedo índice por la costa atlántica hasta Castillos y me recomendó por último que sentara base en Aguas Dulces. Supuestamente sería una playa sin gente, un pueblito paradisíaco, algunos restaurantes y la laguna de Castillos: »¡Un sueño! Cuando quieras ir vení antes por aquí que te ayudaré a encontrar algo bueno.«

O nuestra conversación duró demasiado, o los peluqueros uruguayos no dominan el sistema métrico.

Para los supuestos dos centímetros menos de cabello que debía tener, mi cabeza había quedado demasiado calva.

»¿Te gusta vivir aquí?« pregunté como para despedirme.

»Sí, mucho, Buenos Aires es una ciudad maravillosa«, dijo Julio. »¡Ay, si no hubiera tanta delincuencia!«

»¿Está empeorando?«

»Sí.«

»¿Por qué?«, pregunté. »¿Demasiados pobres?«

»No.«

»¿No?«

»Demasiados ricos.«

(Según Wikipedia, Aguas Dulces tiene »417 habitantes, de los cuales 215 son hombres y 202 mujeres«.)

◊◊◊◊◊

Muchísima gracias a mi lectora Moníca por la traducción del texto Phriseur y Filosoph.

Papa allein zu Haus: Eine Prügelei, ein Schwein mit Trikotsponsor und das Winkebaby

von CHRISTOPH WESEMANN

Ich bin erst zwei Tage allein mit den drei Kindern, das ist noch nicht einmal Halbzeit. Aber zum Glück habe ich alle im Griff.

◊◊◊◊◊

In der Küche, wo ich abwasche, erreichen mich Schreie aus dem Wohnzimmer. Ich klappere ein bisschen mehr mit dem Geschirr, vielleicht hilft das ja. Nein, die Schreie werden lauter, ich identifiziere: die Stimmbänder der fast Vierjährigen.

»He! Was ist da los?«

»Papa, er haut mich.«

Kurzes Nachdenken. Selbstgespräche ohne Ton. Ich sollte endlich etwas essen, oder? – Aber du wäschst doch gerade ab. – Trotzdem. Ich habe Hunger. – Ist sowieso nichts da. – Sag das doch gleich.

»Hau zurück.«

Der Kampf geht über mehrere Runden. Kein eindeutiger Sieger.

◊◊◊◊◊

Der Siebenjährige hat im Deutschunterricht am Internationalen Tag des Buches (23. April) ein Schwein basteln müssen. (Nein, was ein Schwein damit zu tun hat, kann ich nicht erklären. Ich wüsste es aber auch gern.) Ich lasse mir das Arbeitsheftchen zeigen.

Titelblatt: »Wir malen ein Schwein.«

Seite 2: »Wir malen drei Kreise auf das Blatt.«

Seite 3: »Dann malen wir vier Punkte.«

Die Aufgaben mögen für Zweitklässler etwas sehr leicht wirken, aber es sind ja argentinische Zweitklässler, die Deutsch lernen. Ich nehme zum Beispiel an, dass bei mir – wären das spanische Sätze – am Ende eine Giraffe herauskäme. Oder ein Nashorn.

Seite 4: »Wir malen zwei Dreiecke.«

Seite 5: »Und nun malen wir zwei Vierecke.«

Seite 6: »Am Ende malen wir einen Kringel.«

Rückseite: »Jetzt basteln wir zusammen ein buntes Schwein!«

Das Sohnschwein heißt Lloyd und sieht so aus:

Boca Schwein

Lloyd trägt das Trikot der Boca Juniors, ganz eindeutig. Sein Verein. Mein Verein. Unser Verein. Sogar an den Trikotsponsor hat mein Sohn gedacht. Aber Schwein bleibt Schwein. Ich weiß nicht, ob das bei dem Burschen was Harmloses ist – vielleicht Unterbelichtung im Oberstübchen – oder eher was Dramatisches: Vereinswechsel.

 

◊◊◊◊◊

Die Rothaarige ist fasziniert von den chinesischen Winkekatzen, die in vielen Schaufenstern stehen, es gibt ja auch viele Chinesen. Manchmal schauen wir minutenlang zu, wie die kleinen Goldviecher hinter der Scheibe den Arm auf und ab bewegen. Man trifft in Buenos Aires eigentlich keine Katzen, vielleicht wegen der vielen Chinesen. Hunde gibt es allerdings genug.

Wenn wir weitergehen, frage ich: »Macht die Katze miau

Die Rothaarige schüttelt den Kopf, sagt »no«, ballt die Faust und winkt mit dem Arm.

Kinderquatsch mit Messi, der Mama von Fran und Onkel Siggi

von CHRISTOPH WESEMANN

Das fast vierjährige Vorschulmädchen schaut mit mir im Sportkanal Barcelona gegen Paris St. Germain, das Viertelfinalrückspiel der Champions-League. Barca liegt 0:1 zurück und braucht ein Tor, um das Halbfinale zu erreichen. Lionel Messi, als erster Spieler viermal in Folge Weltfußballer, soll eingewechselt werden und beginnt sich warmzuwachen. Der Argentinier ist noch verletzt und darf eigentlich nicht spielen.

 

»Kennst du Messi?«, frage ich.

»Ja!«

»Magst du ihn?«

»Ja!«

»Ist der gut?«

»Hm, ich glaube nicht.«

Zehn Minuten später tritt Messi einmal an, trickst zwei Spieler aus und bereitet den Ausgleich vor. »Einbeiniger Allmächtiger« titelt die Süddeutsche Zeitung zwei Tage später und staunt: Messi habe, obwohl erkennbar geschwächt und kaum fähig zu laufen, die »psychologische Balance des Spiels schlagartig« verändert. »Er kippte sie.« Stürmer David Villa wird mit dem Satz zitiert: »Messi entscheidet ein Spiel mit seiner alleinigen Präsenz.«

◊◊◊◊◊

Wir sprechen über das Verhältnis zu ihrem siebenjährigen Bruder.

»Weißt du, Papa, er sagt zu mir immer blöde Kuh.«

»Echt?«

»Ja. Und das ist doch ein schlimmes Wort, ja?«

»Eigentlich sind das sogar zwei schlimme Wörter.«

»Manchmal nennt er mich auch dumme Kuh

»Echt?«

»Ja!«

»Und was sagst du dann?«

»¡Cállate!« – Cállate heißt: Halt’s Maul!

◊◊◊◊◊

Die Eineinhalbjährige wird im Kindergarten nur Colo gerufen, eine Kurzform des Adjektivs colorado/a, was bunt, obszön und pikant, aber auch rot bedeutet. Ich frage mich natürlich schon länger, warum sie als einzige in der Familie rote Haare hat. Angeblich kommen die von Onkel Siggi, wobei ich auf diversen Familienfeiern nie einen Onkel Siggi getroffen habe. Scheint ein sehr entfernter Verwandter zu sein.

Die Rothaarige könnte außerdem allmählich anfangen zu sprechen. Sie versteht sehr viel, beherrscht aber bislang nur vier Wörter: hola, mamá (wie im Spanischen endbetont), Kitty und no. Die Kommunikation mit ihr ist nicht immer ganz einfach, obwohl ich sogar bilingual unterwegs bin.

»Hunger?«

»No.«

»Willst du was trinken?«

»No.«

»Queres tomar algo?«

»No.«

»Gibst du mir einen Kuss?«

»No.«

»Un beso?«

»No.«

»Soll ich dich küssen?«

»No.«

»Hast du Papa lieb?«

»No.«

»He!«

»Mamá.«

»Hunger?«

»No.«

 

◊◊◊◊◊

Der Siebenjährige erzählt ein paar Tage lang immer wieder, dass sein Schulfreund Fran ihn zum Spielen eingeladen habe. Es gibt für solche Fälle ein Verfahren: Die Eltern sprechen eine Einladung aus, indem sie entweder anrufen, wenn sie die Telefonnummer haben, oder beim Klassenlehrer einen kurzen Brief abgeben, den der wiederum ins Mitteilungsheft des Eingeladenen legt. Frans Eltern melden sich jedoch nicht. Ich habe die Angelegenheit gerade vergessen, als ich in der Schultasche des Sohnes einen beschriebenen und zum Kuvert gefaltenen Zettel finde:

Hallo Mama von Fran darf ich irgendeinen Tag (unlesbares Wort) bei euch übernachten er kann dann am Sonnabend bei mir schlafen

(Übersetzung von mir)

Brief an Mutter Fran

Im Klassenraum findet er tags darauf zehn Pesos, und vielleicht um Spuren zu verwischen, investiert er sie sogleich am Schulkiosk in Kartoffelchips. Sein Klassenlehrer ertappt ihn und schreibt mal wieder ins Mitteilungsheft. Das Geld gehöre nämlich Alejandro, der es verloren habe und morgen bitte zurückbekomme. »¡Muchas Gracias! Saludos, Juan.«

◊◊◊◊◊

In den vergangenen Wochen hat mein Sohn seinen Schimpfwortschatz erheblich erweitert. Mittlerweile kennt er alle handelsüblichen Beleidigungen und Flüche Argentiniens, und zwar sowohl auf Spanisch als auch auf Deutsch.

Lieber Leser, alter Schwachkopf, Du kannst Dir nicht vorstellen, wie stolz ich bin.

Krieg im Klassenzimmer, ein falscher Robin Hood und vier Sekretärinnen: Meine letzte Woche mit 34 (Teil 2)

von CHRISTOPH WESEMANN

Fortsetzung des ersten Teils: Zwischen Che Guevara und Günther Jauch

  • Mittwoch: Franco, eine Pralinenschachtel und die Betrunkenen von der Trbüne

Der erste Schultag nach den Osterferien: Die fast Vierjährige trägt Uniformteile ihres Bruders, es hat sein Gutes, wenn Vorschule und Schule zwar räumlich getrennt, aber doch eins sind. Am Mittag hole ich beide Kinder ab. Es ist ja auch der erste Vorschultag im Leben der Tochter. Neue Kinder, neue Erzieherin, neuer Ort. Außerdem hat es schon für Erstaunen gesorgt, dass wir sie am Morgen nicht hingebracht, sondern zu ihrem Bruder in den Schulbus gesetzt hatten. Sie wollte es so, und ich hatte nichts dagegen: Der Verkehr zwischen sieben und neun in Buenos Aires ist kein Vergnügen.

Der Siebenjährige kommt aus der Schule mit seinem besten Freund, der schon dreimal bei uns übernachtet hat. »Und, Franco«, frage ich, »besuchst du uns bald wieder?«

»Heute!«, sagt mein Sohn.

»Nein.«

»Bitte, Papa!«

„Geht nicht, Oma und Opa sind da. Wir haben kein Bett frei.«

»Dann morgen. Bitte.«

»Oma und Opa sind auch morgen noch da.«

»Wie lange sind sie denn da?«

»Bis Freitag!«

»Franco, dann kommst du am Freitag zu mir und übernachtest bei uns.«

Ich setze die Schwiegereltern und meinen Sohn in den Zug, es sind nur zwei Stationen nach Hause, und versuche noch mal, mit meiner Tochter die Vorschuluniform zu kaufen. Das Geschäft ist halb dunkel, aber geöffnet. Erst am Nachmittag, nach zwei Tagen, wird das Viertel wieder Strom haben. Im Kindergarten der Eineinhalbjährigen gebe ich einen Beutel ab. Die Erzieherinnen hatten die Eltern gebeten, Kinderkleidung zu spenden. In vielen Ecken der Hauptstadt wird an diesem Tag für die Überschwemmten in der Provinz Buenos Aires gesammelt.

Was machen argentinische Fußballfans, wenn die eigene Mannschaft schlecht spielt und die Partie sehr langweilig ist? Sie machen sich lustig über den Erzfeind, und der muss dafür nicht mal mitspielen.

Zum ersten Mal erlebe ich ein Spiel der Boca Juniors. Das Stadion – Traumziel vieler Groundhopper – heißt, wie es aussieht: La Bombonera, die Pralinenschachtel. Barcelona Sporting Club, Ecuadors Rekordmeister, ist zu Gast in der Copa Libertadores, der südamerikanischen Champions-League.

Boca schießt ein frühes Tor und bekommt danach nichts mehr hin. Also wird gesungen, und immer wieder dasselbe Lied, noch nach dem Schlusspfiff ist es im Treppenhaus des Stadions zu hören. Es macht ja auch Spaß, den großen Rivalen dafür auszulachen, dass der am 26. Juni 2011 erstmals in seiner 110-jährigen Vereinsgeschichte in die Zweite Liga abgestiegen war. Ein Jahrhundertereignis im argentinischen Fußball. Vergleichbar mit einem Abstieg der Bayern, mindestens. »Niemand, absolut niemand, wird in der Lage sein, diesen Tag zu vergessen«, schrieb damals Clarín, die größte Zeitung des Landes.

Schon nach der Niederlage im ersten Entscheidungsspiel drei Tage zuvor in Córdoba hatten Fans von River ihre Spieler über den Platz gejagt. Im Rückspiel begannen Hooligans des berüchtigten Fanclubs Los Borrachos del Tablón (Die Betrunkenen von der Theke Tribüne1) noch vor dem Abpfiff, das eigene Stadion zu zerlegen. Der Schiedsrichter beendete die Partie nach 89 Minuten.

 

Draußen gab es stundenlange Straßenschlachten mit mehr als 2000 Polizisten, Autos brannten, Restaurants wurden geplündert. Ein Jahr später kehrte River Plate aus der Primera B Nacional zurück – doch die Schmach bleibt. Und bei Boca, das selbst eine schwer kriminelle und gewaltbereite Fanszene hat, erfreut man sich bis heute am in jeder Beziehung peinlichen Abschied des Feindes aus der Ersten Liga.

(Ich danke meiner Leserin Mónica und Andreas von Argifutbol für die Tipps beim Übersetzen.)

  • Donnerstag: 100 Pesos und die Sache mit den Inseln

Ich habe heute Euren Sohn am Schulkiosk erwischt. Er hatte 100 Pesos in der Hand und wollte Süßigkeiten kaufen, um sie mit seinen Kumpels zu teilen. Wir sagen den Kindern immer, dass sie kein Geld mitbringen sollen, um sich irgendwas zu kaufen. Es gibt bei so etwas nur Probleme und Missverständnisse. Bitte helft uns und vermeidet es, ihm so viel Geld mitzugeben. Vielen Dank! Grüße, Juan.

Eintrag des Klassenlehrers im Mitteilungsheft

Ich befrage gleich den falschen Robin Hood, der’s dem Armen nimmt und den Reichen gibt, also von unten (Kolumnenschreiber) nach oben (Anwaltskinder) umverteilt. Beim Sprechen muss ich mein Gesicht immer wieder wegdrehen, um mein Grinsen zu verbergen. Ich sehe vor mir, wie dieser Zwerg auf dicke Jogginghose macht und breitbeinig zum Kiosk marschiert. Er gibt auch gleich alles zu und hat kein schlechtes Gewissen.

»Ich hatte Hunger.«

»Was wolltest du denn kaufen?«

»Wieso wollte?«

»Du hast gekauft?«

»Ja.«

»Was denn?«

»Eis, Chips, ein Sandwich, eine Fanta. Ich hatte Hunger, Papa!«

»Du hattest Brot mit.«

»Ich hatte großen Hunger.«

Las Malvinas an der Wand des Präsidentenpalasts

Ich frage, was es sonst Neues gebe.

»Wir haben über diese Inseln gesprochen.«

»Die Malwinen

»Ja.«

»Und? Erzähl mal!«

»Ähm, also, die Engländer … «

» … die verdammten Engländer, mein Sohn … «

» … haben Inseln, die eigentlich Argentinien gehören. Und da hat Argentinien einen Krieg angefangen … «

» … am 2. April 1982, gestern vor 31 Jahren … «

» … und den verloren. Deshalb haben die verdammten Engländern immer noch die Inseln.«

»Aber die Malwinen waren, sind und bleiben argentinisch! Las Malvinas fueron, son y serán argentinas! Merk dir das!«

»Weiß ich doch. Hat Juan auch gesagt.«

»Ist ein guter Lehrer! Und warum gehören die Inseln Argentinien?«

»Weil sie neben Argentinien sind.«

»Bist ein guter Junge!«

Ein Arbeitsblatt aus dem Schulheft des Sohnes. Der Erklärtext oben lautet übersetzt: »Vor langer Zeit wurden unsere Malwineninseln von Großbritannien besetzt. Am 2. April 1982 wollte die argentinische Regierung sie militärisch zurückholen. So begann ein Krieg, in dem unser Land besiegt wurde.« Anmerkung von mir: Die argentinische Regierung zu dieser Zeit war eine sehr brutale Militärdiktatur, die brutalste aller Diktaturen in Südamerika. Die Lehrerin zeigt auf die Weltkarte und sagt: »Das hier sind unsere Malwineninseln.«

 

  •  Freitag: Eine Stirnbeule, vier argentinische Sekretärinnen und Homer Simpson

»Wenn Franco heute kommt, schaffe ich es nicht mehr, das Geschenk zu kaufen, das du dir zum Geburtstag wünschst«, sagt der Siebenjährige am Morgen und ist den Tränen nahe. Ach ja, die Kinder sind aufgeregter als ich.

»Mir fällt schon was ein«, sage ich.

Ich kaufe zwei Homer-Simpson-Plastikfiguren im Trikot der Boca Juniors, eine für meinen Schwiegervater, eine für mich.

Um 13 Uhr, als sich die Schwiegereltern gerade verabschieden, ruft die Schulsekretärin an. Mein Sohn sei im Flur vor dem Klassenraum beim Herumrennen, was selbstverständlich nicht erlaubt sei, von einem anderen Jungen zu Fall gebracht worden und habe sich verletzt. Es gehe ihm aber ganz gut. »Willst du vorbeikommen und ihn abholen?«, fragt die Sekretärin »Oder soll er um vier mit dem Bus nach Hause kommen?«

Ich winde mich etwas. Ich habe meine Schwiegereltern gestern acht Stunden durch die Stadt geführt und sie abends noch zu einer Tangoshow begleitet. Ich habe die vergangenen vier Nächte im Schnitt nur vier Stunden geschlafen. Außerdem ist es heute noch einmal irre heiß. Eigentlich will ich jetzt nicht das Haus verlassen. Ich würde gern ein bisschen lesen und Mate trinken, bis um fünf die Familie einfällt. Es geht ihm doch gut, hat sie gesagt. Er sagt das sogar selbst, ich frage extra noch mal nach.

»Ich muss Bescheid sagen, verstehst du?«, fragt die Sekretärin.

»Ja, klar.«

»Und die meisten Eltern kommen in solchen Fällen sicherheitshalber vorbei.«

»Okay, ich muss noch was erledigen, bin aber in eineinhalb Stunden da.«

Ich kann gar nicht so viel Mate trinken, wie ich kotzen möchte.

Mein Sohn hat eine rote Beule auf der Stirn und ist total gut drauf. Franco steht neben ihm und freut sich auch schon, er darf nämlich, weil er bei uns übernachtet, die letzte Stunde mitschwänzen. Seine Mama hat es erlaubt, erfahre ich von der Sekretärin.

Augenblick, wieso noch Unterricht? Ich dachte immer, nachmittags wird nur Fußball gespielt.

»Unterricht ist bis 16 Uhr.«

Plötzlich stehe ich im Sekretariat, vier Frauen um mich herum, vier junge Frauen, vier argentinische Frauen. Ich soll jetzt schnell entscheiden, was mit den beiden Schülern wird, und bin natürlich überfordert. Vier! Frauen!

Wenn ich die beiden Jungs gleich mitnähme, so kalkuliere ich, wären wir gegen drei zu Hause. Zehn nach drei wäre Chaos in der Bude; die erste Randale gäbe es um halb vier. Gegen halb fünf wäre ich eingekesselt.

»Die bleiben!«

Dem Simulanten und seinem Helfershelfer wird das sogleich mitgeteilt. Sie haben schon ihre Schultaschen geschultert und stehen abmarschbereit vor mir. Nix da, Freunde. Proteste. Tränen. Androhung psychischer Gewalt. Ich flüchte ins Café.

Eine E-Mail von Tomás, der die Karten für das Boca-Spiel besorgt hatte.

Estimado Christoph, como andan? Fue muy grato el momento pasado juntos en la cancha, junto al pequeño y tu suegro, un caballero al igual que vos. Te agradezco mucho las fotos, y también la pasión por los colores de nuestro querido equipo. Volveremos a la cancha. Ustedes son buenas personas con valores y un gran corazón, son nuestros amigos muy queridos.

Un gran abrazo. Tomás.

Geschätzter Christoph, wie geht’s Euch? Die Zeit mit euch im Stadion war großartig, mit dem Kleinen und deinem Schwiegervater, einem Gentleman, wie es Du es bist. Ich danke Dir sehr für die Fotos – und für die Leidenschaft für die Farben unserer geliebten Mannschaft. Wir gehen bald wieder zusammen ins Stadion! Ihr seid wunderbare Menschen mit Werten und einem großen Herzen, ihr seid unsere geliebten Freunde.

Sei fest umarmt. Tomás.

Ich könnte das nicht so poetisch formulieren, fühle mich aber sehr gut beschrieben.

  • Sonnabend: Zwei Geschenke zum 35. und ein Hosenkauf

Sind heute mehr Haare als sonst nach dem Duschen in der Badewanne? Ich bin jetzt 35 und fühle mich keinen Tag jünger.

Zum Geburtstag bekomme ich von meiner Familie ein schwarzes T-Shirt mit einem aufgedruckten Pinguin, der eine Krawatte trägt, und die Homer-Simpson-Figur im Trikot der Boca Juniors. Ich bin gerührt.

Mir wird überdies versprochen, dass ich im Laufe des Tages statt einer Geburtstagstorte noch eine kleine Tüte meiner Lieblings-Medialunas überreicht bekäme, was freilich auch im Laufe des Tages vergessen wird. Ich komme sowieso nicht zum Essen, sondern muss die fast Vierjährige und den schon Siebenjährigen zum Russischunterricht ans andere Ende der Stadt bringen. Sie haben diese Sprache gelernt, richtig gelernt, erst in der Ukraine, dann in einem deutsch-russischen Kindergarten in Berlin, nicht wie ich einst in der Schule kurz vor dem Zusammenbruch der DDR. Mein Sohn spricht akzentfrei Russisch, und ich empfinde das als Privileg, das es zu bewahren gilt.

Franco kommt natürlich mit, er bleibt ja bis Sonntag bei uns, vielleicht auch bis Montag, alles ist möglich. Seine Mutter sagt am Telefon: »Wie ihr wollt. Wenn ich ihn abholen soll, ruft an.«

Ich hetze ihn durch die Straßen, weil ich zwei neue Hosen brauche. Erst friert Franco und teilt mir das alle zwei Minuten mit. Er trägt aber weder Jacke noch Socken. Ich versuche, Franco in meinem Windschatten gehen zu lassen, die Radrennfahrer machen das doch auch so, Belgischer Kreisel, und verlaufe mich dabei. Und der argentinische Wind pfeift auf meinen Belgischen Kreisel und dreht die ganze Zeit. Ein Hosengeschäft finden wir auch nicht.

Erst auf dem Nachhauseweg kommen wir zufällig an einem Laden vorbei. Zwei alte Herren bedienen. Man kann so was gar nicht erfinden: Der eine ist Fan von Racing Club, der andere von Independiente. Wohl nirgendwo auf der Welt sind sich zwei verfeindete Fußballklubs so nahe wie in Avellaneda, einem Vorort von Buenos Aires. Nur 300 Meter trennen die beiden Stadien, von der Tribüne des einen kann man das andere sehen. Maximal vier Meter trennen den Racingfan vom Independientefan, größer ist der Hosenladen nicht. Sie arbeiten jeden Tag miteinander und teilen vielleicht noch mehr, ich würde das nicht ausschließen. Die Vierjährige beginnt gleich, die Frontscheibe des Kassenschranks abzulecken, und die beiden Siebenjährigen wollen unbedingt den Krawattenständer umstoßen.

Der Racingfan legt seine Zigarette beiseite, reicht mir zwei schwarze Hosen und raucht weiter. Die eine passt sofort, die andere wird in drei Tagen gekürzt sein. Die drei Kinder, die ich mitgebracht habe, sind inzwischen ein schreiendes Knäuel auf dem Boden. Ich ermahne sie, ich erpresse sie mit McDonald’s, ich bitte um Ruhe, nichts hilft. Die armen Hosenverkäufer.

Zum Glück bin ich fertig und habe das Geld schon in der Hand. Der Racingfan lässt mich nur noch ganz schnell und absolut unverbindlich eine Strickjacke anziehen, die wunderbar zu meinen neuen Hosen passen würde. Und einen Gürtel, auf dem Argentina steht und zwei Pferde abgebildet sind, findet er auch zufällig. »Halt den mal an, muchacho, ist doch irgendwann eine tolle Erinnerung an dein Leben in Buenos Aires.« Che, und dieses T-Shirt, das ganz neu reingekommen ist, fühl mal, 100 Prozent irgendwas, wahrscheinlich Baumwolle, das schenkt er mir fast, ich wäre regelrecht blöd, das hier zu lassen.

Dann zündet er sich eine neue Zigarette an und tippt auf dem Taschenrechner alles zusammen, zwei schwarze Hosen, schwarzer Gürtel mit zwei Pferden, schwarzes T-Shirt, schwarze Strickjacke, er nennt eine Summe und fragt sicherheitshalber, ob ich schon einen guten Anzug hätte. Ich überlege tatsächlich einen Augenblick.

»Ich habe drei und trage keinen davon«, sage ich, und das stimmt sogar.

Kann sein, dass ich am Ende, mit all den großzügig gewährten Rabatten und Fast-Geschenken, mehr bezahle, als wenn der Racingfan die offiziellen Preise einfach addiert hätte. Aber zum einen wälzt sich das Knäuel immer noch schreiend, nun aber auch Schimpfwörter ausspuckend, über den Boden. Ich weiß wirklich nicht, was das für Verrückte sind, die sich vier Kinder anschaffen. Zum anderen: Gute Geschichten gibt es nun mal nicht umsonst.

Ende.

  1. Oh, wie peinlich: »Maestro, ich muss Dich schweren Herzens korrigieren«, schreibt mir Andreas von Argifutbol. »Los tablones sind Holzelemente/-bretter oder -dielen, aus denen früher die Stadien errichtet wurden. Dementsprechend sind Rivers .. .die gehen ja auch ins Stadion und nicht in die Bar.« []

Zwischen Che Guevara und Günther Jauch: Meine letzte Woche mit 34 (Teil 1)

von CHRISTOPH WESEMANN

Das Geburtstagskind, gesehen von Danü

  • Sonnabend: Geklaute Freiheit und der Perso als Kokstablett

Seit einer Woche freue ich mich auf diesen Tag. Die Familie wird ohne mich ins Tigre-Delta fahren und meine Schwiegereltern mitnehmen, die aus Deutschland zu Besuch gekommen sind. Ich habe sehr genaue Pläne für meinen ersten Tag in Freiheit seit einer Ewigkeit: Zunächst werde ich nichts machen, dann zwei Karten für das Fußballspiel am Abend im Stadion von River Plate kaufen und unterwegs etwas essen, das ungesund ist und trotzdem nicht schmeckt. Nahrung hat an einem Tag wie diesem zwei Aufgaben: erstens stopfen, zweitens keinen Abwasch hinterlassen.

Danach werde ich, es dürfte mittlerweile Mittag sein, erst zweieinhalb Stunden schlafen, hernach wieder ein bisschen nichts machen und schließlich warten, dass mein Freund Danü klingelt, der Mann, der so schön zeichnet und überhaupt ein Genie ist.

Leider dreht am Sonnabendmorgen nach dem Aufstehen ein Siebenjähriger durch, und zwar unangekündigt, was – ungeschriebenes Familiengesetz – mein Privileg ist.

»Scheiß Tigre-Delta!«, ruft mein Sohn. »Ich bleib hier.«

»Geht nicht, ich habe schon Pläne.«

Erst soll er mitkommen und will nicht, dann will er mitkommen und darf nicht. Er muss zur Strafe bei seinem Vater bleiben, der daraufhin unangekündigt durchdreht.

Also gehen wir zum Bus, einander anschweigend, diesen Tag haben wir uns beide ja nun wirklich anders vorgestellt, fahren in den Stadtteil Liniers, versöhnen uns unterwegs – Pack schlägt sich, Pack verträgt sich – und kaufen drei Eintrittskarten für den Block von Vélez Sársfield im Monumental.

Und plötzlich ist das ein schöner Tag: Zwei Jungs, die herumalbern und keinen Satz ohne ein schlimmes Wort herausbringen, ziehen durch die großartigste Stadt der Welt. Sie werden ein Mittagessen kochen und kaufen deshalb: Rindersteaks, Champignons, Radieschen, Möhren, Knoblauch, Rosenkohl, Paprika, Erbsen, Mais, Palmherzen, Sahne und Tomatenmark, ein Baguette und Cola.

Zwei Stunden später, noch immer am Herd stehend, werde ich wieder vernünftig. Welch ein Abwasch! Und der, der schläft, ist mein Sohn. In einer Woche werde ich 35, ich müsste auch mal an mich denken.

35.

Plötzlich stelle ich mir die wichtigen Fragen des Lebens. Schmeckt’s wenigstens? Alfred Biolek, der Erfinder des Kochens, würde sagen: »Schmeckt interessant.« Hatte ich heute vielleicht gar keinen Hunger? Warum Radieschen? Für die Story? Mach ich am Ende, was immer ich mache, nur für meine Leser?

Es klingelt.

Danü und ich bemerken schon auf Weg ins Stadion, dass wir nicht dazugehören zum Trupp der Vélezfans. Ringsum werden die verschiedenen Vereinstrikots getragen – oder man ist oben nackt. Wir überlegen einen Augenblick, uns zu entkleiden, warm genug wäre es, dass wir uns nicht erkälten. Aber zwei blasse Jungs ohne Tätowierungen würden ja bloß noch mehr auffallen. »Das nächste Mal bringe ich eine Schablone und einen Filzstift mit«, sagt Danü.

Im Block wird vor uns gekokst – aus dem Tütchen auf den Personalausweis in die Nase – und hinter uns gekifft. Das Spiel ist sowieso zum Vergessen, ein trübes 0:0, das mit anzuschauen wehtut. Ein Viertel der Fans steht mit dem Rücken zum Rasen und singt neunzig Minuten durch. Die Ultras in deutschen Stadien machen das ja auch gern: sich selbst feiern, um bewundert zu werden.

Mein Sohn hängt die zweite Halbzeit am Zaun, singt mit und lässt sich dabei vom Spiel nicht stören. Ich habe Angst, dass er in einem halben Jahr zum Tätowierer will.

  • Sonntag: Der Quizmaster und die Patrioten Lateinamerikas

Transparent zu Ehren der Präsidentin, Plaza de Mayo am 24. März; darauf steht: "Sie ist das Volk"

Stadtbummel mit den Schwiegereltern, dem Sohn und der Eineinhalbjährigen. Vor einer Woche war die berühmte Plaza de Mayo mit dem Präsidentenpalast überfüllt gewesen. Cristinas Jungvolk, also La Cámpora und andere Nachwuchsorganisationen, die der argentinischen Präsidentin aufs Treueste verbunden sind, waren aufmarschiert, um an den Beginn des Militärputsches am 24. März 1976 zu erinnern und die heutige Demokratie zu preisen. Ist es eigentlich ein Widerspruch, dass Cristina Kirchner von Meinungs- und Pressefreiheit selbst nicht viel hält, dass es neuerdings den argentinischen Super- und Elektromarktketten verboten ist, Werbung zu schalten, was vor allem die kritischen Zeitungen trifft, bei denen die Regierung aus Prinzip keine Anzeigen bucht, weil sie lieber ihr ergebene Blätter belohnen will?

Oder bin ich überempfindlich und kompensiere bloß meine Jubelmärsche als Jung- und Thälmannpionier von vierundachtzig bis neunundachtzig?

Heute aber ist die Plaza de Mayo ruhig und die Schlange vor dem Präsidentenpalast lächerlich kurz. Also gehen wir hinein und bestaunen die Galerie der lateinamerikanischen Patrioten im Foyer.

Casa Rosada, der Präsidentenpalast auf der Plaza de Mayo

Galerie der lateinamerikanischen Patrioten im Präsidentenpalast

Hatte die überhaupt einen Namen? Wäre auch eine gute Frage für Günther Jauch. »Wie hieß die erste Ehefrau des argentinischen Präsidenten Juan Domingo Perón: A) Aurelia, B) Antonia, C) Augustina, D) Alberta?«

»Herr Wesemann, es geht um 500 000 Euro, alle Joker sind weg, aber ein Porteño auf Lebenszeit, wie Sie sich vorhin ja genannt haben, beantwortet eine solche Frage natürlich im Schlaf.«

Warum ich mich nicht bei Wer wird Millionär? bewerbe – deshalb.

  • Montag: Ein Schwangere und Rothaut Schwiegervater

Ich bin mit Schwiegervater im Baumarkt. Wir brauchen Schrauben für die Sitzbank auf der Terrasse, die vor drei Tagen zusammengebrochen ist. Und Muttern für das Rad des Kinderwagens. Und Öl für die Türen. Aber kein Werkzeug, das habe ich aus Deutschland mitgebracht. Es dauert auch so lange genug, weil sich Schwiegervater zwar in Dingen des Handwerks auskennt, aber auf mich als Verkäuferbefrager und Verpackungsübersetzer angewiesen ist.

Nachdem wir 15 Minuten an der Kasse angestanden haben und endlich an der Reihe sind, winkt der Kassierer eine Schwangere vor. Hat ja nur ein paar Sachen zu bezahlen, Glühbirnen, Blumenerde, und ist schon im siebten Monat. Dicker Bauch. Man sieht den werdenden Vater mit den zwei vollgepackten Einkaufswagen dahinter kaum. Die Frau bedankt sich überfreundlich fürs Vorlassen – wartet aber selbst noch und lässt einen Mann weiter hinten in der Schlange vor. Der bezahlt die 66 Pesos für eine Küchenuhr mit Batterien natürlich nicht bar, sondern mit Kreditkarte, findet seinen Personalausweis erst in der vierten Hosentasche und sammelt auch Punkte. Das deutsche Schwiegervatergesicht verfärbt sich allmählich ins Rötliche.

»Ganz ruhig«, sage ich. »Du glaubst nicht, wie oft deine drei Enkel benutzt und zum Krachmachen überredet werden, damit ihre Eltern vordrängeln können.«

  • Dienstag: Land unter

Die fast Vierjährige wechselt morgen vom Kindergarten in die Vorschule und braucht deshalb eine neue Uniform: zwei Jogginganzüge, zwei Röcke, vier T-Shirts, alles mit Logo. Ich verzichte auf meinen Mittagschlaf und fahre mit ihr im Bus eine Viertelstunde zum Uniformgeschäft. Es ist zwar noch Feiertag in Argentinien, aber die meisten Geschäfte sind trotzdem geöffnet. Dieses nicht. Und viele andere in diesem beliebten Einkaufsviertel auch nicht.

In den Cafés und Restaurants stehen die Stühle auf dem Tisch. Und wenn doch irgendein Laden aufhat, ist er dunkel, und die Besitzer sind barfuß und mit Eimer und Wischlappen unterwegs. Es hat in der Nacht stundenlang und viel zu stark geregnet. Während hier im Norden der Hauptstadt nur der Strom fehlt, werden in La Plata und anderswo in der Provinz Buenos Aires schon die Toten gezählt. Und es regnet weiter.

Eine Tragödie.

Drei Tage Staatstrauer. Wie Anfang März nach dem Tod unseren Freundes Hugo Chávez aus Caracas.

Der zweite Teil folgt morgen – dann mit einem falschen Robin Hood, einem wütenden Klassenlehrer, einer Stirnbeule und einem Deutschen, der von vier Sekretärinnen unsexuell belästigt wird.

Die Eierkuchen-Komödie

von CHRISTOPH WESEMANN

Neulich nach dem Fußballtraining mit neun Argentiniern; ein Deutscher, der Klinsmann genannt wird, River-Fan I (Cristian) und River-Fan II (Sebastian)

DER DEUTSCHE. Cristian, ich will am Sonnabendabend ins Stadion von River. Wird es schwer sein, Karten fürs Spiel gegen Vélez Sársfield zu bekommen?

RIVER-FAN I. Könnte schwierig werden.

DER DEUTSCHE. Meinst du denn, es wäre einfacher, am Sonnabendmorgen um zehn nach Vélez zu fahren und dort Karten für den Gästeblock zu kaufen?

RIVER-FAN I. Viel einfacher! Weißt du, Vélez hat nicht so viele Fans wie River, Vélez ist ein kleiner Verein, ein erfolgreicher Verein, der aktuelle Meister, aber klein, ein Verein aus einem kleinen Stadtviertel von Buenos Ai …

RIVER-FAN II. … Vélez ist klein, Cristian. Punkt.

DER DEUTSCHE. Dann kaufe ich die Karten von Vélez.

Kartenkauf vor dem Stadion von Vélez

RIVER-FAN I. Klinsmann, du bist Fan von Boca, gehst ins Stadion von River und stehst im Fanblock von Vélez, weißt du, wie man bei uns Leute wie dich nennt? Panqueque.

Karten


Argentinische Helden

Diego Maradona, gezeichnet von Danü (c)

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Steckbrief

Wir sind schnell.
Wir sind Wortmetze. Wir haben einen profunden geistes-
wissenschaftlichen Hintergrund. Wir sind böse, sexy und klug. Wir können saufen wie die Kutscher, haben Kant gelesen und nicht verstanden, aber das merkt keiner, und schlafen nie.


2012 von Christoph Wesemann in Buenos Aires gegründet. Derzeit im Exil. (Berlin)